I. Sachverhalt
A. Im Heft Nr. 15 (14. bis 20. April 2001) veröffentlichte «Das Magazin» eine ganzseitige Karikatur von Manfred Deix zur Rekonstruktion des Kopfes Jesu Christi per Computer. Der Kopf war von einem Experten für gerichtsmedizinische Rekonstruktionen für die BBC-Sendung «Gottes Sohn» hergestellt worden. Reuters verbreitete eine Fotografie des Phantom-Kopfes, die ein bäuerliches Gesicht mit einer kräftigen Nase, dunklem Teint, Bart und kurzgeschnittenem, dichtem dunklem Haar zeigt. Dieses Foto ist im «Magazin» abgebildet und stellt den Ausgangspunkt für die Karikatur von Manfred Deix dar. Sie besteht aus einer Folge von sechs Bildern, die das Aussehen Jesus’ auf der Reutersfotografie variieren. Jesus wird in verschiedenen Situationen seines Lebens gezeigt, wie die jeweiligen Sprechblasen («Deine Sünden sind dir vergeben. Gehe hin in Frieden!», «Mein Vater, lass diesen Kelch an mir vorübergehen!» etc.) deutlich machen. Gemeinsam ist den sechs Zeichnungen, dass sie Jesus mit einer Schnapsnase, fettigem Haar, stierem Blick und einer Gestik zeigen, die ihn als Säufer ausweisen. Unter dem Cartoon heisst es in der Legende: «Die Rekonstruktion des Kopfes Jesu Christi per Computer weicht vom überlieferten Jesusbild ab (Bild links oben). Also: Wie hat der Erlöser nun tatsächlich ausgesehen?»
B. E. reichte am 12. Mai 2001 beim Presserat Beschwerde ein, weil sein Leserbrief zur Karikatur von Manfred Deix vom «Magazin» nicht abgedruckt worden war. In diesem Leserbrief weist E. darauf hin, dass die Verhöhnung zentraler christlicher Glaubensinhalte, wie sie die Karikatur von Manfred Deix darstelle, strafbar sei. Artikel 261 des Strafgesetzbuches bedrohe mit Strafe, «wer öffentlich und in gemeiner Weise die Überzeugung anderer in Glaubenssachen, insbesondere den Glauben an Gott, beschimpft oder verspottet…». «Das Magazin» werde einer Verurteilung vermutlich nur mangels Kläger entgehen. Dies, so E. weiter, «müsste mich zwar als Nichtgläubigen nicht berühren». Als Staatsbürger störe er sich aber daran, dass es die Redaktion «nie wagen» würde, «die Bedeutung von Jom Kippur oder des 27. Ramadan derart geschmack- und geistlos zu kommentieren», weil ihr in diesen Fälle eine Klage sicher wäre.
C. Das Präsidium des Presserates wies die Beschwerde zur Behandlung an die erste Kammer. Diese setzt sich aus Kammerpräsident Peter Studer sowie den Mitgliedern Marie-Louise Barben, Silvana Iannetta, Katharina Lüthi, Edy Salmina, und Philip Kübler zusammen.
D. Die Beschwerdegegnerin beantragte mit Eingabe vom 28. Juni 2001 die Abweisung der Beschwerde. «Das Magazin» habe auf den Abdruck des Leserbriefes von E. verzichtet, weil grundsätzlich keine presseethische Pflicht bestehe, Leserbriefe abzudrucken. Zur Karikatur von Manfred Deix seien 65 Zuschriften mit kritischen bis empörten Reaktionen eingegangen. Um möglichst viele dieser Leserbriefe abzudrucken zu können, habe «Das Magazin» in der Nr. 18, vom 5. bis 11. Mai 2001, drei statt wie üblich nur zwei Seiten für Leserbriefe zur Verfügung gestellt. Insgesamt seien neun Zuschriften abgedruckt worden. Viele Wortmeldungen, die auch mit gutem Grund hätten veröffentlicht werden können, hätten keinen Platz mehr gehabt, darunter auch der Leserbrief von E. Es stimme zwar, dass sich der Hinweis auf den Strafgesetzbuchartikel in keinem der abgedruckten Leserbriefe finde. Die beklagte Verletzung der religiösen Würde sei aber in verschiedenen der abgedruckten Zuschriften zur Sprache gekommen. Auch die Vermutung, dass die Redaktion nie wagen würde, andere Glaubensrichtungen vor den Kopf zu stossen, sei in den abgedruckten Zuschriften enthalten gewesen. Ferner wies die Beschwerdegegnerin darauf hin, dass «Das Magazin» den Leserbrief des Beschwerdeführers am 2. Mai 2001 mit einem ausführlichen persönlichen Brief des Chefredaktors beantwortet und also nicht einfach ignoriert und weggeworfen habe.
E. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 15. August 2001 sowie auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. Nach ständiger Praxis des Presserates, sind Redaktionen nicht verpflichtet, Leserbriefe zu veröffentlichen, sondern können frei über den Abdruck entscheiden (vgl. zuletzt die Stellungnahmen 20/2001 vom 11. Mai 2001 in Sachen S. & Co. c. «Blick»; 4/2001 vom 15. Januar 2001 in Sachen R. c. «Tages-Anzeiger» sowie 1/2001 vom 15. Januar 2001 in Sachen L. c. NZZ). Dementsprechend konnte «Das Magazin» ohne weiteres darauf verzichten, den Leserbrief von E. zu publizieren. Allerdings hat der Presserat darauf hingewiesen, ein grosszügiger Umgang mit Leserbriefen sei wünschenswert, um den Zugang zum öffentlichen Diskurs möglichst breiten Kreisen zu ermöglichen (vgl. die Stellungnahme 16/2001 vom 1. März 2001 in Sachen F. c. «Basler Zeitung»). Nach eigenen Angaben hat «Das Magazin» 65 meist kritische oder gar empörte Reaktionen auf die Deix-Karikatur erhalten. Es liegt auf der Hand, dass nicht alle Zuschriften publiziert werden konnten, sondern eine Auswahl getroffen werden musste. Mit dem Abdruck von immerhin neun Zuschriften, in denen verschiedene Argumente zum Zug kamen, hat «Das Magazin» der Empfehlung des Presserates entsprochen, beim Abdruck von Leserbrief grosszügig zu sein. Die Beschwerde erweist sich dementsprechend in diesem Punkt als offensichtlich unbegründet.
2. Der Presserat hat sich ausschliesslich zur Interpretation des berufsethischen Kodex, nicht dagegen zur Auslegung von Rechtsnormen zu äussern (vgl. z.B. die Stellungnahme 16/2001 vom 1. März 2001 in Sachen F. c. «Basler Zeitung»). Auf die indirekt aufgeworfenen Frage, ob sich «Das Magazin» mit der Publikation der Deix-Karikatur im Sinne von Artikel 261 des Strafgesetzbuches strafbar gemacht hat, kann deshalb von vornherein nicht eingetreten werden.
3. a) Die Karikatur ist eine gezeichnete Form der Satire. In der Stellungnahme 37/2000 in Sachen Ogi c. «Zeit-Fragen» vom 3. November 2000 (Sammlung 2000, S. 277ff.) hat der Presserat festgestellt, dass das Recht auf Satire zur Meinungsäusserungsfreiheit gehört. Satire ist eine kommentierende journalistische Darstellungsform. Im Unterschied zum eigentlichen Kommentar darf sie aber nicht nur überspitzen, sondern auch übertreiben. Sie geniesst einen weiteren Spielraum als andere journalistische Darstellungsformen. Doch auch bei der Satire sind die Grenzen des Erlaubten dort erreicht, wo die Wahrheitspflicht verletzt wird. Spott ist erlaubt, doch nur insoweit, als über etwas im Kern Wahres gespottet wird. Die Satire – und ebenso wenig die Karikatur – darf sich ihren Gegenstand nicht durch eine freie Erfindung schaffen.
b) Im vorliegenden Fall der Karikatur von Manfred Deix ist dieser reale Bezugspunkt gegeben. Der Phantom-Kopf mit seinem – gemessen an den bisherigen, meist religiös motivierten verklärenden Christus-Darstellungen – irritierenden Aussehen der Christusfigur ist ein Abbild einer wissenschaftlich motivierten Computerrekonstruktion. Diese wurde vom Gerichtsmediziner Richard Neave von der Universität Manchester mit Hilfe eines Schädels hergestellt, der von Strassenbauern in Jerusalem gefunden worden war. Israelische Archäologen stellten fest, dass es sich beim zugehörigen Skelett um das eines Juden aus dem 1. Jahrhundert handelt (vgl. entsprechende Presseberichte vom 28. März 2001).
c) Der Presserat hat bereits früher (vgl. Stellungnahme 8/1996 vom 7. November 1996 in Sachen EMD c. «Nebelspalter») darauf hingewiesen, dass kein Thema a priori von der journalistischen Bearbeitung ausgenommen ist – auch nicht in Form der Satire: «Der grundsätzlichen Freiheit der Satire sind jedoch berufsethische Grenzen gesetzt, soweit andere durch satirische Beiträge betroffene Interessen im Einzelfall schwerer wiegen.» E. macht in seiner Beschwerde indirekt geltend, die «Magazin»-Redaktion habe mit der Publikation der Deix-Karikatur gegen
die «religiöse Würde» verstossen. In Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» heisst es unter anderem: «Sie respektieren die Menschenwürde und verzichten in ihrer Berichterstattung in Text, Bild und Ton auf diskriminierende Anspielungen, welche die ethnische oder nationale Zugehörigkeit, die Religion, das Geschlecht, die sexuelle Orientierung, Krankheiten sowie körperliche oder geistige Behinderung zum Gegenstand haben.»
d) Thema der Deix-Karikatur ist die Rekonstruktion des Christus-Kopfes. Darauf weist auch die darunter stehende Legende hin. Mit seiner Darstellung vom Sohn Gottes als Bauerntölpel führt er die Debatte um das Aussehen Christi bzw. das Abbild Gottes ad absurdum. Obwohl nachzuvollziehen ist, dass die Vorstellung von Jesus Christus als Trunkenbold für gläubige Christen ein Sakrileg darstellt, kann der Karikatur aber nicht unterschoben werden, dass sie sich über den christlichen Glauben lustig macht. Sie zielt auch nicht auf einzelne Anhänger des christlichen Glaubens ab. Eine Verletzung von Ziff. 8 der «Erklärung» durch die «Magazin»-Redaktion ist deshalb zu verneinen.
III. Feststellung
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.