I. Sachverhalt
A. Wie jeden Freitag enthielt auch die Ausgabe der «Schaffhauser Nachrichten» vom 21. März 2003 die wöchentliche Beilage «Schaffhauser Bauer». Darin abgedruckt war eine Kolumne von Ernst Landolt mit dem Titel «Ist Kessler ein Krimineller?». Im Text schrieb der Autor u.a.: «Und so ein kleines Problem haben wir derzeit in der Schaffhauser Landwirtschaft. Sein Name: Erwin Kessler, seines Zeichens Präsident des Vereins gegen Tierfabriken (VgT). Der selbst ernannte Tierschützer versucht mit äusserst zweifelhaften Methoden, die Nutztierhaltung in den Dreck zu ziehen. Dabei schreckt er nicht davor zurück, unbescholtene Tierhalter öffentlich anzuprangern und zu verunglimpfen. Und das macht er auch mit allen andern so, die nicht dieselbe Einstellung haben wie er. (…) Dass es wie überall auch in der Landwirtschaft schwarze Schafe gibt, bestreitet niemand. Doch Kessler will einen ganzen Berufsstand bei der Bevölkerung in Misskredit bringen, nur weil er grundsätzlich gegen die Nutztierhaltung und gegen das Essen von Fleisch ist. Das ist unakzeptabel. Viel wird man dagegen allerdings nicht machen können. Denn Kessler ist ein fundamentalistischer Fantast, ein sektiererischer Extremist, und er ist ein Kleinkrimineller, der regelmässig in Ställe einbricht.»
B. Am 24. März 2003 beschwerte sich Erwin Kessler, Tuttwil, über die Veröffentlichung der Kolumne von Ernst Landolt durch die «Schaffhauser Nachrichten». Er machte geltend, die Vorwürfe seien unwahr. Zudem habe er vor der Veröffentlichung der schweren Vorwürfe keine Gelegenheit zur Stellungnahme enthalten.
C. Am 30. April 2003 machte der Chefredaktor der «Schaffhauser Nachrichten», Norbert Neininger in einer Stellungnahme an den Presserat geltend, die Beilage «Der Schaffhauser Bauer» sei nicht Teil des redaktionellen Inhalts seiner Zeitung und seine Redaktion nehme keinen Einfluss auf die dortige Redaktion. Beim «Schaffhauser Bauer» handle es sich um eine Zeitung in der Zeitung. «Obwohl es sich um eine Beilage handelt, die von einer eigenständigen externen Redaktion redigiert wird, übernehmen wir als Herausgeber der ÐSchaffhauser Nachrichtenð – wie es das Gesetz vorsieht – die Verantwortung.» Wegen der beiden getrennten Redaktionen sei es möglich gewesen, dass der Kommentar von Ernst Landolt nicht der redaktionellen Linie der «Schaffhauser Nachrichten» gefolgt sei. «Wir sind daher bereit, uns mit Herrn Kessler gütlich zu einigen und ihm Platz zu einer in Umfang und Inhalt angemessenen Stellungnahme einzuräumen.»
D. Mit Schreiben vom 7. Mai 2003 machte Erwin Kessler geltend, von einer angeblichen Bereitschaft der «Schaffhauser Nachrichten» zu einer gütlichen Einigung höre er zum ersten Mal. Im Gegenteil habe sich die Zeitung bis anhin geweigert, eine Stellungnahme von empörten VgT-Mitgliedern zur Kolumne von Ernst Landolt abzudrucken. In einem weiteren Schreiben vom 17. Mai 2003 wies er darauf hin, die beanstandandete Kolumne sei im Internetarchiv der «Schaffhauser Nachrichten» unter der Rubrik «Diverses zu finden. «Es ist nirgends ersichtlich, dass dieser Beitrag Teil des ÐSchaffhauser Bauersð und nicht der ÐSchaffhauser Nachrichtenð (SHN) sei, vielmehr ist dieser klar als redaktioneller Teil der SHN im Online-Archiv aufgeführt.» Zudem werde der «Schaffhauser Bauer» weder im «Impressum» noch unter «Redaktion» erwähnt. Ebenso erhalte der Durchschnittsleser der gedruckten Ausgabe den Eindruck, dass die Seiten «Der Schaffhauser Bauer» zum redaktionellen Teil der «Schaffhauser Nachrichten» gehörten und unter der Verantwortung dieser Redaktion stünden.
E. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 20. Mai 2003 machte Norbert Neininger auf entsprechende Anfrage des Presserates geltend, beim «Schaffhauser Bauer» handle es sich nicht um eine Publireportage. Die Redaktion der Beilage sei zwar weitgehend unabhängig, «aber wir tragen natürlich schliesslich die Verantwortung und haben nie etwas anderes behauptet».
F. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder sonstwie von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.
G. Am 19. Juni 2003 erklärte der Presserat den Schriftenwechsel als geschlossen und teilte den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt.
H. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 19. September 2003 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. a) Der Presserat hält in ständiger Praxis daran fest, dass von schweren Vorwürfen Betroffene vor der Veröffentlichung anzuhören sind und dass ihr Standpunkt im gleichen Medienbericht zumindest kurz wiederzugeben ist. Dieses berufsethische Anhörungsprinzip ist seit neuestem ausdrücklich in Ziffer 3.8 der Richtlinien zur «Erklärung» festgeschrieben: «Aus dem Fairnessprinzip und dem ethischen Gebot der Anhörung beider Seiten (ÐAudiatur et altera parsð) leitet sich die Pflicht der Journalistinnen und Journalisten ab, Betroffene vor der Publikation schwerer Vorwürfe anzuhören. Deren Stellungnahme ist im gleichen Medienbericht kurz und fair wiederzugeben. Ausnahmsweise kann auf die Anhörung verzichtet werden, wenn dies durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt ist. Der von schweren Vorwürfen betroffenen Partei muss nicht derselbe Umfang im Bericht zugestanden werden wie der Kritik. Aber die Betroffenen sollen sich zu den schweren Vorwürfen äussern können.» Der Presserat hat darüber hinaus festgehalten, dass eine Anhörung vor der Veröffentlichung schwerer Vorwürfe unabhängig davon zwingend ist, in welcher journalistischer Form dieser veröffentlicht wird (Stellungnahme 10/00 i.S. République et Canton du Jura c. «Le Quotidien jurassien»; siehe auch 29/01 i.S. P. c. «Der Landbote»). Mithin gilt die Pflicht zur Anhörung bei schweren Vorwürfen auch dann, wenn diese in einer Kolumne enthalten sind.
b) Der im beanstandeten Kommentar gegenüber dem Beschwerdeführer erhobene Vorwurf, Kessler sei ein Kleinkrimineller, der regelmässig in Ställe einbreche, ist ungeachtet des von ihm bestrittenen und vom Presserat nicht zu prüfenden Wahrheitsgehalts dieser Behauptung schwer. Dementsprechend hätte die Redaktion der «Schaffhauser Nachrichten» jedenfalls dann dafür sorgen müssen, dass der Beschwerdeführer vor der Veröffentlichung der Kolumne angehört und sein Standpunkt zumindest kurz wiedergegeben wird, wenn die jeden Freitag erscheinenden Seiten des «Schaffhauser Bauer» ihrer redaktionellen Verantwortung zuzurechnen sind.
2. a) Die Beschwerdegegnerin macht zwar geltend, die Redaktion der Beilage «Schaffhauser Bauer» sei weitgehend unabhängig, räumt letztlich aber doch ein, dass ihre Verantwortlichkeit auch die in dieser Beilage enthaltenen Inhalte umfasst.
b) Anders wäre dies nur dann zu beurteilen, wenn der «Schaffhauser Bauer» als bezahlte Beilage gekennzeichnet und dementsprechend nicht dem redaktionellen Teil der «Schaffhauser Nachrichten» zuzurechnen wäre. Eine entsprechende Kennzeichnung ist im konkreten Fall jedoch nicht auszumachen. Zudem verneint der Chefredaktor der «Schaffhauser Nachrichten» exlipizit, dass es sich bei den Beiträgen in der Beilage «Schaffhausser Bauer» um Publireportagen handle.
c) Ist die Beilage «Schaffhauser Bauer» demgegenüber grundsätzlich dem redaktionellen und nicht dem kommerziellen Teil der «Schaffhauser Nachrichten» zuzurechnen, kann es für den Umfang der Verantwortung der Redaktion höchstens graduell eine Rolle spielen, mit welchem Mass von Unabhängigkeit die in dieser Beilage veröffentlichten journalistischen Beiträge entstanden sind. Der Presserat hält in ständiger Praxis daran fest, dass die berufsethischen Regeln auch für den Abdruck und die
Bearbeitung von externen Texten wie Leserbriefen, Kolumnen, Medienmitteilungen usw. zumindest insoweit gelten, als die verantwortliche Redaktion bei offensichtlichen Verstössen gegen berufsethische Regeln einzugreifen hat. Dementsprechend ist zumindest eine in diesem Sinne eingeschränkte Prüfungspflicht der Redaktion auch bei Beiträgen zu bejahen, die bei von einer externen, von der Hauptredaktion weitgehend unabhängigen Redaktion stammen.
d) Für den unbefangenen und uneingeweihten Leser wird aus der Lektüre der Freitagsausgaben der «Schaffhauser Nachrichten» zudem nicht (mehr) ohne weiteres ersichtlich, dass die Inhalte des «Schaffhauser Bauern» von einer externen Redaktion stammen. Zwar ist in allen drei vom Presserat von der Beschwerdegegnerin einverlangten Belegexemplaren oben auf der Seite der Hinweis «Offizielles Organ des Schaffhauser Bauernverbandes» aufgeführt. Ein separates Impressum enthält demgegenüber nur eine Ausgabe vom März 2002, nicht dagegen zwei neuere Ausgaben vom Mai 2003. Vor allem aber ist hinsichtlich des Layouts kein markanter Unterschied zwischen den mitten im zweiten Zeitungsbund angesiedelten beiden Seiten des «Schaffhauser Bauer» und den übrigen redaktionellen Seiten auszumachen. Nicht eindeutig erscheint schliesslich auch die Seitennummerierung. Einerseits werden die Seiten der Beilage zwar separat nummeriert (Seiten 1 und 2), andererseits werden sie bei der Nummerierung der übrigen Seiten mitgezählt (beispielsweise in der Ausgabe vom 2. Mai 2003). Wird der «Schaffhauser Bauer» vom uneingeweihten Teil der Leserschaft mit erheblicher Wahrscheinlichkeit als Bestandteil des redaktionellen Inhalts der «Schaffhauser Nachrichten» wahrgenommen, rechtfertigt es sich umso mehr, von der Redaktion der «Schaffhauser Nachrichten» zu verlangen, die Einhaltung wesentlicher berufsethischer Grundsätze auch bei den in dieser Beilage erscheinenden Beiträgen durchzusetzen.
III. Feststellung
Die Beschwerde wird gutgeheissen.