I. Sachverhalt
A. Am 7. April 2011 titelte «20 Minuten» auf der Sportseite: «Nun ist Alex Frei in der Super League Freiwild». Der Lead des Artikels lautet: «Alex Frei und Marco Streller haben sich mit ihrem Nati-Rücktritt zur Unzeit keinen Gefallen getan. In der Super League gibt es für sie nun keinen Artenschutz mehr.» Laut dem Text von Marcel Allemann muss sich das Basler Duo darauf gefasst machen, dass «ihm im Meisterschaftsalltag eine steife Brise entgegenweht und die Reisen in fremde Stadien zur Tortur werden. Vor allem Frei ist nun Freiwild – Artenschutz gibt es für einen, der die Nati als Captain mitten in einer Kampagne hängen lässt, keinen mehr.» Dabei sei Frei im Laufe der Jahre nicht gelassener, sondern dünnhäutiger geworden. «In Zürich, Bern oder Neuenburg weiss man längst: Frei ist reizbar, neigt dazu, den Kopf zu verlieren und ist daher eine optimale Zielscheibe. Er und Streller können sich auf das volle Programm einstellen: Pfeifkonzerte und Gesänge ohne Nettigkeiten der gegnerischen Fans sowie Provokationen (‹Trash-Talk›) der gegnerischen Spieler. Frei ist zwar nicht mehr in der Nati – aber für Unterhaltung ist weiterhin gesorgt.»
B. Am 5. Mai 2011 ersuchte Josef Zindel, Leiter Kommunikation/Öffentlichkeitsbeauftragter des FC Basel, den Presserat, zu beurteilen, ob der Artikel von «20 Minuten» nicht berufsethische Normen, insbesondere die Ziffer 8 (Menschenwürde) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletze. «Dies namentlich in den Artikelpassagen, in den Begriffe verwendet werden, die sonst in der Tie- und Pflanzenwelt verwendet werden (‹Freiwild›, ‹Artenschutz›) und in denen Pfeifkonzerte, Provokationen und Trash Talk in einen direkten Zusammenhang mit ‹Unterhaltung› gestellt werden. Zusätzlich bitten wir Sie um eine Beurteilung, ob der Artikel als direkter oder indirekter Aufruf zu physischer oder psychischer Gewalt verstanden werden muss.»
C. Am 10. Juni 2011 beantragte die durch den Rechtsdienst der Tamedia AG vertretene Redaktion von «20 Minuten», die Beschwerde sei abzuweisen. Der Gebrauch von Begriffen aus Tierwelt und Jagd sei im Sport verbreitet und diene der Verbildlichung von Vorgängen. Sie habe keineswegs das Ziel, die betroffenen Personen zu diffamieren oder gar ihre Menschenwürde zu verletzen. Mit der Bezeichnung von Alex Frei als «Freiwild» lege der Autor lediglich dar, dass der Spieler nach dem Rücktritt aus der Nationalmannschaft nicht mehr in gleicher Weise wie zuvor von gegnerischen Fans unterstützt werde. Weder «Artenschutz» und noch «Freiwild» hätten zudem eine «verwerfliche oder anstössige Bedeutung».
Fussball rufe Emotionen hervor und sorge für Unhaltung in all ihren Facettten. Zur Fankultur gehörten auch Pfeifkonzerte oder «Gesänge ohne Nettigkeiten» über gegnerische Spieler. Darüber dürften Medien ohne Weiteres berichten. Der Artikel von Marcel Allemann rufe dabei keinesfalls zu Gewalt auf. Die Bezeichnung Freis als «optimale Zielscheibe» beziehe sich auf alltägliche «fussballerische Vorgänge».
D. Am 16. Juni 2011 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Esther Diener-Morscher und Vizepräsident Edy Salmina.
E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 4. November 2011 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. a) Ziffer 8 der «Erklärung» auferlegt den Medienschaffenden die Pflicht, bei der Berichterstattung die Menschenwürde zu respektieren. Gemäss der zugehörigen Richtlinie 8.1 (Achtung der Menschenwürde) hat sich die Informationstätigkeit an der Achtung der Menschenwürde zu orientieren. «Sie ist ständig gegen das Recht der Öffentlichkeit auf Information abzuwägen.»
b) Der Presserat weist in seinen Stellungnahmen zum Diskriminierungsverbot und zur Menschenwürde (vgl. die Stellungnahmen 38/2000, 32/2001, 6/2002, 9/2002, 37/2002, 44/2003, 32/2006, 16/2007 und 21/2008) konstant darauf hin, dass die abwertende Äusserung gegen eine Gruppe oder ein Individuum eine Mindestintensität erreichen muss, um als herabwürdigend oder diskriminierend zu gelten. Nur dann verletzt sie Ziffer 8 der «Erklärung».
c) Wer als Sportler, Künstler oder Politiker im Rampenlicht steht, nimmt damit in Kauf, dass die Medien über diese Tätigkeit nicht nur positiv berichten, sondern unter Umständen harsche Kritik üben. Prominente können – ungeachtet ihrer individuellen Leistungen und Verdienste –nicht erwarten, dass sie von den Medien mit Samthandschuhen angefasst werden. Doch auch Personen des öffentlichen Lebens müssen sich nicht alles gefallen lassen, sind in diesem Sinne kein «Freiwild». Die weit zu ziehenden Grenzen der Freiheit des Kommentars sind dann überschritten, wenn Kritik jeglichen Bezug zu einer sachlichen Grundlage verliert, zu einer persönlichen Fehde verkommt und den Kritisierten in seinem Menschsein herabwürdigt (sog. Schmähkritik). Harsche und fragmentarische kommentierende Wertungen und polemische Kommentare sind hingegen zulässig, solange sie als Wertungen erkennbar und in der Herabsetzung nicht krass unfair sind (Stellungnahmem 50/2002 und 50/2007).
2. Im konkreten Fall erscheint die Verwendung der Termini «Freiwild» und «Artenschutz» als problematisch oder zumindest unbedacht, selbst wenn bildhafte Vergleiche im Sport üblich sein mögen und die beiden Begriffe im beanstandeten Artikel nicht im herkömmlichen Sinn zu verstehen sind. Trotzdem suggeriert insbesondere das Wortspiel «Freiwild» (gemäss Deutschem Universalwörterbuch «eigentlich: zur Jagd freigegebenes Wild»; im übertragenen Sinn: «der Willkür anderer schutzlos preisgegebener Mensch») unterschwellig eine problematische Stossrichtung des Artikels.
Diesen in seiner Gesamtheit als Verletzung der Menschenwürde von Alex Frei und als Aufruf zu Gewalt zu interpretieren, wie dies der FC Basel zur Diskussion stellt, ginge nach Auffassung des Presserats allerdings deutlich zu weit. Denn der Artikel würdigt den Fussballspieler durchaus ambivalent: einerseits erwähnt er die «glanzvolle Karriere» und bezeichnet ihn als «verdienstvollen Rekordtorschützen», anderseits kritisiert er das persönliche Verhalten des Fussballstars («nie der grosse Sympathieträger für die Allgemeinheit», «dünnhäutig», «brüllte vor den Medienleuten», «neigt dazu, den Kopf zu verlieren»). Und auch wenn «20 Minuten» beschreibt, dass Frei künftig in den gegnerischen Stadien mit noch mehr Provokationen der gegnerischen Fans zu rechnen habe, ruft die Zeitung die Fans dadurch noch nicht zu entsprechendem Tun auf.
Die sachliche Grundlage der Kritik von «20 Minuten» am Fussballspieler Alex Frei ist für die Leserschaft zudem ohne Weiteres erkennbar. Nach Auffassung von Marcel Allemann erfolgte der Rücktritt aus der Nationalmannschaft zur Unzeit und reagiert Frei häufig emotional auf Provokationen, Pfiffe und Kritik auf beziehungsweise neben dem Platz. Was man auch immer von dieser Kritik halten mag: Damit bewegt sich der Journalist berufsethisch jedenfalls innerhalb der Grenzen des Zulässigen.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. «20 Minuten» hat mit der Veröffentlichung des Artikels «Nun ist Alex Frei in der Super League Freiwild» die Ziffer 8 (Menschenwürde) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.