Nr. 30/2015
Parallelverfahren

(X. und Mitunterzeichnende c. «Weltwoche») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 31. August 2015

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I. Sachverhalt

A. Am 2. Oktober 2014 erschien in der «Weltwoche» ein erster Artikel mit dem Titel «Beziehungsdelikt». Der Anriss auf der Frontseite lautete: «Die Geliebte des Historikers». Darunter hiess es: «Wie der bekannte Geschichtsforscher Philipp Sarasin seine Freundin am eigenen Seminar zur Professorin machte». Auf Seite 3 wurde in der Rubrik «Intern» auf diesen Beitrag hingewiesen. Ebenfalls am 2. Oktober veröffentlichte die «Weltwoche» in ihrer Online-Ausgabe u.a. einen Leserbrief von Renato Neidhart zu diesem Artikel. In der Ausgabe vom 9. Oktober 2014 erschien unter dem Titel «Helden der Doppelmoral» ein weiterer Artikel, der auf der Frontseite mit dem Titel «Das süsse Gift der Korruption» und dem Untertitel «Beziehungsfilz: Wie die Uni Zürich im Fall Sarasin versagt» eingeführt wurde. Auch auf diesen Artikel wurde in der Rubrik «Intern» hingewiesen. Am 16. Oktober 2014 folgte der nächste Artikel, überschrieben mit «Sarasins Lücken». In den erwähnten Artikeln setzte sich die «Weltwoche» mit der Rolle des Geschichtsprofessors Philipp Sarasin bei der Berufung von Svenja Goltermann zur Honorarprofessorin auseinander. Sarasin war 2009/10 Mitglied der Berufungskommission und Ko-Vorsteher des Historischen Seminars. Goltermann besetzt seit Februar 2012 den Lehrstuhl für Geschichte der Neuzeit an der Forschungsstelle für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Sie kooperiert dort eng mit Sarasin. Seit Sommer 2013 sind die beiden nach eigenem Bekunden ein Paar und leben zusammen.

In den Artikeln geht der Verfasser Philipp Gut, stellvertretender Chefredaktor der «Weltwoche», davon aus, dass Sarasin und Goltermann «nicht nur nach, sondern auch vor dem Zeitpunkt des Berufungsverfahrens» eine Liebesbeziehung unterhalten hätten. Über den effektiven Beginn des Verhältnisses äussert er sich nicht, erwähnt aber «mehrere, voneinander unabhängige Quellen» für seine Darstellung, zudem eine «beträchtliche Zahl von Mitwissern» sowie «Insider» und zieht daraus den Schluss, Sarasin hätte bei Goltermanns Berufung in den Ausstand treten müssen. Weitere Belege für seine These nennt der Autor nicht. Goltermann selbst kommt in den Artikeln nicht zu Wort. Dass Sarasin mit der gesamten Kommission für Goltermanns Berufung als Professorin in Zürich votierte, wertet Gut als «Beziehungskorruption».

B. Am 21. November 2014 legte die Slawistik-Professorin X. gemeinsam mit 103 weiteren Professoren der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen die Berichterstattung der «Weltwoche» zwischen dem 2. und 16. Oktober 2014 ein, darunter gegen drei Artikel, zwei Titelseiten und zwei Erwähnungen in der Hausmitteilungs-Rubrik «Intern» und einen Leserbrief sowie die Online-Berichterstattung der «Weltwoche» zu diesem Fall. Zwar hätten Goltermann und Sarasin gerichtliche Schritte wegen Persönlichkeitsverletzung gegen die «Weltwoche» eingeleitet, die Unterzeichnenden der Beschwerde seien aber keine Verfahrensbeteiligte. Die Beschwerdeführenden richten sich allein «gegen die Berichterstattung der Weltwoche über Svenja Goltermann»: «In diesen Artikeln werden gegen Frau Prof. Goltermann, Professorin für Geschichte der Neuzeit am Historischen Seminar der Universität Zürich, der auch wir angehören, massive Vorwürfe erhoben …».

Im Einzelnen wird ausgeführt, der Verfasser (Philipp Gut) behaupte, «Frau Prof. Goltermann sei nicht aufgrund ihrer fachlichen Qualifikation an die Universität Zürich berufen worden, sondern weil sie zum Zeitpunkt des Berufungsverfahrens die Geliebte des Historikers Prof. Sarasin gewesen sei. Sie habe sich folglich ihren Lehrstuhl durch die Liebesbeziehung erschlichen bzw. sich für diesen prostituiert».  
 
C. Die anwaltlich vertretene «Weltwoche» stellte in ihrer Beschwerdeantwort vom 2. Februar 2015 den Antrag, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, wenn doch, sei sie abzuweisen. In Bezug auf das Verfahren beantragte sie, dieses vorab auf die Frage der Zuständigkeit zu beschränken, andernfalls eine kurze Frist zur Ergänzung der Beschwerdeantwort zu setzen. Die Beschwerdeführenden selbst stellten in ihrer Beschwerde zutreffend fest, dass Svenja Goltermann und Philipp Sarasin gerichtlich wegen angeblicher Persönlichkeitsverletzungen und Verstössen gegen das Lauterkeitsrecht gegen die «Weltwoche» vorgingen. Es handle sich um ein laufendes Verfahren, bei dem das erstinstanzliche Beweisverfahren noch nicht durchgeführt worden sei. Der Presserat trete grundsätzlich nicht auf Beschwerden ein, wenn in gleicher Sache bereits ein Gerichtsverfahren eingeleitet ist. Wie sich bereits aus dem Wortlaut von Art. 10 Abs. 2 des Geschäftsreglements ergebe, sei es dabei unerheblich, von wem das Verfahren eingeleitet wurde. Laut Art. 8 Abs. 3 seines Geschäftsreglements genüge es, dass im Zusammenhang mit dem Streitgegenstand ein Verfahren läuft. Die Ausführungen der Beschwerdeführer, wonach das Gerichtsverfahren nicht von ihnen selbst eingeleitet worden ist, seien demnach unerheblich. Weil in diesem Verfahren die gleichen Fragen zu beurteilen sind wie im Presseratsverfahren, bestehe eine erhebliche Gefahr, dass das hängige Gerichtsverfahren beeinflusst werde. Dies umso mehr, als die Beschwerdeführer allesamt aus dem Umfeld der zivilrechtlichen Kläger stammten und es als wahrscheinlich zu gelten habe, dass die Ausführungen im Rahmen des Presseratsverfahren an die Kläger weitergereicht würden beziehungsweise in den Zivilprozess einflössen.

Schliesslich stellten sich – entgegen den Behauptungen der Beschwerdeführer – auch keine berufsethischen Grundsatzfragen, die ein Eintreten auf die Beschwerde rechtfertigen würden. Vorliegend gehe es im Wesentlichen um die Beurteilung von Tatsachenbehauptungen, deren Wahrheitsgehalt von den Beschwerdeführern bestritten oder zumindest in Zweifel gezogen werde. Gerade der Presserat sei zu deren Beurteilung jedoch das falsche Gremium, fehlten ihm doch die prozessualen Mittel, um ein eigentliches Beweisverfahren durchzuführen. Berufsethische Fragen stellten sich auch nicht bezüglich der behaupteten Verletzung der Anhörungspflicht.

D. Am 18. Februar 2015 setzte der Presserat der «Weltwoche» eine Nachfrist zur Ergänzung der Beschwerdeantwort an. In ihrer Antwort vom 26. Februar 2015 stellte die Beschwerdegegnerin erneut den Antrag, es sei auf die Beschwerde nicht einzutreten, eventuell sei sie vollumfänglich abzuweisen. In Bezug auf den Sachverhalt bestreitet die «Weltwoche», dass sie in den beanstandeten Artikeln massive Vorwürfe an die Adresse von Svenja Goltermann erhoben habe. Die Berichterstattung diene einem erheblichen öffentlichen Interesse, was im Übrigen auch das Bezirksgericht Zürich so beurteilt habe. Denn mit Verfügung vom 7. Oktober 2014 habe es ein superprovisorisches Gesuch von Philipp Sarasin gegen die «Weltwoche» abgewiesen.

E. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 1. Kammer zu, der Francesca Snider (Kammerpräsidentin), Michael Herzka, Pia Horlacher, Klaus Lange, Francesca Luvini, Casper Selg und David Spinnler (Mitglieder) angehören.

F. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 21. Mai 2015 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Die Beschwerdegegnerin stellt den Antrag, der Presserat möge nicht auf die Beschwerde eintreten. Zum einen hätten die Beschwerdeführenden selbst festgestellt, dass Svenja Goltermann und Philipp Sarasin gerichtlich wegen angeblicher Persönlichkeitsverletzungen und Verstössen gegen das Lauterkeitsrecht gegen die «Weltwoche» vorgingen. Zudem stellten sich auch keine berufsethischen Grundsatzfragen, die ein Eintreten auf die Beschwerde rechtfertigten. Im Wesentlichen g
ehe es um die Beurteilung von Tatsachenbehauptungen, deren Wahrheitsgehalt die Beschwerdeführer bestritten oder zumindest in Zweifel zögen. Gerade der Presserat sei jedoch zur Beurteilung das falsche Gremium, könne er doch kein eigentliches Beweisverfahren durchführen. Auch stellten sich in Bezug auf die behauptete Verletzung der Anhörungspflicht keine berufsethischen Fragen.

2. Gestützt auf Art. 2 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserats gehört der Fall in den Aufgabenbereich des Presserats. Art. 11 des Geschäftsreglements hält die Voraussetzungen für das Eintreten auf eine Beschwerde fest: Gestützt auf Art. 11 Abs. 1, Punkt 6 tritt der Presserat u. a. nicht auf Beschwerden ein, wenn ein Parallelverfahren (insbesondere bei Gerichten oder der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen) eingeleitet wurde oder vorgesehen ist. Sofern sich berufsethische Grundsatzfragen stellen, kann der Presserat gleichwohl auf Beschwerden eintreten, auch wenn zum Beschwerdegegenstand bereits ein rundfunkrechtliches Verfahren oder ein Gerichtsverfahren hängig ist, der Beschwerdeführer ein solches während des Presseratsverfahrens einleitet oder vorhat, ein solches einzuleiten (Abs. 2).

3. Unbestritten ist, dass Svenja Goltermann und Philipp Sarasin gegen die «Weltwoche» gerichtlich wegen Persönlichkeitsverletzungen und Verstössen gegen das Lauterkeitsrecht vorgehen. Zu fragen ist deshalb, ob die Beschwerde grundlegende berufsethische Fragen aufwirft. Bei der Prüfung dieser Frage berücksichtigt der Presserat nicht allein die als verletzt gerügten berufsethischen Bestimmungen, sondern auch den konkret zur Diskussion stehenden Sachverhalt im Hinblick auf diese Bestimmungen. Ebenso fällt bei der Interessenabwägung durch den Presserat ins Gewicht, ob die Bedeutung der Beschwerdesache es rechtfertigt, zu einem identischen oder zumindest ähnlichen Sachverhalt zwei parallele Verfahren durchzuführen. Geht es im parallel hängigen Verfahren um die gleichen Fragen wie in der Presseratsbeschwerde, ist diese Doppelspurigkeit aus Sicht des Presserates in der Regel unnötig (Stellungnahmen 46/2007, 9/2010, 62/2012).

4. Die Beschwerdeführenden machen eine Verletzung des Gebots zur Anhörung bei schweren Vorwürfen (Richtlinie 3.8 zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten»), eine Verletzung des Gebots zur Trennung von Fakten und Kommentaren (Richtlinie 2.3), des Verbots der Unterschlagung wichtiger Elemente von Informationen (Ziffer 3 der «Erklärung»), des Gebots zur Achtung der Privatsphäre und zur Unterlassung sachlich nicht gerechtfertigter Anschuldigungen (Ziffer 7 der «Erklärung»), des Gebots zur Wahrung der berufsethischen Pflichten bei der Veröffentlichung von Leserbriefen (Richtlinie 7.4) sowie des Fairnessprinzips geltend. Der Presserat hat sich in zahlreichen Stellungnahmen zu diesen Themen geäussert. Die Beschwerdeführenden selbst begründen nicht weiter, weshalb sich ihrer Meinung nach berufsethische Grundsatzfragen stellen, die dem Presserat ein Eintreten trotz hängiger Parallelverfahren erlauben würden.

5. In seiner Stellungnahme 24/2015 hatte sich der Presserat jüngst zur Frage des Eintretens trotz eines hängigen Parallelverfahren und somit zur Auslegung von Art. 11 Abs. 1 Punkt 6 wie folgt geäussert: «Ratio legis der Bestimmung ist es, zu verhindern, dass sich zwei unterschiedliche Instanzen mit der gleichen Frage beschäftigen. Dabei geht es letztlich um prozessökonomische Überlegungen.» Unerheblich ist dabei, ob es sich beim Beschwerdeführer, der eine Beschwerde beim Presserat einreicht, um ein und dieselbe Person handelt, die parallel dazu ein gerichtliches Verfahren eingeleitet hat. In der hängigen Klage geht es wie bereits ausgeführt um die Frage, ob die «Weltwoche» mit den im Zusammenhang mit dem Berufungsverfahren von Svenja Goltermann veröffentlichten Artikeln widerrechtlich die Persönlichkeit von Svenja Goltermann respektive von Philipp Sarasin verletzt hat und ob die in den Berichten aufgestellten Tatsachenbehauptungen über die Klägerin respektive den Kläger wahr sind. Somit stehen zum einen dieselben Fragekomplexe zur Diskussion. Zum anderen hat sich der Presserat, wie erwähnt, zu diesen Themen bereits in einer grossen Anzahl von Stellungnahmen geäussert. Eine berufsethische Grundsatzfrage, zu der er sich noch nicht hat vernehmen lassen, sieht er vorliegend nicht gegeben.

III. Feststellung

Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.