I. Sachverhalt
A. Am 16. Oktober 2008 publizierte die «Schaffhauser AZ» unter dem Titel «Wir würden geschlossen zurücktreten» einen Bericht von Peter Hunziker über eine Medienkonferenz des Spitalrats des Kantonsspitals Schaffhausen und des kantonalen Gesundheitsdepartements. Themen der Medienorientierung waren Sparmassnahmen und die Auseinandersetzung zwischen dem Chefarzt der Chirurgie und der Spitalleitung. Der Lead lautete: «Nach dem Kesseltreiben in den ‹Schaffhauser Nachrichten› gegen die Führung des Kantonsspitals traten der Spitalrat und die Geschäftsleitung am vergangenen Donnerstag an die Öffentlichkeit. Für den abtretenden Chirurgen Walter Schweizer fanden weder Spitalleitung noch Arztkollegen gute Worte.»
Gemäss dem Artikel interessierte an der Medienkonferenz «vor allem die öffentliche Auseinandersetzung mit Walter Schweizer, dem Chefarzt der Chirurgie. Mangels Argumenten habe der Arzt seit langem auf persönliche Angriffe gesetzt.» Regierungspräsidentin Ursula Hafner habe Schweizers Vorwürfe als «Diffamierungen und Beleidigungen» bezeichnet, «die in jeder privaten Anstellung zu einer fristlosen Kündigung führen würden». Schliesslich sei es aber der Chirurg gewesen, der die Kündigung eingereicht habe. «Der Departementsleiter der operativen Disziplinen, Klaus Lang, bestätigte, Schweizer habe vor Mitarbeitern und Patienten den Spitalrat herabgesetzt und beleidigt. Die vorgetragenen Müsterchen verbaler Entgleisungen liessen keinen Zweifel mehr aufkommen, dass die gemeinsame Basis zerstört ist. Lang erklärte auch im Namen der anderen Departementsleiter in der Geschäftsleitung, man würde in globo zurücktreten, falls Schweizer in dieses Gremium berufen würde.» Edgar Hänseler, Präsident des Spitalrates, ziehe folgendes Fazit: «Ja, es ist zu schwierig geworden – eine Zusammenarbeit wurde unmöglich. Wir haben es immer wieder versucht, aber einmal ist genug, sonst sind wir als Führungsgremium nicht mehr glaubwürdig.» Der Autor des Berichts folgert daraus: «Ob Walter Schweizer unter diesen Voraussetzungen nach seinen Ferien wieder im Kantonsspital arbeiten wird, scheint eher unwahrscheinlich.» B. Am 17. Oktober 2008 gelangte X. mit einer Beschwerde gegen den obengenannten Bericht an den Schweizer Presserat.
Peter Hunziker behaupte wahrheitswidrig, weder Spitalleitung noch Arztkollegen hätten gute Worte für Schweizer gefunden. An der Medienkonferenz seien die medizinischen Qualitäten Schweizers jedoch ausdrücklich gewürdigt und anerkannt worden. Dies hätte im Bericht nicht unterschlagen werden dürfen. Weiter hätte die «Schaffhauser AZ» den Chirurgen mit den an der Medienkonferenz gegen ihn erhobenen schweren Vorwürfen konfrontieren müssen. Schliesslich versteige sich Hunziker zur spekulativen Aussage, es sei eher unwahrscheinlich, dass Schweizer nach seinen Ferien wieder im Kantonsspital arbeiten werde. Der Journalist habe an der Medienkonferenz diese Frage gestellt, jedoch vom Präsidenten des Spitalrates darauf keine konkrete Antwort erhalten.
Der beanstandete Beitrag verstosse gegen das Fairnessgebot sowie die Ziffern 1 (Wahrheitssuche) und 3 (Unterschlagung von wichtigen Informationen, Anhörung bei schweren Vorwürfen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten».
C. Am 1. Dezember 2008 wies Peter Hunziker die Beschwerde namens der «Schaffhauser AZ» als unbegründet zurück. Der Artikel vom 16. Oktober 2008 enthalte eine sachgerechte Berichterstattung über eine Medienkonferenz des Spitalrats und des Gesundheitsdepartements. «Müsste nach jeder Medienorientierung, um dem Gebot der Fairness gerecht zu werden, jeweils zwingend die andere Seite zu Wort kommen – wer immer das dann auch sein mag -, wären Herr X. und der Presserat möglicherweise besser ausgelastet, als ihnen lieb ist.» Seiner Leserschaft habe er die Zusammenfassung der von den einladenden Gremien vorgetragenen Gründe für Personalentscheide geboten, mit Zitaten und sich daraus ergebenden Konklusionen. «Die Berichterstattung der ‹Schaffhauser AZ› zur Kündigung von Walter Schweizer am Kantonsspital ergänzte die Berichterstattung der ‹Schaffhauser Nachrichten› um jene Facetten der Geschichte, die dort zweifellos zu kurz kamen.»
D. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu; ihr gehören Esther Diener-Morscher als Präsidentin an sowie Thomas Bein, Andrea Fiedler, Claudia Landolt Starck, Peter Liatowitsch, Daniel Suter und Max Trossmann.
E. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 12. März 2009 sowie auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. a) Gemäss Ziffer 1 der «Erklärung» lassen sich Journalistinnen und Journalisten vom Recht der Öffentlichkeit leiten, die Wahrheit zu erfahren. Laut Ziffer 3 der «Erklärung» unterschlagen sie keine wichtigen Elemente von Informationen. Der Beschwerdeführer beanstandet unter dem Gesichtspunkt der Wahrheitspflicht und des Verbots der Unterschlagung von wichtigen Informationen zwei Elemente des Berichts der «Schaffhauser AZ»: Einerseits hätte die Zeitung nach seiner Auffassung erwähnen müssen, dass die fachlichen Qualitäten des abtretenden Chefchirurgen an der Medienkonferenz ausdrücklich gewürdigt wurden, anderseits erachtet er es als unzulässig, ohne Bestätigung von Seiten des Spitalrates darüber zu spekulieren, dass Walter Schweizer nach seinen Ferien wahrscheinlich seine Arbeit im Kantonsspital nicht mehr aufnehmen werde. Der Presserat hält beide Rügen für unbegründet.
b) Peter Hunziker hat offensichtlich wahrheitsgemäss berichtet, wenn er schreibt, weder Spitalleitung noch Kollegen hätten gute Worte für den abtretenden Chefarzt gefunden. Der Journalist war berufsethisch nicht verpflichtet, gleichzeitig als Nebenaspekt zu erwähnen, die medizinischen Fähigkeiten und Leistungen Schweizers seien an der Medienkonferenz ausdrücklich gelobt wurden. Ein journalistischer Bericht ist kein umfassendes Protokoll, wählt also immer aus und setzt Schwerpunkte. Das Thema der Medienkonferenz waren – soweit den Chirurgen betreffend – nicht dessen berufliche Fähigkeiten, sondern war der persönliche Umgang mit Mitarbeitern und Spitalrat. Für die Leserschaft ist aufgrund des Berichts ohne weiteres nachvollziehbar, inwiefern an der Medienkonferenz «weder Spitalleitung noch Arztkollegen gute Worte» für Schweizer gefunden haben. Ebenso war es angesichts des Zerwürfnisses der Parteien naheliegend, zu spekulieren, der Chefchirurg werde nach seinen Ferien nicht wieder im Kantonsspital arbeiten. Die Hypothese Hunzikers ist aufgrund der Formulierung «im Übrigen scheint es unwahrscheinlich» ohne weiteres als unbestätigte Information erkennbar.
2. a) Zur Anhörung bei schweren Vorwürfen heisst es in der Richtlinie 3.8 zur «Erklärung»: «Aus dem Fairnessprinzip und dem ethischen Gebot der Anhörung beider Seiten leitet sich die Pflicht der Journalistinnen und Journalisten ab, Betroffene vor der Publikation schwerer Vorwürfe anzuhören.» In seiner Stellungnahme 20/2000 hat sich der Presserat zum Umgang mit schweren Vorwürfen geäussert, die anlässlich von Pressekonferenzen erhoben werden: «Aus der Informationsfreiheit ist das Recht der Medien abzuleiten, auch über einseitige Pressekonferenzen zu berichten. Das Publikum ist jedoch auf die Herkunft von einseitigen Informationen hinzuweisen. Darüber hinaus sind Medien verpflichtet, wenn bei Pressekonferenzen schwere Vorwürfe erhoben werden, auf deren abweichende Darstellung hinzuweisen, wenn diese dem Publikum nicht ohnehin bekannt ist.»
b) Soweit die «Schaffhauser AZ» in ihrer Beschwerdeantwort geltend macht, bei der Berichterstattung über Medienkonferenzen entfalle die Pflicht, Betroffene vor der Veröffentlichung schwerer Vorwürfe anzuhören, widerspricht diese Auffassung der Praxis des Presserates. Für die Anwendbarkeit des Anhörungsprinzips kann es nicht von
Belang sein, bei welchem Anlass, in welcher Form ein schwerer Vorwurf erhoben wird. Eine Ausnahme bildet gemäss der Stellungnahme 35/2004 einzig der Abdruck von Zitaten aus öffentlich zugänglichen amtlichen Quellen in Analogie zu Art. 27 Abs. 4 StGB (Straflosigkeit der wahrheitsgetreuen Berichterstattung über öffentliche Verhandlungen und amtliche Mitteilungen).
c) Hat die «Schaffhauser AZ» in ihrem Bericht vom 16. Oktober 2009 gegenüber dem Chirurgen Walter Schweizer schwere Vorwürfe erhoben und waren diese neu? Der Presserat hat dies kontrovers diskutiert. Unbestrittenermassen äusserten Spitalrat und Gesundheitsdepartement an ihrer Medienkonferenz scharfe Kritik am Verhalten von Walter Schweizer. Und isoliert betrachtet wiegt insbesondere der Vorwurf schwer, der Chirurg habe «Diffamierungen und Beleidigungen» geäussert, «die in jeder privaten Anstellung zu einer fristlosen Kündigung führen würden». Diffamierung (Verleumdung) ist ein strafrechtlich relevantes Verhalten. Und die Analogie zur privatrechtlichen fristlosen Auflösung des Arbeitsverhältnisses beinhaltet implizit den Vorwurf eines schweren Verstosses gegen Arbeits- oder Treuepflichten. Nach Auffassung des Presserates sind diese Vorwürfe aber nicht isoliert, sondern im Gesamtkontext der öffentlich ausgetragenen Auseinandersetzung rund um die Kündigung von Chefarzt Walter Schweizer zu sehen. In diesem Kontext waren die Vorwürfe zum Zeitpunkt der Medienkonferenz nicht mehr gänzlich neu. Die Schaffhauser Öffentlichkeit und auch die Leserschaft der «Schaffhauser AZ» hatten davon Kenntnis, dass Walter Schweizer Ende September 2008 seine Stelle wegen persönlicher Differenzen mit der Spitalleitung gekündigt hatte. Die Leserschaft der «Schaffhauser AZ» war damit auch ohne Stellungnahme des Betroffenen in der Lage, die an der Medienkonferenz geäusserten Vorwürfe in den Gesamtkontext einzuordnen. Entsprechend ist eine Verletzung der Anhörungspflicht, wenn auch knapp, zu verneinen. Trotzdem wäre es besser gewesen, vor der Publikation des Artikels eine Stellungnahme von Walter Schweizer einzuholen oder im Bericht zumindest auf dessen entgegengesetzte Sichtweise hinzuweisen.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die «Schaffhauser AZ» hat mit ihrem Artikel «Wir würden geschlossen zurücktreten» vom 16. Oktober 2008 das Fairnessprinzip sowie die Ziffern 1 (Wahrheit) und 3 (Unterschlagung von Informationen; Anhörung bei schweren Vorwürfen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.