Nr. 14/2002
Satire / Diskriminierungsverbot

(X. c. «Das Magazin») Stellungnahme des Presserates vom 12. April 2002

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I. Sachverhalt

A. Im Heft Nr. 44/2001 veröffentlichte «Das Magazin» eine ganzseitige Karikatur zur möglichen Homosexualität von Adolf Hitler. Dargestellt sind drei fiktive Szenen: Die erste Szene, «Mit Goebbels am Obersalz-Berg», zeigt Hitler sexuell erregt hinter Goebbels stehend, der zu ihm sagt: «Ich beneide Dich, Adolf, abertausende blonde Frauen im ganzen Reich liegen Dir zu Füssen». Ein Hitler zugeordneter (unausgesprochener) Kommentar lautet: «Mein Gott, du Dummerl!». In einer 2. Szene, «Berlin 1940», bewundert Hitler den Hintern von Göring («Ein Prachtsmann dieser Göring!!!!! Und diese göttlichen Arschbacken») Die dritte Szene («München 1941») zeigt Hitler, der einem den Arm zum Hitlergruss streckenden Jungen über den Kopf streicht. Der Text lautet: «Ein Königreich für Dein Spatzerl, Du süssgeiler Fratz». Die letzte Szene, «Führerbunker Berlin 1945», zeigt Hitler vor einer Staffelei sitzend und nackte SS-Soldaten mit erigierten Geschlechtsteilen malend.

B. Am 28. November 2001 gelangte die Organisation X. an den Presserat und rügte, die im «Magazin» veröffentlichte Karikatur verstosse gegen Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Diskriminierungsverbot). Die beanstandete Karikatur respektiere das Leid der grossen Zahl von homosexuellen Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung nicht. Zudem erwecke der Cartoon den tatsachenwidrigen Eindruck, Pädophilie und Homosexualität seien ein und dasselbe. Damit werde die Homophobie und die damit verbundene Diskriminierung aktiv gefördert.

C. Der Rechtsdienst der Tamedia AG beantragte mit Eingabe vom 15. Januar 2002 die Abweisung der Beschwerde. X. unterstelle dem Cartoonisten zu Unrecht, er respektiere das Leid der homosexuellen Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung nicht. Der Cartoon nehme weder allgemein noch hinsichtlich homosexueller Opfer auf den Holocaust Bezug. Es könne nicht jegliche satirische Darstellung von Verantwortlichen für den Holocaust mit dem Argument verboten werden, damit würden die Leiden der Betroffenen nicht respektiert. Die beanstandete Zeichnung möge zwar derb und provokativ sein; für die Leserschaft sei aber klar erkennbar, dass es sich um eine satirische Darstellung handle, die von einem wahren Kern ausgehe. Ebensowenig erweckte der Cartoon den Eindruck, Homosexualität und Pädophile seien das gleiche. Hitler werde zwar bewusst und gewollt in ein möglichst schlechtes Licht gestellt, weshalb der «Tatsachenkern» der Recherchen absichtlich in möglichst boshafter Weise in alle Richtungen erweitert werde. Eine Ausweitung der phantasierten Szenarien in Richtung Pädophilie wäre auch möglich gewesen, wenn Hitler als Heterosexueller dargestellt worden wäre. Demgegenüber suggeriere der Cartoon nicht, dass die vier Szenen allgemein gültige Verhaltensweisen homosexueller Menschen darstellten.

D. Mit Schreiben vom 18. Januar 2002 wurde den Parteien mitgeteilt, dass die Beschwerde durch das Presseratspräsidium behandelt wird, das sich aus dem Präsidenten Peter Studer sowie den beiden Vizepräsidenten Daniel Cornu und Esther Diener-Morscher zusammensetzt. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates (Fassung vom 1. Juli 2001) kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder sonstwie von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 12. April 2002 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Ziffer 8 der «Erklärung» appelliert an die Journalistinnen und Journalisten, in ihrer Berichterstattung in Text, Bild und Ton auf diskriminierende Anspielungen zu verzichten, welche die sexuelle Orientierung, Krankheiten sowie körperliche oder geistige Behinderung zum Gegenstand haben. Von einer Diskriminierung im Sinne dieser Bestimmung kann nur dann die Rede sein, wenn in einem Medienbericht durch eine unzutreffende Darstellung das Ansehen einer geschützten Gruppe beeinträchtigt, die Gruppe herabgewürdigt wird (Stellungnahme 49/2001 i.S. David c. «Berner Zeitung»). Das berufsethische Diskriminierungsverbot erstreckt sich auch auf Karikaturen, eine gezeichnete Form der Satire.

2. a) Der Presserat hat sich in seiner Praxis mehrfach zur Satire geäussert. In der Stellungnahme 37/2000 stellte er fest, dass das Recht auf Satire inhaltlich zur Meinungsfreiheit gehört. Von der fiktionalen Form her geniesst sie auch den Schutz der Kunstfreiheit. Satire ist eine aggressiv kommentierende, meist journalistische Darstellungsform. Im Unterschied zum eigentlichen Kommentar darf sie aber nicht nur überspitzen, sondern auch übertreiben und verzerren. Sie geniesst einen weiteren Spielraum als andere journalistische Darstellungsformen. Doch auch bei der Satire gibt es Grenzen des Erlaubten. Sie sind dort überschritten, wo der Aussagekern die Wahrheitspflicht verletzt oder die Form Einzelne und Gruppen in ihrer Menschenwürde unerträglich herabsetzt.

Spott ist erlaubt, doch nur insoweit, als über etwas im Kern Wahres gespottet wird. Die Satire – und ebenso wenig die Karikatur – darf sich ihren Gegenstand nicht durch eine freie Erfindung schaffen. So darf einem Schweizer Politiker nicht ohne Beleg nationalsozialistisches Gedankengut unterschoben werden (Stellungnahme 37/2000). Auch die Form hat – allerdings weitgezogene – Limiten: Der systematische Rückgriff auf Fäkaliensprache zur Kennzeichnung eines Politikers kann die Menschenwürde verletzen (Stellungnahme 38/2000).

b) Im vorliegenden Fall der Karikatur von Manfred Deix ist dieser reale Bezugspunkt gegeben. Die vier szenischen Darstellungen stützen sich auf Meldungen, wonach Adolf Hitler angeblich homosexuell gewesen sein soll (vgl. z.B. die NZZ vom 11. Juli 2001, S. 62 mit weiteren Hinweisen). Die Form wendet klassisches karikaturistisches Repertoire an.

c) Der Presserat hat weiter in der Stellungnahme 8/1996 darauf hingewiesen, dass kein Thema a priori von der journalistischen Bearbeitung ausgenommen ist – auch nicht in Form der Satire: «Der grundsätzlichen Freiheit der Satire sind jedoch berufsethische Grenzen gesetzt, soweit andere durch satirische Beiträge betroffene Interessen im Einzelfall schwerer wiegen.»

d) Thema der Deix-Karikatur ist die mögliche Homosexualität Hitlers. Darauf weist auch die darunter stehende Legende «Neuesten Recherchen zufolge soll Hitler auch homosexuell gewesen sein» hin. Mit den vier Zeichnungen will der Autor dieses Thema dank einer – für die Leserschaft offensichtlich als solche erkennbaren – Fiktion umsetzen. Entgegen der Auffassung von X. ist der Darstellung von Deix keinerlei Bezug auf die homosexuellen Opfer des nationalsozialistischen Regimes zu entnehmen. Ebensowenig kann dem Autor unterstellt werden, dass dem dritten Szenenbild die These zugrunde läge, Homosexualität und Pädophilie seien gleichzusetzen. Allein die theoretische Gefahr, dass einzelne Personen bei der Betrachtung des Cartoons in ihrem unbegründeten Vorurteil bestätigt würden, rechtfertigt es nicht, diese Darstellung als diskriminierend zu werten. Deshalb liegt keine Verletzung von Ziff. 8 der «Erklärung» durch die «Magazin»-Redaktion vor.

III. Feststellung

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.