Nr. 20/2005
Kommentarfreiheit

(X. c. «Neue Luzerner Zeitung») Stellungnahme des Presserates vom 20. Mai 2005

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I. Sachverhalt

A. Am 5. Februar 2005 veröffentlichte die «Neue Luzerner Zeitung» eine Kolumne von Oliver Kraaz mit dem Titel «Der ÐSamschtig-Jassð als Achse des Bösen». Ausgangspunkt der weitschweifenden gedanklichen Reise des Kolumnisten war ein in der «SonntagsZeitung» wiedergegebenes Statement des Jassexperten der Sendung «Samschtig-Jass» von SF DRS, wonach dieser einigen prominenten Mitjassern, die kaum jassen konnten, jeweils etwas geholfen habe – aber «alles im Rahmen». In seiner Reflexion über das für ihn «Undenkbare», wonach bei einer derart traditionsreichen Sendung wie dem «Samschtig-Jass» «geschummelt» werde, spinnt Kraaz den Faden über die Rückbesinnung auf früher geltende Tugenden wie «Disziplin, Ordnung und Ordentlichkeit» zu einem persönlichen Erlebnis bei der militärischen Aushebung weiter. Unter der Leitung eines autoritären Obersten habe er damals einen kurzen Text mit dem Anfang «Doch plötzlich merkte ich, dass jetzt alles ganz anders war» fertigschreiben müssen. «Die Bleistifte durften wir allerdings erst anfassen, nachdem Oberst B. ÐBleistifte fassenð schrie. Einer unter uns hoffnungsvollen Divisionärsaspiranten hatte den Griffel allerdings übereifrig schon in der Hand. Zur Strafe musste er in die Ecke des Luftschutzbunkers stehen.» Beim Einteilungsgespräch habe ihm der Oberst dann mitgeteilt, dass sein (fantasievoller) Text «sehr krank sei» und dass es ihn Wunder nehme, wie Kraaz je einmal einen Zug Soldaten führen wolle. Der Kolumnist kommt zum Schluss, es sei schade, dass man den Obersten nie zum «Samschtig-Jass» eingeladen habe. «Mit dem hätte es keine Mätzchen gegeben, mit Schummeln und so.» Der hätte den Fernsehjassexperten «beim ersten scheuen Bschiss-Versuch zur Strafe gleich in die Ecke der ÐSamschtig-Jassð-Kulisse geschickt».

B. Am 14. Februar 2005 gelangte X. mit einer Beschwerde an den Presserat. In der Kolumne «Der ÐSamschtig-Jassð als Achse des Bösen» werde «sein alter Kamerad» Oberst B. «in diffamierender Weise sechsmal mit Namen zitiert und lächerlich gemacht». Der unsachliche Artikel verstosse gegen die Privatsphäre (Art. 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten») und gegen die Menschenwürde (Art. 8 der «Erklärung»). Zudem habe die Redaktion der «Neuen Luzerner Zeitung» den Abdruck einer von ihm verfassten Entgegnung auf der Leserbriefseite verweigert und damit gegen das Fairnessprinzip verstossen.

C. Gemäss Art. 9 Abs. 3 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates sind offensichtlich unbegründete Beschwerden durch das Presseratspräsidium zurückzuweisen.

D. Das Presseratspräsidium bestehend aus dem Presseratspräsidenten Peter Studer und den beiden Vizepräsidentinnen Sylvie Arsever und Esther Diener-Morscher hat die vorliegende Stellungnahme per 20. Mai 2005 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Der Presserat hat in seinen Stellungnahmen zur Kommentarfreiheit wiederholt darauf hingewiesen, dass sich ein Kommentar in den Grenzen des berufsethisch Zulässigen bewegt, wenn sowohl die Wertungen wie die ihr zugrundeliegenden Fakten für das Publikum erkennbar sind, und wenn sich die Wertungen zudem auf eine genügende sachliche Grundlage stützen (vgl. z.B. die Stellungnahmen 12, 19 und 20/04 mit weiteren Hinweisen).

2. Der Beschwerdeführer beanstandet weder das vom Presserat nicht nachzuprüfende Zitat aus der «SonntagsZeitung» noch die subjektiven Erlebnisse des Kolumnisten bei dessen militärischer Aushebung als unwahr. Die auf dem Zitat der «SonntagsZeitung» aufbauenden Gedankenflüge sind zudem für die Leserschaft ohne weiteres als nicht allzu ernst zu nehmende, offensichtlich mit Absicht bis ins Absurde überzeichnende persönliche Wertungen erkennbar. Die Redaktion der «Neuen Luzerner Zeitung» hat die Grundregeln der Kommentarfreiheit mit dem Abdruck der Kolumne dementsprechend eingehalten.

3. Gemäss seiner von der «Neuen Luzerner Zeitung» nicht abgedruckten «Entgegnung» sieht der Beschwerdeführer das Persönlichkeitsrecht des Obersten insbesondere mit Sätzen wie «Oberst B. hatte diese Fantasie aber nicht» verletzt. Zudem rügt er die «diffamierende» sechsmalige Nennung des Namens des Betroffenen im Text. Eine Verletzung der Respektierung der Privatsphäre (Ziffer 7 der «Erklärung») ist in diesem Zusammenhang schon deshalb zu verneinen, weil die in der Kolumne erwähnte Episode ausschliesslich das frühere berufliche Verhalten des Obersten und nicht dessen Privatleben betrifft. Zudem ist der «Vorwurf», der Oberst habe als Aushebungsoffizier nicht mit der (wirren) Fantasie des damals 20-jährigen Kantischülers und heutigen Kolumnisten anfangen können, schon mangels Erheblichkeit kaum geeignet, die Persönlichkeit des Betroffenen zu verletzen. Ebensowenig steht eine Verletzung der Menschenwürde ernsthaft zur Diskussion, wenn einem Aushebungsoffizier bloss «vorgeworfen» wird, er habe sich bei einer Rekrutenaushebung autoritär und militärisch verhalten.

4. Gemäss ständiger Praxis des Presserates entscheiden die Redaktionen schliesslich nach freiem Ermessen, ob sie einen Leserbrief abdrucken oder nicht (vgl. z.B. die Stellungnahmen 23/02 und 59/04). Dementsprechend hat die «Neue Luzerner Zeitung» auch nicht gegen das berufsethische Fairnessprinzip verstossen, wenn sie darauf verzichtete, die Entgegnung des Beschwerdeführers abzudrucken.

III. Feststellung

Die Beschwerde wird als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.