Nr. 28/2001
Verwechslung von Zitaten

(W. c. «SonntagsBlick») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 6. Juni 200

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I. Sachverhalt

A. Am 25. Februar 2001 erschien im «SonntagsBlick» unter dem Obertitel «Das organisierte Verbrechen» ein Artikel von Sandro Brotz und Beat Kraushaar mit der Überschrift «Schweizer Schmuggler: Blutspur zu Milosevic». Darin geht es um einen in Athen wohnhaften Serben namens Vladimir Bokan, der am 7. Oktober 2000 ermordet worden war. Er soll ein enger Freund des gestürzten jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic gewesen sein. Gegen Bokan wurde wegen Geldwäscherei und Waffenhandel ermittelt.

Bokan soll laut dem Artikel auch Geschäfte mit Schweizer Zigarettenschmugglern gemacht haben. Der deutsche Staatsanwalt Hans-Jürgen Kolb habe gegenüber «SonntagsBlick» bestä-tigt, dass er gegen drei Schweizer ermittle. «SonntagsBlick weiss, wer die drei Verdächtigen sind», heisst es im Artikel. Diese werden mit Initialen und Wohnort genannt mit der Ergänzung, dass alle Namen der Redaktion bekannt seien. Als einziger wird «H.W. aus Basel» mit zwei Aussagen zitiert. H.W. habe am Telefon zugegeben, dass er Bokan Zigaretten geliefert habe. Diese Geschäfte seien absolut legal gewesen seien und er hätte nicht gewusst, was an-schliessend mit der Ware geschehe.

B. Am 1. März 2001 reichte RA Dr. Stefan Suter namens von W. beim Presserat eine Be-schwerde gegen den «SonntagsBlick»-Artikel ein. Daraus geht hervor, dass es sich bei dem im Artikel genannten «H.W. aus Basel» um den Beschwerdeführer handelt. Die ihm zuge-schriebenen Aussagen seien jedoch frei erfunden, W. kenne den genannten Bokan nicht und habe ihn demzufolge weder getroffen, noch habe er mit ihm Geschäfte abgewickelt. Auch wenn der Beschwerdeführer nur mit den Initialen seines Namens erwähnt werde, gebe dies dem «SonntagsBlick» nicht das Recht, Zitate zu erdichten. Es sei nicht auszuschliessen, dass im Zusammenhang mit Archivrecherchen zu einem späteren Zeitpunkt unter Nennung des vollen Namens auf die Zitate hingewiesen werden könnte.

C. Auf Aufforderung des Sekretariates des Presserates gab der Beschwerdeführer am 8. März 2001 bekannt, dass er die Ziffern 1, 3 und 4 der Erklärung für verletzt halte. Nachdem er in der Beschwerdeschrift vom 1. März angekündigt hatte, er werde die Persönlichkeitsverletzung «vor den staatlichen Gerichten» geltend machen, hielt er im Brief vom 8. März nun fest, die Einreichung einer Klage bei einem staatlichen Gericht werde noch geprüft.

D. Das Presseratspräsidium wies den Fall der 1. Kammer zu, der der Präsident Dr. Peter Stu-der und die Mitglieder Marie-Louise Barben, Luisa Ghiringhelli Mazza, Silvana Iannetta, Philip Kübler, Katharina Lüthi und Edy Salmina angehören.

E. Mit Schreiben vom 12. April 2001 beantragte RA Dr. M. Schwaibold namens des «Sonn-tagsBlicks», die Beschwerde sei abzuweisen. Die Zitate stammten zwar tatsächlich nicht von W., sondern von einer anderen der im Artikel genannten Personen, sie seien dementsprechend nicht frei erfunden worden. Bei der Produktion des Artikels seien die Initialen verwechselt worden. Dieser Fehler sei aber weder beabsichtigt gewesen, noch betreffe er den Beschwerde-führer in irgendwelcher Weise. Niemand ausser der Beschwerdeführer selber komme auf die Idee, hinter «H.W. aus Basel» könnte sich W. verbergen. Allein aus der nur für den Be-schwerdeführer erkennbaren Publikation einer Fehlinformation könne kein Verstoss gegen die «Erklärung» abgeleitet werden. Eine Berichtigung in dem Sinne, dass die beiden Zitate nicht von «H.W. aus Basel» sondern von «R.H. aus dem Tessin» oder von «E.S. aus Zürich» stammten, wäre sinnlos gewesen und hätte dem Publikum keinerlei sachdienliche Erkenntnis gebracht.

F. Die Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 6. Juni 2001 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Ziff. 1 (Wahrheitspflicht), Ziff. 3 (Quel-lennennung) und Ziff. 4 (Lauterkeitspflicht). Im Zusammenhang mit einer allfälligen Verletzung der Wahrheitspflicht stellt sich zudem immer auch die Frage, ob gegebenenfalls eine Berichtigung erforderlich gewesen wäre, worauf der Beschwerdegegner in seiner Beschwer-deantwort zu Recht eingeht. Nicht Gegenstand der Beschwerde ist demgegenüber eine allfällige Persönlichkeitsverletzung oder der offenbar geltend gemachte Gegendarstellungsanspruch. Beides ist – oder war zumindest im Zeitpunkt der Einreichung der Presseratsbeschwerde – Gegenstand einer rechtlichen Auseinandersetzung zwischen den Parteien.

2. Eine Verletzung von Ziff. 4 der «Erklärung» ist offensichtlich zu verneinen. Die Be-schwerdegegnerin macht diesbezüglich geltend, die dem Beschwerdeführer irrtümlich zuge-ordneten Zitate stammten von einem anderen Gesprächspartner und seien keinesfalls erfunden. Aus den dem Presserat vorliegenden Unterlagen kann nichts Gegenteiliges abgeleitet werden.

3. Ebensowenig hat die Beschwerdegegnerin die Pflicht verletzt, nur Informationen zu veröf-fentlichen, deren Quellen ihr bekannt sind (Ziff. 3 der «Erklärung»). Mangels anderer in den Beschwerdeakten enthaltener Hinweise ist auch hier von der Darstellung der Beschwerdegeg-nerin auszugehen, wonach ihr die richtige Quelle der Zitate durchaus bekannt war.

4. Anders ist demgegenüber die gerügte Verletzung der Wahrheitspflicht zu beurteilen. Zwar kann der Beschwerdeführerin bzw. den beiden Autoren des Artikels nicht unterstellt werden, die Verwechslung beabsichtigt und damit die Veröffentlichung einer Falschinformation gewollt zu haben. Dies ändert aber nichts daran, dass mit der Zuordnung der beiden Zitate zur falschen Person des Beschwerdeführers objektiv eine Unwahrheit veröffentlicht und Ziff. 1 der «Erklärung» dementsprechend verletzt worden ist. Der Beschwerdegegnerin und den beiden Autoren ist allerdings zugute zu halten, dass solche Verwechslungen in der Hektik des Redaktionsalltags leider nie gänzlich ausgeschlossen werden können. Die Folgen dieser Ver-wechslung waren zudem – wie dies von der Beschwerdegegnerin zu Recht geltend gemacht wird – insofern nicht gravierend, als der Beschwerdeführerin für die Durchschnittsleserin, den Durchschnittsleser des «SonntagsBlick» und selbst für die Leserschaft in der Region Basel kaum identifizierbar war.

5. Gemäss Ziff. 5 der «Erklärung» sind die Journalistinnen und Journalisten verpflichtet, jede von Ihnen veröffentlichte Meldung zu berichtigen, deren materieller Inhalt sich ganz oder teilweise als falsch erweist. Der Presserat hat im vergangenen Jahr in der Stellungnahme i.S. K c. NZZ (Nr. 28/2000 vom 30. August 2000, Sammlung 2000, S. 205ff.) darauf hingewiesen, dass bei der Anwendung von Ziff. 5 der «Erklärung» die Verhältnismässigkeit zu wahren ist. Dementsprechend wäre eine Berichtigung vorliegend dann unverhältnismässig, wenn sie allein unter dem Gesichtspunkt der korrekten Information der in diesem Fall ohnehin nicht getäuschten breiten Öffentlichkeit verlangt würde. Neben dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit sind vorliegend aber auch die möglichen Folgen für den Betroffenen zu be-rücksichtigen. Zum einen kann auch bei einer weitgehenden Anonymisierung nie ausge-schlossen werden, dass er in seinem näheren Umfeld dennoch identifiziert worden ist. Darüber hinaus ist auch der Hinweis in der Beschwerdeschrift nicht ganz von der Hand zu weisen, wonach bei einer späteren Archivrecherche eventuell bewusst oder zufällig aus den Initialen auf den Beschwerdeführer geschlossen werden könnte, worauf ihm die Zitate bei einer Weiterbearbeitung unter Umständen weiterhin fälschlicherweise zugeordnet würden. Unter diesen Umständen erscheint trotz der fehlenden Täuschung des grössten Teiles der Leserschaft notwendig und verhältnismässig, von der Beschwerdegegnerin in einem solchen Fall die Veröffentlichung einer kurzen Berichtigung zu verlangen (z.B. eine kurze Meldung mit dem Inhalt, im «SonntagsBlick» vom 25. Februar 2001
sei im Bericht «Das organisierte Ver-brechen» / «Schweizer Schmuggler: Blutspur zu Milosevic» wegen eines redaktionellen Ver-sehens H.W. aus Basel fälschlicherweise die Aussage zugeordnet worden, an Bokan Zigaretten geliefert zu haben). Dies gilt umso mehr, als die Veröffentlichung einer solchen Berichtigung mit einem sehr kleinen Aufwand verbunden gewesen und damit ohne weiteres auch zumutbar gewesen wäre.

III. Feststellungen

1. Der «SonntagsBlick» hat durch die objektiv wahrheitswidrige Zuordnung eines wahrheits-gemässen Zitats zur falschen Person Ziff. 1 der „Erklärung” und durch die Unterlassung einer Berichtigung Ziff. 5 der Erklärung verletzt. Insoweit wird die Beschwerde teilweise gutgehei-ssen.

2. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

3. Eine Verletzung der Wahrheitspflicht gemäss Ziff. 1 der «Erklärung» ist auch dann zu be-jahen, wenn die Publikation einer Falschinformation auf einem blossen Versehen beruht.

4. Die Veröffentlichung einer Berichtigung ist angezeigt und verhältnismässig, wenn bei der Unterlassung der Berichtigung erhebliche Nachteile für den von einer Falschmeldung Betrof-fenen nicht ausgeschlossen werden können. Eine Berichtigung ist unter diesen Umständen selbst dann verhältnismässig, wenn der grösste Teil der Leserschaft durch die ursprüngliche Information nicht getäuscht worden ist.