Nr. 34/2018
Wahrheitspflicht / Entstellung von Informationen / Berichtigung

(X. c. «20 Minuten»)

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I. Sachverhalt

A. Am 11. April 2017 veröffentlichte «20 Minuten» den Artikel «Energiestrategie: Solarpanels auf 3934 Fussballfeldern». Darin berechnet «20 Minuten», wie viele Solarpanels oder Windräder nötig wären, um die Ziele des neuen Energiegesetzes zu erreichen. Heute seien Solaranlagen mit einer Fläche von 6,99 Quadratkilometern in Betrieb, neu bräuchte es 28,12 Quadratkilometer mehr. Diese Zahlen werden durch eine Grafik illustriert: Ein kleines Solarpanel repräsentiert den Stand 2015, daneben ein grösseres das Ziel des Jahres 2035.

B. X. reichte am 27. Juni 2017 Beschwerde beim Schweizer Presserat gegen den Artikel von «20 Minuten» ein. Er macht eine Verletzung der Ziffern 1, 3, 5 und mutmasslich 4 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») geltend. Die Antwort von «20 Minuten» vom 9. Mai 2017 sei nicht akzeptabel. Sie bagatellisiere den Umstand und bedaure den Fehler in keiner Weise. Der Beschwerde war folgender Schriftenwechsel vorausgegangen: Per E-Mail hatte sich der Beschwerdeführer am 11. April 2017 an «20 Minuten» gewandt. Er kritisierte eine Verzerrung der Grafik gegenüber den im Text genannten Zahlen. Die Zunahme der benötigten Solaranlagen käme dem Faktor 5 gleich, die Grafik zeige aber eine 16-fache Zunahme. Somit sei das Wachstum in der Grafik um rund das 3-fache überhöht dargestellt. Da X. keine Antwort erhielt, schickte er am 25. April einen eingeschriebenen Brief an die Redaktion von «20 Minuten» mit seinem Anliegen. Die Angelegenheit sei wichtig – sie betreffe eine eidgenössische Abstimmung – und dringlich, da die Abstimmung bevorstehe. Er bat daher um eine Richtigstellung des Fehlers. Nachdem er keine Antwort erhielt, wandte er sich am 3. Mai 2017 per E-Mail an den Ombudsmann der Tamedia. Dieser antwortete am 9. Mai 2017 und schlug ihm eine Eingabe beim Schweizer Presserat vor. Gleichentags antwortete auch «20 Minuten». Tatsächlich entspreche die Grafik nicht dem mathematisch korrekten Verhältnis, jedoch diene sie nur illustrativen Zwecken. Die im Text genannten Zahlen hätten Experten beider Seiten geprüft und für korrekt befunden. Die errechneten Zahlen sprächen ausserdem für sich selber und der Leser könne selber einschätzen, ob ein nötiger Zubau von 28 Quadratkilometern viel oder wenig sei.

C. Mit Beschwerdeantwort vom 30. August 2017 beantragt der Rechtsdienst von Tamedia im Namen von «20 Minuten», die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf eingetreten wird. Die Beschwerdegegnerin betont, die Berechnungen beruhten auf Angaben des Abstimmungsbüchleins und auf Daten des Bundesamts für Energie, zudem habe sie ein ausgewiesener Fachmann überprüft. Allerhöchste journalistische Sorgfaltsstandards seien eingehalten worden. Von einer Verletzung der Ziffer 1 der «Erklärung» (Wahrheitspflicht) könne deshalb keine Rede sein. Die Redaktion räumt ein, dass die korrekt dargelegten Daten in der begleitenden Grafik mathematisch nicht exakt dargestellt wurden. Allerdings diene diese rein illustrativen und gestalterischen Zwecken. Der Gefahr einer Fehlinterpretation sei dadurch begegnet worden, dass das benötigte Wachstum ausdrücklich mit der absoluten Zahl beschriftet worden sei. Dem Leser dürfte ausserdem bewusst sein, dass die Grössenverhältnisse aus streng mathematischer Sicht nicht korrekt seien, denn die Solarpanels seien überhaupt nicht im richtigen Verhältnis zu den auch abgebildeten Windrädern dargestellt. Schliesslich sei die grafische Ungenauigkeit auch auf layouterische Zwänge zurückzuführen. Die mathematisch ungenaue Illustration habe keine Tatsachen in vorwerfbarer Weise entstellt, so dass eine Verletzung von Ziffer 3 der «Erklärung» zu verneinen sei. Auch Ziffer 4 sei nicht verletzt worden, da «20 Minuten» keine unlauteren Methoden bei der Beschaffung von Informationen und Bildern angewandt habe. Da kein materiell falscher Inhalt vorliege, sei auch keine Berichtigung erforderlich gewesen und Ziffer 5 der «Erklärung» sei deshalb nicht verletzt. Die Antwort der Redaktion von «20 Minuten» vom 9. Mai 2017 belege zudem, dass sich die Beschwerdegegnerin mit der Reklamation auseinandergesetzt habe und somit ihrer journalistischen Verantwortung nachgekommen sei.

D. Am 27. Juni 2017 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 13. September 2018 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Ziffer 1 der «Erklärung» hält Journalistinnen und Journalisten dazu an, sich an die Wahrheit zu halten ohne Rücksicht auf die sich daraus für sie ergebenden Folgen und sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten zu lassen, die Wahrheit zu erfahren. Der Beschwerdeführer sieht Ziffer 1 der «Erklärung» durch die Grafik im Artikel vom 11. April 2017 verletzt. Den Wahrheitsgehalt der Zahlen bzw. deren Berechnung zweifelt der Beschwerdeführer nicht an. Er kritisiert hingegen deren grafische Darstellung. Zu fragen ist somit, wie genau eine Grafik sein muss, um vor der Wahrheitspflicht standzuhalten. Der Beschwerdeführer bringt vor, dass in der Grafik das nötige Wachstum von Solaranlagen dreimal grösser dargestellt wird als dies den Zahlen im Text entspricht. Die Beschwerdegegnerin bestreitet dies nicht. Für den Presserat ist eine solch massive Abweichung nicht mit einer kleinen grafischen Ungenauigkeit gleichzusetzen und sie lässt sich auch nicht durch layouterische Zwänge rechtfertigen. Die Redaktion argumentiert, einer Fehlinterpretation wirke die Beschriftung mit absoluten Zahlen entgegen. Der Presserat kann dieser Argumentation nicht folgen. Zahlen und grafische Darstellung ebendieser Zahlen widersprechen sich offensichtlich. Grafiken dienen dazu, einen Sachverhalt zu visualisieren. Im vorliegenden Fall ist die Visualisierung offensichtlich falsch, da sie dem Leser den Eindruck vermittelt, eine dreimal grössere Anzahl an Photovoltaikanlagen wäre nötig für die Umsetzung der Energiestrategie als dies tatsächlich der Fall ist. Grafik und Zahlen müssen übereinstimmen. Dies erst recht, wenn die Grafik wie vorliegend fast einen Drittel des ganzen Artikels einnimmt. Stimmt eine solche Grafik nicht, ist sie geeignet, den Leser irrezuführen. Ziffer 1 der «Erklärung» ist somit verletzt.

2. Beschwerdeführer X. bringt weiter eine Verletzung der Ziffer 3 der «Erklärung» vor. Ziffer 3 verpflichtet Journalisten, nur Informationen, Dokumente, Bilder und Töne zu veröffentlichen, deren Quelle ihnen bekannt sind. Ausserdem dürfen Tatsachen, Dokumente, Bilder und Töne nicht entstellt werden. Eine Grafik, welche die Zahlenverhältnisse falsch illustriert, entstellt diese Zahlenverhältnisse letztlich auch. Sie ist geeignet, die Leserinnen und Leser in die Irre zu führen. Zu fragen ist, ob diese entstellende Darstellung unter Ziffer 1 der «Erklärung» subsummiert werden kann. Dies ist angesichts der Tatsache, dass die Grafik die Zahlen massiv verfälscht und die Zahl der nötigen Solaranlagen dreimal grösser darstellt, als im Text genannt, nicht der Fall. Es liegt folglich auch eine Verletzung von Ziffer 3 der «Erklärung» vor.

3. Ziffer 5 der «Erklärung» statuiert für Journalisten die Pflicht, jede von ihnen veröffentlichte Meldung, deren materieller Inhalt sich ganz oder teilweise als falsch erweist, zu berichtigen. Mit E-Mail vom 11. April 2017 und eingeschriebenem Brief vom 25. April 2017 hatte der Beschwerdeführer «20 Minuten» auf den Fehler in der Grafik hingewiesen und eine Berichtigung verlangt. Am 9. Mai 2017 antwortete «20 Minuten» per E-Mail. Die Beschwerdegegnerin räumte ein, die Grafik entspreche nicht dem korrekten Verhältnis der Zahlen. Ist der materielle Inhalt eines Berichts falsch, ist dies zu korrigieren. Indem «20 Minuten» dies unterlassen hat, hat die Zeitung Ziffer 5 der «Erklärung» verletzt.

4. Soweit der Beschwerdeführer eine mutmassliche Verletzung von Ziffer 4 der «Erklärung» geltend macht, so ist darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung hier nicht anwendbar ist, da keine irreführende Verfälschung eines Originals vorgenommen wurde.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird in der Hauptsache gutgeheissen.

2. «20 Minuten» hat mit einer inkorrekten Grafik im Artikel «Energiestrategie: Solarpanels auf 3934 Fussballfeldern» vom 11. April 2017 Ziffer 1 (Wahrheitspflicht), 3 (Entstellen von Bildern) und Ziffer 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.