Nr. 17/2015
Wahrheitspflicht

(X. c. «Die Weltwoche») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 6. Mai 2015

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I. Sachverhalt

A. «Die Weltwoche» publizierte am 9. Oktober 2014 einen Artikel über die Erfahrungen einer Mutter mit der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) unter dem Titel «Amoklauf einer Behörde». Die Autorin Penelope Meyer schrieb unter einem Pseudonym, da sie eine Persönlichkeit des Schweizer Kulturbetriebs sei. Sie schildert eigene Erfahrungen mit der KESB und kritisiert dabei das Vorgehen der Behörde als Fehlleistung.

B. Am 12. November 2014 beschwerte sich X. beim Schweizer Presserat gegen die Verwendung des Begriffs Amoklauf. Er sieht darin eine Verletzung der Wahrheitspflicht gemäss Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten». Der Artikel stehe in keinem Zusammenhang mit dem gewählten Titel. Erfahrungsberichte von Direktbetroffenen könnten die Tendenz zur Übertreibung aufweisen. Die Redaktion der «Weltwoche» hätte mässigend auf die Schreibende einwirken müssen. Indem die Redaktion der «Weltwoche» dies unterliess, habe sie die Wahrheitspflicht verletzt.

C. Gemäss Art. 13 Abs. 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presseratspräsidium Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt.

D. Das Presseratspräsidium, bestehend aus Präsident Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann, hat die vorliegende Stellungnahme per 6. Mai 2015 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.


II. Erwägungen

1. Gestützt auf Artikel 11 Absatz 1 seines Geschäftsreglements tritt der Presserat nicht auf eine Beschwerde ein, wenn diese offensichtlich unbegründet erscheint.

2. a) Die Hauptrüge der Beschwerde ist, dass der im Titel verwendete Begriff Amoklauf eine unzulässige Überspitzung darstellt. Gemäss Duden ist es durchaus üblich, den Begriff Amoklauf auch in einem übertragenen Sinne zu verwenden, indem er für überzogenes Handeln gebraucht wird, um damit beispielsweise Raserei, Tobsucht oder einen Wutausbruch zu beschreiben. Der Presserat hat sich verschiedentlich mit Zu- und Überspitzungen in Titeln und Schlagzeilen befasst (Stellungnahmen 1/2011, 26/2009, 12/2009). In der Stellungnahme 58/2007 hielt er fest: «Die Zuspitzung von Fakten in Schlagzeilen und Titeln ist berufsethisch zulässig, wenn dadurch ein Sachverhalt auf den Punkt gebracht wird. Eine unzulässige Überspitzung liegt demgegenüber vor, wenn der Sachverhalt durch die Verkürzung wahrheitswidrig verfälscht wird.» Der Presserat prüft dabei hypothetisch, ob Gefahr besteht, dass Leserinnen und Leser, bei denen nicht vorausgesetzt werden kann, dass sie neben Titel und Lead auch den Lauftext eines Artikels von A–Z aufmerksam lesen, in relevanter Weise getäuscht werden (12/2009).

b) Die von der «Weltwoche» veröffentlichten Informationen sind als Fakten unbestritten. Bereits im Untertitel «Wiederholt hat die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) meine Familie verfolgt und belästigt. Inkompetente Beamte leisten sich unglaubliche Fehler. Kaum je zuvor wurde das Wort ‹Kindeswohl› so missbräuchlich verwendet» wird der im Titel verwendete Begriff Amoklauf relativiert und die Redaktion stellt klar, dass sie ihn offensichtlich im übertragenen Sinn verwendet. Eine Täuschung der Leserinnen und Leser liegt demnach nicht vor. Die Beschwerde erweist sich als offensichtlich unbegründet.


III. Feststellung

Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.