Nr. 48/2008
Bearbeitung von Leserbriefen

(X. c. «Neue Zürcher Zeitung») Stellungnahme des Presserates vom 21. November 2008

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I. Sachverhalt

A. Am 11. Dezember 2007 sandte X. folgende Zuschrift an die Leserbriefredaktion der NZZ: «‹Sub-Prime›. Es wird getan, als ob diese Krise quasi als unabänderliches Naturereignis über die arme Bankenwelt gefallen wäre ‹comme la petite vérole s’était ruée sur le bas clergé›. Es muss ja (noch) nicht alles auf englisch sein. Nun, jedermann mit anständigem KV-Lehrabschluss weiss, dass man seinen Markt kennen, die zu kaufende Ware prüfen und die Lagerhaltung richtig bemessen muss, um im Handel bestehen zu können. Das sind Grundelemente, für die man weder an der HSG studiert noch bei McKinsey gejobbt haben muss. Die Wunderboys, die man doch nicht genügend hoch bezahlen kann, haben diese Grunderkenntnisse nicht beachtet. Es gibt ja viel zu wenig aussergewöhnliche Talente und die könnten sonst ihr Unwesen bei der Konkurrenz betreiben. Der Grund für die horrenden Verluste liegt wahrscheinlich bei der Bonusreiterei, einer naiven US-Gläubigkeit und schierem Herdentrieb, gegen den auch die Finanzasse offensichtlich nicht gefeit sind. Beiläufig kann man noch Schuld auf die Rating-Agenturen abschieben und das Personal ist auch nicht mehr, was es einmal war. ‹Sub-Prime› darf wohl mit ‹nicht erstklassig› übersetzt werden. In diesem Falle ist dies ein grober Euphemismus. Die haben nicht einmal Normalqualität eingekauft, sondern ganz einfach und achtlos Ramsch. Der Nichtfachmann fragt sich, bei wem denn auf der Gegenseite die grossen Gewinne eingefahren wurden oder noch werden. Man bittet um Aufklärung.»

B. Die NZZ veröffentlichte die Zuschrift von X. gemeinsam mit anderen Leserbriefen unter dem Titel «Harsche Kritik an der UBS» in der Ausgabe vom 15./16. Dezember 2007 in einer bearbeiteten und gekürzten Fassung: «Es wird getan, als ob diese Krise quasi als unabänderliches Naturereignis über die arme Bankenwelt gefallen wäre. Nun, jedermann mit anständigem KV-Lehrabschluss weiss, dass man seinen Markt kennen, die zu kaufende Ware prüfen und die Lagerhaltung richtig bemessen muss, um im Handel bestehen zu können. Das sind Grundelemente, für die man weder an der HSG studiert noch bei McKinsey gearbeitet haben muss. Der Grund für die horrenden Verluste liegt wahrscheinlich bei der Bonusreiterei, einer naiven US-Gläubigkeit und schierem Herdentrieb, gegen den auch die Finanzasse offensichtlich nicht gefeit sind. Beiläufig kann man noch Schuld auf die Rating-Agenturen abschieben und das Personal ist auch nicht mehr, was es einmal war. ‹Sub-Prime› darf wohl mit ‹nicht erstklassig› übersetzt werden.»

C. Mit Schreiben vom 20. Dezember 2007 (Überschrift: «Zensur/‹Subprime›») protestierte X. bei NZZ-Chefredaktor Markus Spillmann, seine Zuschrift sei «durch den Rotstift aller Zähne beraubt und somit die Absicht und Meinung des Schreibers entstellt» worden.

D. In seiner Antwort vom 11. Januar 2008 wies Markus Spillmann darauf hin, es gebe kein Recht auf integralen Abdruck eines Leserbriefs, das werde auf der Leserbriefseite jeweils explizit festgehalten. Die Leserbriefredaktion übe keine Zensur aus, sondern gehorche schlicht der Notwendigkeit, sich auch in der Leserbriefspalte auf wesentliche Aussagen zu konzentrieren. «Kürzungen werden von der Redaktion sorgfältig vorgenommen, ohne wenn immer möglich den Kern der Aussage dadurch zu verfälschen.»

E. Am 8. Februar 2008 gelangte X. an den Presserat und beanstandete, die Leserbriefredaktion sei mit seiner Zuschrift zu unsorgfältig umgegangen. In der publizierten Fassung erscheine ihm der Text als etwas «doof», in jedem Fall nicht «meinem etwas direkten und gerne satirischen Ausdruck entsprechend».

F. Gemäss Art. 12 Abs. 1 des Geschäftsreglements des Presserats werden offensichtlich unbegründete Beschwerden und solche, auf die der Presserat wegen Fristablauf oder mangels Zuständigkeit nicht eintritt, vom Presseratspräsidium behandelt.

G. Das Presseratspräsidium bestehend aus Presseratspräsident Dominique von Burg, Vizepräsidentin Esther Diener-Morscher und Vizepräsident Edy Salmina hat die vorliegende Stellungnahme per 21. November 2008 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Der Beschwerdeführer rügt sinngemäss, durch die Bearbeitung und Kürzung seines Leserbriefs seien darin enthaltene Fakten entstellt bzw. unterschlagen worden. Mithin ist durch den Presserat zu prüfen, ob die NZZ beim Abdruck des Leserbriefs von X. die Ziffer 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt hat.

2. Gemäss der Praxis des Presserates (vgl. z.B. die Stellungnahme 6/2004 mit weiteren Hinweisen) sollte auch die Kürzung von Leserbriefen nach journalistischen Kriterien und entsprechend den berufsethischen Regeln erfolgen. Allerdings auferlegt sich der Presserat bei der Überprüfung des Umgangs der Redaktionen mit Leserbriefen und weiteren redaktionsexternen Texten von Nichtjournalisten (z.B. Kolumnen) eine gewisse Zurückhaltung. Bearbeiter von Leserbriefen sollten allfällige Kürzungen nicht willkürlich vornehmen und zudem keine offensichtlich ehrverletzenden oder diskriminierenden Texte von Nichtjournalisten veröffentlichen. Es würde wesentlich zu weit führen, den einzelnen Redaktionen stilistische Noten für die Bearbeitung und Kürzung von einzelnen Leserbriefen zu erteilen. In diesem Sinne ist vorliegend nicht zu prüfen, ob der Presserat den Leserbrief des Beschwerdeführers gleich oder ähnlich redigiert hätte, sondern einzig, ob die NZZ den Leserbrief in willkürlicher, sinnentstellender Weise bearbeitet und gekürzt hat.

3. Zwar ist der subjektive Ärger des Beschwerdeführers nachvollziehbar, dass die NZZ die aus seiner Sicht angriffigsten Begriffe (z.B. «Wunderboys», «Ramsch») und stilistisch originellsten Passagen (Ausführungen zu «Sub-Prime») weggekürzt hat. Dies ändert aber nach Auffassung des Presserates nichts daran, dass der wesentliche Inhalt der Zuschrift durch die redaktionelle Bearbeitung weder entstellt noch verzerrt worden ist. Entsprechend ist eine Verletzung der Ziffer 3 der «Erklärung» offensichtlich zu verneinen.

III. Feststellung

Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.