I. Sachverhalt
A. Am 10. September 2004 veröffentlichte die Freiburger «Liberté» ein ausführliches Interview mit dem früheren Biga-Direktor und ehemaligen Nationalrat Jean-Pierre Bonny. Darin kritisierte er das Projekt einer neuen Regionalpolitik heftig und bezeichnete es als «blabla professoral épouventable» und «instrument impraticable», das sich durch einen unglaublichen Mangel an politischem Fingerspitzengefühl von Seiten seiner Autoren charakterisiere, die von der Materie keine Ahnung hätten.
B. Der «SonntagsBlick» brachte daraufhin am 12. September 2004 in der Rubrik «café politique» folgende Kurzmeldung: «Gestrichen. Jean-Pierre Bonny (Bild), ehemals Berner FDP-Nationalrat und Biga-Direktor, zog diese Woche in der Freiburger «Liberté» über die neue Regionalpolitik von CVP-Bundesrat Joseph Deiss her: ÐEin schreckliches professorales Blabla.ð Ist der Berner frustriert, weil sein Name aus den Geschichtsbüchern zu verschwinden droht? Deiss’ neue Regionalpolitik ersetzt nämlich den vielzitierten ÐBonny-Beschlussð zur Förderung von Unternehmen in Randregionen.»
C. Am 13. September 2004 wandte sich Jean-Pierre Bonny schriftlich an den «SonntagsBlick» und verlangte eine Richtigstellung, «die auch eine Entschuldigung an meine Person enthält». Die Unterstellung, seine Kritik am Konzept einer neuen Regionalpolitik erfolge wegen der allfälligen Streichung des sog. «Bonny-Beschlusses» sei unwahr. «In Tat und Wahrheit habe ich selber im zitierten Interview ohne Wenn und Aber den Vorschlag gemacht, den ÐBonny-Beschlussð fallen zu lassen.» Zweifellos habe der Journalist das Interview gelesen, das er glossierte.
D. Daraufhin veröffentlichte «SonntagsBlick» am 19. September 2004 Folgendes: «Präzisiert. Als Ðprofessorales Blablað bezeichnete EX-FDP-Nationalrat Jean-Pierre Bonny unlängst die neue Regionalpolitik von Bundesrat Joseph Deiss (CVP). Ob Bonny frustriert darüber sei, dass die Regionalpolitik den nach ihm benannten ÐBonny-Beschlussð ablöst, spekulierte ÐSonntagsBlickð vergangene Woche. Nein, lässt Bonny nun per eingeschriebenen Brief wissen, er selbst habe sich ja für die Aufhebung des ÐBonny-Beschlussesð ausgesprochen.»
E. Am 20. September 2004 gelangte Jean-Pierre Bonny mit einer Beschwerde an den Presserat. Mit der Publikation der Glosse vom 12. September 2004 habe «SonntagsBlick» das Fairnessprinzip (Ingress) und die Wahrheitspflicht (Ziffer 1) verletzt sowie wichtige Elemente von Informationen unterschlagen (Ziffer 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten). Seine Äusserung zur vorbehaltlosen Aufhebung des «Bonny-Beschlusses» in dem der Glosse zugrundeliegenden Interview hätte vom «SonntagsBlick» nicht unterschlagen werden dürfen. Auch in der Berichtigung werde wiederum unterschlagen, dass seine Stellungnahme bereits im kommentierten «Liberté»-Interview enthalten gewesen sei. Der Titel «Präzisiert» und die ganze Darstellung mit dem eingeschriebenen Brief lasse zudem den Eindruck aufkommen, er hätte seine Meinung präzisiert. Schliesslich enthalte der Text keine Entschuldigung.
F. Am 26. November 2004 wies die anwaltlich vertretene Redaktion des «SonntagsBlick» die Beschwerde als unbegründet zurück, soweit überhaupt darauf einzutreten sei. Wer sich zu einer politischen Frage äussere, müsse sich die Frage nach seinen Motiven gefallen lassen. «SonntagsBlick» habe weder eine Äusserung inhaltlich verfälscht, noch eine nicht gemachte Äusserung unterstellt, noch eine relevante Äusserung unterdrückt. An ein relativ unernstes redaktionelles Gefäss wie «café politique» könne nicht der Massstab knallharter Faktenberichterstattung angelegt werden. Dementsprechend sei hier der Anrufung der Gebote des Pressekodex die Grundlage entzogen. Die zweite Meldung vom 19. September sei in der gleichen Rubrik erschienen, weshalb hier sinngemäss dasselbe gelte.
G. Der Presserat wies die Beschwerde der 1. Kammer zu, der Peter Studer (Kammerpräsident), Luisa Ghiringelli Mazza, Pia Horlacher, Philip Kübler, Katharina Lüthi und Edy Salmina (Mitglieder) angehören. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 4. Februar 2005 sowie auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. Vorab ist festzuhalten, dass die Glosse des «SonntagsBlick» vom 12. September 2004 eine im «Liberté»-Interview gemachte Äusserung des Beschwerdeführers korrekt übernommen hat. Ebenso nennt die Zeitung die Quelle dieses Zitats. Darüber hinaus war der «SonntagsBlick» berechtigt, die Frage nach der Motivation dieser Kritik zu stellen. Dies ist Bestandteil der Kommentarfreiheit und gilt gerade auch im Zusammenhang mit politischen Äusserungen. Zumal der Interviewte, Jean-Pierre Bonny, im Zusammenhang mit dem Thema des Interviews eine wichtige Rolle gespielt hat und gerade deshalb von der «Liberté» befragt worden ist.
2. Schwieriger zu beurteilen ist hingegen der Zusammenhang zwischen dem vom «SonntagsBlick» als Frage in den Raum gestellten Verdacht und einer Passage im Interview der «Liberté». «SonntagsBlick» fragte, ob die Kritik von Jean-Pierre Bonny am Konzept einer neuen Regionalpolitik eventuell von einem persönlichen Frust genährt sei, dass «sein Name aus den Geschichtsbüchern zur verschwinden droht». In der «Liberté» hatte jedoch gestanden: «Was ich Ihnen sage, wird die Kantone nicht freuen, persönlich würde ich den ÐBonny-Beschlussð fallen lassen, weil er seinen Zweck erfüllt hat». Ist der Zusammenhang derart eng, dass der Hinweis auf dieses Zitat für den «SonntagsBlick» zwingend gewesen wäre? Der Beschwerdeführer bejaht dies mit dem Argument, dass der Hinweis auf diese Aussage die Spekulation von vornherein entkräftet hätte.
3. Ziffer 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» gebietet diesen, weder wichtige Elemente von Informationen zu unterschlagen, noch Tatsachen zu entstellen. Ist diese Bestimmung auch auf politische Kommentare anwendbar? Mit anderen Worten: Darf ein Journalist einfach eine Aussage eines Politikers «vergessen», die der vom Medienschaffenden formulierten Hypothese widerspricht? Die «Erklärung» verlangt von den Journalistinnen und Journalisten in der Einleitung zum Abschnitt über die berufsethischen Pflichten, «sich bei der Beschaffung, der Auswahl der Redaktion, der Interpretation und der Kommentierung von Informationen, in Bezug auf die Quellen, gegenüber den von den Berichterstattung betroffenen Personen und der Öffentlichkeit vom Prinzip der Fairness leiten» zu lassen. Der Presserat hat in seiner Praxis wiederholt darauf hingewiesen, dass die berufsethischen Normen ungeachtet der journalistischen Form ihrer Publikation (Leitartikel, Glosse, Satire) auch für Kommentare gelten. In diesem Zusammenhang hat er zudem wiederholt betont, dass «sich ein Kommentar in den Grenzen des berufsethisch Zulässigen bewegt, wenn sowohl die Wertung wie die ihr zugrundeliegenden Fakten für das Publikum erkennbar sind und wenn sich die Wertung zudem auf eine genügende Grundlage stützt (vgl. hierzu beispielsweise die Stellungnahmen 3/1998, 16/1999, 17/2000, 29/2001 und 12/2004).
4. Hat der «SonntagsBlick» mit dem Beitrag über Jean-Pierre Bonny in seiner Rubrik «café politique» diese Regeln verletzt? Der Presserat bejaht dies. «SonntagsBlick» unterstellt, Bonny sei frustriert darüber, dass ein von ihm massgeblich mitgeprägtes und seinen Namen tragendes Gesetzeswerk wegen einer Revision verschwinde; dies sei der Grund für seine kritische Haltung gegenüber der neuen Gesetzgebung. Dann darf er aber derLeserschaft nicht vorenthalten, dass sich der Betroffene im gleichen Zusammenhang gegenteilig geäussert hat. Daraus ist selbstverständlich nicht abzuleiten, dass der Journalist dieser Aussage Glauben schenken muss. Er darf sie diskutieren und in Frage stellen, sie aber nicht gänzlich negier
en. Denn sonst enthält er dem Publikum eine wesentliche faktische Grundlage zur Beurteilung seiner kommentierenden Wertung.
5. Der «SonntagsBlick» unterstreicht demgegenüber, die Zeitung habe sich darauf beschränkt, ein simples Fragezeichen hinter die Motive der harschen Kritik von Jean-Pierre Bonny zu setzen. Zudem sei die Äusserung von Jean-Pierre Bonny zur eventuellen Abschaffung des «Bonny-Beschlusses» rein hypothetisch gewesen, weshalb ihr kein besonderes Gewicht zukomme. Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Die spekulative Glosse des «SonntagsBlick» verleitet die Leserinnen und Leser möglichgerweise dazu, sich eine falsche Meinung über die Motivation der Kritik von Jean-Pierre Bonny am Konzept einer neuen Regionalpolitik zu bilden.
6. Wie verhält es sich mit Bonnys Rügen an der Präzisierung vom 19. September 2004? Nach seiner Auffassung hätte «SonntagsBlick» die Quelle seines Zitats zur eventuellen Aufhebung des Bonny-Beschlusses nennen müssen und sich nicht in den Ausdruck «spekulieren» flüchten dürfen. Im Text fehle zudem eine Entschuldigung und er lege nahe, Bonny habe sich nachträglich korrigieren müssen. Der «SonntagsBlick» weist diese Argumente als unhaltbar zurück. In seinem Schreiben vom 13. September 2004 an den Chefredaktor des «SonntagsBlick» hat der Beschwerdeführer keine bestimmte Formulierung, sondern lediglich folgendes verlangt: «Ich ersuche Sie daher, in der nächsten Nummer des ÐSonntags-Blickð eine Richtigstellung vornehmen zu lassen, die auch eine Entschuldigung an meine Person enthält.»
7. Gemäss Ziffer 5 der «Erklärung» sind Journalistinnen und Journalisten verpflichtet, jede von ihnen veröffentlichte Meldung zu berichtigen, deren materieller Inhalt sich ganz oder teilweise als falsch erweist. Die Richtlinie 5.1 zur «Erklärung» verdeutlicht hierzu, dass die Berichtigungspflicht von den Medienschaffenden von sich aus wahrzunehmen ist. Die Berichtigungspflicht erstreckt sich auf sämtliche relevanten Fakten eines Artikels, auch wenn diese nicht zentral für dessen Aussage erscheinen. Die einer Falschinformation folgende Berichtigung muss mindestens das Publikum in die Lage versetzen, den Sachverhalt nun korrekt würdigen zu können.
Genügte der «SonntagsBlick» am 19. September 2004 diesen Anforderungen? Zumindest soweit sich die Berichtigung auf die von «SonntagsBlick» in den Raum gestellte Frage nach der möglichen Motivation der Kritik Bonnys an der neuen Regionalpolitik betrifft, ist dies zu bejahen. Denn die Leserschaft konnte zur Kenntnis nehmen, dass es sich um eine redaktionelle Präzisierung handelte, die auf Wunsch von Jean-Pierre Bonny erfolgte und deutlich machte, dass sich dieser bereits für die Aufhebung des Beschlusses ausgesprochen hatte. Darüber hinaus weist der Text darauf hin, dass der «SonntagsBlick» eine Woche zuvor über die Motive des Beschwerdeführers für seine Kritik am Konzept der neuen Regionalpolitik spekuliert hatte. Der Zweck der Berichtigung, der Leserschaft die eine Woche zuvor vorenthaltenen wichtigen Informationselemente zur Kenntnis zu bringen, war damit erreicht. Zusätzlich macht Jean-Pierre Bonny geltend, «SonntagsBlick» wäre darüber hinaus verpflichtet gewesen, darauf hinzuweisen, dass er seine Aussage nicht erst nachträglich, sondern bereits im Interview mit der «Liberté» machte. Diese Unterlassung vermag aus Sicht des Presserates jedoch keine Verletzung der Wahrheits- oder Berichtigungspflicht zu begründen. Trotzdem wäre es «SonntagsBlick» aber gut angestanden, im Berichtigungstext auf das journalistische Versäumnis der Vorwoche hinzuweisen.
8. Hingegen war «SonntagsBlick» nicht verpflichtet, die vom Beschwerdeführer verlangte Entschuldigung abzudrucken. Der Presserat hat im Zusammenhang mit der Berichtigungspflicht ausgeführt, dass nur bei einer gravierenden journalistischen Fehlleistung dazu noch eine Entschuldigung angebracht ist (B. c. «Blick» vom 29. September 1987; siehe auch die Stellungnahme 29/2003). Eine derart gravierende Fehlleistung liegt hier jedoch nicht vor. Die in Form einer Spekulation erhobene Unterstellung, für die Kritik des Beschwerdeführers an der neuen Regionalpolitik des Bundes seien möglicherweise auch persönliche Motive ausschlaggebend, vermag den politischen und persönlichen Ruf von Jean-Pierre Bonny nicht ernsthaft zu beeinträchtigen.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.
2. Einem Politiker wurde unterstellt, er sei frustriert darüber, dass ein von ihm massgeblich mitgeprägtes und seinen Namen tragendes Gesetzeswerk wegen einer Revision verschwinde; dies stimme ihn kritisch gegenüber dem neuen Gesetz. Dann darf aber der Leserschaft nicht vorenthalten werden, dass sich der selbe Politiker im gleichen Zusammenhang gegenteilig geäussert hat. «SonntagsBlick» wäre deshalb bei der Publikation der Glosse vom 12. September 2004 über Jean-Pierre Bonny verpflichtet gewesen, darauf hinzuweisen, dass Bonny selber den «Bonny-Beschluss» als überholt bezeichnete. Mit dieser Unterlassung hat die Zeitung die Ziffer 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten« verletzt.
3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.