Nr. 33/2002
Anonyme Gerichtsberichterstattung

(X. c. «Thurgauer Zeitung») Stellungnahme des Presserates vom 15. August 2002

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I. Sachverhalt

A. Am 13. März 2002 berichtete die «Thurgauer Zeitung» unter dem Titel «überstürztes Engagement» über einen Ehrverletzungsprozess vor dem Bezirksgericht Frauenfeld. Prozessgegenstand waren auf der Website des Beklagten veröffentlichte Vorwürfe betreffend «tierquälerischer Pferdehaltung». Die betroffene Pferdehalterin habe in der Folge Strafklage wegen Verleumdung oder eventuell übler Nachrede eingereicht. Nachdem sich die Vorwürfe bei verschiedenen behördlichen Kontrollen nicht erhärtet hätten, habe der Beklagte den Artikel auf Grund einer gerichtlichen Verfügung und unter Strafandrohung entfernen müssen. Anlässlich der Gerichtsverhandlung habe sich der Beklagte bereit gezeigt, eine Gegendarstellung auf seiner Website zu publizieren. Die Gegenpartei habe zudem im Falle einer Einigung über den Gegendarstellungstext den Rückzug der Strafklage in Aussicht gestellt. Das Gericht habe den Parteien am Schluss der Verhandlung eine einmonatige Frist eingeräumt, sich in diesem Sinne zu einigen. Der Bericht der «Thurgauer Zeitung» wurde auf der Titelseite der gleichen Ausgabe mit dem Titel «Im Internet verleumdet» angekündigt.

B. Am 16. und 21. März 2002 gelangte X., der Beklagte im obenerwähnten Verfahren, mit einer Beschwerde an den Presserat. Er rügte die Schlagzeilen und den Titel «Im Internet verleumdet» und «Überstürztes Engagement» sowie die generell einseitige Berichterstattung, die ausschliesslich auf die Argumente der Gegenpartei abgestellt habe. Seine Beweise (38 Fotos und eine die Klägerin belastende schriftliche Erklärung des Kantonstierarztes) seien unverständlicherweise nicht erwähnt worden. Seine Pferdeschutzorganisation bestehe nun schon seit vier Jahren und sei in dieser Zeit in der Schweiz ein Begriff geworden. Obwohl er und seine Organisation im beanstandeten Artikel der «Thurgauer Zeitung» nicht namentlich erwähnt werde, sei es für jedermann klar, dass er damit gemeint sei. Die «Thurgauer Zeitung» habe mit dieser Berichterstattung die Richtlinien 1.1 (Wahrheitssuche), 7.5 (Unschuldsvermutung) und 5.1 (Berichtigungspflicht) zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

C. Gemäss Art. 9 Abs. 3 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates sind offensichtlich unbegründete Beschwerden durch das Presseratspräsidium zurückzuweisen. Dieses – bestehend aus dem Präsidenten Peter Studer und den Vizepräsidenten Esther Diener-Morscher und Daniel Cornu – hat die vorliegende Stellungnahme per 15. August 2002 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Gemäss der Richtlinie 1.1 zur «Erklärung» stellt die Wahrheitssuche den Ausgangspunkt der Informationstätigkeit dar. «Sie setzt die Beachtung verfügbarer und zugänglicher Daten, die Achtung der Integrität von Dokumenten (Text, Ton und Bild), die Überprüfung und die allfällige Berichtigung voraus.» Der Beschwerdeführer bringt keine konkreten Argumente vor, inwiefern die «Thurgauer Zeitung» diese Pflichten verletzt haben soll. Vielmehr rügt er in diesem Zusammenhang lediglich die einseitige Berücksichtigung der Argumentation der Gegenpartei. Der Schweizer Presserat hat in ständiger Praxis darauf hingewiesen, dass aus der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» keine Pflicht zu «objektiver», ausgewogener Berichterstattung abgeleitet werden kann, weshalb auch eine einseitige und parteiergreifende Berichterstattung zulässig ist (vgl. z.B. die Stellungnahme i.S. U. AG. c. «Beobachter» vom 26. Juni 1996, Sammlung 1996, S. 43ff.). Dementsprechend erweist sich die Rüge, Richtlinie 1.1 sei verletzt, von vornherein als offensichtlich unbegründet.

2. Richtlinie 7.5 zur «Erklärung» auferlegt den Medienschaffenden die Pflicht, bei der Berichterstattung über Strafverfahren der Unschuldsvermutung Rechnung zu tragen. Ausgehend vom beanstandeten Artikel ist dazu vorab festzustellen, dass der Beschwerdeführer im Bericht der «Thurgauer Zeitung» für Aussenstehende in keiner Weise erkennbar ist. Dem Bericht ist zu seiner Person lediglich indirekt zu entnehmen, dass er seine Website offensichtlich im Zuständigkeitsbereich des Bezirksgerichts Frauenfeld betreibt und sich für den Tierschutz engagiert, wobei ihm insbesondere das Wohl der Pferde am Herzen liege. Von daher erscheint sogar fraglich, ob die Richtlinie 7.5 vorliegend überhaupt anwendbar ist. Der Presserat hat allerdings bereits im Entscheid 7/1997 i.S. A. c. «Le Matin» darauf hingewiesen, dass es sich auch bei vollständiger Anonymisierung kaum je vermeiden lässt, dass ein Beschuldigter für einen eingeschränkten Personenkreis erkennbar bleibt, weshalb der Unschuldsvermutung auch in einem solchen Fall Rechnung zu tragen sei. Weder in der Ankündigung des Artikels auf der Titelseite der «Thurgauer Zeitung» noch im Beitrag selber wird jedoch der falsche Eindruck verbreitet, der Beklagte sei wegen Verleumdung oder übler Nachrede verurteilt worden. Vielmehr geht aus der Berichterstattung klar hervor, dass es sich hierbei um die – gemäss der erkennbaren Wertung des Berichterstatters – im Falle eines Urteils chancenreiche juristische Argumentation der Klägerschaft handelt, der die Argumentation des Beschwerdeführers – wenn auch nur sehr kurz – entgegengestellt wird. Bei einer Gesamtbetrachtung der beanstandeten Berichterstattung ist deshalb der Vorwurf der Verletzung der Unschuldsvermutung als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.

3. Schliesslich ist auf die Rüge der Verletzung von Richtlinie 5.1 (Berichtigungspflicht) mangels genügender Begründung nicht einzutreten.

III. Feststellung

Die Beschwerde wird als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.