I. Sachverhalt
A. Im «Langenthaler Tagblatt» vom 14. Januar 2005 war folgender Beitrag zu lesen:
«SVP Thörigen wird Music Star; Glosse; Hüftschwung aus einem ÐRevoluzzerdorfð.
ÐMachtlose Machtmenschen ohne Selbstkorrekturfaktor, Mittelmässigkeit, fehlender Durchblick und mangelnde Selbstdisziplin in der Führungsetageð sind gemäss SVP Thörigen die Wurzel allen Übels. Seit einem Jahr revoluzzt die siegreiche Verbal-Partei mit Aussagen Ðwie unser Nachwuchs degeneriertð und Ðoben muss Druck aufgesetzt werden, damit wieder eine natürliche Selektion stattfindetð. Auch beansprucht die SVP ihren Revoluzzer-Status fürs ganze Dorf: Die Einheiz- sieht sich gerne als Einheitspartei. Die SVP sucht ihre Wählerbasis unter den Modernisierungsverlierern. Auch die revolutionäre Speerspitze in Thörigen spricht den ÐRiesenfrust der ländlichen Bevölkerungð an und wettert über das ÐWunschdenken der Stadtbevölkerungð. Denn die Stadt ist schlecht, das Land ist gut.
Nun hat sich ein Thöriger aus dem degenerierten Nachwuchs aufgemacht, um in einem kulturell megastädtischen Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Mediennation zu buhlen. ÐUnser Mitbürger Julien hat die erste Finalrunde beim Music Star geschafft, teilt die Revoluzzer-Gemeinde mit, die – gemäss Begleit-Mail – Ðihrenð Kandidaten unterstützen will: Obschon es ein Wettbewerb ist, bei dem man mit ausländischem Singen und städtischem Hüftschwung brillieren soll, vergisst das Thöriger Zentralkomitee seine bisherigen Grundsätze: Die neue Linie: ÐDieser Hintern soll für Thörigen wackeln.ð
Thörigen ist SVP und von der SVP lernen heisst siegen lernen. Julien kann also sicher sein, nach seinem Durchbruch am Flughafen Bleienbach mit volksparteilichem Bruderkuss empfangen zu werden. Schliesslich hat der Erfolg immer viele Väter und der Ruhm gehört der Partei. Was aber, wenn die masslose städtische Bevölkerung – ohne Selbstkorrekturfaktor – die strahlende Hoffnung vom Lande einfach abwählt und ins Nichts der Music-Sternschnuppen schickt? Dann bietet die SVP Ðeine gute und kameradschaftliche Basisð, um sich anlässlich der Grossleinwandübertragung in der Mehrzweckhalle in den Armen zu liegen, sich die Tränen abzuputzen und dafür zu sorgen, dass der Stumpen nicht ins Bier fällt.»
B. Am 14. und 18. Januar 2005 gelangte der Gemeinderat Thörigen mit einer Beschwerde gegen das «Langenthaler Tagblatt» an den Presserat. Der Artikel habe keinerlei Bezug zu tatsächlichen Gegebenheiten. Im Zusammenhang mit der Kandidatur von Julien Ceccon als Music Star für das Schweizer Fernsehen habe die Gemeinde eine Liveübertragung der TV-Sendung auf einer Grossleinwand in der Mehrzweckhalle organisiert. Die SVP Thörigen sei darin in keiner Art und Weise beteiligt. Thörigen sei ein ganz normales, friedliches Dorf, mit einem überdurchschnittlich guten Verhältnis zwischen Bevölkerung, Behörden und Verwaltung. In Thörigen lebe man friedlich miteinander. Es bestehe eine entsprechende Umgangskultur mit einer Respektierung der Meinungsvielfalt. Verflechtungen zwischen der SVP und den Behörden und der Verwaltung gebe es keine. Mit dem frei erfundenen und ehrverletzenden Artikel habe die Zeitung gegen die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht), 3 (Entstellung von Tatsachen), 4 (Lauterkeit der Recherche), 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) sowie 8 (Diskriminierungsverbot, Achtung der Menschenwürde) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstossen.
C. Gemäss Art. 9 Abs. 3 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates sind offensichtlich unbegründete Beschwerden durch das Presseratspräsidium zurückzuweisen.
D. Das Presseratspräsidium bestehend aus dem Presseratspräsidenten Peter Studer und den beiden Vizepräsidentinnen Sylvie Arsever und Esther Diener-Morscher hat die vorliegende Stellungnahme per 20. Mai 2005 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Der Presserat hat sich verschiedentlich zur Zulässigkeit und zu den Grenzen der Satire sowie zur Veröffentlichung von Beiträgen in satirischen und satireähnlichen Rubriken geäussert. Dabei hat er stets betont, dass ausgehend von der Freiheit des Kommentars und der Kritik kein Thema von der Satire ausgenommen ist. Übertreibungen und Verfremdungen sind nicht ausgeschlossen, jedoch müssen die Fakten stimmen, von denen die Satire ausgeht (Stellungnahme 8/96). Die Satire darf nicht nur zuspitzen, sondern auch übertreiben. Sie geht aber immer von einem wahren Kern aus (37/00). Die Pflicht zur Anhörung der Betroffenen vor der Publikation schwerer Vorwürfe gilt auch bei satirischen, ironisierenden Beiträgen oder bei Klatsch-Rubriken (8/98, 10/00).
2. Die für die Satire angeführten Grundsätze sind auch auf die durch den Gemeinderat Thörigen beanstandete, für die Leserschaft als solche erkennbare und entsprechend bezeichnete Glosse des «Langenthaler Tagblatts» anwendbar. Entgegen der Auffassung der beschwerdeführenden Behörde kommt es damit nicht darauf an, ob die SVP tatsächlich an der Organisation der Übertragung der TV-Grossleinwand-Übertragung von Music Star beteiligt war oder nicht und ob man in Thörigen friedlich zusammenlebt. Und ebensowenig kann der Presserat insbesondere die nicht näher begründeten Vorwürfe des Gemeinderats Thörigen nachvollziehen, der Text bringe die Gemeinde Thörigen unterschwellig in Verbindung mit «brauner Sauce» und sei insgesamt «ehrverletzend».
3. Der «wahre», vom Beschwerdeführer zumindest nicht ausdrücklich bestrittene Sachverhaltskern des Textes besteht soweit ersichtlich aus folgenden Elementen: In Thörigen existiert eine im Dorf offenbar gut verankerte Ortspartei der Schweizerischen Volkspartei, die in Übereinstimmung mit ihrer kantonalen Mutterpartei tendenziell für eine ländlich-konservative Politik einsteht und dies auch öffentlich kundtut. Gemäss Auskunft der Gemeindeverwaltung Thörigen ist die SVP die stärkste Partei in der Wählerschaft der Gemeinde und unterhält als einzige eine Sektion. Bei den letzten Gemeindewahlen erhielt die SVP rund zwei Drittel der Stimmen. Von diesen Fakten ausgehend kritisiert der Autor in einer für die Leserschaft als Übertreibung erkennbaren Gleichsetzung von «SVP Thörigen» und «Gemeinde Thörigen» den nach seiner Auffassung bestehenden Widerspruch zwischen den in Thörigen vorherrschenden politischen Auffassungen und der «offiziellen» Unterstützung des Thörigers Julien Ceccon bei der Fernsehsendung Music Star.
4. Für den Presserat ist weder aus der beanstandeten Glosse selber, noch aus der Beschwerdebegründung des Gemeinderats nachvollziehbar, weshalb das «Langenthaler Tagblatt» damit die Ziffern 1, 3 4, 7 oder 8 der «Erklärung» verletzt haben sollte. Insbesondere wiegt auch der dem Artikel zugrundeliegende «Hauptvorwurf», das gemäss Darstellung der Glosse SVP-geprägte Thörigen weiche mit der Übertragung eines «megastädtischen» Anlasses mit «ausländischem Singen und städtischem Hüftschwung» von der dort vorherrschenden ländlich-konservativen Grundhaltung ab, von vornherein nicht derart schwer, dass er eine sachlich ungerechtfertigte Anschuldigung oder gar eine Verletzung der Menschenwürde zu begründen vermöchte. Man mag die in der Glosse geäusserte Kritik wie der Gemeinderat Thörigen als im Ton verfehlt oder gar geschmacklos ansehen. Beide Kriterien sind jedoch nicht Bestandteil der allein nach berufsethischen Grundsätzen vorzunehmenden Beurteilung durch den Presserat.
III. Feststellung
Die Beschwerde wird als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.