I. Sachverhalt
A. In ihrer Publikation 2/2023 vom 2. Mai 2023 veröffentlichte «infosantésuisse» einen Artikel mit dem Titel «Engpass bei Medikamenten füllt Kasse der Apotheker». Untertitel: «Die Teilabgabe von Medikamenten eröffnet den Apotheken eine neue Einnahmequelle. Dies zu Lasten der Prämienzahlerinnen und -zahler». Darin begrüsst dieses Organ der Krankenversicherer zwar die Mitteilung des zuständigen Bundesamtes, wonach Apotheken in Zeiten von mangelnder Versorgung von den betreffenden Medikamenten nur Teilmengen statt ganzer Packungen abgeben sollen. Ebenso sei es grundsätzlich angebracht, dass Apotheker für die daraus entstehende Mehrarbeit honoriert würden. Kritisiert wird im Artikel jedoch, dass gemäss einer Regelung des Bundesamtes für Gesundheit für die Bereitstellung solcher Teilmengen von Medikamenten die Margen für die Apotheke deutlich erhöht und die Kontrollen seitens der Krankenversicherungen erheblich erschwert würden. Insgesamt, so fasst eine Box neben dem Text zusammen, erhöhe sich das Einkommen der Apotheker – je nachdem ob Packungen halbiert, gedrittelt oder in vier Teile aufgeteilt werden müssten – um 13, 25 oder 35 Millionen Franken. Das sei zu viel und belaste die Versicherten übermässig. Die Problematik wird dann an verschiedenen Beispielen durchgerechnet.
B. Mit Eingabe vom 10. Juli 2023 reichte der Schweizerische Apothekerverband Pharmasuisse Beschwerde gegen diesen Artikel beim Schweizer Presserat ein. Pharmasuisse macht einen Verstoss gegen die Ziffern 1 (Wahrheit) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (im Folgenden «Erklärung») geltend, sowie gegen die zur «Erklärung» gehörenden Richtlinien 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) und 5.1 (Berichtigungspflicht).
Insbesondere geht der Beschwerdeführer davon aus, dass der Artikel mit seinen Berechnungen von falschen Annahmen als Basis und von falschen Zahlen als Folge ausgehe, sowohl was das Mass an Arbeit betreffe, das durch die Abgabe von Teilmengen entstehe, als auch was die Anzahl der so bearbeiteten Abgaben und die daraus entstehenden wirklichen Kosten betreffe. Die hohen Zahlen und die damit verbundenen Vorwürfe seien falsch und verstiessen entsprechend gegen die Ziffer 1 der «Erklärung» und die Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche). Der Artikel verstosse damit auch gegen die Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen): Der Apothekerverband hätte vor der Publikation dieser schweren Vorwürfe angehört werden müssen. Ebenso gegen Richtlinie 5.1 (Berichtigungspflicht): Nach der Publikation der falschen Angaben hätte eine Berichtigung vorgenommen werden müssen, was trotz mehrfacher Aufforderung nicht der Fall gewesen sei.
C. Der Presserat bat die Beschwerdegegnerin Santésuisse am 15. März 2024 um eine Stellungnahme zur Beschwerde, schränkte die Fragestellung aber zunächst ein auf die Thematik «Eintreten», also darauf, ob der Presserat für eine Publikation wie «infosantésuisse» überhaupt zuständig sei.
D. Mit Schreiben vom 15. April 2024 beantragte Santésuisse, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten. Sollte dennoch eingetreten werden, erbittet die Beschwerdegegnerin eine Nachfrist für die Stellungnahme zu den inhaltlichen Punkten. Den Antrag auf Nichteintreten begründet Santésuisse damit, dass die Publikation «infosantésuisse» kein Medium im Sinne von Art. 2 des Geschäftsreglements des Presserats sei. «infosantésuisse» sei – zusammen mit dessen Website – das offizielle Publikationsorgan des Verbandes der Krankenversicherer. Man betreibe damit Öffentlichkeitsarbeit im Interesse des Verbandes und richte sich nicht an die breite Öffentlichkeit, sondern an die Mitgliederfirmen und an deren MitarbeiterInnen sowie an Interessierte bezüglich Fragen der Krankenversicherung. Die Auflage betrage lediglich 2500 Exemplare, finanziert werde das Blatt ausschliesslich vom Verband selber. Es bestehe kein Redaktionsstatut, die Verpflichtung auf den Journalistenkodex wäre regelrecht «fehl am Platz», auch weil in keiner Weise auf tagesaktuelle Themen eingegangen werde. Das Blatt werde nicht an Kiosken angeboten, man könne nur auf der Website Einzelexemplare bestellen oder aber Abonnemente für sechs Ausgaben pro Jahr erwerben. Schon deswegen sei auf die Beschwerde nicht einzutreten.
Ebenso sei ein Eintreten auf die Beschwerde gestützt auf Art. 11 Abs. 1, Aufzählungspunkt 2 und 4 des Geschäftsreglements abzulehnen. Der erste verlangt Nichteintreten, wenn eine Beschwerde offensichtlich unbegründet ist, der zweite, wenn eine Redaktion sich entschuldigt und/oder Korrekturmassnahmen ergriffen hat. Zum einen habe Santésuisse den Bedenken der Beschwerdeführerin inhaltlich Rechnung getragen, indem man in einem längeren Briefwechsel eine Formulierung gefunden habe, welche den Sachverhalt in der folgenden Ausgabe des Magazins richtiggestellt hätte. Eine abschliessende Einigung sei nur daran gescheitert, dass Pharmasuisse zusätzlich zur Richtigstellung auf einer ausdrücklichen Entschuldigung, einer Danksagung an die Apotheker sowie auf der Überschrift «Korrigendum» bestanden habe. Dem habe man nicht entsprochen, weil es keinen Grund dafür gegeben habe. Die angebotene Klarstellung habe man aber in der nächstmöglichen Ausgabe publiziert. Insofern sei auf die Beschwerde aus beiden Gründen, «offensichtlich unbegründet» und «Korrekturmassnahmen ergriffen» nicht einzutreten.
E. Gemäss Art. 13 Abs. 1 des Geschäftsreglements beurteilt das Presseratspräsidium, bestehend aus Susan Boos, Präsidentin, sowie Annik Dubied, Vizepräsidentin, Jan Grüebler, Vizepräsident, und Ursina Wey, Geschäftsführerin, ob auf Beschwerden einzutreten sei.
F. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 7. Oktober 2024 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Gestützt auf Art. 11 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 seines Geschäftsreglements tritt der Presserat nicht auf eine Beschwerde ein, wenn diese einen Text betrifft, der nicht von einem journalistischen Medium im Sinne der «Erklärung» publiziert wurde. Dasselbe, Nichteintreten, gilt gemäss Art. 11 Abs. 1 des Geschäftsreglements, wenn die Beschwerde offensichtlich unbegründet ist oder wenn die verantwortliche Redaktion sich bei geringer Relevanz entschuldigt und/oder Korrekturmassnahmen ergriffen hat. Die Beschwerdegegnerin «infosantésuisse» begründet ihren Antrag auf Nichteintreten mit all diesen drei Bestimmungen.
2. Der Presserat sieht dabei die Frage im Zentrum, ob es sich bei «infosantésuisse» um ein journalistisches Produkt handelt, wie der Art. 2 des Geschäftsreglements dies für seine Zuständigkeit vorgibt. Dieser lautet: «Die Zuständigkeit des Presserates erstreckt sich – ungeachtet der Verbreitungsart – auf den redaktionellen Teil der öffentlichen auf die Aktualität bezogenen Medien sowie auf die journalistischen Inhalte, die individuell publiziert werden.» Es wird demnach vorausgesetzt,
– dass das publizierende Medium öffentlich zugänglich ist und entsprechend nicht nur für einen beschränkten Kreis kommuniziert
– dass es um Inhalte geht, die von einer Redaktion bearbeitet und verantwortet werden
– dass vornehmlich aktuelle Sachverhalte behandelt werden.
Im Grundsatzentscheid 1/2019, in welchem es um Fragen der Zuständigkeit bei Online-Veröffentlichungen ging, präzisierte der Presserat hinsichtlich seiner Zuständigkeit: «Grundsätzlich ausgeschlossen sind ebenfalls Veröffentlichungen von politischen Parteien, Wirtschaftsorganisationen, Vereinen und Verbänden, wenn der strittige Inhalt militante oder ideologische Anliegen ohne Rücksicht auf Unabhängigkeit oder Pluralismus wiederspiegelt.»
In diesem Sinne kommt für die Abwägung hinzu,
– dass interessengebundene Inhalte insbesondere von Verbänden oder Parteien nicht in die Zuständigkeit des Presserats fallen, wenn sie primär eine bestimmte Sichtweise herausstreichen, wenn also Anliegen vertreten werden ohne erkennbares Bemühen um eine sachgerechte journalistische Darstellung, welche beispielsweise auch Gegenpositionen mitberücksichtigt.
3. Eine klare, scharfe Trennlinie zwischen Journalismus und PR-Arbeit kann nicht gezogen werden, die Übergänge sind seit jeher fliessend und dies mit der zunehmenden Verbreitung «neuer Medien» immer mehr. Die oben aufgeführten Kriterien müssen deswegen in ihrer Gesamtheit gesehen und gegeneinander abgewogen werden.
Im vorliegenden Fall fällt einerseits ins Gewicht, dass «infosantésuisse» gemäss den Statuten von Santésuisse ein Organ ist, das Public Relation für den Verband machen, Imagepflege betreiben soll, also interessengebundene Inhalte vertritt und entsprechend nicht unabhängig werten kann. Finanziert wird das Blatt primär vom Verband. Die Auflage ist gering, AdressatInnen sind – nach eigenen Angaben – vor allem die angeschlossenen Krankenkassen und deren MitarbeiterInnen sowie Personen und Institutionen, die an Krankenversicherungsthemen interessiert sind, nicht aber eine breitere Öffentlichkeit. Es existiert weder eine verantwortliche Redaktion, es gibt auch kein Impressum und kein Redaktionsstatut. All dies spricht gegen eine Zuständigkeit des Presserates.
Umgekehrt wird «infosantésuisse» nicht ausschliesslich vom Verband Santésuisse finanziert, es werden auch Abonnemente verkauft. Auch erscheint das Magazin periodisch, sechsmal pro Jahr und es behandelt nicht nur allgemeine Themen, sondern es geht – wie Figura zeigt – auch auf aktuelle Themen ein. Das spräche eher für ein journalistisches Organ.
In Abwägung der obigen Kriterien erscheint «infosantésuisse» aber deutlich als PR-Publikation eines Verbandes mit einer Ausrichtung, die nicht primär journalistisch ist, sondern vielmehr einen PR- und Imagepflegeanspruch erfüllt. Der Presserat tritt auf die Beschwerde entsprechend nicht ein, weil er für ein solches Organ nicht zuständig ist. Entsprechend erübrigen sich die weiteren Anträge der Parteien.
III. Feststellung
Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.