Nr. 35/2003
Sachlich ungerechtfertigte Anschuldigungen

(X. c. «Schaffhauser Nachrichten») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 29. Juli 2003

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I. Sachverhalt

A. Am 5. April 2003 veröffentlichten die «Schaffhauser Nachrichten» in der Rubrik «Meinungen» eine Kolumne des Chefredaktors Norbert Neininger. Der letzte Abschnitt des Textes lautete wie folgt: «Der amerikanische Präsident muss sich harsche Kritik gefallen lassen. Über ihn sagte der deutsche Kanzler: ÐErst hetzt dieser Mann zum Krieg auf, dann fälscht er die Ursachen, stellt willkürliche Behauptungen auf, hüllt sich dann in widerwärtiger Weise in eine Wolke christlicher Heuchelei und führt so langsam, aber sicher die Menschheit dem Krieg entgegen. Sie werden es als eine Erlösung empfunden haben, dass nunmehr endlich ein Staat als erster gegen diese in der Geschichte einmalige Misshandlung der Wahrheit und des Rechts zu jenem Protest schritt, den dieser Mann ja gewünscht hat und über den er sich jetzt nicht wundern darf.ð Dieses Zitat stammt allerdings nicht – wie man vermuten könnte – von Gerhard Schröder, sondern von Adolf Hitler, der am 11. Dezember 1941 vor dem ÐGrossdeutschen Reichstagð den damaligen US-Präsidenten Roosevelt beschimpfte.»

B. Mit E-mails vom 6., 9. und 28. April 2003 forderte X.die «Schaffhauser Nachrichten» auf, einen Leserbrief zu veröffentlichen, in dem er den «Vergleich» Neiningers zwischen Hitler und Schröder scharf kritisierte und die Kündigung seines Zeitungsabos bekanntgab.

C. Am 2. Mai 2003 gelangte X. an den Presserat und rügte, die auf «suggestive Weise» gezogene «Parallele zwischen dem damaligen Reichtskanzler Adolf Hitler und dem amtierenden Bundeskanzler Gerhard Schröder verletze die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht) und 7 (Unterlassung sachlich ungerechtfertigter Anschuldigungen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten». Der Text sei überdies ein Plagiat aus der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», dessen Erscheinungsdatum er allerdings nicht kenne. Weiter beschwerte er sich über den Nichtabdruck seines Leserbriefes.

D. In seiner Stellungnahme vom 15. Mai 2003 wies Norbert Neininger darauf hin, dass die beanstandete Passage aus seiner wöchentlichen Kolumne stamme, in der er der Leserschaft seine persönliche Meinung darlege. Das Zitat selber sei eine Fundsache aus der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung», was leider unerwähnt geblieben, aber in der folgenden Woche in seiner Kolumne nachgeliefert worden sei. Den Leserbrief des Beschwerdeführers hätten sie nicht abgedruckt, da er Beschimpfungen enthalte.

E. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder sonstwie von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.

F. Am 10. Juni 2003 erklärte der Presserat den Schriftenwechsel als geschlossen und teilte den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt.

G. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 29. Juli 2003 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Der Beschwerdeführer rügt ausdrücklich eine Verletzung der Ziffern 1 und 7 der «Erklärung» sowie implizit eine solche der Ziffern 3 (Quellennennung) und 4 (Plagiat). Zudem beschwert er sich über den Nichtabdruck seines Leserbriefes.

2. Der Presserat sieht im vom Beschwerdeführer beanstandeten «Vergleich» weder eine Verletzung der Wahrheitspflicht noch eine Veröffentlichung sachlich ungerechtfertigter Anschuldigungen. Denn die Leserschaft der «Schaffhauser Nachrichten» wird bei der Lektüre der beanstandeten Passage keineswegs in unzutreffender Weise in die Irre geführt, das Verhalten Schröders im Kontext des Irak-Krieges sei im Ernst mit demjenigen Hitlers nach dem durch den japanischen Angriff auf Pearl Harbour erzwungenen Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg vergleichbar. Die Leserinnen und Leser erfahren lediglich, dass Reichskanzler Hitler in einem ganz anderen Kontext etwas gesagt hat, was vom Wortlaut – nicht aber vom Sinn her – annäherungsweise auch Bundeskanzler Schröder im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg gesagt haben könnte. Man mag die Konstruktion einer solchen Parallele mit dem Beschwerdeführer geschmack- und sinnlos finden, eine Verletzung berufsethischer Pflichten vermag sie aber nicht zu begründen.

3. Den vom Beschwerdeführer am Rande erhobenen Plagiatsvorwurf kann der Presserat mangels des ihm nicht eingereichten «Originals» nicht abschliessend prüfen. Ob die Publikation des Zitatfunds in einem Kommentar ohne Quellenangabe als Plagiat im Sinne von Richtlinie 4.6 zur «Erklärung» zu werten wäre, kann aber offenbleiben, nachdem der Chefredaktor der «Schaffhauser Nachrichten» die Quellenangabe in der folgenden Kolumne offenbar nachgeliefert hat.

4. Ausgehend von der Praxis des Presserates, wonach selbst Medien in einer Monopolstellung berufsethisch nicht verpflichtet sind, einen bestimmten Leserbrief zu veröffentlichen (Stellungnahme 23/2002 i.S. DJL c. «Neue Luzerner Zeitung»), haben die «Schaffhauser Nachrichten» auch mit dem Nichtabdruck des Leserbriefs des Beschwerdeführers die «Erklärung» nicht verletzt. Allerdings vermag die Begründung des Chefredaktors nicht zu überzeugen, wenn er den Nichtabdruck nachträglich mit dem ehrverletzenden Charakter des Leserbriefs begründet, nachdem die Redaktion zuvor offensichtlich auf die mehrmaligen E-mails des Beschwerdeführers nicht reagiert hatte. Zwar sind die im Brief verwendeten Termini «ungeheuerlich» und «unerträglich» sehr scharf. Die polemische Note, die kaum ehrverletzenden Charakter hat, ist als solche für die Leserschaft aber ebenso ersichtlich wie der ihr zugrundeliegende Sachverhalt. Zudem hätte die Redaktion gegebenenfalls die Möglichkeit gehabt, dem Beschwerdeführer eine etwas abgeschwächte Formulierung vorzuschlagen (Stellungnahme 23/99 i.S. S. c. «Tages-Spiegel»).

III. Feststellung

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.