Nr. 20/2013
Wahrheit / Anhörung bei schweren Vorwürfen

(X. c. «Berner Zeitung») Stellungnahme des Presserates vom 25. April 2013

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Zusammenfassung

Schlechte Stimmung in Gemeinderat: Kein schwerer Vorwurf
Darf eine Kommentatorin schreiben, ein Exekutivmitglied verbreite schlechte Stimmung im Gremium? Muss sie den Betroffenen vor der Veröffentlichung deswegen anhören? Der Presserat sagt nein und weist eine Beschwerde gegen die «Berner Zeitung» ab.

Ende November 2012 veröffentlichte die «Berner Zeitung» einen Kommentar zu den Wahlen in einer Berner Gemeinde. Unter dem Titel «Weg frei für einen Neuanfang» erwähnte die Autorin, die Arbeit im Gemeinderat sei dem Vernehmen nach nicht immer einfach gewesen; Interna seien nach aussen gedrungen und die Kollegialität habe gelitten. Ausserdem heisst es, ein namentlich genanntes Mitglied des Gemeinderats verbreite schlechte Stimmung. Der Genannte wandte sich an den Presserat und sah die Wahrheits- und die Anhörungspflicht verletzt.

Der Presserat weist die Beschwerde ab. Der Kommentar enthält für ihn keine erkennbaren Unwahrheiten. Die Aussagen sind relativ vage formuliert und der Beschwerdeführer räumt selber ein, dass er Kritik einstecken musste. Eine Anhörung des Betroffenen vor der Publikation war nicht zwingend, weil der gegenüber dem Beschwerdeführer direkt erhobene Vorwurf, er habe im Gemeinderat schlechte Stimmung verbreitet, nicht schwer genug wiegt. Eine solche Aussage muss sich ein gewählter Politiker gefallen lassen. Die weiteren nicht explizit an den Politiker gerichteten Vorwürfe – Interna seien an die Öffentlichkeit gelangt und es habe an Kollegialität gefehlt – implizieren ebenfalls nicht unbedingt ein illegales oder damit vergleichbares unredliches Verhalten. Hätte die «Berner Zeitung» hingegen geschrieben, der Beschwerdeführer habe das Amtsgeheimnis verletzt, wäre die Anhörung zwingend gewesen.

Résumé

«Mauvaise ambiance au Conseil communal» n’est pas un reproche grave
Peut-on écrire dans un commentaire qu’un membre de l’Executif répand une mauvaise ambiance au sein du Conseil? Faut-il entendre la personne en question avant la publication? Le Conseil de la presse dit «non» et rejette une plainte contre la «Berner Zeitung».

A fin novembre 2012, la Berner Zeitung» publie un commentaire sur les élections dans une commune. Sous le titre «voie libre pour un nouveau départ» il est dit que le travail au sein du Conseil communal n’avait, à ce que l’on entend, pas toujours été facile, notamment parce que des affaires internes avaient été portées à l’extérieur et que la collégialité en avait souffert. En outre, on apprenait qu’un membre nommément cité du Conseil communal répandait une mauvaise ambiance. Ce dernier s’est adressé au Conseil de la presse, estimant qu’il y avait atteinte au devoir de vérité et à l’obligation d’entendre la personne concernée.

Le Conseil de la presse rejette la plainte. Pour lui, le commentaire ne contient pas de contrevérités reconnaissables. Les formulations sont relativement vagues et  le plaignant admet lui-même avoir fait l’objet de critiques. Il n’était pas nécessaire d’entendre le plaignant, car le reproche qui s’adressait directement à lui – celui de créer une mauvaise ambiance au sein du conseil communal – n’est pas assez grave. Un politicien élu doit accepter de tels reproches.  Les autres reproches, qui ne s’adressaient pas explicitement au plaignant – des affaires internes dévoilées au public et le manque de collégialité – n’impliquent pas nécessairement un comportement illégal ou malhonnête. La «Berner Zeitung», si elle avait par contre écrit que le plaignant avait violé un secret de fonction, aurait dû impérieusement l’entendre à ce sujet.

Riassunto

«Un cattivo ambiente in Municipio» è un addebito grave?
Si può, in un commento, scrivere che un membro dell‘Esecutivo era la causa di un «ambientaccio» in Municipio? E ciò senza interpellarlo prima della pubblicazione? Si può. Il Consiglio della stampa ha respinto un reclamo contro la «Berner Zeitung»

In un Comune del Cantone di Berna, alla fine di novembre 2012, c’erano state le elezioni comunali. Sotto il titolo «Aperta la strada a un nuovo inizio», la «Berner Zeitung» ha pubblicato un commento in cui si diceva che in passato l’attività del Municipio era stata complicata dalle indiscrezioni lasciate filtrare all’esterno da un municipale (citato con nome e cognome) che aveva in tal modo determinato «un ambientaccio» («schlechte Stimmung»). La persona citata si è rivolta al Consiglio della stampa per denunciare una violazione, da parte del giornale, del dovere di rispetto della verità e dell’impegno di interpellare l’interessato prima della pubblicazione.

Il Consiglio della stampa ha respinto il reclamo. Intanto, il commento non contiene affermazioni contrarie al vero. La formulazione à abbastanza vaga e lo stesso reclamante ammette di poter essere criticato. Quanto al diritto di essere ascoltato prima della pubblicazione, la critica mossa al municipale – di creare «un ambientaccio» attorno all’Esecutivo – non pare al Consiglio di tale gravità da esigere l’osservanza stretta della prescrizione. Un politico rimproveri di questo tipo deve saperli tollerare. Neppure il fatto che il municipale sia stato all’origine di indiscrezioni equivale ad accusarlo di un reato (semmai, di una mancanza di collegialità) o di comportamento in qualche modo sleale. Solo se la «Berner Zeitung» l’avesse accusato di violazione del segreto d’ufficio, egli avrebbe avuto il diritto di essere interpellato prima della pubblicazione.


I. Sachverhalt


A.
Am 26. November 2012 veröffentlichte die «Berner Zeitung» in der Ausgabe Burgdorf und Emmental einen Kommentar mit dem Titel «Weg frei für einen Neuanfang». Die Redaktorin Annina Hasler thematisiert den Ausgang der Exekutivwahlen vom Vortag in der Gemeinde Y. «Immer wieder war zu hören, die Arbeit im Gemeinderat Y. sei schwierig. Die Rede war etwa von Interna, die an die Öffentlichkeit gelangten, oder von fehlender Kollegialität. Im Fokus der Kritik stand vor allem einer: SVP-Gemeinderat X. Dieser sei, so Gemeindeexponenten hinter vorgehaltener Hand, für die zum Teil schlechte Stimmung im Rat verantwortlich.» Nun sei X. – wie alle anderen Kandidaten der SVP – zwar wiedergewählt worden, dennoch müsse die Partei ihre Politik überdenken. Ansonsten, so die Schlussfolgerung der Redaktorin im 29zeiligen Kommentar, müsse die SVP befürchten, dass sie bei den nächsten Wahlen erneut Wähleranteile einbüsse.

B. Am 28. November 2013 reichte Gemeinderat X. (im Folgenden: Beschwerdeführer) beim Schweizer Presserat Beschwerde ein. Er beklagt darin einen Verstoss gegen die «Richtlinien» 1.1 (Wahrheitssuche) und 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten». Der Beschwerdeführer weist in seinem Schreiben darauf hin, dass er während der vergangenen ersten Amtszeit als Mitglied der Gemeindebehörde «etliche Missstände in der Gemeindeverwaltung bereinigt» und bei etlichen Sachgeschäften «Ordnung geschaffen» habe. Er räumt ein, dass er dadurch «nicht immer Freunde gefunden» habe, sondern auch viel Kritik einstecken musste.

Im Kommentar werde ihm unterschoben, er habe das Amtsgeheimnis (Interna) nicht respektiert und das Kollegialitätsprinzip verletzt. Dadurch fühle er sich in seiner Ehre verletzt und sehe darin eine üble Nachrede. Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, dass man ihn als Betroffenen vor der Publikation dieser schweren Vorwürfe hätte
anhören müssen.

C. Am 5. Dezember 2013 beantragte Michael Hug, der Chefredaktor der «Berner Zeitung», die Beschwerde sei abzuweisen. Die im Kommentar vorgenommene Wertung werde klar als solche deklariert. Der Beschwerdeführer werde weder in seiner Ehre verletzt noch verstosse der Kommentar gegen journalistische Regeln.

D. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 1. Kammer zu, der Francesca Snider (Kammerpräsidentin), Michael Herzka, Pia Horlacher, Klaus Lange, Francesca Luvini, Sonja Schmidmeister und David Spinnler (Mitglieder) angehören.

F. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 25. April 2013 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Aus der Eingabe des Beschwerdeführers wird nicht klar, inwiefern mit dem Kommentar die Wahrheitspflicht verletzt worden sein soll. Der Text macht deutlich, dass der Beschwerdeführer von gewissen Gemeindeexponenten für die schlechte Stimmung im Exekutivgremium verantwortlich gemacht wird. Weiter ist die Rede von Interna, die in die Öffentlichkeit gelangt sind bzw. von fehlender Kollegialität – diese Kritik bezieht sich mit grosser Wahrscheinlichkeit auf den Beschwerdeführer, es könnten aber auch andere damit gemeint sein. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht direkt, dass sich Dritte so über ihn geäussert haben, sondern macht lediglich geltend, dass dieses Bild nicht den Tatsachen entspreche. Er räumt aber ein, dass er im Gemeinderat nicht nur Freunde gefunden habe und insbesondere vom bisherigen Gemeindepräsidenten viel Kritik habe einstecken müssen. Tatsächlich deutete der Ende 2012 abtretende Gemeindepräsident in einem Interview mit der «Berner Zeitung» vom 26. Mai 2012 («Keiner klopft einem auf die Schulter, wenn etwas klappt») an, dass die Arbeit im Gemeinderat von X. nicht immer einfach sei, auch wenn er keinen seiner Gemeinderatskollegen direkt kritisierte. Unter diesen Umständen ist für den Presserat eine Verletzung der Wahrheitspflicht nicht erstellt, auch wenn der Beschwerdeführer die Vorgänge persönlich anders bewertet und sich als denjenigen darstellt, welcher Missstände in der Gemeinde bereinigt und sich vor allem deshalb keine Freunde geschaffen habe.

2. Gemäss der Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» sind Betroffene vor der Veröffentlichung von schweren Vorwürfen anzuhören und ist ihre Stellungnahme im Medienbericht angemessen wiederzugeben.

Die Behauptung, der Beschwerdeführer sorge für schlechte Stimmung im Gemeinderat, ist kein solch schwerer Vorwurf. Als Politiker muss sich der Beschwerdeführer derartige Kritik gefallen lassen. Und die weiteren Vorwürfe – aus dem Gemeinderat von X. gelangten Interna an die Öffentlichkeit und es fehle an Kollegialität – richten sich bloss indirekt an den Beschwerdeführer, auch wenn er offensichtlich davon berührt ist, da er als einziger im Kommentar namentlich erwähnt ist. Hätte die «Berner Zeitung» explizit geschrieben, der Beschwerdeführer habe das Amtsgeheimnis verletzt, wäre die Anhörung zwingend gewesen. Der wesentlich vagere und bloss indirekt erhobene Vorwurf, aus dem Gemeinderat von X. gelangten Interna an die Öffentlichkeit, impliziert hingegen nicht zwingend ein illegales oder damit vergleichbares unredliches Verhalten (vgl. z.B. die Stellungnahmen 48 und 75/2012). Schliesslich ist es zwar verständlich, dass der indirekt erhobene Vorwurf, der Beschwerdeführer verletze das Kollegialitätsprinzip, den Beschwerdeführer kränkt, doch handelt es sich auch hier nicht um einen schweren Vorwurf, zu dem er zwingend hätte angehört werden müssen.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Mit der Veröffentlichung des Kommentars «Weg frei für einen Neuanfang» in der Ausgabe vom 26. November 2012 hat die «Berner Zeitung» die Ziffern 1 (Wahrheit) und 3 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.