Stellungnahme
Vollständigkeit der Information Aus Ziff. 3 der „Erklärung der Pflichten und Rechte des Journalisten” kann nicht abgeleitet werden, dass bei einer Berichterstattung über ein Medikament unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten immer sämtliche medizinischen Meinungen wiederzugegeben sind, um der berufsethischen Forderung einer vollständigen Berichterstattung zu genügen. Vielmehr ist es aus berufsethischer Sicht durchaus möglich, sich auf eine Berichterstattung über einzelne Aspekte eines Themas zu beschränken. Wer sich bei der Berichterstattung über einen medizinischen Gegenstand auf dessen wirtschaftliche Aspekte beschränkt, hat jedoch darauf achtzugeben, dass der medizinische Aspekt nicht verkürzt und ungenau wiedergegeben wird. Prise de position Information complète On ne peut déduire du chiffre 3 de la „Déclaration des devoirs et des droits du/de la journaliste” qu’en matière d’information relative à un médicament, envisagé sous l’angle économique, il soit toujours fait état de toutes les opinions médicales émises à son sujet, de manière à satisfaire à l’exigence d’une information complète, telle que la requiert l’éthique professionnelle. Tout au contraire, du même point de vue de l’éthique professionnelle, il est tout à fait possible de se limiter à traiter certains aspects d’un sujet seulement. Celui qui, en matière d’information sur un sujet médical, se limite à aborder ses aspects économiques, doit cependant prendre garde de ne pas abréger ni à mentionner de façon inexacte les aspects médicaux de la question. Presa di posizione Completezza dell’informazione Dall’cifra 3 della „Dichiarazione dei doveri e dei diritti del giornalista” non è possibile dedurre che la completezza dell’informazione richieda, considerata eticamente, in un articolo concernente la commercializzazione di un farmaco, la menzione di tutte le opinioni mediche a riguardo. L’etica professionale può essere rispettata anche se l’articolo si limita a un singolo aspetto del tema. Anche chi si limiti ai risvolti commerciali di un determinato prodotto medico deve tuttavia badare che l’informazione sia data senza abbreviazioni e con una non deformata citazione degli aspetti medici della questione. |
I. Sachverhalt
A. Im „Cash” Nr. 6 vom 11. Februar 1994 erschien unter dem Titel „Fast Food ins Glück / Das Antidepressivum Prozac wird zum Bestseller” ein Beitrag von Marc-André Giger, worin er über den wirtschaftlichen Erfolg von Prozac (in der Schweiz: Fluctin) berichtete. Der Artikel wurde auf der Titelseite durch eine Grafik angekündigt, welche aufzeigt, dass sich der Umsatz von Prozac seit 1989 von 125 Millionen Dollar auf über 1,2 Milliarden Dollar im Jahr 1993 gesteigert hat und damit weltweit auf Platz sieben der meistgeschluckten Medikamente liegt.
B. Mit Schreiben vom 17. Februar 1994 erhob die Citizens Commission on Human Rights Schweiz (nachfolgend CCHR Schweiz) Beschwerde gegen die Berichterstattung von „Cash”, welche die Droge Prozac mit geradezu missionarischem Enthusiasmus als „die Wunderdroge” darstelle, bei der es sozusagen keine Nebenwirkungen gebe. „Cash” verletze mit dieser einseitigen Berichterstattung die Regeln des Journalismus in krasser Weise.
Auf Aufforderung des Presseratssekretariats hin konkretisierte die CCHR Schweiz ihre Beschwerde mit Schreiben vom 16. März 1994 dahingehend, die Ziff. 1, 3 und 5 der „Erklärung der Pflichten und Rechte des Journalisten” würden durch den Artikel verletzt.
Der Wahrheitsgehalt des Artikels lasse zu wünschen übrig, argumentiert CCHR Schweiz, da Prozac tatsachenwidrig als ungefährlich und sozusagen ohne Nebenwirkungen hingestellt werde. Auch wenn die Quelle des Artikels, das Buch von Peter D. Kramer (Listening to Prozac. A Psychiatrist explores Antidepressant Drugs and the Remaking of the Self, New York 1993) möglicherweise über die Nebenwirkungen keine Angaben mache, sollte bei objektiver Überprüfung des Artikels auffallen, dass dieser eher einem Werbeschreiben als einem objektiven Bericht gleiche. Wichtige Elemente von Informationen seien eindeutig unterschlagen worden. Tatsache sei, dass Prozac nach dem neusten Federal Drug Administration Adverse Reaction Report mit über 9000 Meldungen über Kontraindikationen in einem Jahr, wovon 1900 als ernst betitelt worden seien, sicher nicht als ungefährlich hingestellt werden dürfe. Ausserdem wäre es auch angebracht gewesen, aufzuzeigen, dass Schadenersatzprozesse in Milliardenhöhe gegen den Hersteller hängig seien. Schliesslich erwarte die CCHR Schweiz, dass der Artikel aufgrund der von ihr vorgelegten zusätzlichen Unterlagen berichtigt werde.
C. Das Presseratspräsidium überwies die Beschwerde nach ihrem Eingang zur Behandlung an die 3. Kammer des Presserates. Diese setzte sich zusammen aus Vizepräsident Martin Edlin, Denis Barrelet, Klaus Kocher, Marie Theres Larcher und Philippe Zahno. An ihrer Sitzung vom 16. Mai 1994 behandelte sie die Beschwerde ein erstes Mal und beschloss, eine Stellungnahme auszuarbeiten, da mit der Beschwerde die Verletzung von mehreren Bestimmungen der „Erklärung der Pflichten und Rechte des Journalisten” geltend gemacht werde, welche berufsethische Fragen grundsätzlicher Natur berühren. Gleichzeitig wurde das Presseratssekretariat beauftragt, eine Stellungnahme von „CASH” einzuholen.
D. In ihrer Stellungnahme vom 21. September 1994 führten „CASH”-Chefredaktor Markus Gisler und Redaktor Marc-André Giger u.a. aus, es stelle sich die Frage, ob ein Artikel immer und in jedem Fall sämtliche möglichen Sichtweisen beleuchten müsse. Sie teilten diese Meinung nicht, weil ein Zeitungsartikel keine Seminararbeit sein könne. Sie würden davon ausgehen, dass sich der Leser oder die Leserin auch nicht sämtliche Implikationen eines Sachverhaltes bis ins Detail zu Gemüte führen wolle. Eine Firmenberichterstattung etwa über den Computerhersteller IBM müsste – um der von CCHR geforderten Objektivität Genüge zu tun – immer aufzeigen, dass der Einsatz von Computern Hunderttausende von Arbeitsplätzen vernichtet hat und in Zukunft noch vernichten wird.
Als Macher einer Wirtschaftszeitung erachteten sie es als legitim, einen Artikel primär auf die ökonomischen Aspekte eines Sachverhaltes zu fokussieren, auch wenn soziale oder historische Betrachtungen ebenfalls relevant sein könnten. Ihre Absicht sei es gewesen, den enormen Erfolg des Produkts darzustellen und zu eruieren, weshalb Prozac zu einem der finanziell erfolgreichsten Medikamente werden konnte. Weiter verweisen sie darauf, dass „CASH” nach der Publikation des fraglichen Artikels Stellungnahmen von Lesern veröffentlichte, die sich sehr kritisch gegenüber dem Medikament und dem Artikel äusserten.
Zum Vorwurf, „CASH” mache kein Angaben über Nebenwirkungen von Prozac und stelle das Produkt als ungefährlich hin, führt „CASH” aus, das stimme in dieser Form nicht. „CASH” habe geschrieben, dass bis heute „noch keine ernsthaften Nebenwirkungen aufgetreten zu sein scheinen” (Zitat). Natürlich hätten sie neben dem leitenden Arzt der psychiatrischen Klinik Königsfelden noch weitere Fachleute befragen können, aber es sei ihnen, wie erwähnt, nicht um die medizinische Akzeptanz, sondern um den wirtschaftlichen Erfolg gegangen. Schliesslich verweisen sie in diesem Zusammenhang auf Publikationen wie „Newsweek” oder „Wall Street Journal”, die in ausführlichen Artikeln über Prozac berichtet hätten. Deren Stossrichtung sei ähnlich wie diejenige von „CASH” gewesen, wonach gravierende Nebenwirkungen bis heute nicht festgestellt worden seien.
Zum Vorwurf, „CASH” habe die Sorgfaltspflicht verletzt, indem nicht auf den Report des FDA (Food and Drug Administration) hingewiesen worden sei, führt „CASH” aus, einerseits hä
tten der Verweis auf diesen Report den Rahmen ihres Artikels bei weitem gesprengt und zudem sei der FDA-Report stark umstritten.
Zum Vorwurf, „CASH” habe nicht aufgezeigt, dass Schadenersatz-forderungen in Milliardenhöhe gegen Eli Lilly wegen Prozac hängig sind, führt „CASH” aus, bekanntlich sei es in den USA zu einem Sport geworden, auch in Bagatellfällen den Hersteller eines Produkts bei einem Zwischenfall jeweils in Millionenhöhe zu verklagen. Eli Lilly sei im Zusammenhang mit Prozac bis heute mehr als 50mal vor Gericht gestanden und habe nach eigenen Aussagen noch keinen einzigen Prozess verloren. Also gelte auch hier das Prinzip „In dubio pro reo”.
Schliesslich weist „CASH” darauf hin, dass CCHR Teil der Scientology-Kirche ist. Es sei somit klar, dass CCHR kein Interesse daran habe, dass Menschen Medikamente gegen Depressionen einnehmen. Denn jeder Konsument von Antidepressiva entfalle als potentieller Kunde von Scientology. Kenner der Scientology-Szene hätten den Eindruck, dass die Beschwerde gegen „CASH” eine Standardreaktion der Scientologen sei. In den USA seien offenbar zahlreiche ähnliche Fälle registriert, wo versucht worden sei, Journalisten daran zu hindern, über Antidepressiva zu schreiben.
II. Erwägungen
1. Gemäss Ziff. 1 der „Erklärung der Pflichten und Rechten des Journalisten” hat sich dieser ohne Rücksicht auf die sich darauf für ihn ergebenden Folgen an die Warheit zu halten und sich vom Recht der Öffentlichkeit, die Wahrheit zu erfahren, leiten zu lassen. Laut Ziff. 3 der „Erklärung der Pflichten und Rechten des Journalisten” darf er keine wichtigen Elemente von Informationen unterschlagen, noch Tatsachen und Dokumente oder von anderen geäusserte Meinungen unterschlagen. Ziff. 5 der „Erklärung der Pflichten und Rechten des Journalisten” auferlegt dem Journalisten die Pflicht, jede von ihm veröffentlichte Meldung zu berichtigen, deren materieller Inhalt sich ganz oder teilweise als falsch erweist.
2. Die Vorwürfe der Beschwerdeführerin, wonach der Autor des Artikels die Wahrheitspflicht verletzt und wichtige Elemente von Informationen unterschlagen habe, stützen sich auf dasselbe Argument, wonach das Antidepressivum Prozac, entgegen den Ausführungen in „Cash”, erhebliche Nebenwirkungen habe und keineswegs unumstritten sei. Der Presserat hat deshalb vorliegend soweit möglich zu prüfen, inwiefern die Beschwerdeführerin diese Behauptung mit den von ihr vorgelegten Unterlagen zu belegen vermag, und sofern dies zu bejahen ist, ob der Autor des Artikels verpflichtet gewesen wäre, sich umfassender über die Nebenwirkungen zu informieren und seinen Artikel entsprechend kritischer abzufassen.
3. a) Ihrer Beschwerde legte die CCHR Schweiz folgende Dokumente bei, welche die Gefährlichkeit von Prozac belegen sollen: „Prozac-A Summary of a Dangerous Drug”, ein Bericht der Citizens Commission on Human Rights, Los Angeles, 1993; verschiedene Auszüge und Statistiken aus den „Adverse Reaction Reports on Prozac” der amerikanischen Food & Drug Administration (FDA) von 1991; sowie diverse Zeitungsartikel und Agenturmeldungen zum Thema.
b) Der Bericht der CCHR Amerika über die Gefährlichkeit von Prozac hält fest, bei diesem handle es sich um ein gefährliches Psychopharmakon, welches durch das Unternehmen Eli Lilly & Company hergestellt werde. Es sei im Dezember 1987 zugelassen worden, nachdem es an 7100 klinischen Versuchsobjekten getestet worden sei. Die Droge sei wegen ihres Zusammenhangs zu suizidalem und gewalttätigem Verhalten in eine Kontroverse geraten. Studien der Harvard Medical School, Yale School of Medicine, Columbia University, State University of New York sowie der Veterans Administration hätten einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Prozac und Suiziden wie auch gewalttätigem Verhalten nachgewiesen. Die entsprechenden Forschungsresultate seien in wissenschaftlichen Zeitschriften wie „The New England Journal of Medicine”, „The Archives of General Psychiatry”, „Journal of Clinical Psychiatry” u.a. publiziert worden. Zusammenfassend hält der Bericht fest, die FDA habe Prozac im Dezember 1987 zugelassen, obwohl damals bekannt gewesen sei, dass die Einnahme von Prozac zu Depressionssymptomen führe und mit mindestens 27 Todesfällen, davon 17 Suiziden, in Zusammenhang gebracht worden war. In den sechs Jahren seit seiner Zulassung seien der FDA mehr als 28’600 Fälle von Kontraindikationen gemeldet worden, mehr als bei irgendeinem anderen Medikament in der 24-jährigen Geschichte des entsprechenden Meldesystems der FDA.
In amtlichen Akten, welche CCHR unter Berufung auf den Freedom of Information Act erhalten habe, habe CCHR über 1700 Todesfälle gefunden, welche in Zusammenhang mit der Einnahme von Prozac gebracht worden seien. Nach Angaben der FDA würden in der Regel nur ca. 1% der Fälle von Kontraindikationen gemeldet. Prozac habe Menschen zu Killern gemacht. CCHR habe mindestens 54 Todesfälle dokumentiert, welche von Prozac-Patienten verursacht worden seien. Weiter habe die FDA fehlerhafte klinische Testreihen akzeptiert, welche die Effizienz der Droge nachweisen sollten. Bereits bei Oraflex, einem inzwischen veralteten Medikament gegen Arthritis, habe es die Eli Lilly & Company verstanden, vor der Martkzulassung des Medikaments der Öffentlichkeit Informationen über damit zusammenhängende Todesfälle vorzuenthalten. c) In ihrer Ausgabe vom 21. September 1991 berichtete „The New York Times”, ein Expertenausschuss der FDA habe mit sechs gegen drei Stimmen eine Empfehlung abgelehnt, wonach der Hersteller von Prozac zu verpflichten wäre, die Packung von Prozac mit einer Warnung zu versehen, dass die Einnahme dieses Medikaments ein Suizidrisiko beinhalte. Dies, nachdem der Ausschuss einstimmig zur Auffassung gelangt war, es lägen keine stichhaltigen Beweise vor, wonach der Gebrauch von Prozac oder anderen Antidepressiva die Erhöhung der Suizidgefahr oder gewalttätiges Verhalten als Nebenwirkung verursachen würde. Die Berichte der angehörten Zeugen seien zwar sehr beeindruckend gewesen. Es lasse sich jedoch kaum sagen, ob die Suizidversuche durch die Depressionen oder durch die eingenommenen Medikamente verursacht worden seien. In der Ausgabe des „San Francisco Chronicle” vom 25. September 1991 erschien ein ähnlicher Bericht.
d) Die Agentur Reuter verbreitete am 23. September 1991 eine Meldung, ein Analyst von Hambrecht & Quist habe eine Kaufempfehlung für Aktien der Eli Lilly & Co wiederholt. Mit dem Entscheid des Expertenausschusses der FDA könne der Desinformation über Antidepressiva nun wirksam begegnet werden. Gegner von Prozac, darunter die Scientologykirche, hätten behauptet, Prozac beinhalte ein Suizidrisiko; sie hätten deshalb eine Warnungsaufschrift auf der Packung des Medikaments verlangt. Aufgrund der negativen Publizität seien die Verkäufe von Prozac zuvor zurückgegangen und würden nun wieder aufwärts tendieren.
e) Gemäss einem Bericht des Magazins „Insight” vom 29. April 1991 waren zu diesem Zeitpunkt in den USA ungefähr 70 Zivilprozesse gegen Eli Lilly & Co. hängig. In den meisten Fällen werde dem Unternehmen der Vorwurf gemacht, es habe Prozac vor der Marktzulassung nicht genügend getestet, und die Ärzte würden nicht gewarnt, dass bei einem kleinen Teil der Patienten die Suizidgefahr vertärkt oder gewalttätiges Verhalten ausgelöst würde. Gemäss den Anwälten seien zu diesem Zeitpunkt 12’400 Meldungen über Kontraindikationen bei der FDA eingereicht worden, darunter Fälle von Selbstverstümmelung, Suizidfixierungen und Mordgedanken. Demgegenüber gebe es jedoch kaum wissenschaftliche Studien, welche diese unerwiesenen Behauptungen stützen würden. Überdies könne eine Depression selber eine tödliche Krankheit sein. Einer von sechs depressiven Patienten begehe Selbstmord. Dies bedeute, dass die Anwälte beweisen müssten, dass Prozac und nicht die Depression schuld am Tod der betroffenen Patienten sei.
Einige Antidrogengruppen, darunter die Citizens Commission on Human Rights,
ein Ableger der Scientologykirche, verlangten ein Verbot von Prozac. Andere Gruppen, darunter die „Citizen Health Research Group”, würden weniger weit gehen und lediglich eine Warnungsaufschrift auf der Packung verlangen. Demgegenüber habe die FDA im Sommer 1990 entschieden, es bestehe keine Grundlage zur Annahme, dass die Einnahme von Prozac mit unverhältnismässigen oder unerwarteten Risiken behaftet sei. Gemäss dem Beauftragten für Öffentlichkeitsarbeit der American Psychiatric Association (37’000 Mitglieder) ist Prozac eines unter verschiedenen Medikamenten, welche Psychiatern für die Behandlung von Depressionen zur Verfügung stehen. Es sei nicht für alle Patienten das beste, aber jedenfalls ein gutes Medikament. Es gebe keinen Grund, dieses Medikament vom Markt zu nehmen.
f) In einem von der Beschwerdeführerin als insgesamt ausgewogen bezeichneten Artikel des „Independent on Sunday” vom 30. Januar 1994 wird u.a. ausgeführt, die Citizens Commission on Human Rights, welche sämtliche Psychopharmaka als Übel betrachte, habe Dutzende von Geschichten von Patienten verbreitet, welche angeblich durch die Einnahme von Prozac zu Mord, Suizid oder anderem gewalttätigen Verhalten getrieben worden seien. Ein aggressiver New Yorker Anwalt habe 60 Klienten gegen Eli Lilly vertreten. Keine der Klagen gegen den Hersteller sei bisher erfolgreich gewesen, einige seien noch hängig. Trotzdem seien die Aktienkurse von Eli Lilly zwischen Juni und August 1990 um 20% gefallen. Der Entscheid der FDA vom September 1991 und einem Artikel des „Time Magazine”, welcher insbesondere die Scientologykirche angeschwärzt habe, hätten zur Trendwende beigetragen. 1992 sei weltweit für mehr als 1 Milliarde US$ Prozac verkauft worden.
4. a) Es ist dem Presserat nicht möglich, den Stand der wissenschaftlichen Meinung über die Gefährlichkeit von Prozac im Zeitpunkt des Erscheinens des „CASH”-Artikels vollständig nachzurecherchieren. Doch selbst wenn man allein von den von der Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen ausgeht, ist zusammenfassend festzuhalten, dass Prozac offenbar von den Gesundheitsbehörden der USA, Grossbritanniens wie auch der Schweiz nach wie vor zugelassen ist, obwohl es schon vor der Marktzulassung von Gegnern von Psychopharmaka, insbesondere von der CCHR, massiv bekämpft worden ist. Trotz zahlreicher Meldungen über Kontraindikationen und durchgeführte Gerichtsprozesse, insbesondere in den USA, gilt es offenbar wissenschaftlich nicht als erwiesen, dass die Einnahme von Prozac die u.a. von der Beschwerdeführerin geltend gemachten gefährlichen Nebenwirkungen (Neigung zu Suizid und gewalttätigem Verhalten) auslöst. Dagegen ist unbestritten, dass Prozac durchaus andere unangenehme Nebenwirkungen wie Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Übelkeit und Libidostörungen haben kann. Auch wenn der Beschwerdeführerin zuzugestehen ist, dass Prozac – nicht zuletzt wegen dem durch die CCHR geführten Kampf – trotz seines erstaunlichen Erfolges offenbar nicht völlig unbestritten ist, ändert dies nichts daran, dass die Beschwerdeführerin nicht in genügender Weise zu belegen vermag, dass die im „CASH” vom 11. Februar 1994 veröffentlichte Information bezüglich Nebenwirkungen von Prozac Ziff. 1 und 3 der „Erklärung der Pflichten und Rechte des Journalisten” verletzt.
b) Ohnehin fällt vorliegend vor allem ins Gewicht, dass der Artikel in „CASH” in erster Linie die wirtschaftlichen Aspekte, insbesondere die Entwicklung des Umsatzes von Prozac, beleuchten wollte. Dies ist es auch, was die Leser von „CASH”, einer Wirtschaftszeitung, in erster Linie interessiert. Würde der Presserat der Argumentation der Beschwerdeführerin folgen, wonach in einem journalistischen Bericht über ein Medikament immer sämtliche – auch kritische – Meinungen zu berücksichtigen seien, um der berufsethischen Forderung einer vollständigen Berichterstattung zu genügen, würde dies dazu führen, dass es nicht mehr möglich wäre, allein über die wirtschaftlichen Aspekte eines Medikamentes zu schreiben. Nach Auffassung des Presserates kann Ziff. 3 der „Erklärung der Pflichten und Rechte des Journalisten” (…Er unterschlägt keine wichtigen Elemente von Informationen und entstellt weder Tatsachen und Dokumente noch von andern geäusserte Meinungen”) nicht so weit interpretiert werden. Vielmehr ist es aus berufsethischer Sicht durchaus möglich, sich auf eine Berichterstattung einzelner Aspekte eines Themas zu beschränken.
c) Wer sich wie der „CASH”-Artikel auf die wirtschaftlichen Aspekte eines medizinischen Gegenstandes beschränkt, hat jedoch darauf achtzugeben, dass der medizinische Aspekt nicht verkürzt und ungenau wiedergegeben ist. Zwar sind die Nebenwirkungen von „Prozac” von „CASH” etwas salopp abgehandelt worden, doch kann, wie bereits oben in Abschnitt a) ausgeführt, keine Rede davon sein, dass damit Ziff. 1 (Wahrheitspflicht) oder Ziff. 3 (Vollständigkeit der Berichterstattung) der „Erklärung der Pflichten und Rechte des Journalisten” verletzt worden wären.
d) Nachdem eine Verletzung von Ziff. 1 und 3 der „Erklärung der Pflichten und Rechte des Journalisten” vorliegend zu verneinen ist, ergibt sich aus berufsethischer Sicht auch keine Pflicht, den „CASH”-Artikel i.S. von Ziff. 5 der „Erklärung der Pflichten und Rechte des Journalisten” zu berichtigen.
III. Feststellungen
Aus diesen Gründen hält der Presserat fest:
1. Aus Ziff. 3 der „Erklärung der Pflichten und Rechte des Journalisten” (“…Er unterschlägt keine wichtigen Elemente von Informationen und entstellt weder Tatsachen und Dokumente noch von andern geäusserte Meinungen”) kann nicht abgeleitet werden, dass bei einer Berichterstattung über ein Medikament unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten immer sämtliche medizinische Meinungen wiederzugegeben sind, um der berufsethischen Forderung einer vollständigen Berichterstattung zu genügen. Vielmehr ist es aus berufsethischer Sicht durchaus möglich, sich auf eine Berichterstattung über einzelne Aspekte eines Themas zu beschränken.
2. Wer sich bei der Berichterstattung über einen medizinischen Gegenstand auf dessen wirtschaftliche Aspekte beschränkt, hat jedoch darauf achtzugeben, dass der medizinische Aspekt nicht verkürzt und ungenau wiedergegeben wird. Im zu beurteilenden Fall verneinte der Presserat eine entsprechende Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht.