Nr. 15/2015
Entstellen von Tatsachen / Diskriminierung

( X./Y. c. «Berner Zeitung») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 6. Mai 2015

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I. Sachverhalt

A. Die «Berner Zeitung» warb für ihre Ausgabe vom 20. September 2014 mit einem Aushang am Kiosk mit folgender Schlagzeile: «Schweizer Secondos Berufswunsch Terrorist». Dieser Aushang bezieht sich auf ein Interview mit Allan Guggenbühl, Leiter der Abteilung Gruppentherapie in der Berner Erziehungsberatung, welches in der Zeitung gleichentags unter dem Titel «Wir unterschätzen die Todessehnsucht junger Männer» erschien. Der Interviewte befasst sich darin mit der Frage, weshalb junge Secondos Wohlstand und Sicherheit gegen den Krieg in Syrien eintauschen. Im Gespräch werden Aussagen von Jugendlichen erwähnt, die mit dem Jihad sympathisieren, einer behauptet gar, er wolle Selbstmordattentäter werden.

B. Am 10. November 2014 beschwerten sich X. und Y. beim Schweizer Presserat gegen diesen Aushang. Sie sehen in der Schlagzeile das Aufbauschen einer Aussage aus Allan Guggenbühls Interview, sodass sämtliche Schweizer Secondos und Secondas, und zwar nicht allein die Musliminnen und Muslime, in den Verdacht des Terrorismus gerieten. Guggenbühl berichtet von einem 16-jährigen Jugendlichen, der in einer Gruppentherapie erwähnte, er wolle Selbstmordattentäter werden. Zwei weitere Jugendliche hätten ihm zugestimmt. Die Beschwerdeführenden erachten die Ziffern 3 und 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») als verletzt: Ziffer 3, weil die Autorin Andrea Sommer den Begriff Berufswunsch hinzugefügt habe, Ziffer 8, indem ein positiv belegter Begriff (Berufswunsch) für Menschen mit einem Migrationshintergrund mit einer negativen Bedeutung verwendet wird.

C. Gemäss Art. 13 Abs. 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presseratspräsidium Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt.

D. Das Presseratspräsidium, bestehend aus Präsident Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann, hat die vorliegende Stellungnahme per 6. Mai 2015 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Gestützt auf Artikel 11 Absatz 1 seines Geschäftsreglements tritt der Presserat nicht auf eine Beschwerde ein, wenn diese offensichtlich unbegründet erscheint.

2. Gemäss Ziffer 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» dürfen Medienschaffende keine wichtigen Elemente von Informationen unterschlagen und weder Tatsachen, Dokumente, Bilder und Töne noch von anderen geäusserte Meinungen entstellen. Dies gilt auch für Zeitungsaushänge (u.a. Stellungnahmen 35/2002, 1/2011). Die Beschwerdeführenden machen geltend, die Journalistin habe dem Jugendlichen den Begriff «Berufswunsch» in den Mund gelegt, den dieser vermutlich selber vorher so nicht verwendet habe. Der Wortlaut des Aushangs «Schweizer Secondos Berufswunsch Terrorist» stellt in der Tat eine Zuspitzung dar. Im Artikel selbst stellt die Journalistin die Frage: «Wie reagierte die Gruppe auf diesen ‹Berufswunsch›?» Sie nimmt damit Bezug auf die erste Interviewfrage, in der Guggenbühl von einem Jugendlichen berichtet, der Selbstmordattentäter werden will. Diese Aussage umzudeuten in den Begriff «Berufswunsch» ist im Lichte von Ziffer 3 der «Erklärung» nicht zu beanstanden, denn Leserin und Leser werden damit nicht irregeführt. Unter dieser Voraussetzung sind laut Praxis des Presserates auch Zuspitzungen insbesondere in Schlagzeilen erlaubt, wenn diese im Text selbst möglichst frühzeitig relativiert werden (Stellungnahme 70/2013). Dies ist hier der Fall.

3. Die Beschwerdeführenden berufen sich zudem auf die Ziffer 8 der «Erklärung». Mit dem Kioskplakat werde versucht, einen an sich positiv belegten Begriff (Berufswunsch) für eine Gruppe von Schweizer Bürgerinnen und Bürgern mit Migrationshintergrund und/oder in der Schweiz geborene Kinder von Migrantinnen und Migranten mit negativer Bedeutung (Terrorist) zu belegen. Laut Ziffer 8 der «Erklärung» respektieren Journalisten die Menschenwürde und verzichten in ihrer Berichterstattung in Text, Bild und Ton auf diskriminierende Anspielungen, welche die ethnische oder nationale Zugehörigkeit, die Religion, das Geschlecht, die sexuelle Orientierung, Krankheiten sowie körperliche oder geistige Behinderung zum Gegenstand haben. Nach Praxis des Presserats ist eine Anspielung diskriminierend, wenn durch eine unzutreffende Darstellung das Ansehen einer Gruppe beeinträchtigt und/oder die Gruppe kollektiv herabgewürdigt wird (vgl. Stellungnahme 9/2013). Der Artikel in der Zeitung selbst weist auf einen Einzelfall hin. Es lässt sich aber auch aus dem Aushang nicht schliessen, dass quasi alle Secondos in den Verdacht des Terrorismus geraten, denn es darf als bekannt vorausgesetzt werden, dass nur eine relativ kleine Anzahl Schweizer Jugendlicher in den Jihad zieht. Den Beschwerdeführenden ist jedoch zuzugestehen, dass der Wortlaut des Aushangs zumindest doppeldeutig und damit unglücklich formuliert ist. Angesichts der obigen Ausführungen erweist sich die Beschwerde jedoch als offensichtlich unbegründet.

III. Feststellung

Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.