I. Sachverhalt
A. Am 14. Mai 2001 gelangte A. an den Presserat und beschwerte sich über den Artikel «Mann und Frau – Der grosse kleine Unterschied» von Thomas Laqueur, der im NZZ-Folio Nr. 7/2000 im Juli 2000 erschienen war. Der Autor legte darin unter Berufung auf verschiedene Quellen dar, wie sich die Wahrnehmung der beiden Geschlechter im Laufe der Geschichte entwickelt habe. Gemäss seiner Darstellung sah man von der Antike bis ins 18. Jahrhundert keinen biologischen Gegensatz der Geschlechter, sondern vielmehr nur «ein einziges Geschlecht in zwei Ausformungen: einer vollkommeneren und weniger vollkommeneren, einer Ðheisserenð und einer Ðkälterenð, einer männlichen und einer weiblichen.» Im 18. Jahrhundert habe sich jedoch diese Auffassung zu ändern begonnen. «Männer – und in geringerem Masse auch Frauen – fingen an, ihre Körper als Vertreter zweier entgegengesetzter Geschlechter zu interpretieren. Der weibliche Orgasmus und überhaupt das weibliche Geniessen (…) wurden plötzlich in Frage gestellt. (…) Als Gründe für diesen Wandel nennt Laqueur die Ablösung der Metaphysik durch die Biologie «als letzte Instanz, um über alle Fragen zu Wesen und Möglichkeiten von Frau und Männern zu urteilen». Zudem sei die Zwei-Geschlechter-Theorie politisch dazu gebraucht worden, die männliche Vorherrschaft ungeachtet der Ideale der französischen Revolution zu erhalten. Die Geschichtsschreibung lehre, dass die je aktuelle Betrachtungsweise unserer – männlichen und weiblichen – Körper weit weniger von unserem Wissenstand abhänge als davon, welcher soziale und politische Nutzen sich aus diesem Wissen ziehen lasse.
B. Mit Schreiben vom 14. Mai 2001 beschwerte sich A. über den Artikel von Laqueur. Es sei mit der Pflicht zur Wahrheitssuche (Ziff. 1.1 der Richtlinien zur «Erklärung») nicht vereinbar, wenn in einem solchen Beitrag bloss «überlieferte Gemeinplätze» wiedergegeben und die neuere Geschlechts – und Genderforschung ausgeblendet werde. Eine solche Darstellung der Geschlechter mit quasi wissenschaftlichem Anspruch entziehe sich der Überprüfbarkeit und drücke bloss die Meinung des Autors aus, seine historischen Auffassungen über die Geschlechter seien heute noch (allgemein-)gültig. Das Publikum sehe sich so nicht in der Lage, zwischen Fakten und der persönlichen Meinung des Autors zu unterscheiden (Richtlinie 2.3). Weil auf die Falsifizierung der im Artikel wiedergegebenen wahrheitswidrigen Klischees verzichtet worden sei, verletze der Autor zudem Ziff. 3 der «Erklärung» (Entstellung von Tatsachen). Im beanstandeten Artikel seien schliesslich «zahlreiche diskriminierende Anspielungen» zu finden, die Frauen auf Grund ihres Geschlechts abwerteten. So etwa die Passage «(…) Eine Befruchtung wird daher notwendig von einem männlichen Orgasmus begleitet, während der weibliche Orgasmus, so angenehm er auch sein mag, eher schmückendes Beiwerk bleibt (…)».
C. Gemäss Art. 9 Abs. 3 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates sind offensichtlich unbegründete Beschwerden durch das Presseratspräsidium zurückzuweisen.
D. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 24. August 2001 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Es kann nicht Sache des Presserates sein, zu wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen inhaltlich Stellung zu nehmen, wie vorliegend zu den Fragen der biologisch bestimmten Unterschieden der Geschlechter und zur angeblich unterschiedlichen Funktion von weiblichem und männlichem Orgasmus (vgl. zuletzt die Stellungnahme i.S. V. c. «Tages-Anzeiger» vom 26. April 2000, Sammlung 2000, S. 106ff.). Dementsprechend muss in diesem Verfahren eine Stellungnahme zur Rüge betreffend der angeblichen Unwahrheit der historischen Darstellungen des Autors von vornherein unterbleiben.
2. Der Presserat hat in der Stellungnahme i.S. K. c. NZZ (vom 30. August 2000, Sammlung 2000, S. 205ff.) darauf hingewiesen, dass an die «Wissenschaftlichkeit» von tagesaktuellen Medien nicht die gleich hohen Anforderungen gestellt werden können wie bei wissenschaftlichen Zeitschriften. Das NZZ-Folio erscheint zwar nur einmal monatlich, ist davon abgesehen aber trotzdem eine Zeitschrift, die sich an ein breites Publikum und nicht an Fachleute richtet. Unter diesen Umständen erscheint es von vornherein unhaltbar, von Autor und Redaktion einen wissenschaftlich fundierten, mit genauen Quellen belegten Artikel zu verlangen. Die Beschwerdeführerin räumt selber ein, dass gemäss der Praxis des Presserates aus der «Erklärung» keine Pflicht zu «objektiver» Berichterstattung abgeleitet werden kann. Dementsprechend ist es berufsethisch im Lichte der Meinungsäusserungsfreiheit (Ziff. 2 der «Erklärung») zulässig, auch einseitige Standpunkte zu gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Themen in einer für Laien verständlichen Weise zu publizieren.
3. Auch soweit die Beschwerdeführerin rügt, der Autor hätte sich nicht mit der Wiedergabe historischer «Gemeinplätze» begnügen dürfen, sondern auch den Stand der aktuellen Forschung darstellen müssen, kann ihr nicht gefolgt werden. Der Presserat hat bereits in seiner Stellungnahme i.S. CCHR Schweiz c. «CASH» (Stellungnahme vom 7. November 1994, Sammlung 1994, S. 85ff.) darauf hingewiesen, aus Ziff. 3 der «Erklärung» könne nicht abgeleitet werden, dass bei einer Berichterstattung über ein Medikament unter wirtschaftlichen Aspekten immer sämtliche medizinischen Meinungen wiederzugeben sind, um der Forderung nach einer vollständigen Berichterstattung zu genügen. Ebensowenig kann von einem Artikel, der die geschichtliche Entwicklung der Wahrnehmung der Geschlechter thematisiert, erwartet werden, dass darin zusätzlich der aktuelle Forschungsstand referiert wird. Darüber hinaus ist für die Leserschaft ohne weiteres ersichtlich, auf welchen historischen Fakten – wie anfechtbar die damaligen «Wahrheiten» aus heutiger Sicht auch immer sein mögen – die Hauptthese des Autors beruht: Es geht ihm um die Relativierung historischer «Wahrheiten».
4. Schliesslich vermag der Presserat zwar nachzuvollziehen, wenn die Beschwerdeführerin die hinsichtlich einer Verletzung von Ziff. 8 der «Erklärung» vorgebrachten Beispiele subjektiv als gegenüber dem weiblichen Geschlecht abwertend empfindet. Das Verbot diskriminierender Anspielungen darf aber nach Auffassung des Presserates nicht derart ausdehnend interpretiert werden, dass die Meinungsäusserungsfreiheit bei diesem Thema immer einer strengen «sexual correctness» Rechnung zu tragen hat. Dementsprechend ist für die Annahme einer Verletzung von Ziff. 8 der «Erklärung» eine Mindestintensität einer abwertenden Äusserung (vorliegend gegenüber dem weiblichen Geschlecht) zu verlangen, damit von einer Herabwürdigung oder Diskriminierung im Sinne dieser Bestimmung die Rede sein kann.
Ohnehin legt der beanstandete Artikel entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin keinerlei «Beweise» für eine angebliche Minderwertigkeit des weiblichen Geschlechts vor. Er berichtet lediglich, das männliche Geschlecht habe in verschiedenen Phasen der Geschichte verschiedene Erklärungen gefunden, um solch eine angebliche Minderwertigkeit zu «belegen».
III. Feststellungen
Die Beschwerde wird als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.