Nr. 20/2009
Wahrheits- und Berichtigungspflicht

(X./Y. c. «Cash daily») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 2. April 2009

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I. Sachverhalt

A. Am 9. September 2008 berichtete die inzwischen eingestellte Gratiszeitung «Cash daily» auf der Titelseite: «Bio wird jetzt auch zum Mode-Renner». Textilunternehmen verkauften «immer mehr biologisch und fair produzierte Kleider. Nicht alle grossen Schweizer Player haben den Trend erkannt.» Im Artikel werden vier Unternehmen namentlich erwähnt: Coop, Migros, H&M und Charles Vögele. Als Spitzenreiter unter den Anbietern von Bio-Mode wird Coop mit dem Label Naturaline bezeichnet. «Bereits 55 Prozent aller verkauften Coop-Textilien werden nach Naturaline-Standard produziert. Über 400 Tonnen biologische Baumwolle verarbeitet Coop jährlich zu Kleidungsstücken. Labels wie Naturaline garantieren, dass die Baumwolle ökologisch und nachhaltig angebaut wird. Auch Migros setzt auf Bio-Mode. Das Label Eco macht bereits 70 Prozent des Textilsortiments aus. ‹Ziel ist, alle Kleider nach Eco-Standards zu produzieren›, sagt Sprecher Corsin Caviezel. Umsatzzahlen gibt Coop keine bekannt.» Ebenfalls keine Umsatzzahlen veröffentliche auch H&M. Der Moderiese verarbeite aber dieses Jahr allein für die Schweiz 2000 Tonnen biologische Baumwolle. Nicht auf den «Bio-Zug» aufgesprungen sei hingegen Charles Vögele.

B. Am 11. September 2009 wies X. die Redaktion von «Cash daily» per E-Mail darauf hin, der Bericht vom 9. September vergleiche das Bio-Label von Migros in unzulässiger Weise mit dem Coop-Label Naturaline. Das Eco-Label der Migros sei jedoch wesentlich weniger streng und garantiere insbesondere nicht, dass 70 Prozent der Migros-Textilien aus Bio-Baumwolle produziert werden. Er bitte die Redaktion, den Fehler in der nächsten Ausgabe zu korrigieren.

C. Rüdy Steiner, Chefredaktor von «Cash-daily», bedankte sich gleichentags für das Feedback: «Wir werden bei der nächsten Bio-Baumwoll-Story die Sachen besser auseinander zu halten versuchen. Und vielleicht vorab auch Sie kontaktieren, da Sie offensichtlich ein Experte der Materie sind.»

D. Am 15. Oktober 2008 gelangten X. und Y. mit einer Beschwerde gegen den obengenannten Bericht von «Cash daily» an den Presserat. Die Gegenüberstellung des Coop Naturaline-Standards mit dem Migros Eco-Standard suggeriere fälschlicherweise, 70 Prozent des Migros-Textilsortiments bestehe aus Baumwolle, die ökologisch und nachhaltig angebaut werde. Das Migros Eco-Label fordere aber nicht die Verwendung von Bio-Baumwolle, sondern besage lediglich, dass von der Garnproduktion bis zur Konfektion keine umweltgefährdenden, hautreizenden und allergenen Stoffe verwendet und dass die Rohstoffe geschont werden. Mit dem Coop-Label Naturaline vergleichbar wäre wenn schon das Migros-Label «Engagement Bio Baumwolle». Damit erziele Migros weniger als 5 Prozent Umsatz. Basierend auf der Falschinformation werde die Migros damit gegenüber den anderen Marktteilnehmern bevorteilt.

Mit dem beanstandeten Bericht habe «Cash daily» die Wahrheitspflicht verletzt (Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten»). Zudem wäre die Zeitung verpflichtet gewesen, ihre Fehlinformation zu berichtigen (Ziffer 5 der «Erklärung»). Sie fordern mit der Beschwerde erneut eine Richtigstellung ein.

E. Am 8. Dezember 2008 beantragte die anwaltlich vertretene Redaktion von «Cash daily», die Beschwerde sei abzuweisen. Der Artikel befasse sich mit der Haltung von Grossunternehmungen zu Bio- bzw. Ökomodeartikeln. Das Thema werde weder umfassend noch vertieft behandelt, sondern nach dem «üblichen Schema des modernen (Kurzfutter)-Journalismus». Der Artikel setze die beiden Labels von Coop bzw. Migros keineswegs gleich. Und wenn es so wäre, dann sei nicht zu sehen, was daran falsch sein sollte. Bestritten wird auch die Behauptung der Beschwerdeführer, mit Coop Naturaline sei nur ein anderes als das im Artikel erwähnte Label von Migros vergleichbar. Es gehe schliesslich nicht um die Frage, ob die Bio-Baumwolle von Migros mehr oder weniger «bio» sei als die von Coop oder umgekehrt. So seien weder die Leser und Leserinnen falsch informiert worden, noch der Migros dadurch ein übermässiger Vorteil entstanden, wie die Beschwerdeführenden behaupteten. Damit erübrige sich auch die Frage der Berichtigungspflicht. Wo nichts relevant falsch sei, gäbe es auch nichts zwingend zu berichtigen.

F. Das Präsidium des Presserates übertrug die Beschwerde zur Behandlung an die 1. Kammer. Diese setzt sich zusammen aus Edy Salmina (Kammerpräsident), Luisa Ghiringhelli Mazza, Pia Horlacher, Philip Kübler, Klaus Lange, Sonja Schmidmeister und Francesca Snider.

G. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 2. April 2009 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Wäre tatsächlich ein Vergleich zwischen den verschiedenen Öko-Modelabels der Grossverteiler Thema des beanstandeten Medienberichts, wäre die Beschwerde allenfalls gutzuheissen. Denn der Presserat teilt gestützt auf die eingereichten Unterlagen die Auffassung der Beschwerdeführenden, dass bei einem Vergleich zwischen dem Coop-Label Naturaline und dem Migros Eco-Label «Äpfel mit Birnen» verglichen werden. Und beim flüchtigen Lesen kann tatsächlich der Eindruck entstehen, die beiden Labels seien vergleichbar. Behauptet wird dies im Artikel allerdings nicht explizit. Thema des Berichts ist nicht, welche Produktionsanforderungen an «Bio-Mode» bei den einzelnen Labels gestellt werden, sondern einzig der offenbar zunehmende wirtschaftliche Erfolg von Mode, die unter dem Label «Ökologie» verkauft wird. Und «Cash daily» führt nur in Bezug auf das Coop-Label Naturaline aus, dieses garantiere, «dass die Baumwolle ökologisch und nachhaltig angebaut wird». Zwar mag dies aus Sicht der Beschwerdeführenden im konkreten Fall bedauerlich sein: berufsethisch ist es nicht erforderlich, in jedem Medienbericht auf sämtliche Teilaspekte eines Themas einzugehen (vgl. bereits die Stellungnahme 9/1994). Den meisten Lesern und Leserinnen dürfte zudem bekannt sein, dass «bio» nicht in jedem Fall «bio» bedeutet, sondern dass sich jedes Label nach eigenen Kriterien definiert. Eine Verletzung der Ziffer 1 der «Erklärung» (Wahrheit) ist unter diesen Umständen ebenso zu verneinen wie eine Bevorteilung der Migros durch den Bericht.

2. Wie die Beschwerdegegner zutreffend ausführen, entfällt mangels einer relevanten Unwahrheit im beanstandeten Bericht von vornherein eine Pflicht zur Berichtigung einer Falschinformation (Ziffer 5 der «Erklärung»). Trotzdem wäre es ein Leichtes und im Interesse der Leserschaft gewesen, wenn «Cash daily» nach Eingang des Hinweises vom 11. September 2008 eine kurze Präzisierung veröffentlicht hätte.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. «Cash daily» hat mit der Veröffentlichung der Berichts «Bio wird jetzt auch zum Mode-Renner» vom 9. September 2008 die Ziffern 1 (Wahrheit) und 5 (Berichtigung von Falschmeldungen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.