I. Sachverhalt
A. In seiner Ausgabe vom 29. Mai 2002 veröffentlichte der «Zürich Express» im Rahmen der Reihe «Stadtmenschen» unter dem Titel «Seit 20 Jahren auf der Gasse» und mit dem Untertitel «X. hat sich im AJZ den ersten Schuss gesetzt – seither ist er süchtig» ein von Isabella Seemann verfasstes Porträt.
B. Mit Beschwerde vom 13. August 2002 gelangte der anwaltlich vertretene X. an den Presserat und führte aus, der Artikel vom 29. Mai 2002 sei zwar inhaltlich richtig. Zu beanstanden sei hingegen die Art und Weise der Publikation des Berichts. Er habe der Journalistin nur deshalb so bereitwillig Auskunft über sein Leben als Drogenkonsument und Kleindealer gegeben, weil er davon ausgegangen sei, dass sein Foto anonymisiert erscheinen und zudem nur sein Gassenname «Flash», nicht dagegen sein richtiger Name genannt würde. Er sei der Meinung, dass er der Journalistin sogar explizit gesagt habe, dass das Foto nur die Konturen erkennen lassen solle. Ganz sicher sei er sich nicht mehr. Hingegen sei er sich sicher darüber, dass er ausdrücklich gewünscht habe, nur der Gassenname solle erscheinen. Für ihn habe der Zeitungsartikel schwere Folgen, weil ihm nun möglicherweise ein Strafverfahren drohe. Zusammenfassend macht der Beschwerdeführer geltend, mit der Publikation des Artikels seien die Ziffern 6 (Quellenschutz), 7 (Respektierung der Privatsphäre) und 8 (Diskriminierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» sowie die Richtlinien 4.5 (Interviews), 7.2 (Personen in Notsituationen) und 8.1 (Menschenwürde) zur «Erklärung» verletzt worden.
C. In einer Stellungnahme vom 30. Oktober 2002 beantragte die durch den Rechtsdienst der Tamedia AG vertretene Redaktion des «Zürich Express», die Beschwerde sei abzuweisen. Die Ausführungen des Beschwerdeführers zur Entstehungsgeschichte des Artikels seien nicht korrekt. In Tat und Wahrheit habe der Beschwerdeführer die Redaktion des «Zürich Express» kontaktiert, weil er seine Lebensgeschichte und seine Anliegen habe öffentlich machen wollen. Die Autorin des Berichts habe ihn routinemässig gefragt, ob er bereit sei, sich mit Namen und Bild im «Zürich Express» porträtieren zu lassen. Der Beschwerdeführer habe sofort und ohne Einschränkungen zugesagt. Ebenso habe er seine Zustimmung zur Publikation eines von rund 10 Fotos gegeben, die ihm zuvor auf dem Display der Digitalkamera gezeigt worden seien. Zu Beginn des Interviews habe die Autorin den Beschwerdeführer zudem ausdrücklich gefragt, ob ihm bewusst sei, dass der «Zürich Express» jedem Haushalt der Stadt Zürich zugestellt werde, und ob er damit leben könne, dass er nach der Publikation wohl von vielen Leuten auf den Artikel angesprochen werde. «Er bejahte dies ausdrücklich. Schliesslich wolle er den Zürchern klar machen, was in der Drogenszene abgehe.» Der Beschwerdeführer habe weder erwähnt, dass nur sein Gassenname erscheinen solle, noch habe er verlangt, dass das Bild nur mit den Konturen publiziert werde.
D. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder sonstwie von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.
E. Am 9. August 2002 erklärte der Presserat den Schriftenwechsel als geschlossen und teilte den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt.
F. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 30. Dezember 2002 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Gemäss Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» ist die Privatsphäre der einzelnen Personen zu respektieren, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Laut der Richtlinie 7.6 zur «Erklärung» ist eine Namensnennung jedoch zulässig, wenn eine Person ihren Namen selber öffentlich macht, oder ausdrücklich in die Veröffentlichung einwilligt.
2. Vorliegend ist zwischen den Parteien umstritten, ob der Beschwerdeführer ursprünglich, d.h. im Zeitraum bis zur Publikation des Artikels vom 29. Mai 2002 in die Veröffentlichung seines Namens und Fotos eingewilligt hat. Der Presserat hat verschiedentlich festgehalten (vgl. zuletzt die Stellungnahmen 45/2002 i.S. Hofmann c. «Smash» und 48/2002 i.S. Schnyder c. «SonntagsBlick»), dass es nicht zu seinen Aufgaben gehören kann, bestrittene Faktenbehauptungen in einem Beweisverfahren auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Vorliegend erscheinen die detaillierten Ausführungen der Beschwerdegegnerin zum Ablauf der Ereignisse jedenfalls als nicht derart unplausibel, dass sie als offensichtliche Schutzbehauptung zu qualifizieren wären, zumal sich der Beschwerdeführer jedenfalls hinsichtlich des Fotos seiner Sache nicht mehr ganz sicher ist. Ist der Beschwerdegegnerin jedoch zumindest der gute Glaube zuzubilligen, so hat der Beschwerdeführer die mangelnde Einwilligung eben nicht nachgewiesen. Deshalb wird die Beschwerde unter diesem Gesichtspunkt abgewiesen.
3. a) Der Anwalt des Beschwerdeführers machte darüber hinaus in der dem Presseratsverfahren vorangegangenen Korrespondenz mit der Beschwerdegegnerin sinngemäss geltend, selbst wenn eine Einwilligung des Beschwerdeführers erfolgt sein sollte, wäre diese nicht gültig. «Mein Mandant ist aufgrund seiner Geschichte, seiner Krankheit und seiner schweren Drogensucht sicher nicht in der Lage, die allfälligen Folgen eines solchen Artikels abzuschätzen.»
b) Die Beschwerdegegnerin macht dazu geltend, die Autorin sei sich dessen bewusst gewesen, dass Aussagen des Beschwerdeführers über den Drogenhandel mit Vorsicht zu verbreiten waren. «Um der Glaubwürdigkeit des Porträts willen hat sie einen Teil der diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers in das Porträt aufgenommen.» Weitere heikle Äusserungen habe sie zu dessen Schutz jedoch mit Bedacht nicht aufgenommen. «Die Autorin hatte aus dem Auftreten des Beschwerdeführers keinerlei Anzeichen dafür entnehmen können, dass dessen Urteilsfähigkeit in irgendeiner Weise eingeschränkt sein könnte. Er wirkte bei den Kontaktnahmen überaus vernünftig, er drückte sich klar und kohärent aus, und seine Schilderungen machten einen nachvollziehbaren Eindruck. Deshalb hatte sie keinen Anlass, den Beschwerdeführer vor sich selbst zu schützen.» Im übrigen sei es keineswegs so, dass Berichte über Drogenabhängige und Aidskranke generell anonymisiert würden.
c) Der Presserat hat in der Stellungnahme 26/02 i.S. X. c. «Obersee Nachrichten» darauf hingewiesen, dass die «Berufsethik zuweilen Medienschaffenden gebietet, Menschen, über die sie berichten, auch vor sich selbst zu schützen. Auch Erwachsene können nicht immer abschätzen, auf was sie sich einlassen, wenn sie ihre eigene Privatsphäre und die ihrer Angehörigen den Medien preisgeben.» Vorliegend war ein entsprechender Schutz zwar offenbar auch nach Auffassung der Beschwerdegegerin in einem gewissen Masse angebracht. Allenfalls wäre es unter diesem Gesichtspunkt zudem sinnvoll gewesen, auch auf die Veröffentlichung der Aussagen «700 bis 1500 Franken Umsatz macht er pro Tag. Davon bezahlt er einen ÐAufpasserð (…)» zu verzichten. Dennoch würde es zu weit gehen, eine Einwilligung des Beschwerdeführers zur identifizierbaren Berichterstattung als von vornherein unbeachtlich zu erklären. Denn entgegen der oben unter 3 a) der Erwägungen wiedergegebenen Einschätzung seines Anwaltes erwähnt der Beschwerdeführer an anderer Stelle seiner Beschwerdeschrift, «jedem Drogensüchtigen und Kleindealer (sei) klar, was die Publikation seines Namens und Fotos für Probleme geben kann». Diese Einschätzung dürfte besonders auch für den Beschwerdeführer mit einer Erfahrung von 20 Jahren als Fixer zutreffen. Dementsprechend ist
davon auszugehen, dass er zumindest in den wesentlichen Zügen abschätzen konnte, auf was er sich im Falle der Einwilligung zu einer identifizierenden Berichterstattung einliess.
4. Die weiteren Rügen des Beschwerdeführers, wonach die Ziffern 6 (Quellenschutz) und 8 (Diskriminierung) verletzt worden seien, basieren wiederum auf der von der Beschwerdegegnerin bestrittenen Behauptung, dass die identifizierende Berichterstattung ohne Einwilligung und Kenntnis des Betroffenen erfolgt sei. Wenn laut Ziffer 2 (oben) der Nachweis für die mangelnde Einwilligung des Beschwerdeführers nicht als erbracht gilt, entfällt eine Verletzung des Quellenschutzes von vornherein. Ebensowenig kann unter diesen Umständen von einer Diskriminierung (Ziffer 8 der «Erklärung») oder Verletzung der Menschenwürde (Richtlinie 8.1 zur «Erklärung») des Beschwerdeführers die Rede sein.
5. a) Der Beschwerdeführer sieht weiter eine Verletzung von Ziffer 4.5 (Interviews) der Richtlinien zur «Erklärung» darin, dass ihm der Text vor der Veröffentlichung nicht zur Autorisierung unterbreitet worden sei.
b) Die Beschwerdegegnerin wendet dagegen ein, dass sich die Richtlinie 4.5 einschliesslich der Pflicht, Interviews im Normalfall autorisieren zu lassen, ausschliesslich auf sog. gestaltete Interviews beziehe. Bei Porträts sei das Gegenlesen nicht üblich. Hätte dies der Beschwerdeführer jedoch gewünscht, wäre die Redaktion dazu ohne weiteres bereit gewesen. Im übrigen mache der Beschwerdeführer ohnehin nicht geltend, dass er in irgend einer Weise falsch zitiert worden wäre.
c) Der Presserat hat in der Stellungnahme 30/2002 i.S. X. c. «Facts» festgehalten, dass eine Pflicht zur Autorisierung von Zitaten ungeachtet ihrer Form (direktes oder indirektes Zitat) dem Gesprächspartner vor der Veröffentlichung zur Autorisierung zu unterbreiten ist, wenn für einen Medienbericht ein längeres Recherchegespräch geführt wird. Demgegenüber ist eine solche Verpflichtung vorbehältlich einer anderslautenden Vereinbarung der Parteien bei kurzen Recherchegesprächen zu verneinen. Vorliegend ging die mehrfache Kontaktnahme zwischen den Parteien offensichtlich über die blosse Einholung eines kurzen Statements hinaus, so dass die Richtlinie 4.5 zur Erklärung formal verletzt worden ist.
6. Demgegenüber geht die Rüge einer Verletzung der Richtlinie 7.2 (Personen in Notsituationen) offensichtlich fehl. Der Beschwerdeführer befand sich im Zeitpunkt der Kontaktaufnahme mit der Beschwerdegegnerin offensichtlich weder unter dem Schock eines besonderen Ereignisses noch sonstwie in einer Notsituation. Im Gegenteil kann seinem Lebensbericht entnommen werden, dass sich seine persönliche Situation in den letzten Jahren ein Stück weit beruhigt hat.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird insoweit teilweise gutgeheissen, als die Redaktion des «Zürich Express» verpflichtet gewesen wäre, dem Beschwerdeführer die direkten und indirekten Zitate vor der Veröffentlichung zur Autorisierung zu unterbreiten.
2. Darüber hinaus wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.