I. Sachverhalt
A. Am 14. Oktober 2011 berichtete «Blick am Abend» über ein «Drama», das sich in der Türkei ereignet hatte: «Melanie (11) starb wegen Schlamperei in der Türkei. Niemand will verantwortlich sein.» Das Mädchen sei in den Sommerferien «im Hotelpool von der defekten Ansaugpumpe der Wasserrutschen» eingezogen worden. Die Mutter habe erst später erfahren, dass das Sicherheitsgitter der Pumpe seit Tagen gefehlt habe. «Nun wollen sich die Verantwortlichen aus der Affäre ziehen. ‹In der Nacht nach dem Unfall hat das Hotel heimlich versucht, ein Gitter einbauen zu lassen.›. Die Vertuschungsaktion fliegt nur auf, weil Gäste durch den Lärm aufwachen und die Polizei alarmieren. Bis heute hat die Familie von Melanie keine Entschuldigung erhalten – weder vom Hotel noch vom Reiseveranstalter. Stattdessen versuche die Hotelleitung einen Herzfehler für den Tod verantwortlich zu machen. Die türkischen Behörden spielten auf Zeit. «Das detaillierte Ergebnis der ersten Obduktion in der Türkei wird erst in einem Jahr erwartet. Nach dieser Frist erlischt nach türkischem Recht der Anspruch auf eine Genugtuung.» Angekündigt wurde der Bericht auf der Titelseite mit der Schlagzeile: «Türken plagen trauernde Schweizer Mutter. Melanie (11) starb in den Ferien. Doch die Türken streiten ab».
B. Am 17. Oktober 2011 gelangte X. an den Presserat und beanstandete der obengenannte Bericht des «Blick am Abend» verstosse gegen die Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Diskriminierung). Der Titel «Türken plagen trauernde Schweizer Mutter» verursache falsche Assoziierungen und schüre Vorurteile, da im Titel alle Türken einbezogen würden. «Ich bin eine Türkin, aber ich plage die trauernde Schweizer Mutter nicht. Im Gegenteil, ich trauere mit ihr und teile ihr Leid.»
C. Gemäss Art. 12 Abs. 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presseratspräsidium Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt.
D. Das Presseratspräsidium, bestehend aus Präsident Dominique von Burg, Vizepräsidentin Esther Diener-Morscher und Vizepräsident Edy Salmina, hat die vorliegende Stellungnahme per 23. Dezember 2011 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Gemäss Art. 10 Abs. 1 tritt der Presserat nicht auf eine Beschwerde ein, wenn diese offensichtlich unbegründet erscheint.
2. a) Ziffer 8 der «Erklärung» lautet: «Sie (die Journalistinnen und Journalisten) respektieren die Menschenwürde und verzichten in ihrer Berichterstattung in Text, Bild und Ton auf diskriminierende Anspielungen, welche die ethnische oder nationale Zugehörigkeit, die Religion, das Geschlecht, die sexuelle Orientierung, Krankheiten sowie körperliche oder geistige Behinderung zum Gegenstand haben.» Die Richtlinie 8.2 zur «Erklärung» verdeutlicht dazu, dass diskriminierende Anspielungen bestehende Vorurteile gegen Minderheiten verstärken können.
b) Nach der Praxis des Presserates zum Diskriminierungsverbot ist eine Anspielung diskriminierend, wenn in einem Medienbericht durch eine unzutreffende Darstellung das Ansehen einer geschützten Gruppe beeinträchtigt, die Gruppe kollektiv herabgewürdigt wird. In der Stellungnahme 21/2001 empfahl der Presserat, bei jeder Aussage «kritisch zu fragen, ob damit eine angeborene oder kulturell erworbene Eigenschaft herabgesetzt oder ob herabsetzende Eigenschaften kollektiv zugeordnet werden, ob lediglich Handlungen der tatsächlich dafür Verantwortlichen kritisiert werden oder ob die berechtigte Kritik an einzelnen in ungerechtfertigter Weise kollektiviert wird».
c) In der Stellungnahme 54/2006 verneinte der Presserat in einem ähnlich liegenden Fall eine Diskriminierung. «Blick» berichtete damals wie folgt über den unfreundlichen Empfang des Schweizer Fussballnationalteams in Istanbul zu einem Ausscheidungsspiel: «Pfui! Hass-Empfang (…) Schikanen am Zoll. Spieler (…) beschimpft. (…) Schämt euch, ihr Türken!» Für den Presserat richteten sich die Schlagzeilen klar gegen Funktionäre und Nationalisten in Istanbul, nicht aber gegen «die» Türken und schon gar nicht gegen Türken in der Schweiz. «Blick» habe auch nicht behauptet, die Unfreundlichkeiten seien «typisch türkisch».
d) Zum gleichen Ergebnis gelangt der Presserat bei der von X. beanstandeten Schlagzeile: «Türken plagen trauernde Schweizer Mutter». Bei einer rein wörtlichen Auslegung ist der Beschwerdeführerin zwar zuzugestehen, dass der Titel allzu pauschal formuliert ist. Bei Einbezug des Kontexts wird aber ebenso wie bei dem der Stellungnahme 54/2006 zugrunde liegenden Sachverhalt sofort klar, dass sich die von «Blick am Abend» transportierten Vorwürfe der trauernden Familie primär an die Hotelleitung und sekundär an die türkischen Behörden, keineswegs aber an «die» Türken und sicher auch nicht an die Beschwerdeführerin richten.
III. Feststellung
Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.