I. Sachverhalt
A. Am 12. Mai 2016 veröffentlichte die «Schaffhauser AZ» den Artikel «Toniolo geht unter», gezeichnet von Kevin Brühlmann. Der Untertitel lautet: «Die letzte Late-Night-Show ‹Toniolo deckt auf› gleicht einem ermüdenden Klassentreffen, bei dem es letztlich nur um eine Person geht: um ‹Impresario› Beat Toniolo, der an seiner eigenen Moral scheitert.» Im Rahmen einer Theater- bzw. Showkritik kommentiert der Autor die neue Late-Night-Show des Trottentheaters Neuhausen. Angekündigt worden sei «Toniolo deckt auf» mit grossen Worten. Von «Weltstars» sei die Rede gewesen, von «vielen heiklen Fragen» und von einer Late-Night-Show mit «mehr Komik als persönlichem Talk» – so zumindest habe der «Kulturvermittler», wie Toniolo sich selbst nenne, sein neues Projekt vorgestellt. Die Premiere habe gezeigt, dass Toniolo keines seiner Versprechen einhalten könne. Von einem Konzept sei nichts zu sehen, die Show bleibe unfassbar wie eine Dunstwolke, und diese Irrfahrt sei ermüdend. Unter dem Zwischentitel «Weltstars? Fehlanzeige» nennt der Autor die Namen der Gäste, die zu Toniolo auf die Bühne kommen – darunter Marianne Sägebrecht und Stefan Haupt. Um Tiefschürfendes gehe es in der Show nicht. Sondern nur um eines: zu zeigen, wie viele begabte Menschen Toniolo kennt und weshalb. Heikle Fragen seien eine Fehlanzeige. «Toniolo deckt auf» sei bestenfalls belanglose Unterhaltung.
B. Am 1. Juli 2016 beschwerte sich X., vertreten durch Fairmedia, beim Schweizer Presserat gegen den Artikel vom 12. Mai 2016. Dieser verstosse mehrfach gegen die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung») und der zugehörigen Richtlinien. Titel («Toniolo geht unter»), Lead («… Beat Toniolo, der an seiner eigenen Moral scheitert») und die erste Spalte (1. Satz: «Nach zweidreiviertel Stunden gewährt … Beat Toniolo Gnade» sowie 4. Satz «Noch einmal lugt der kleine Mann über den Rand seiner giftgrünen Brille …») seien aus medienethischer Sicht stossend. Diese stellten alleine, aber auch in ihrer Summe keine Showkritik mehr dar, sondern eine persönliche Verletzung gegenüber Beat Toniolo. Sie missachteten in erheblicher Weise die Medienethik, da diese eine gewisse Fairness und Unvoreingenommenheit auch bei subjektiv zu verfassenden Kritiken verlange. Zum anderen verstosse insbesondere der 4. Satz gegen Ziffer 8 des Journalistenkodex sowie gegen Richtlinie 8.2 (Diskriminierungsverbot), indem auf Toniolos geringe Körpergrösse Bezug genommen werde. Der Journalist bediene sich hier eines Vorurteils (Napoleon-Komplex), indem er Beat Toniolo als kleinen Mann darstelle, der sich selbst zu etwas Grossem aufblasen möchte. Die in Ziffer 1 der «Erklärung» statuierte Wahrheitspflicht für Journalisten sieht der Beschwerdeführer in mehreren Passagen verletzt. Der Artikel unterstelle Toniolo, der Publikumszuruf am Ende der Show sei einstudiert gewesen. Dies sei falsch. Es handle sich vielmehr um ein typisches Showelement Toniolos, das dieser seit über 20 Jahren auf der Bühne verwende. Wer also von den Zuschauern gerufen habe, wisse Toniolo nicht, weil dies nicht einstudiert war. Da der Journalist dies aber in Abrede stelle («mit schlecht gespielter Überraschung») und somit eine Unwahrheit als Tatsache darstelle, sei Ziffer 1 des Journalistenkodex sowie Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) verletzt. Dasselbe gelte für Toniolos angebliche Aussage «Darauf will ich nicht weiter eingehen», mit der er seinem Gast Stefan Haupt das Wort abschneide. Diesen Satz habe Toniolo nie geäussert. Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, der Artikel sei verletzend und beleidigend und entspreche keiner journalistisch zulässigen Showkritik. Vielmehr bringe der Journalist seine persönliche Ablehnung gegenüber Toniolo zum Ausdruck, anstatt sachlich über die Premiere seiner Show zu berichten. Diese unkorrekte Herangehensweise des Journalisten dürfe der Presserat nicht schützen, dies auch vor dem Hintergrund, dass andere Journalisten ein völlig anderes, positives Bild der Late-Night-Show-Premiere zeichneten. Um eine herabsetzende, herablassende, diffamierende und teils belustigende Berichterstattung zu belegen, sind zahlreiche Zitate angeführt. Die Linie zwischen erlaubter Kritik und unerlaubter Verletzung sei wiederholt überschritten.
C. In ihrer Beschwerdeantwort vom 19. September 2016, verfasst vom Autor des Artikels, hält die «Schaffhauser AZ» fest, weder kenne er, Brühlmann, Beat Toniolo, noch hege er eine persönliche Abneigung gegen seine Person, geschweige denn «Groll und Hass». Dessen bisheriges Schaffen als Künstler in der Region Schaffhausen sei ihm zuvor nur in groben Zügen bekannt gewesen. Ihm daher eine «voreingenommene und unprofessionelle Herangehensweise» zu attestieren entbehre nicht nur jeglicher Logik, sondern sei vor allem eines: falsch. Bei der Ankündigung von «Toniolo deckt auf» sei die Rede von «Weltstars», von «vielen heiklen Fragen» und von einer Late-Night-Show mit «mehr Komik als persönlichem Talk» die Rede gewesen. Während des zweidreiviertelstündigen Programms sei es dann aber fast ausschliesslich um Toniolo selbst gegangen: eine One-Man-Show trotz vieler prominenter Gäste. Journalistisch sei es somit nur logisch, dass die Art und Weise seines Bühnenauftritts im Zentrum der Kritik stehe, denn Toniolos öffentlicher Auftritt sei untrennbar mit der Show als Ganzem verbunden. Seine Bühnenfigur sei die Show – Toniolo sei die Show. Dies gehe aus dem Artikel deutlich hervor. Und genau hier setze seine Kritik an: Beim Scheitern Beat Toniolos, selbst Inhalt zu schaffen – die Kernaussage seiner Rezension. Natürlich sei diese Bewertung subjektiv, anders sei eine Rezension auch gar nicht möglich.
Die meisten Einzelposten von X. Beschwerde bemängelten «Verstösse gegen die Medienethik», also Persönlichkeitsverletzungen, Beleidigungen, eine «primitive Wortwahl» und «herablassende Haltung» oder «Zynismus und Hohn» – alles «aus persönlicher Ablehnung gegenüber Beat Toniolo». Sämtliche Kritik an der Show, so hart sie manchmal klinge, sei im Detail belegt und nachvollziehbar begründet. Die Rezension beruhe also auf einer fundierten Analyse der Show. Dass X. den Begriff «klein» zu Beginn des Artikels als Beleidigung und daher als Diskriminierung der Person Toniolos interpretiere (Zuschreiben eines «Napoleon-Komplexes») sei bedauerlich. Diese Interpretation sei weder beabsichtigt, noch lasse sie sich bestätigen, wenn man den unmittelbaren Kontext dieses Worts betrachte: «Die erste Folge seiner Show ‹Toniolo deckt auf› geht zu Ende, jeden Moment zumindest. Noch einmal lugt der kleine Mann über den Rand seiner giftgrünen Brille, runzelt die Stirn; er scheint etwas vergessen zu haben.» Der Begriff klein werde wertungsfrei verwendet und verstosse daher nicht gegen Ziffer 8 der «Erklärung». Zu den zwei Elementen der Show, die laut X. gegen Ziffer 1 der «Erklärung» verstiessen (eine Interaktion Toniolos mit einer Person aus dem Publikum sei einstudiert gewesen bzw. er habe seinem Gast Stefan Haupt das Wort abgeklemmt) hält der Autor fest: In beiden Fällen habe er sich ohne Ausnahme an die Pflicht zur Wahrheitssuche gehalten. Beim ersten Punkt werde deutlich, dass es sich um eine Interpretation seinerseits handle, nicht um eine Tatsache («es klingt verdächtig nach Drehbuch»), im zweiten Fall, dem angeblich nicht geäusserten Zitat habe er sich auf seine ausführlichen Notizen gestützt, die er während der Show angefertigt habe. Ein Fehler sei hierbei möglich, aber ziemlich unwahrscheinlich. Dass der Satz «der Fantasie des Journalisten entspringt», sei eine Unterstellung. Es handle sich um eine zwar harte, aber faire und fundierte Rezension. Auf die Beschwerde von X. sei deshalb nicht einzutreten.
D. Am 26. Oktober 2016 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.
E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 29. September 2017 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. a) Der vom Beschwerdeführer kritisierte Artikel ist die Kritik einer Late-Night-Show. Berichte über kulturelle Ereignisse, zumal Kritiken bzw. Rezensionen, enthalten regelmässig eine subjektive, wertende Note. Die persönliche Einschätzung des Rezensenten fliesst in die Rezension mit ein, der Chronist steht für seine Einschätzung mit seinem Namen hin. Aus Sicht der journalistischen Berufsethik kommt hier entsprechend die Kommentarfreiheit, welche Ziffer 2 der «Erklärung» statuiert, zum Tragen. Der Presserat hält in ständiger Praxis fest, dass dem Kommentar, namentlich bezüglich der Tonalität, ein grosser Freiraum einzuräumen ist. Die berufsethischen Grenzen der Kommentarfreiheit gelten jedoch auch für die Kulturberichterstattung. Dies heisst, dass kommentierende Berichte das Publikum in die Lage versetzen müssen, die Wertungen des Kommentators ausgehend von den dem Kommentar zugrundeliegenden Fakten nachzuvollziehen und sich eine eigene Meinung zu bilden. Aus dem Fairnessprinzip und der Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Privatsphäre ist zudem abzuleiten, dass sich ein Kommentar besonders auch dann durch eine gewisse Fairness auszeichnen sollte, wenn er Einschätzungen von Personen wiedergibt (statt vieler: Stellungnahme 30/2001 zu den Grenzen der Kulturberichterstattung).
In seiner Stellungnahme vom 24. Mai 2000 hatte der Presserat zudem darauf hingewiesen, dass in einem kommentierenden Bericht auch eine scharf kritisierende, parteiergreifende, einseitige, pointierte Meinungsäusserung mit der «Erklärung» vereinbar ist, solange das Publikum in der Lage ist, zwischen Fakten und Wertungen zu unterscheiden und sich eine eigene Meinung zu bilden. Und im Entscheid 44/2001 hat er festgehalten, dass Redaktionen wie Öffentlichkeit de facto Kulturjournalisten einen grösseren Spielraum zubilligen. Sie akzeptieren einen grossen Anteil an Subjektivität. Handkehrum muss auch Kunstschaffenden und Interpreten klar sein, dass sie bei Präsentation ihrer Werke in der Öffentlichkeit oder Auftritten auf der Bühne mit zuweilen harscher, einseitiger Kritik und negativen Urteilen zu rechnen haben.
b) Vorliegend gibt bereits der Titel «Toniolo geht unter» die Tonalität des Artikels vor. Der Autor nimmt eine durchaus sehr kritische, um nicht zu sagen negative Würdigung der Late-Night-Show von Beat Toniolo vor. Dies ist angesichts der genannten Kriterien grundsätzlich nicht zu bemängeln. Kevin Brühlmann begründet detailliert, weshalb er zu seiner kritischen Einschätzung kommt. Ausgehend von diesen Fakten ist die Leserschaft der «Schaffhauser AZ» deshalb durchaus in der Lage, die darüber hinausgehenden pointierten Wertungen des Autors als solche zu erkennen und sie entweder als spekulativ oder zu gewagt zurückzuweisen oder sie zu teilen.
Näher zu untersuchen sind jene Aussagen, welche laut Beschwerdeführer gegen die Wahrheitspflicht (Ziffer 1 der «Erklärung») verstossen. Zum einen macht er geltend, der Artikel unterstelle Toniolo, der Publikumszuruf am Ende der Show sei einstudiert gewesen. Der Autor sagt dazu, aus dem Text gehe hervor, dass es sich um eine Interpretation seinerseits handle, nicht um eine Tatsache («es klingt verdächtig nach Drehbuch»). Der Presserat kann in diesem Passus keinen Verstoss gegen die Wahrheitspflicht erkennen. Der Autor macht im ersten und zweiten Abschnitt des Artikels deutlich, dass für ihn die Pointe am Schluss der Show einstudiert wirkt, ja, dass er überzeugt ist, dass sie es tatsächlich ist. Für den Leser und die Leserin geht dies aus dem Text hervor (s. erwähntes Zitat). Ein Verstoss gegen die Wahrheitspflicht liegt somit nicht vor.
Weiter zu prüfen ist Toniolos (angebliche) Aussage «Darauf will ich nicht weiter eingehen». Der Autor führt dazu im Artikel aus, dass Toniolo mit dieser Bemerkung seinem Gast Stefan Haupt das Wort abschneide. In seiner Stellungnahme macht er dazu geltend, er habe sich auf seine ausführlichen Notizen gestützt, die er während der Show angefertigt habe. Ein Fehler sei hierbei möglich, aber ziemlich unwahrscheinlich. Dass der Satz «der Fantasie des Journalisten entspringt», wie es im Beschwerdetext heisst, sei eine Unterstellung. Für den Presserat steht hier Aussage gegen Aussage. Eine Verletzung der Wahrheitspflicht ist somit auch hier nicht erstellt.
2. Zu prüfen ist sodann die von X. gerügte Verletzung von Ziffer 8 der «Erklärung». Indem auf die geringe Körpergrösse Toniolos Bezug genommen werde, bediene sich der Journalist hier eines Vorurteils (Napoleon-Komplex), indem er Beat Toniolo als kleinen Mann darstelle, der sich selbst zu etwas Grossem aufblasen möchte. Autor Brühlmann verweist hierzu auf den unmittelbaren Kontext, in dem er den Begriff klein verwende und hält fest, er verwende ihn wertungsfrei. Richtlinie 8.2 (Diskriminierungsverbot) hält fest, dass die Nennung der ethnischen oder nationalen Zugehörigkeit, der Herkunft, der Religion, der sexuellen Orientierung und/oder der Hautfarbe besonders dann diskriminierend wirken kann, wenn sie negative Werturteile verallgemeinert und damit Vorurteile gegenüber Minderheiten verstärkt. Der Hinweis auf die Grösse einer Person fällt in keine der genannten Kategorien. Ziffer 8 der «Erklärung» verlangt von Journalisten, dass sie die Menschenwürde respektieren und auf diskriminierende Anspielungen verzichten, welche die ethnische oder nationale Zugehörigkeit, die Religion, das Geschlecht, die sexuelle Orientierung, Krankheiten sowie körperliche oder geistige Behinderung zum Gegenstand haben. Auch gestützt auf diese Bestimmung vermag der Hinweis auf die Körpergrösse des Showmasters keine Verletzung des Journalistenkodex zu begründen. Das Wort klein wird deskriptiv und nicht wertend verwendet. Eine darüber hinausgehende Interpretation ist für den Presserat nicht nachvollziehbar. Abschliessend ist deshalb festzuhalten, dass der Bericht über die Late-Night-Show die Performance des Künstlers zwar kritisch und angriffig kommentiert, dabei aber dessen Würde respektiert und die Grenzen der Kommentarfreiheit nicht sprengt.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die «Schaffhauser AZ» hat mit der Rezension «Toniolo geht unter» vom 12. Mai 2016 die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht) und 8 (Menschenwürde) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.