I. Sachverhalt
A. Am 6. Januar 2000 veröffentliche die „Weltwoche“ unter dem Titel „Bürger schikanieren, Behörden schonen“ einen Artikel, der sich zur Hauptsache kritisch mit der Arbeit der parlamentarischen Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) auseinandersetzte. Geschildert wird der Fall des Bürgers N., der sich mit einem Brief an den Präsidenten der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats, Alexander Tschäppät, gewandt hatte. N. reagierte damit auf eine Erklärung des Chefs der Bundespolizei, Urs von Daeniken, welcher in einer TV-Sendung erklärt hatte, die Bundespolizei habe 1991 dem Verwaltungsrechenzentrum St. Gallen AG keinen Auftrag gegeben, aus den vom Rechenzentrum gespeicherten Einwohnerregistern von 44 Ostschweizer Gemeinden alle Personen irakischer Herkunft herauszusuchen. N., ein ehemaliger Informatiker des Rechenzentrums, äusserte in seinem Brief den Verdacht, der Chef der Bundespolizei habe mit seinem Dementi gelogen. Tschäppät übergab den Brief an die für die Kontrolle der Geheimbereiche des Bundes zuständige GPDel. Die GPDel legte darauf den Brief ohne Anonymisierung des Absenders dem Chef der Bundespolizei zur Stellungnahme vor, und von Daeniken seinerseits leitete das Schreiben – ebenfalls mit vollem Namen des Verfassers – an dessen ehemalige Arbeitgeberin weiter. Der „Weltwoche“-Artikel wirft der GPDel deshalb Vernachlässigung der Amtspflichten und dem Chef der Bundespolizei Amtsgeheimnisverletzung vor.
B. Am 11. Januar 2000 verlangte der Chef der Bundespolizei, Urs von Daeniken, den Abdruck einer Gegendarstellung. Die „Weltwoche“ zeigte sich am 17. Januar 2000 bereit, die Gegendarstellung teilweise abzudrucken. Am 18. Januar 2000 hielt der Chef der Bundespolizei am vollständigen Abdruck der Gegendarstellung fest. Gleichentags beharrte die „Weltwoche“ ebenfalls auf ihrer Position. Daraufhin stellte Urs von Daeniken die gerichtliche Geltendmachung zur Durchsetzung des Abdrucks der ganzen Gegendarstellung in Aussicht. In ihrer Ausgabe vom 20. Januar 2000 druckte die „Weltwoche“ lediglich den 1. Teil der Gegendarstellung ab.
C. Mit Beschwerde vom 31. Januar 2000 wandte sich der Chef der Bundespolizei an den Presserat und machte die Verletzung der Ziffern 1, 3 und 7 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ geltend. Der Beschwerdeführer rügte insbesondere den im Artikel erwähnten Lügenvorwurf und eine „Entstellung der Tatsachen bis zur Unwahrheit hin“. Weiter wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass er vorbehältlich der Ermächtigung durch das EJPD vorsehe, hinsichtlich des nicht veröffentlichten Teils seiner Gegendarstellung Klage einzureichen.
D. Mit Schreiben vom 16. März 2000 teilte der Beschwerdeführer mit, dass er sich trotz der zwischenzeitlich erteilten Ermächtigung durch das EJPD entschieden habe, auf die Einreichung einer Gegendarstellungsklage zu verzichten.
E. In ihrer Stellungnahme vom 22. März 2000 bestritt die „Weltwoche“, die Ziffern 1, 3 und 7 der „Erklärung“ verletzt zu haben und beantragte die vollumfängliche Abweisung der Beschwerde. Insbesondere wurde bestritten, dass der Vorwurf der Lüge vom Autor des Artikels selber erhoben worden sei. Vielmehr sei lediglich der Vorwurf des im Artikel als „N.“ bezeichneten Bürgers und das Dementi des Beschwerdeführers wiedergegeben worden. Ebenso könnten die vom Beschwerdeführer als Entstellung von Tatsachen gerügten Aussagen des Artikels einzeln belegt werden und seien die im Artikel enthaltenen Einschätzungen und Wertungen des Autors ohne weiteres zulässig.
F. Das Presseratspräsidium wies den Fall der 3. Kammer zu, der Catherine Aeschbacher als Präsidentin sowie Esther Diener-Morscher, Judith Fasel, Sigi Feigel, Roland Neyerlin, Daniel Suter und Max Trossmann als Mitglieder angehören. Die Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 24. Mai 2000 sowie auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. Nicht Gegenstand der Beschwerde bildet die Auseinandersetzung rund um die vom Beschwerdeführer verlangte Gegendarstellung. Der Presserat verzichtet deshalb darauf, sich zu diesem Punkt zu äussern.
2. Demgegenüber rügt der Beschwerdeführer in seiner Eingabe vom 31. Januar 2000 eine Verletzung der Ziffern 1 (Wahrheitspflicht), 3 (Verbot der Entstellung von Tatsachen) sowie 7 (Unterlassung nicht gerechtfertiger Anschuldigungen) der „Erklärung“. Allerdings wird aus der Beschwerdeschrift nicht klar, welche Passagen des Artikels der „Weltwoche“ der Beschwerdeführer als wahrheitswidrig bzw. entstellt sieht und die deshalb ungerechtfertigten Anschuldigungen gleichkommen sollen.
In Bezug auf die Prüfung dieser allgemeinen Rügen ist vorab festzuhalten, dass der Beschwerdeführer bei den von ihm kritisierten Textpassagen offensichtlich zu wesentlichen Teilen weniger an der Darstellung von Fakten als vielmehr an den Werturteilen des „Weltwoche“-Artikels Anstoss nimmt. Dies betrifft u.a. die Aussagen:
– die Bundespolizei habe 1991 im Auftrag des damaligen EJPD-Vorstehers Arnold Koller wieder zu schnüffeln begonnen; – das Verwaltungsrechenzentrum St. Gallen (VSRG) habe alle erhältlichen Daten gerafft, nachdem Bundesrat Koller im Januar 1991 aus Anlass des Golfskriegs eine entsprechende Weisung erlassen habe; – dass nur die (am VSRG) angeschlossenen Kommunen eine solche Order hätten erteilen dürfen, was unwahrscheinlich sei und dementiert wurde; – dass im Vorfeld der Abstimmung über die S.o.S.-Initiative von 1998 die peinliche Sache publik geworden sei; – dass hinter dem politisch und datenschützerisch äusserst fragwürdigen Blättern in den Registern der Gemeinden die Bundespolizei vermutet werde; – dass der nervös gewordene Chef der Bundespolizei, Urs von Daeniken, dies jedoch entrüstet als reine „Erfindung“ zurückgewiesen habe; – dass er 1991 in einem internen Rapport zwar noch stolz vermeldet habe, dass sein „Büro Golf“ 831 Meldungen aus kantonalen, Bundes- und privaten Quellen verarbeitet habe; nun (aber) abstreite, in den „Golf-Akten“ diese Irakerlisten zu haben; – dass mit diesem Dementi der unappetitliche Folgeskandal beginne.
Die berufsethische Zulässigkeit der in diesen Aussagen enthaltenen Werturteile wird unter dem Gesichtspunkt der Kommentarfreiheit (nachfolgend unter Ziff. 3 der Erwägungen) noch näher zu prüfen sein. Demgegenüber sind die in den oben angeführten Textpassagen enthaltenen Fakten offenbar unbestritten. So wird vom Beschwerdeführer die Existenz des sog. Büro Golf und die entsprechenden Weisungen des Chefs EJPD in einem Schreiben vom 4. Januar 2000 an die „Weltwoche“ bestätigt. Ebenso hat das VRSG laut einem in den Akten enthaltenen Schreiben vom 1. September 1998 an die Bundespolizei festgehalten, dass in der fraglichen Zeit Aufträge zur Erstellung von Listen von Personen mit irakischem Heimatland ausgeführt worden seien. Weiter steht aufgrund der dem Presserat eingereichten Akten fest, dass der „Beobachter“ anfangs 1998 über den aus seiner Einschätzung „fahrlässigen Umgang“ vieler Gemeinden mit den Daten ihrer Bürger berichtet hat , wofür das VSRG mitverantwortlich gewesen sei. Schliesslich erscheint auch klar, dass das öffentliche Dementi des Beschwerdeführers den Informatiker N. dazu bewogen hat, an die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats zu gelangen.
Unter dem Gesichtpunkt einer allfälligen Verletzung der Ziff. 1 und 3 der „Erklärung“ sind damit noch folgende Zitate des „Weltwoche“-Artikels näher zu prüfen:
Zitat a: „Hinter dem politisch und datenschützerisch äusserst fragwürdigen Blättern in den Registern der Gemeinden wird die Bundespolizei vermutet, was deren nervös gewordener Chef, Urs von Daeniken, im Schweizer Fernsehen jedoch entrüstet als reine „Erfindung“ zurückweist.“
Zitat b: „Der Vorwurf der Lüge ist ebenso wenig erledigt wie di
e Anschuldigung der Amtsgeheimnisverletzung.“
Zitat a spricht im ersten Teil eine Vermutung aus, ohne eine Quelle zu nennen. Zuvor nennt der Artikel Indizien, die für diese Vermutung sprechen: Erstens den Auftrag von Bundesrat Arnold Koller im Vorfeld des Golfkrieges, alle Informationen über Organisationen und Personen zu sammeln, welche die Politik Saddam Husseins unterstützten. Zweitens die – bestätigte – Tatsache, dass die Verwaltungsrechenzentrum St.Gallen AG unmittelbar nach Kollers Weisung solche Irakerlisten erstellte. Diese „peinliche Sache“ sei vor der Abstimmung über die Volksinitiative „S.o.S. – für eine Schweiz ohne Schnüffelpolizei“ publik geworden.
Die „Weltwoche“ suggeriert zwar, diese Irakerlisten könnten im Auftrag der Bundespolizei erstellt worden sein, aber der Artikel behauptet nicht, dass dies erwiesen sei. Der zweite Teil des Zitats besteht aus dem Dementi des Chefs der Bundespolizei, so dass die Leserinnen und Leser sich selbst ein Urteil bilden können, welche Version sie für die glaubwürdigere halten wollen. Noch vollständiger wäre die Information gewesen, wenn der Autor erwähnt hätte, dass auch die Verwaltungsrechenzentrum St. Gallen AG 1998 dementiert hatte, je von der Bundespolizei einen solchen Auftrag bekommen zu haben. Diese Unterlassung entstellt indessen die Tatsachen nicht.
Ebenso wäre es aus Sicht des Publikums wünschenswert und auch ohne weiteres möglich gewesen, darauf hinzuweisen, dass die Vermutung, wonach der Auftrag von der Bundespolizei erteilt worden sein könnte, von der „SonntagsZeitung“ stammte. Der Presserat hat in einer früheren Stellungnahme zur Angabe von Quellen (Stellungnahme i.S. VCS c. „Weltwoche“ vom 21. Dezember 1993, Sammlung 1993, S. 78ff.) darauf hingewiesen, dass eine möglichst genaue Angabe der Quellen die Glaubwürdigkeit eines Medienbeitrages erhöht. Ähnlich lautet nun auch Ziff. 3.1 der vom Presserat verabschiedeten Richtlinien zur „Erklärung“: „Eine genaue Bezeichnung der Quelle eines Beitrags liegt im Interesse des Publikums, sie ist vorbehältlich eines überwiegenden Interesses an der Geheimhaltung einer Quelle unerlässlich, wenn dies zum Verständnis einer Information wichtig ist.“ Da der Artikel wie bereits ausgeführt Indizien nennt, die für die wiedergegebene Vermutung sprechen, erscheint die Nennung der „SonntagsZeitung“ als Quelle dieser Vermutung nicht als unerlässlich für das Verständnis der wiedergebenen Information, weshalb eine Verletzung von Ziff. 3 der „Erklärung“ auch in diesem Punkt zu verneinen ist.
Zitat b erwähnt abschliessend noch einmal den „Vorwurf der Lüge“. Im Artikel wird zuvor deutlich gesagt, wer diesen Verdacht geäussert hat: der Informatiker N. vom Rechenzentrum in seinem Brief an GPK-Präsident Tschäppät. Quelle und Inhalt des Vorwurfs sind wahrheitsgemäss genannt. Entgegen der Darstellung des Beschwerdeführers behauptet der Autor des „Weltwoche“-Artikels aber nicht selbst, der Chef der Bundespolizei habe gelogen. Mit der Erwähnung eines – tatsächlich erhobenen – Vorwurfs, der Chef der Bundespolizei könnte am Fernsehen gelogen haben, erfüllt er seine Pflicht als Berichterstatter und erhebt nicht selbst sachlich ungerechtfertigte Beschuldigungen. Zudem wäre es ohne die Erwähnung des Verdachts kaum möglich gewesen, die Hauptgeschichte – den „Folgeskandal“ – zu erzählen.
Schliesslich wird auch die Tatsache, dass der Chef der Bundespolizei den Vorwurf der Lüge zurückweist, im Artikel ausdrücklich erwähnt, womit auch dem grundlegenden berufsethischen Prinzip der Anhörung Betroffener bei schweren Vorwürfen (vgl. zuletzt die Stellungnahme Nr. 8/2000 vom 30. März 2000 i.S. L. c. „Beobachter“) Genüge getan worden ist.
3. Ziff. 2 der „Erklärung“ statuiert die Pflicht der Medienschaffenden, die Freiheit des Kommentars und der Kritik zu verteidigen. Der Presserat hat in seiner Praxis zu dieser Bestimmung immer wieder den grossen Freiraum des Kommentars und dessen Tonalität betont, sofern nicht andere durch kommentierende Beiträge betroffene Interessen im Einzelfall schwerer wiegen (Stellungnahme i.S. S. c. NZZ vom 20. Februar 1998, Sammlung 1998, S. 48ff.; s.a. G. c. B./ „L’Impartial“ vom 1. Oktober 1999, Sammlung 1999, S. 120ff.). Nach der Praxis des Presserates ist dementsprechend auch eine parteiergreifende Berichterstattung zulässig, sofern den Betroffenen die Gelegenheit eingeräumt wird, sich zu schwerwiegenden Vorwürfen zu äussern (Stellungnahmen i.S. T. c. „La Regione“ vom 25. Januar / 10. März 1999). Da die „Erklärung“ zudem keine formale Trennung zwischen Nachricht und Kommentar vorschreibt, wird der Berufsethik Genüge getan, wenn die Leserschaft in die Lage versetzt wird, zwischen Informationen und Wertungen unterscheiden zu können (Stellungnahmen i.S. S. c. NZZ vom 20. Februar 1998 und H. c. „Zuger Presse“ vom 1. Oktober 1999, Sammlung 1999, S. 129ff.).
Der Fall N. und seine Vorgeschichte sind in der „Weltwoche“ pointiert dargestellt, was sich auch in der Wortwahl äussert: Der Bundespolizei wird vorgeworfen „wieder zu schnüffeln“. Die Irakerlisten werden als „peinliche Sache“ und „politisch und datenschützerisch äusserst fragwürdig“ bezeichnet. Der „nervös gewordene“ Chef der Bundespolizei habe dies „entrüstet“ zurückgewiesen. Und: „Mit diesem Dementi beginnt der unappetitliche Folgeskandal.“ Dieser „Folgeskandal“ besteht nach Ansicht der „Weltwoche“ darin, wie der Beschwerdebrief von N. behandelt worden ist. Der Autor des Artikels nimmt klare, parteiergreifende Wertungen vor, seine Kritik am Verhalten der Behörden – im vorliegenden Artikel vor allem an der GPDel – ist eindeutig.
Dies ändert aber nichts daran, dass die vom Presserat umschriebenen Anforderungen an eine stark kommentierende, parteiergreifende einseitige Berichterstattung vorliegend eingehalten sind. Allerdings ist dem Beschwerdeführer zuzugestehen, dass Fakten und Wertungen nicht getrennt, sondern in enger Verbindung präsentiert werden. Eine Verletzung der Ziff. 1, 3 und 7 der „Erklärung“ ist aber auch hinsichtlich der kommentierenden Werturteile des „Weltwoche“-Artikels klar zu verneinen.
III. Feststellungen
Die „Weltwoche“ hat mit ihrem Artikel „Bürger schikanieren, Bürger schonen“ vom 6. Januar 2000 die „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ nicht verletzt. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.