I. Sachverhalt
A. Am 3.9.01 erschien in der NZZ ein Artikel des Journalisten Dario Venutti mit dem Titel «Die Jugos» und dem Untertitel «Ein Bericht aus dem Jahr 2101 über Fans vor 100 Jahren». Inhaltlich beschäftigte sich der Text mit dem gewalttätigen Verhalten serbischer Fussballfans anlässlich des Fussballspiels Schweiz – Jugoslawien vom 1. September 2001 im St. Jakob Park in Basel.
Auszüge aus dem Text lauten: «Man schrieb den ersten Tag des neunten Monats im Jahr 2001, als die Serben auf dem Fuballplatz zu St. Jakob den ottomanischen Angriff der Schweiz erfolgreich abwehrten. Die beiden Janitscharen-Brüder Murat und Hakan hatten zusammen mit Sultan Kubilay I. anfänglich eine Lanze in die serbischen Reihen geschlagen, doch Letztere blieben standhaft und vermochten das Schicksal noch zu ihren Gunsten zu wenden. Das Fussvolk unterstützte sie lautstark, fatalistisch und mit Mitteln, die gemäss damaliger Sitte nicht statthaft waren. Solche Arenenkämpfe dienten dem westeuropäischen Mittelstand zum Zeitvertrieb (…). Den Serben lehrte aber ihre Mythologie, sich bei jeder Gelegenheit für die verlorene Schlacht von 1389 auf dem Amselfeld zu rächen (…). Dieses Fussvolk war zu jener Zeit gerade im Westen in aller Munde. Rund 10’000 hatten sich zu St. Jakob versammelt, einige von ihnen bestätigten die Vorurteile, die man damals ihnen gegenüber hegte. Sie galten als gewaltätig, arrogant und falsch (…) Dabei hatte man sie in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts als Traumausländer gesehen, denn viele von ihnen waren als Ärzte, Zahnärzte oder Ingenieure in die Schweiz gekommen (…) Überdies konnte man an ihrer Meeresküste schöne und billige Ferien machen. (…) Das Fussvolk zu St. Jakob stammte grösstenteils aus einem anderen sozialen Milieu als die erste Einwanderergeneration. (…) Diese Menschen waren wenig qualifiziert, wenig gebildet und von der patriarchalischen Kultur ihrer Heimat geprägt worden. (…) Zu St. Jakob konnte man an jenem Tag beobachten, wie einige während des Spiels auf das Feld rannten. Es galt bei ihnen ehrenhaft, von den Ordnungshütern nicht erwischt zu werden. Ihre Sozialisation hatte ihnen über die Jahrzehnte das Idealbild des Helden hochgehalten, der den ehrenhaften Tod für den Stamm oder die Nation stirbt (…) Die Gewaltbereitschaft der ÐJugosð entsprang anderen Gründen als diejenige der Engländer und Deutschen, die sich damals am gleichen Tag in München prügelten. Während Letztere den Hooliganismus als Freizeitbeschäftigung in einer postmodernen Welt praktizierten (…) resultierte die Gewalt der Ersteren aus dem Gefühl der Rückständigkeit und aus einer traumatisierten nationalen Identität».
B. Einen Tag später, am 4. September 2001, schickte V. (nachfolgend: Beschwerdeführerin) einen Leserbrief an die NZZ. Darin verurteilte die Beschwerdeführerin den Bericht als nicht korrekt und rassistisch, weil darin «ein gesamtes Volk beleidigt und gedemütigt wird». Der Autor gehe fälschlicherweise davon aus, dass die Nationalität der Akteure für die Gewalttaten im St. Jakob Stadion ursächlich gewesen sei.
C. Mit Schreiben vom 7. September 2001 gelangte die Beschwerdeführerin an den Schweizer Presserat. Darin machte die Beschwerdeführerin unter Verweis auf den obengenannten Leserbrief geltend, die NZZ habe die Ziffern 3 und 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt. Eine nähere Begründung der Beschwerdeführerin liegt nicht vor.
D. Der Leserbrief wurde am 4. Oktober 2001 leicht gekürzt im Sportteil abgedruckt. Er war Teil – zusammen mit zwei anderen Leserbriefen – einer Extraseite, die sich nochmals mit dem Artikel «Die Jugos» befasste.
E. In ihrer Beschwerdeantwort vom 15. Oktober 2001 beantragte die NZZ-Redaktion die Abweisung der Beschwerde. Die behauptete Verletzung der Ziffern 3 und 8 der «Erklärung» werde von der Beschwerdeführerin nicht näher begründet, weshalb es schwierig sei, materiell überhaupt Stellung zu nehmen. Ziffer 3 sei nicht verletzt. Es werde nicht klar, welche Informationen unterschlagen oder entstellt worden sein sollten. Die Kürzung des aus Aktualitätsgründen verzögerten Abdrucks des Leserbriefs der Beschwerdeführerin sei zudem nach der Praxis des Presserates zulässig gewesen. Ebensowenig sei Ziffer 8 verletzt, weil der Beitrag «Die Jugos» keine rassistischen oder ethnisch diskriminierende Äusserungen gegenüber dem serbischen Volk als solchem mache. Der Artikel argumentiere zwar in einem heiklen Umfeld, was auch durch die Fiktion eines Berichts aus der Rückschau nicht entschärft werde, obwohl der Autor damit versucht habe, eine gewisse Distanz zu schaffen. Die im Bericht im Blick auf die randalierenden serbischen Fans verwendeten Adjektive wie «gewalttätig», «arrogant» und «falsch» usw., die allenfalls als rassistisch zu erscheinen vermöchten, würden nicht den Serben als gesamtem Volk zugeordnet. Vielmehr würden diese unmissverständlich als Vorurteile erwähnt, die gegenüber ihnen vorhanden seien. Das Verbot von diskriminierenden Äusserungen dürfe nicht dazu führen, dass Vorurteile und diese bestätigendes Verhalten nicht mehr thematisiert werden könnten.
F. Das Presseratspräsidium wies den Fall der 3. Kammer zu, der Catherine Aeschbacher als Präsidentin sowie Esther Diener-Morscher, Judith Fasel, Sigmund Feigel, Roland Neyerlin, Daniel Suter und Max Trossmann als Mitglieder angehören. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 29. November 2001 sowie auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. Weder die Kürzung des Leserbriefs – die von der Beschwerdeführerin ohnehin nicht explizit gerügt wird – noch der Vorwurf einer «dilletantischen» Vermischung von Geschichte, Politik und Sozialwissenschaften, vermögen eine Verletzung von Ziffer 3 der «Erklärung» zu begründen. Die von der NZZ vorgenommenen Kürzungen erweisen sich im Zusammenhang mit den beiden anderen auf der Extra-Seite veröffentlichten Leserbriefen nicht als entstellend. Was die Leserbriefe an Kritik enthalten, wird nach wie vor deutlich. Ebensowenig hat Dario Venutti in seiner Analyse – ungeachtet davon ob man diese teilt oder nicht – inhaltlich wichtige Informationen entstellt oder Tatsachen unterschlagen. Dementsprechend hat der Presserat lediglich die geltend gemachte Verletzung von Ziffer 8 der «Erklärung» («Sie … verzichten in ihrer Berichterstattung in Text, Bild und Ton auf diskriminierende Anspielungen, welche die ethnische oder nationale Zugehörigkeit … zum Gegenstand haben.») näher zu prüfen.
2. Der Presserat hat zuletzt in der Stellungnahme 49/2001 vom 9. November 2001 i.S. David c. «Berner Zeitung» festgehalten, dass von einer diskriminierenden Anspielung im Sinne von Ziffer 8 der «Erklärung» nur dann die Rede sein kann, wenn in einem Medienbericht durch eine unzutreffende Darstellung das Ansehen einer durch diese Bestimmung geschützten Gruppe beeinträchtigt, die Gruppe herabgewürdigt wird. In der Stellungnahme 21/2001 vom 5. April 2001 («Veröffentlichung anti-israelischer Leserbriefe», W. c. «Tages-Anzeiger») empfahl der Presserat, bei jeder Aussage «kritisch zu fragen, ob damit eine angeborene oder kulturell erworbene Eigenschaft herabgesetzt oder ob herabsetzende Eigenschaften kollektiv zugeordnet werden, ob lediglich Handlungen der tatsächlich dafür Verantwortlichen kritisiert werden oder ob die berechtigte Kritik an einzelnen in ungerechtfertigter Weise kollektiviert wird». Weiter empfahl der Presserat in der Stellungnahme 30/2000 vom 1. September 2000 (CICAD c. «24 heures», Sammlung 2000, S. 222ff.), eine Redaktion welche die Problematik von rassistischen, antisemitischen Leserzuschriften thematisieren wolle, solle nicht einfach Texte in roher Form abdrucken, sondern das Thema journalistisch analysieren und präsentieren.
3. Der Artikel «Die Jugos» von Dario Venutti argumen
tiert, was auch von der Redaktion NZZ zugestanden wird, in einem heiklen Kontext. Die «Jugos» – damit sind im allgemeinen Sprachgebrauch meist alle Bevölkerungsgruppen aus dem ehemaligen Jugoslawien gemeint – sind mit zahlreichen Vorurteilen behaftet. Wie die von der NZZ abgedruckten Leserbriefe und Diskussionen innerhalb des Presserates gezeigt haben, kann der Artikel sehr unterschiedlich gelesen werden. War der Artikel ironisierend gemeint, indem sich der Autor in einer Verdoppelung der Fiktion (neben der Rückschau-Perspektive) quasi stellvertretend für diejenigen äussern wollte, die die genannten Vorurteile kolportieren, hätte die Leserschaft deutlich auf diese Absicht hingewiesen werden müssen. War der Artikel demgegenüber – wie dies von der NZZ geltend gemacht wird – als Analyse und Meinungsäusserung gedacht, mit der aufgezeigt werden sollte, wie die genannten Vorurteile – gemäss der These des Autors – im Einzelfall durch das gewalttätige Verhalten der randalierenden serbischen Fans geschürt würden, war dies berufsethisch nicht von vornherein unzulässig. Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin ordnete der Artikel die als Vorurteile wiedergegebenen negativen Eigenschaften jedoch zu wenig klar und eindeutig nur den gewalttätigen Fans der jugoslawischen Mannschaft im St. Jakob Park zu. Vielmehr konnte die Analyse durchaus in einem zu Unrecht kollektivierenden Sinn und damit als diskriminierend verstanden werden. So wenn der Autor beim Vergleich des westeuropäischen Mittelstands und der Serben ausführt, die Serben hätten aus ihrer Mythologie gelehrt, dass sie sich bei jeder Gelegenheit für die verlorene Schlacht von 1389 auf dem Amselfeld zu rächen hätten. Diese Aussage kann indirekt als diskriminierende These gelesen werden, wonach Gewalt von jugoslawischen Fussballfans in den Stadien generell Ausdruck einer erworbenen jugoslawischen (gemeint: serbischen) Wesensart seien. Ebenso problematisch ist die Passage «Es galt bei ihnen als ehrenhaft, von den Ordnungshütern nicht erwischt zu werden. Ihre Sozialisation hatte ihnen über die Jahrzehnte das Idealbild des Helden hochgehalten, der den ehrenhaften Tod für den Stamm oder die Nation stirbt. Das Fussvolk zu St. Jakob wollte zwar nicht sterben, aber dennoch ein neues Kapitel im serbischen Heldenepos begründen»: Hier droht das Missverständnis, dass das verurteilenswürdige Treiben von jugoslawischen Hooligans in einem Fussballstadion von den Jugoslawinnen und Jugoslawen generell gutgeheissen werde, weil die Serbinnen und Serben aufgrund ihrer Geschichte und Sozialisation generell zu Gewalttätigkeit und Arroganz neigen würden.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.
2. Die im NZZ-Artikel «Die Jugos» wiedergegebenen Vorurteile sind zu wenig klar und eindeutig ausschliesslich den gewalttätigen Fans der jugoslawischen Mannschaft im St. Jakob Park zugeordnet. Vielmehr konnte die Analyse durchaus in einem zu Unrecht kollektivierenden Sinn und damit als diskriminierend verstanden werden.
3. Die Aussage, alle Serben hätten sich für die verlorene Schlacht von 1389 auf dem Amselfeld zu rächen, was sich auch wieder während und nach dem Fussballspiel vom 1.9.01 in Basel gezeigt habe, konnte von der Leserschaft als diskriminierende Anspielung im Sinne von Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstanden werden. Diese Aussage konnte indirekt dahingehend gelesen werden, dass Gewalt von jugoslawischen Fussballfans in den Stadien generell Ausdruck einer typisch jugoslawischen (bzw. serbischen) Wesensart sei.
4. Die Ausführungen im Artikel, wonach sich die randalierenden Fans der jugoslawischen Fussballnationalmannschaft sinngemäss als Helden fühlen würden, konnte zudem dahingehend missverstanden werden, wonach solche Gewalt von den Jugoslawinnen und Jugoslawen (bzw. Serbinnen und Serben) generell gutgeheissen werde, weil diese aufgrund ihrer Geschichte und Sozialisation generell zu Gewalttätigkeit neigen würden.
5. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.