I. Sachverhalt
A. Am 21. September 2008 publizierte die «SonntagsZeitung» auf der Seite 7 im ersten Bund einen vierspaltigen Artikel mit dem Titel «228 Forderungen zum EU-Freihandelsabkommen». Die Landwirtschaft fordere «ein satt geschnürtes Massnahmenpaket, um ein Agrarfreihandelsabkommen mit der EU abzufedern. Die 3,2 Millionen Franken, die der Bundesrat für Begleitmassnahmen in Aussicht gestellt hat, wollen die Bauern für Marketingmassnahmen ausgeben und in eine Verbesserung der Rahmenbedingungen stecken.» Zentrale Forderung der Landwirte sei eine Reduktion der Produktionskosten. «Gefordert wird auch eine breite Palette von Sozialmassnahmen: Mindestlöhne, Kindergeld, Frühpensionierungen und Umschulungen für diejenigen, die im EU-Markt nicht bestehen können. Ein Extrakt der Forderungen wird der Bauernverband nächste Woche im Departement von Landwirtschaftsministerin Doris Leuthard deponieren.» Chancenlos innerhalb der Landwirtschaftsorganisationen seien hingegen «Stimmen, die den in der Schweiz verschärften Tierschutz wieder abbauen wollen. Die ethisch und qualitativ hochstehende Produktion von Lebensmitteln sieht die Mehrheit der Bauern als Chance im auf Masse getrimmten EU-Markt. (…) Eine vom Bundesamt für Veterinärwesen Ende August abgeschlossene Studie kommt zum Schluss, dass es Nutztiere nirgends so gut haben wie in der Schweiz. Würde der Tierschutz auf das EU-Niveau gesenkt, müsste ein massiver Rückgang im Tierwohlbereich hingenommen werden. ‹Wir müssten die Swissness endgültig vergessen.› Um diesen Vorteil voll ausspielen zu können, schlagen die Fleischbauern eine Deklarationspflicht für in der Schweiz verbotene Produktionsmethoden vor: ‹Tier wurde ohne Betäubung kastriert›, könnte so künftig auf der Verpackung eines EU-Steaks stehen.»
Illustriert ist der Artikel mit einem relativ grossformatigen Bild, das eine Schar von fröhlich hüpfenden Schweinen auf einer Alp zeigt. Die Bildlegende lautet: «Freilauf für die einheimische Landwirtschaft: Die Schweizer Qualität soll mit 3,2 Milliarden Franken unterstützt werden.» Die Fotobyline gibt «C. Schürpf/Key» als Quelle des Bildes an.
B. Am 28. September 2009 veröffentlichte die «SonntagsZeitung» einen Leserbrief von Erwin Kessler, Tuttwil, sowie drei weitere Leserbriefe, die sich kritisch zu dem in der Ausgabe der Vorwoche abgedruckten Bild von Alpschweinen äusserten. Dieses täusche darüber hinweg, dass Alpschweine in der Schweiz ihre «glückliche Alpzeit» in einem engen Stall verbrächten. Tierfreundliche Schweinehaltung sei in der Schweiz eine Seltenheit.
C. Am 29. September 2009 gelangte der Tierschützer Erwin Kessler namens des Vereins gegen Tierfabriken Schweiz (nachfolgend: VgT) mit einer Beschwerde gegen die Redaktion der «SonntagsZeitung» an den Presserat.
Mit der Publikation des Bildes mit den herumrennenden Schweinen habe die «SonntagsZeitung» die Leser massiv angelogen. «Das Bild illustriert – etwas anderes kann der Leser nicht erkennen – was mit 3,2 Milliarden unterstützt werden soll. Die Bildlegende behauptet, das sei ‹Schweizer Qualität›. Die Wahrheit sieht völlig anders aus. (…) Das Auge des Fachmannes verrät: Diese Aufnahme stammt höchstwahrscheinlich gar nicht aus der Schweiz. Ansonsten wäre es ein absoluter Einzelfall. Alpschweine werden in der Schweiz nicht so gehalten, sondern verbringen ihre glückliche Alpzeit in einem engen Stall. (…) Zudem deutet alles darauf hin, dass die Aufnahme gestellt ist.» Die «SonntagsZeitung» habe offenbar einfach ein «schönes Bildchen» aus dem Bildarchiv von Keystone ausgewählt, «ohne sich darum zu kümmern, wo diese Aufnahme gemacht wurde, was sie darstellt und ob diese Darstellung der behaupteten Realität in der Schweiz entspricht».
Mit der Veröffentlichung des verfehlten Bildes habe die Zeitung die Ziffer 1 (Wahrheitspflicht), Ziffer 3 (Illustrationen) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.
D. Am 6. November 2008 beantragte die vom Rechtsdienst der Tamedia AG vertretene Redaktion der «SonntagsZeitung», die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf eingetreten werde. Im beanstandeten Artikel sei es nicht um Fragen des Tierschutzes oder der Tierhaltung gegangen, «geschweige denn diese Problematik bildlich darzustellen». Der Text handle von der Öffnung der Schweiz gegenüber der Europäischen Union. Das Bild mit den frei herumrennenden Schweinen stelle diese Öffnung symbolisch dar. Zudem sei das in der Schweiz aufgenommene Bild kein «Fantasie-Bild». «Im Übrigen spricht nichts dagegen, ein ‹schönes Bildchen› auszuwählen. Schliesslich war der Artikel nicht darauf gerichtet, Tierquälerei oder Ähnliches zu thematisieren bzw. darzustellen.»
E. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu; ihr gehören Esther Diener-Morscher als Präsidentin an sowie Thomas Bein, Claudia Landolt Starck, Peter Liatowitsch, Daniel Suter und Max Trossmann. Andrea Fiedler, ehemalige Redaktorin der «SonntagsZeitung», trat von sich aus in den Ausstand.
F. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 12. März 2009 sowie auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. Der Beschwerdeführer beanstandet zur Hauptsache, mit der Veröffentlichung des Bildes habe die «SonntagsZeitung» eine Falschinformation veröffentlicht. Zumindest hätte die Zeitung aus seiner Sicht darauf hinweisen müssen, dass das Bild nicht den schweizerischen Realitäten entspreche. Aus der verfehlten Bildpublikation leitet er gleichzeitig auch die Verletzung der Ziffern 1 und 5 der «Erklärung» ab, so dass sich der Pressrat darauf beschränken kann, den beanstandeten Umgang mit Illustrationen zu prüfen.
2. a) Gemäss der Richtlinie 3.4 zur «Erklärung» (Illustrationen) sollen Bilder oder Filmsequenzen mit Illustrationsfunktion, die ein Thema, Personen oder einen Kontext ins Bild rücken, die keinen direkten Zusammenhang mit dem Textinhalt haben, als solche erkennbar sein. «Sie sind klar von Bildern mit Dokumentations- und Informationsgehalt unterscheidbar zu machen, die zum Gegenstand der Berichterstattung einen direkten Bezug herstellen.» Der Presserat hat zudem in der Stellungnahme 41/2000 zum Verhältnis von Bild, Bildlegende und Text ausgeführt: «Zwischen einem Bild und der dazugehörigen Bildlegende besteht immer ein Verweisungs-Zusammenhang. Das Bild verdeutlicht den Text, der Text erläutert das Bild. Ist dies nicht der Fall – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – wird Interpretationen Tür und Tor geöffnet, die mit der Wahrheit einer Information nichts zu tun haben müssen.»
b) Hat das Bild mit den herumrennenden Schweinen die Funktion einer reinen Illustration oder steht seine Dokumentationsfunktion im Vordergrund? Für den Presserat enthält es Elemente von beidem. Einerseits liegt es nahe, dass es der «SonntagsZeitung» in erster Linie darum ging, den abstrakten Text zu den Forderungen der Landwirtschaftsorganisationen mit einer Illustration aufzulockern. Die Bildlegende «Freilauf für die Landwirtschaft» kann dabei mehrdeutig verstanden werden: sowohl als Freipass für die umfangreichen bäuerlichen Forderungen wie auch als Anspielung auf die zur Diskussion stehende Öffnung des schweizerischen Agrarmarkts in Bezug auf die EU.
Zusammen mit der Bildlegende ist das Bild deshalb durchaus im Kontext zum Lauftext zu sehen. Allerdings nicht in demjenigen, den ihm der Beschwerdeführer unterstellt. Die von ihm in den Vordergrund gerückte Frage, ob in den Schweizer Alpen Schweine in Freilaufhaltung gehalten werden oder ob nicht vielmehr die Haltung in einem engen Stall die Regel bildet, ist nicht Thema des Artikels und muss entgegen seiner Auffassung auch nicht zwingend erwähnt werden. Denn der Leserschaft wird keineswegs der Schluss aufgedrängt, das Bild zeige die typisch schweizerische Alpschweinhaltung. Bi
ldauswahl und Bildlegende mögen zwar die Unterschiede zwischen Schweizer und EU-Landwirtschaft in Bezug auf Tierschutz und naturnahe Haltung (in bewusst ironischer Weise) überzeichnen. Sie stehen dabei jedoch im Kontext mit dem Lauftext, der nicht über den Zustand der Schweinehaltung in der Schweiz, sondern über Forderungen zu einem allfälligen EU-Freihandelsabkommen berichtet. Eine wesentliche Begründung zur Rechtfertigung der 228 Forderungen besteht darin,- neben ungleichen Spiessen bei den Produktionskosten und befürchteten negativen sozialen Auswirkungen einer Marktöffnung -weiterhin die Produktion von «ethisch und qualitativ hochstehenden» Lebensmitteln zu ermöglichen.
Genau diese Sichtweise der Landwirtschaftsorganisationen wird durch das beanstandete Bild und die Bildlegende illustriert. Dass der Beschwerdeführer die aktuellen Produktionsbedingungen und die Tierhaltung in Schweizer Ställen ganz anders beurteilt, ändert deshalb nichts daran, dass die Berichterstattung der «SonntagsZeitung» einschliesslich der Illustration insoweit der Wahrheit entspricht. Ebenso wenig wird die Leserschaft im von der Beschwerde behaupteten Sinn getäuscht. Eine Verletzung der Ziffern 1, 3 und 5 der «Erklärung» ist deshalb zu verneinen.
c) Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass es sich bei der beanstandeten Illustration keineswegs um ein manipuliertes Bild handelt. Gemäss der Datenbank von Keystone stammt das Bild vom Fotografen Christoph Schürpf. Die Datenbank enthält dazu folgende Legende «Nach dem Alpaufzug springen die Schweine der Familie Kempf freudig über die Oberalp des Urnerbodens, Kanton Uri, aufgenommen im Juli 2002. Nicht nur der Bauernsohn, rechts neben dem Schweinestall, sondern auch ein Hase beobachten die glücklichen Schweine.»
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die «SonntagsZeitung» hat mit der Veröffentlichung des Artikels «228 Forderungen zum EU-Freihandelsabkommen» vom 28. September 2008 die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Illustrationen) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten nicht verletzt.