I. Sachverhalt
A. Am 8. Oktober 2001 veröffentlichte die «Schweizer Illustrierte» (nachfolgend: SI) den Beitrag mit dem Titel «Das alles hat mich fast um den Verstand gebracht». Hintergrund des Textes: Die äusserst komplexe und umstrittene Auseinandersetzung rund um die Kunstsammlung des inzwischen (am 3. Januar 2002) verstorbenen deutschen Arztes und Kunstsammlers Gustav Rau. Ausgangspunkt des Artikels war der Auftritt von Gustav Rau anlässlich einer Ausstellung von Meisterwerken aus seiner Sammlung im Münchner Haus der Kunst im Herbst-Winter 2001/2002.
B. Gemäss dem SI-Beitrag umfasste die auf einen Wert von einer Milliarde Franken geschätzte Kunstsammlung von Gustav Rau 750 Werke aus fünf Jahrhunderten. Im Hinblick auf sein Ableben habe der kinderlose Sammler ursprünglich beabsichtigt, sein Vermögen mehreren von ihm selber gegründeten Schweizer Stiftungen zu hinterlassen. «(…) Doch sein Zustand verschlechterte sich. Rau wurde von seinem Schweizer Anwalt X. für geistig umnachtet erklärt. Er schaltete das Bundesgericht ein, das dem Sammler und Mäzen die Geschäftsfähigkeit entzog. Das Bezirksgericht Bülach erliess eine superprovisorische Verfügung, das Eidgenössische Departement des Inneren liess die kostbare Kunstsammlung versiegeln. Raus jetziger Vertrauensanwalt Y.: ‹Wahrscheinlich um sie im Land zu halten, damit die geplante Stiftung dort errichtet wird.› ‹Mein grösster Wunsch ist›, sagte Gustav Rau noch vor einem Jahr, ‹dass ich meine Freiheit widerbekomme und über mein Eigentum ungestört verfügen kann.› Für Wahlschweizer Sir Peter Ustinov riecht das alles nach einem juristischen Krimi: ‹Man hat das Gefühl, alle warten so lange, bis Dr. Rau nicht mehr auf dieser Erde ist. Aber Dr. Rau ist nicht nur völlig normal, er denkt für sich selbst, und das ist vielleicht eine grosse Enttäuschung für einen mittelmässigen Schweizer Anwalt.› Heute ist Gustav Rau rehabilitiert, die Wunden auf seiner Seele bleiben (…) Der alte Mann mit dem grossen Herzen hat sich entschieden, seine Sammlung der Unicef zu vermachen.» Dies sei der Anlass der Münchner Ausstellung. «(…) Zur Feier erschien der zurückhaltende und in einem Altersheim bei Baden-Baden lebende Sammler persönlich. (…) ‹Ich sehe diese Ausstellung heute zum ersten Mal›, sagte Gustav Rau gerührt. Man muss ihm nahe sein, um ihn zu verstehen. Mit leiser Stimme erzählte er von Afrika und wie sehr er das Land vermisst (…).»
C. Mit Beschwerde vom 25. Oktober 2001 gelangte Rechtsanwalt X. an den Presserat und rügte, der SI-Artikel habe die Ziffern 1, 2, 3 und 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt. Im Bericht werde ihm Beteiligung an einem Komplott zum Nachteil von Gustav Rau unterstellt. Trotz dieses schweren wahrheitswidrigen Vorwurfes sei er vor der Publikation nicht angehört worden. Überdies sei die Nennung seines Namens sachlich nicht begründet gewesen. Die Authentizität der im Artikel zitierten, angeblich von Gustav Rau stammenden Aussagen sei zweifelhaft. Zudem sei der Aufenthalt der Ringier-Journalistin in München von einer PR-Agentur organisiert worden, die ihrerseits von den neuen Anwälten von Gustav Rau instruiert worden sei.
D. In seiner Stellungnahme vom 12. Dezember 2002 wies der Rechtsvertreter des Hauses Ringier die Beschwerde als unbegründet zurück. Rechtsanwalt X. werde im beanstandeten SI-Beitrag nur am Rande erwähnt. Hauptthema sei vielmehr die Münchner Ausstellung der Werke von Gustav Rau. Eine Anhörung des Beschwerdeführers sei unter diesen Umständen nicht zwingend gewesen. Ebenso entbehrten die übrigen Vorwürfe von Rechtsanwalt X. jeglicher Grundlage.
E. Am 4. Januar 2002 reichte X. eine Videoaufnahme eines Interviews der ARD mit Gustav Rau sowie einen in «FOCUS» erschienenen Artikel nach und machte geltend, diese Urkunden belegten, dass Gustav Rau das am 3. Oktober 2001 in der SI veröffentlichte Interview nicht gegeben haben könne. Am 8. Januar 2002 reichte er zudem ein Schreiben von Sir Peter Ustinov nach. Darin dementierte dieser, vor der Publikation des beanstandeten SI-Artikels jeglichen Kontakt mit der Journalistin oder der SI gehabt zu haben.
F. In einer Stellungnahme der SI vom 15. Februar 2002 machte deren Rechtsvertreter geltend, das Schreibens Ustinovs sei offensichtlich als Ergebnis eines Druckversuchs von Rechtsanwalt X. entstanden. Ustinov habe es offensichtlich vorgezogen, sich mit dem Beschwerdeführer zu einigen, statt mit diesem herumzustreiten. Herr Ustinov habe in München auf eine Frage der Journalistin geantwortet, könne sich nun aber möglicherweise nicht mehr daran erinnern. Die Autorin habe zudem sowohl im beanstandeten SI-Artikel wie in ihrer Frage auf eine Äusserung von Herrn Ustinov Bezug genommen, die dieser unbestrittenermassen im Rahmen einer Ausstellungseröffnung am 25. Mai 2001 in Köln gemacht habe. Auf diese Rede angesprochen habe Herr Ustinov der Journalistin in München bestätigt, an jenen Äusserungen weiterhin festzuhalten.
G. Das Präsidium des Presserates übertrug die Behandlung der Beschwerde an die 1. Kammer, der Peter Studer als Präsident sowie Marie-Louise Barben, Luisa Ghiringhelli Mazza, Silvana Iannetta, Philip Kübler Katharina Lüthi und Edy Salmina als Mitglieder angehören. Die Kammer behandelte den Fall an ihren Sitzungen vom 17. Januar und 2. Mai 2002.
II. Erwägungen
1. Es ist nicht Aufgabe des Presserates, den der Auseinandersetzung rund um die Kunstsammlung Rau zugrundeliegenden komplexen Sachverhalt und die damit zusammenhängenden Rechtsfragen zu klären. Deshalb beschränkt sich die vorliegende Stellungnahme auf die Prüfung der vom Beschwerdeführer gerügten Verletzungen der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten».
2. a) Vorab ist zu prüfen, ob die SI das Prinzip der allseitigen Anhörung («audiatur et altera pars») verletzt hat. Der Presserat hat immer wieder betont, dass Personen, die in einem Medienbericht schwer belastet werden, vor der Publikation anzuhören sind und dass deren Standpunkt zumindest kurz wiederzugeben ist (vgl. u.a. die Stellungnahmen 8/2000 i.S. L. c. «Beobachter» und 10/2002 i.S. République et Canton du Jura c. «Le Quotidien Jurassien»).
b) Im beanstandeten Artikel schreibt die Journalistin, «Rau wurde von seinem Schweizer Anwalt X. für geistig umnachtet erklärt. (…)» Aus Sicht der Leserschaft kann mit dem «mittelmässigen Schweizer Anwalt» (Einschätzung von Peter Ustinov) niemand anders als der Beschwerdeführer gemeint sein. Der Untertitel «Kunstkrimi made in Switzerland» und der Titel auf der zweiten Seite des Berichts «Ein Kunstskandal um Geld und Gier ist zu Ende» situiert das gesamte Geschehen und damit auch das Handeln von X. wenn nicht in einen kriminellen, so doch zumindest in einem zweifelhaften Rahmen. In denselben Rahmen wird die ganze Auseinandersetzung auch im Lauftext eingeordnet: «(…) die Geschichte eines Kunstskandals, der sich mitten in der Schweiz abspielte und geprägt ist von Geld und Gier, Hass und Ohnmacht (…) in der Hauptrolle: Juristen, Behörden und der deutsche Tropenarzt (…) riecht alles nach einem juristischen Krimi.
c) Auch wenn Beschwerdeführer X. nicht Hauptgegenstand des beanstandeten Medienberichts ist, gehen aus den zitierten Passagen deutlich negative Werturteile über ihn hervor. Seine Stellungnahme zu diesen Vorwürfen, seine Beweggründe und die Rechtfertigung seines Tuns werden der Leserschaft der SI gänzlich vorenthalten. Deshalb hat die SI das Prinzip des «audiatur et altera pars» verletzt.
3. Beim umstrittenen Ustinov-Zitat braucht nicht näher auf die Umstände des Zustandekommens des Dementis eingegangen zu werden. Wie
die SI in ihrer Stellungnahme zu diesem Punkt zu Recht geltend macht, geht aus dem beanstandeten Bericht keineswegs hervor, dass der inkriminierende Satz Ustinovs anlässlich der Münchner Ausstellung gefallen wäre. Wie aus dem von der SI eingereichten Text der «Kölner Rede» vom 25. Mai 2001 zudem ersichtlich ist, hat Ustinov offenbar bereits damals gesagt: «Und Dr. Rau ist nicht nur völlig normal, aber denkt für sich selbst und das ist vielleicht eine grosse Enttäuschung für den mittelmässigen Schweizer Anwalt.» Zwar wäre es aus Sicht der Leserschaft wünschenswert gewesen, wenn im Artikel darauf hingewiesen wäre, woher das ursprüngliche Zitat stammte. Dies gilt ungeachtet der zwischen den Parteien umstrittenen und vom Presserat nicht abschliessend zu klärenden Frage, ob Ustinov diese Aussage in München tatsächlich gegenüber der SI noch einmal bestätigt habe. Im Ergebnis kann aus dieser Ungenauigkeit jedenfalls keine Verletzung der Ziffern 1 (Warheitspflicht) und 3 (Unterschlagung wichtiger Informationselemente) der «Erklärung» abgeleitet werden.
4. Gemäss der Darstellung von X. war Gustav Rau im Herbst 2001 gar nicht in der Lage, der SI ein Interview zu geben. Dies gehe ohne weiteres aus der dem Presserat nachgereichten Videokassette des ARD-Interviews hervor. Darin macht Rau zwar einen sehr müden Eindruck auf den Betrachter und hat Mühe, seine Worte und Sätze zu formulieren. Hingegen wirkt er keineswegs unfähig, die Fragen der Journalistin zu beantworten. Die Frage kann aber letztlich offen bleiben, da es ohnehin nicht Aufgabe des Presserates ist, sich zu Rechtsfragen wie zur Frage der Urteilsfähigkeit von Personen zu äussern.
5. Der Beschwerdeführer rügt weiter eine Verletzung seiner Persönlichkeit. Soweit er in diesem Zusammenhang eine Verletzung des Anhörungsprinzips geltend macht, ist auf die Ausführungen oben unter Ziffer 2 dieser Erwägungen zu verweisen. Darüber hinaus ist die Rüge unbegründet. Berufsethisch war es ohne weiteres zulässig, die Rolle von Rechtsanwalt X. und dessen Namen im Zusammenhang dem öffentlich interessierenden Streit um die Kunstsammlung Rau zu erwähnen.
6. Soweit X. schliesslich eine Verletzung von Ziffer 2 der «Erklärung» (Wahrung der Unabhängigkeit) rügt, ist seine Beschwerde ungenügend begründet, hat er doch für seine Behauptung, der SI-Bericht sei durch eine PR-Agentur initiiert oder mitfinanziert, keinerlei Indizien geliefert.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.
2. Die Redaktion der «Schweizer Illustrierte» hätte den Beschwerdeführer vor der Publikation der gegenüber ihm erhobenen schweren Vorwürfe anhören und seine Stellungnahme im gleichen Bericht zumindest kurz wiedergeben müssen.
3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.