I. Sachverhalt
A. Am 25. März 2008 berichtete die Onlineausgabe der Zeitung «Schweizer Bauer» unter dem Titel «Im Namen des Tierschutzes geschlachtete Kühe waren hochträchtig» über weitere Einzelheiten zum Fall Madiswil BE. Dabei geht es um einen Bauern, der seine Kühe vernachlässigt hatte. Der Fall war Anfang März publik geworden, nachdem der Berner Tierschutzverantwortliche Ende Februar das Vieh im Stall des Bauern beschlagnahmt hatte. Laut dem «Schweizer Bauer» hatte sich der Tierschutzverantwortliche damals (in der Printausgabe des «Schweizer Bauer» vom 8. März 2008) wie folgt vernehmen lassen: «Die Kühe liessen wir auf ihre Trächtigkeit untersuchen, diejenigen, die nicht trächtig waren, haben wir schlachten lassen.» Verschiedene Personen hätten in der Folge beim «Schweizer Bauer» angerufen und darauf hingewiesen, dass «unter den geschlachteten Tieren aus Madiswil auch trächtige und hochträchtige waren». Tatsächlich seien gemäss einem Auszug aus der Tierverkehrsdatenbank sieben von dreizehn geschlachteten Tieren aus Madiswil trächtig gewesen, zwei davon hochträchtig. Die involvierten Viehhändler hätten darauf hingewiesen, «nur als Dienstleister im Auftrag des Berner Veterinäramts gehandelt zu haben». Der Bericht zitiert weiter den Geschäftsführer des Schweizer Tierschutzes, der hinter das Schlachten von trächtigen Tieren ein grosses Fragezeichen setze. Abgesehen von Notfällen sei «das Schlachten eines hochträchtigen Tieres nicht im Sinne des Tierschutzes». Der betroffene Landwirt habe kaum glauben können, dass seine trächtigen Tiere geschlachtet wurden. Auf Bestreben von Nachbarn und Bekannten habe die Gemeinde Madiswil ein Spendenkonto für ihn eingerichtet.
Derselbe Artikel erschien einen Tag später auch in der Printausgabe, wenn auch unter dem weniger weit gehenden Titel («Trächtige Kühe geschlachtet»). Zudem fehlten zwei Zwischentitel («Kühe waren hochträchtig» und «Geschlachtet kurz vor Abkalbung».)
B. Am 28. März 2008 veröffentlichte die Onlineausgabe des «Schweizer Bauer» einen ergänzenden Bericht. Unter dem Titel «Fall Madiswil: Amt bestätigt Schlachtung von trächtigen Kühen» erfahren die Leser/innen, das Amt für Landwirtschaft und Natur des Kantons Bern (nachfolgend: Lanat) habe bestätigt, dass sechs trächtige Kühe geschlachtet wurden. Zurückgewiesen werde hingegen der Vorwurf, darunter hätten sich hochträchtige Tiere befunden. Der Online-Artikel ist mit einer «Richtigstellung» des Lanat vom 27. März 2008 zum Artikel vom 25. bzw. 26. März 2008 verlinkt.
Der tags zuvor online veröffentlichte Bericht erschien am 29. März 2008 auch in der Printausgabe, hier unter dem Titel «Ab wann ist eine Kuh hochträchtig?». Ebenso wurde die «Richtigstellung» des Lanat abgedruckt, übertitelt mit «Gegendarstellung Kanton Bern».
C. Am 8. April 2008 gelangte das Lanat mit einer Beschwerde gegen den «Schweizer Bauer» an den Presserat. Darin wird insbesondere gerügt, das Lanat sei vor der Publikation des ersten Artikels vom 25. bzw. 26. März 2008 (in der Online- und in der Printausgabe) nicht angehört worden (Ziffer 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» bzw. Richtlinie 3.8 betreffend Anhörung bei schweren Vorwürfen). Weiter beanstandet das Lanat, im Zusammenhang mit der Veröffentlichung seiner Richtigstellung habe der «Schweizer Bauer» die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht) und 5 (Berichtigungspflicht) der «Erklärung» verletzt. Die Gegendarstellung vom 29. März enthalte eine kommentierende Einleitung, die Stellungnahme sei ohne Rückfrage gekürzt worden und zudem nicht – wie der Originalartikel – auf der Front veröffentlicht worden. Schliesslich rügt das Lanat, in der Onlineausgabe fehle beim ersten publizierten Artikel der entsprechende Link zur Richtigstellung.
D. Am 6. Juni 2008 wies die Redaktion des «Schweizer Bauer» die Beschwerde als unbegründet zurück. Die Redaktion habe sich am 25. März 2008 mehrfach vergeblich um eine Stellungnahme des kantonalen Tierschutzbeauftragten und des Kantonstierarztes bemüht. Bei der Richtigstellung sei sie dem Lanat zudem «über das übliche Mass entgegen gekommen».
E. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 1. Kammer zu, der Edy Salmina (Kammerpräsident), Luisa Ghiringhelli Mazza, Pia Horlacher, Philip Kübler, Klaus Lange, Sonja Schmidmeister und Francesca Snider (Mitglieder) angehören.
F. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 23. Oktober 2008 sowie auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. a) Das Lanat sieht die Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» (Anhörung bei schweren Vorwürfen) verletzt. Die Anwendbarkeit der Richtlinie setzt voraus, dass im beanstandeten Medienbericht ein schwerer Vorwurf erhoben wird. Die Redaktion des «Schweizer Bauer» stellt dies in Abrede. Mit der Gegenüberstellung des früheren Dementis des kantonalen Tierschutzbeauftragten (es seien nur die nicht trächtigen Kühe geschlachtet worden) zur neu recherchierten Information, es seien im Gegenteil doch mehrere (hoch)-trächtige Kühe im Schlachthof gelandet, wird aber implizit der Vorwurf erhoben, der Tierschutzverantwortliche habe nicht die Wahrheit gesagt. Das ist ein schwerer Vorwurf – auch an die Adresse des Amtes für Landwirtschaft und Natur des Kantons Bern (Lanat), da der Tierschutzverantwortliche dort angestellt ist. Zudem schieben auch die in die Schlachtung involvierten Händler die alleinige Verantwortung den Behörden zu und bezeichnet der Geschäftsführer des Schweizer Tierschutzes die Schlachtung von trächtigen Tieren vorbehältlich von Notfällen als problematisch.
b) Die Redaktion des «Schweizer Bauer» macht weiter geltend, sich am 25. März 2008 mehrfach sowohl um eine Stellungnahme des Tierschutzverantwortlichen als auch um eine solche des Kantonstierarztes bemüht zu haben. Allerdings erfährt die Leserschaft nichts davon – im Artikel wird weder erwähnt, dass es mehrere Anfragen gab, noch, dass niemand erreichbar war. Gemäss ständiger Praxis des Presserates zur Anhörungspflicht hätte die Zeitung zumindest auf diese Bemühungen um eine Stellungnahme der Verantwortlichen hinweisen müssen (Stellungnahme 1/2004). Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin heilt zudem eine nachträgliche Anhörung die vorangegangene Verletzung nicht, ist doch die Stellungnahme des Betroffenen bzw. die vergeblichen Bemühungen um eine solche im gleichen Medienbericht wiederzugeben wie der schwere Vorwurf.
2. a) Das Lanat hat dem «Schweizer Bauer» am 27. März 2008 eine «Richtigstellung» gemailt. Sie ist in der Printausgabe vom 29. März 2008 nicht in vollem Wortlaut abgedruckt. Folgende Sätze hat die Redaktion weggelassen: «Die fünf hochträchtigen Kühe sind nicht geschlachtet worden. Der Titel des Artikels muss deshalb als irreführend bezeichnet werden.» Durch diese Kürzung sieht die Beschwerdeführerin die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht) und 5 (Berichtigungspflicht) der «Erklärung» verletzt. Unter dem gleichen Titel beanstandet das beschwerdeführende Amt zudem die kommentierende Einleitung zur «Richtigstellung» in der Printausgabe sowie den Umstand, dass diese – im Gegensatz zum Originalartikel – nicht auf der Frontseite platziert worden sei.
b) Zunächst ist festzuhalten, dass es sich bei der «Richtigstellung» des Lanat (entgegen der Bezeichnung in der Printausgabe des «Schweizer Bauer» vom 29. März 2008) nicht um eine zivilrechtliche Gegendarstellung handelt. Die Redaktion war weder verpflichtet, den Text integral abzudrucken, noch war es ihr untersagt, ihn zu kommentieren.
Bei der Beurteilung der Beanstandungen der Beschwerdeführerin ist zudem zwischen der Online- und der Printausgabe des «Schweizer Bauer» zu unterscheiden. Online ist die «Richtigstellung» – wie die Probe des Presserats aufs Exempel zeigt – zumindest in der Zwischenzeit mit den beiden
Berichten vom 25. und 28. März 2008 verlinkt. Wer den Link anklickt, sieht das Schreiben des Lanat vom 27. März 2008 im Originalwortlaut als PDF-Dokument.
Die beanstandete Streichung bezieht sich mit anderen Worten einzig auf die Printausgabe. Hier ist für den Presserat nachvollziehbar, dass die Redaktion die beiden Sätze weggelassen hat. Denn der hier verwendete Titel «Trächtige Kühe geschlachtet» war ja nicht irreführend, sondern entsprach auch dem Standpunkt des Lanat. Zudem war im Artikel des «Schweizer Bauer», auf den sich die Richtigstellung bezog, nicht von fünf hochträchtigen Kühen die Rede.
c) Ebenso wenig ist die kommentierende Einleitung zum Text des Lanat in der Ausgabe vom 29. März 2008 berufsethisch zu beanstanden. Man kann sich zwar fragen, ob der Satz notwendig war, «die Schlachtung von 6 trächtigen Kühen werde darin zugegeben». Diese Bemerkung liegt aber diskussionslos innerhalb des weit zu ziehenden Rahmens der Kommentarfreiheit. Zudem hatte der kantonale Tierschutzbeauftragte ja offenbar zuvor explizit behauptet, im Fall Madiswil seien keine trächtigen Kühe geschlachtet worden.
d) Aus der berufsethischen Berichtigungspflicht kann schliesslich keine Pflicht der Journalistinnen und Journalisten abgeleitet werden, dass Berichtigungen, Gegendarstellungen, Präzisierungen oder nachträgliche Stellungnahmen – an gleicher Stelle publiziert werden müssen wie der Originalartikel – hier also auf der Frontseite.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.
2. Der «Schweizer Bauer» hat mit der Veröffentlichung des Berichts «Trächtige Kühe geschlachtet» vom 26. März 2008 (bzw. Onlineausgabe vom 25. März 2008: «Im Namen des Tierschutzes geschlachtete Kühe waren hochträchtig») die Ziffer 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt. Die Zeitung wäre verpflichtet gewesen, zumindest darauf hinzuweisen, dass die Verantwortlichen (kantonaler Tierschutzbeauftragter und Kantonsarzt) für eine Stellungnahme nicht erreichbar waren.
3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.
4. Der «Schweizer Baue»r hat bei der Veröffentlichung der «Richtigstellung» des Amts für Landwirtschaft und Natur des Kantons Bern in der Ausgabe vom 29. März 2008 (Online: 28. März 2008) die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht) und 5 (Berichtigungspflicht) der «Erklärung» nicht verletzt.