Stellungnahme
Die Wirtschaft kann sich dem öffentlichen Interesse nicht ent-ziehen. In einer Zeit, in der immer wieder betont wird, dass die Bedeutung der Wirtschaft jene der Politik längst in den Schat-ten gestellt hat, gilt die Kritik- und Kontrollfunktion der Me-dien auch gegenüber der Wirtschaft. Grosse Unternehmen, die für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie für Konsumen-tinnen und Konsumenten eine wichtige Rolle spielen, sind deshalb zu Recht Gegenstand kritischer Medienrecherchen. Unternehmen, die auf die Publikation von Jahresrechnungen und Bilanzen verzichten, sich abschotten und nur spärlich Aus-kunft geben, müssen es sich selber zuschreiben, wenn sich die Massenmedien auf Informanten stützen, deren Namen sie wegen des Informantenschutzes nicht nennen können oder wollen, und allenfalls auf Spekulationen angewiesen sind. Prise de position L’économie ne peut pas se soustraire à l’intérêt que lui porte le public. A une époque, où l’on est souligne régulièrement que l’économie a éclipsé depuis longtemps en importance la poli-tique, la fonction critique et de contrôle des médias s’applique également à l’économie. Les grandes entreprises, qui jouent un rôle important pour les travailleurs ainsi que pour les con-sommateurs, sont a juste titre l’objet de recherches critiques de la part des médias. Les entreprises, qui renoncent à la publication des comptes an-nuels et bilans, qui se protègent et qui informent peu, ne peu-vent s’en prendre qu’à elles-mêmes lorsque les médias s’ap-puient sur des informateurs dont ils ne veulent ou ne peuvent pas révéler le nom en raison de la protection des sources et se trouveraient autrement conduits à spéculer. Presa di posizione L’economia non può sottrarsi all’interesse dell’opinione pub-blica. Quando poi si consideri che l’economia per importanza ha messo in ombra persino la politica, la funzione di critica e di controllo dei mass media non può non estendersi al mondo economico. Le grandi imprese per numero di dipendenti o di clienti sono oggetto normale della ricerca critica dei mass me-dia. Aziende che non pubblicano i propri resoconti annuali o i bilanci, si isolano oppure informano pochissimo su di sé, devono rimproverare solo se stesse quando i mass media diano notizie senza precisarne la fonte, perché non possono o non vogliono rivelare il nome dell’informatore. Chi non pratica una politica aperta d’informazione si espone a tutte le specula-zioni. |
I. Sachverhalt
A. Am 30. März 1997 veröffentlichte die „SonntagsZeitung“ einen Artikel über den Denner-Konzern, der Umstellungen im Management, die Rolle von Verwaltungsratspräsident Karl Schweri sowie den Geschäftsgang des Discoun-ters beleuchtete. Insbesondere taxierte Autor René Staubli den Übergang der operativen Führung von Karl Schweri an Adrian Beeler nicht als Machtzu-wachs, sondern als Machtverlust Beelers, da ihm wichtige Bereiche des Kon-zerns nicht mehr unterstellt seien. Schweri baue mit dem ihm eigenen Füh-rungsstil sein Imperium um. Dabei hätten verschiedene Manager über die Klinge springen müssen. Der Denner Konzern stecke tief in den roten Zahlen; die Marktanteile brächen ein.
B. Am 7. April 1997 reagierten Alexander Galliker, Generalsekretär, und Martin Isenschmid, Generaldirektor der Denner AG mit einer Beschwerde an den Presserat gegen diesen Artikel. Gleichzeitig liess der Denner-Konzern in der Schweizer Presse ein Inserat unter dem Titel „Richtigstellung und Anzeige an den Schweizerischen Presserat betreffend den Artikel über Karl Schweri und den Denner-Konzern in der SonntagsZeitung vom 30. März 1997“ erscheinen. Während im Inserat der Presserat ersucht wurde, zu prüfen, ob die „Sonntags-Zeitung“ in ihrer Berichterstattung „die für Journalisten geltenden ethischen Regeln verletzt“ habe, führten die Denner-Verantwortlichen in der ausführlichen Begründung ihrer Beschwerde vom 29. April 1997 ganze 25 Stellen des Artikels an, die ihrer Ansicht nach gegen Ziffer 3 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ verstossen („…Sie unterschlagen keine wichtigen Elemente von Informationen und ent-stellen weder Tatsachen, Dokumente und Bilder noch von andern geäusserte Meinungen…“), eine der Stellen auch gegen Ziffer 7 („Sie respektieren die Privatsphäre des einzelnen, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt…“).
C. Alexander Galliker und Martin Isenschmid von der Denner AG argumen-tierten im wesentlichen, Adrian Beeler sei nicht in Ungnade gefallen und nicht entmachtet worden, zumal er operativer Chef des Unternehmens sei und ihm auch das Inspektorat unterstellt sei. Denner müsse nicht aus grösster Not geret-tet werden, da sich das Unternehmen nicht in Schieflage befinde. Der Reinge-winn gemäss Steuererklärung sei von 2,8 Millionen im Jahre 1994 auf 5,2 Millionen im Jahre 1996 gewachsen. Der Rückgang der Umsätze sei auf die Sortimentsumstellungen und Preisreduktionen zurückzuführen. Es treffe nicht zu, dass der Konzern auf professionelle Marktbeobachtungen verzichte. 1996 habe es eine Filialbefragung gegeben, 1997 wieder. Es stimme nicht, dass Franz Carl Weber-Generaldirektor Otto Zimmerli nicht über seine bevorste-hende Absetzung informiert worden sei; es sei auch falsch, dass er gestolpert sei, weil er bei einem Personalgeschäft keine Rücksicht auf Beziehungen zur Familie Schweri genommen habe. Der 80jährige Karl Schweri sei übrigens entgegen den Behauptungen der „SonntagsZeitung“ bei ausgezeichneter Ge-sundheit.
D. Der Presserat überwies den Fall der ersten Kammer, der Roger Blum als Präsident und Sylvie Arsever, Piergiorgio Baroni, Sandra Baumeler, Klaus Mannhart und Enrico Morresi als Mitglieder angehören. Die Kammer trat auf die Beschwerde ein und forderte die „SonntagsZeitung“ zu einer Stellungnahme auf. Diese traf am 19. Juni ein.
E. Chefredaktor Ueli Haldimann und Redaktor René Staubli von der „SonntagsZeitung“ replizierten, die Rückstufung Adrian Beelers sei offensicht-lich, da er nur noch operativer Chef der Denner AG sei und im Zuge einer Restrukturierung die Zuständigkeit für die Waro (wo er im Verwaltungsrat sass), für Franz Carl Weber, für die Wallace-Apotheken und für Babycare verlo-ren habe, nachdem er sich noch ein knappes Jahr zuvor als der oberste Manager eines Konzerns bezeichnet habe, zu dem Denner, Waro, FCW und weiteres gehöre. Es treffe zwar zu, dass das Inspektorat Beeli unterstellt sei (was fälsch-licherweise in der „SonntagsZeitung“ stand, weil ein sonst zuverlässiger In-formant dies so darstellte), aber die anderen wichtigen Führungsinstrumente seien eben Schweri und nicht Beeler unterstellt. Dass Denner den operativen Gewinn habe steigern können, bestreitet die „SonntagsZeitung“, denn dies sei nicht möglich, wenn ein Unternehmen das Sortiment reduziere, die Preise senke und an Umsatz einbüsse (was nicht bestritten werde), da dies die Margen senke und den prozentualen Anteil der Fixkosten erhöhe. Die Filialbefragun-gen, die Denner durchgeführt habe, seien keine professionellen Markbeobach-tungen. FCW-Chef Zimmerli sei erst nach der entscheidenden Verwaltungs-ratssitzung über seine Absetzung informiert worden.
Vor allem aber unterstrichen die Verantwortlichen der „SonntagsZeitung“, dass Denner über bedeutende interne Vorgänge nicht informiere und auf Medienan-fragen mit Dementis, spärlichen Einzelinformationen und Floskeln reagiere. Die Mitarbeiter würden arbeitsvertraglich verpflichtet, keine Zahlen nach au-ssen dringen zu lassen. Denner bestreite ein öffentliches Interesse an Zahlen und Fakten des Konzerns und verzichte auf die Publikation von Jahresrechnung und Bilanz. Ein öffentliches Interesse sei indessen wegen der möglichen Konsequenzen einer Missw
irtschaft unbestreitbar. Das Bundesgericht habe schon vor bald 90 Jahren festgestellt, dass es Aufgabe der Medien sei, „über ökono-mische Ereignisse“ und „über die Öffentlichkeit beschäftigende Probleme“ zu berichten (BGE 37 I 388).
II. Erwägungen
1. Nach dem Buchstaben des Presserats-Reglements sind natürliche Personen beschwerdeberechtigt. Der Presserat hat aber diese Bestimmung stets weit aus-gelegt und auch Beschwerden akzeptiert, die zwar von natürlichen Personen unterzeichnet waren, aber eigentlich im Namen einer Organisation, einer Be-hörde oder einer Unternehmung eingereicht wurden. So hat er beispielsweise Beschwerden der Migros, des Eidgenössischen Militärdepartementes, ja selbst des Bundesrates zugelassen. Er möchte die Beschwerdemöglichkeit vor dem Presserat so formlos wie nur möglich belassen und den Rahmen weit stecken. Er fände es allzu billig, wenn er dauernd Beschwerden bloss wegen Formfehler abwiese. Darum lässt er im Sinne seiner Praxis auch die Beschwerde von Alexander Galliker und Martin Isenschmid im Namen der Denner AG zu.
2. Der Presserat überprüft, ob die „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ durch die „SonntagsZeitung“ in irgend einem Punkt verletzt worden ist. Aber er beschränkt sich auf die wichtigen Fragen und geht nicht auf Lappalien ein. Und er muss dort, wo der Denner-Konzern keine Zahlen veröffentlicht und keine Transparenz herstellt, auf ein Urteil ver-zichten. Ein Konzern, der die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat und weiterhin eine Informationspolitik des 19. Jahrhunderts betreibt, muss es sich selber zuschreiben, wenn über interne Vorgänge und Sachverhalte spekuliert wird und wenn der Presserat sich ausserstande sieht, herauszufinden, welche Sachbehaup-tung die richtige ist. Dem Presserat bleibt in einer solchen Situation nur üb-rig, „in dubio pro reo“ zu entscheiden.
Umso mehr ist zu unterstreichen, wie wichtig eine offene Informationspolitik auch der Wirtschaftsunternehmen ist. Die Wirtschaft kann sich dem öffentli-chen Interesse nicht entziehen. Die Menschen, die Arbeit suchen oder ihre Stelle nicht verlieren wollen, die sich um ihr Gespartes sorgen oder wissen wollen, ob die Konjunktur wieder anzieht, die Geschäfte machen oder Produkte kaufen, sie interessieren sich lebhaft für die Unternehmen. In einer Zeit, in der immer wieder betont wird, dass die Bedeutung der Wirtschaft jene der Politik längst in den Schatten gestellt hat, ist es logisch, dass die Kritik- und Kon-trollfunktion der Medien auch gegenüber der Wirtschaft gilt und dass die Me-dienschaffenden dort, wo keine Transparenz herrscht, investigativ recherchieren.
3. Die Frage, ob Karl Schweri, der Verwaltungsratspräsident des Denner-Kon-zerns, den operativen Chef Adrian Beeler befördert oder zurückgestuft hat, lässt sich nicht eindeutig entscheiden. Formal ist Beeler sicher nicht entmachtet worden, denn er blieb ja operativer Chef, also an der Spitze zumindest eines Teils des Unternehmens. Es ist daher falsch und ein Verstoss gegen die Wahr-heitspflicht, zu behaupten, Beeler sei „in Ungnade gefallen“. Wer in Ungnade fällt, muss abtreten. Beeler aber blieb auf verantwortungsvollem Posten. Doch ist es zulässig, von einer Zurückstufung zu reden. Denn es trifft zu, dass sich Beeler noch 1996 als oberster Manager eines Konzerns bezeichnete, zu dem Denner, Waro, Franz Carl Weber und anderes gehören, und dass im März 1997 Franz Carl Weber, Babycare und Wallace-Apotheken zu Waro kamen, aus deren Führung Beeler aussschied. Und es ist richtig, dass Beeler nur die Konzern-bereiche Immobilien und Inspektorat dirigiert. Aspekte der Entmachtung oder Zurückstufung sind unverkennbar. Der „SonntagsZeitung“ kann daher lediglich angekreidet werden, dass sie mit der „Ungnade“ der Wahrheit Gewalt antat und in Bezug auf die Unterstellung des Inspektorats eine Falschmeldung weitergab. Und es kann ihr vorgeworfen werden, dass sie die Dementis von Generalsekre-tär Alexander Galliker nicht referierte.
4. Die Frage, ob es Denner wirtschaftlich gut oder schlecht geht, lässt sich noch weniger mit eindeutigen Zahlen belegen. Die von Denner präsentierten Zahlen der Steuerwerte und Buchwerte sagen zu wenig über den tatsächlichen Geschäftsgewinn. Der Presserat hat die (spärlich vorhandenen) Unterlagen, vor allem auch die Argumentationen in Beschwerde und Beschwerdeantwort, auch Prof. Dr. Ernst Baltensperger vom Volkswirtschaftlichen Institut der Universi-tät Bern vorgelegt. Er kam zum Schluss, dass die Argumentation der „SonntagsZeitung“ mehr überzeuge. Denn wenn das Sortiment reduziert und die Preise gesenkt werden und dann der Umsatz zurückgehe, dann könne etwas nicht stimmen. Bei einem solchen Vorgang müsste der Umsatz steigen. Der Presserat hält auch in der Frage der Werbekampagnen und der Marktbeobach-tung die Argumentation der „SonntagsZeitung“ für vertretbar: Teils ergeben sich ihre Ausführungen logisch aus den Fakten, teils handelt es sich um Ein-schätzungen, die sich auf Expertenmeinungen stützen (beispielsweise der mög-liche Verkauf an Aldi). Generell gilt, dass ein Medium auch Vermutungen wiedergeben darf, wenn es klar offenlegt, wer sie äussert. Es ist immer mög-lich, zu sagen: „Der Analyst X , der Experte Y, die ehemalige Managerin Z (oder Intimkenner des Unternehmens) sind der Meinung, dass…“. Dabei dürfen Namen nur dann nicht genannt werden, wenn der Informantenschutz dies ver-langt.
5. Die Frage, ob die „SonntagsZeitung“ mit dem Hinweis auf Beziehungen zwischen der entlassenen Dekorationsleiterin von Franz Carl Weber und der Familie Schweri die Privatsphäre von drei beteiligten Personen verletzt worden sei, lässt sich vorsichtig bejahen. Denn es ist in diesem Zusammenhang nicht nötig, Namen zu nennen und mit Altersangaben eine Beziehung in ein schiefes Licht zu rücken. Es hätte genügt zu sagen, dass der Sohn der Dekorations-leiterin der Lebenspartner einer Schweri-Tochter ist. Hingegen verletzen die Informationen über Karl Schweri keine Ziffern der „Erklärung“. Sie stützen sich offensichtlich auf Angaben von Insidern, auch wenn das nicht jedesmal klar deklariert ist. Auch hier fehlen jedoch die Dementis von Denner-General-sekretär Alexander Galliker.
III. Feststellungen
1. Unternehmen, die auf die Publikation von Jahresrechnungen und Bilanzen verzichten, sich abschotten und nur spärlich Auskunft geben, müssen es sich selber zuschreiben, wenn sich die Massenmedien auf Informanten stützen, deren Namen sie wegen des Informantenschutzes nicht nennen können oder wollen, und allenfalls auf Spekulationen angewiesen sind. Grosse Unterneh-men, die für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie für Konsumentinnen und Konsumenten eine wichtige Rolle spielen, sind zu Recht Gegenstand kri-tischer Medienrecherchen. Zu diesen Unternehmen gehört auch der Denner-Konzern.
2. Die „SonntagsZeitung“, die auf Einschätzungen von Informanten angewie-sen war, ist insgesamt korrekt verfahren. Sie hatte insbesondere gute Gründe, die Personalpolitik kritisch zu beleuchten, den Führungsstil Karl Schweris zu beschreiben und die wirtschaftlich kritische Lage zu thematisieren.
3. Sie war aber in vier Punkten unsorgfältig: – Mit der Behauptung, Adrian Beeler sei „in Ungnade gefallen“, hielt sie sich nicht an die Wahrheit (Verletzung von Ziffer 1 der „Erklärung“). – Mit der Mitteilung, das Inspektorat sei Beeler nicht unterstellt, entstellte sie eine Tatsache (Verletzung von Ziffer 3 der „Erklärung“). – Mit Details über die Beziehung der FCW-Dekorationsleiterin zur Familie Schweri griff sie unnötig in die Privatsphäre ein (Verletzung von Ziffer 7 der „Erklärung“). – Mit der Unterlassung, die Dementis des Denner-Konzerns mitzuteilen, infor-mierte sie nicht vollständig (Verletzung von Ziffer 3 der „Erklärung“).