Nr. 7/2013
Wahrheit / Menschenwürde

(X. c. «Blick Online») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 15. Februar 2013

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I. Sachverhalt

A. In seiner Berichterstattung über den Amoklauf an einer Schule in Newtown/USA, bei dem 28 Menschen ums Leben kamen, veröffentlichte «Blick Online» am 16. Dezember 2012 einen Artikel mit dem Titel «Das Profil des Bösen». Der Lead des Artikels lautet: «Adam Lanza war autistisch, hoch-begabt und ein Computer-Narr. Am Freitag tötete er 28 Menschen.» Lanza habe sich «immer vor der Welt verstecken wollen». Bevor ihn der Hass auf seine Mutter zu «unsagbarer Grausamkeit» getrieben habe, habe er alles vermieden, was Aufmerksamkeit erregen könnte. Lanza habe mühelos Topnoten in Mathematik geholt, aber keine richtigen Sätze bilden können. «Lanza litt am sogenannten Asperger-Syndrom – einer schwachen Form von Autismus.» Von den Mitschülern sei er aber nicht gemobbt, sondern bloss ignoriert worden. Laut Mitschülern habe er schon in der sechsten Klasse davon «gefaselt», etwas «in die Luft zu jagen». Die Eskalation habe sich angebahnt. «Am Donnerstag soll Lanza laut CNN einen heftigen Streit mit vier Schulangestellten gehabt haben. Es ging offenbar um den verwehrten Zugang zur Schule. Drei der vier Schulangestellten sind jetzt tot.»

Die Mutter des Amokläufers sei eine gute Mutter gewesen und habe sich bei ihrem Sohn um alles gekümmert. Aber sie habe ein verhängnisvolles Hobby gehabt: Sie habe Waffen gesammelt. Diese habe sich ihr Sohn für seinen Amoklauf geholt. Illustriert ist der Artikel mit einem Bild des Amokläufers. In einem separaten Kasten («Die Krankheit des Kinderkillers») zitiert «Blick Online» die Erklärungen von Josef Sachs, Chefarzt Forensik der Psychiatrischen Dienste Aarau, wonach beim Asperger-Syndrom Betroffene Probleme hätten, Beziehungen zu anderen aufzubauen und sich deshalb von der Umwelt abkapselten. Sie seien stressempfindlich und hätten Mühe, wenn etwas nicht nach Plan laufe. Dies könne zu emotionalen Ausrastern führen. «Aussenstehenden erscheinen sie als Sonderlinge – die klassischen Merkmale eines Amokläufers. Sachs glaubt dennoch nicht, dass es die Krankheit alleine war, die Lanza zu seiner Tat trieb.»

B. Am 18. Dezember 2012 beschwerte sich X. beim Schweizer Presserat, der obengenannte Bericht verletze die Ziffern 1 (Wahrheit) und 8 (Respektierung der Menschenwürde) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten». Mit dem Titel «Das Profil des Bösen» und der unmittelbar darauf beginnenden Einleitung «Lanza war autistisch» impliziere der Text, dass die Ursache des Bösen im Autismus liege. Das sei falsch. Laut Fachleuten hätten autistische Menschen eine niedrigere Kriminalitätsrate als nichtautistische Menschen. Sie würden eher zu Opfern als zu Tätern. Der separate Kasten enthalte zudem weitere Fehler. So sei das Asperger-Syndrom keine Krankheit sondern eine tiefgreifende Entwicklungsstörung. Zudem hätten die Symptome des Asperger-Syndroms nichts mit den Merkmalen eines Amokläufers zu tun.

Mit der Art und Weise der Darstellung verletze der Artikel zudem die Würde von Menschen mit Autismus.

C. Gemäss Artikel 12 Absatz 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presseratspräsidium Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt.

D. Das Presseratspräsidium, bestehend aus Präsident Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann, hat die vorliegende Stellungnahme per 15. Februar 2013 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.


II. Erwägungen


1.
Gemäss Artikel 10 Absatz 2 seines Geschäftsreglements tritt der Presserat nicht auf eine Beschwerde ein, wenn diese offensichtlich unbegründet erscheint.

2. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers suggerieren weder Titel und Lead noch der Lauftext des beanstandeten Berichts, die Ursache des Amoklaufs liege im Autismus. Im Gegenteil relativiert der von «Blick» befragte Arzt den möglichen Zusammenhang zwischen Autismus und Tat ausdrücklich («Sachs glaubt dennoch nicht, dass es die Krankheit alleine war, die Lanza zu seiner Tat trieb»). Für die Leserschaft ist zudem die Unterscheidung zwischen «Krankheit» und «tiefgreifender Entwicklungsstörung» nicht so wesentlich, dass aus der vom Beschwerdeführer beanstandeten Begriffsverwendung eine Verletzung der Ziffer 1 der «Erklärung» abzuleiten wäre (vgl. dazu auch die Stellungnahme 32/2012). Und schliesslich schreibt «Blick Online» zwar sinngemäss, dass Merkmale von vom Asperger-Syndrom Betroffenen äusserlich mit Beschreibungen von Amokläufern übereinstimmten. Doch wird der Leserschaft durch die bereits angeführte Relativierung von Josef Sachs klar-gemacht, dass aus dieser laut «Blick Online» äusserlichen Ähnlichkeit keine monokausalen Schlüsse gezogen werden können. Insgesamt beschränkt sich der Artikel darauf, Informationen über die Person des Amokläufers zusammenzutragen, ohne explizite Schlüsse zu den möglichen Tatursachen zu ziehen.

3. Da «Blick Online» nach Auffassung des Presserats weder bei Adam Lanza noch generell behauptet, Autismus sei der Grund des Amoklaufs von Newton oder anderer Amokläufe, hat das Newsportal auch die Ziffer 8 der «Erklärung» offensichtlich nicht verletzt.

III. Feststellung

Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.