I. Sachverhalt
A. Am 22. September 2008 erschien auf Seite 2 der Basler Gratiszeitung «Baslerstab» ein Zweispalter unter dem Balkentitel «Spektrum der Parteien» und der Überschrift «Heute: Grünliberale Basel Stadt». Darin setzt sich die Vizepräsidentin der Grünliberalen Basel, Eva-Maria Hodel, mit der «Mietwohnschutzinitiative» des Mieterinnen- und Mieterverbands Basel auseinander. Die Initiative strebt an, durch kantonale Vorschriften dafür zu sorgen, dass auch durchschnittlich zahlungskräftige Mieterinnen und Mieter in der Stadt Basel künftig preisgünstige Wohnungen mieten können, indem insbesondere Mieterhöhungen nach Sanierungsmassnahmen streng reglementiert werden.
Laut der Autorin lehnen die Grünliberalen die Initiative ab, weil diese verhindere, dass «in Basel ein breites Spektrum an Wohnungen vorhanden bleibt, welches unterschiedliche Mieterinnen und Mieter anspricht und den verschiedenen Bedürfnissen gerecht wird». Die Mietwohnschutzinitiative verfolge einen falschen Ansatz. Werde der Gesetzentwurf Wirklichkeit, müssten «Liegenschaften, welche etwa durch eine Renovation aufgewertet wurden, nach ihrem Umbau grundsätzlich mit derselben Zimmerzahl und zu demselben Mietpreis angeboten werden wie vor der Sanierung».
«Auch verschwände für die Vermieterinnen und Vermieter jeglicher Anreiz, in eine Liegenschaft nachhaltig zu investieren, da Renovationskosten nicht mehr auf den Mietzins abgewälzt werden dürften. Langfristig führte dies zu einem Zerfall der Bausubstanz und zum Verlust von Wohnungsqualität und -quantität. Letztlich hätte die Initiative damit genau die gegenteilige Wirkung ihres eigenen Anliegens.»
B. Gegen diese Darstellung wehrte sich der Mieterverband schon am Tag des Erscheinens, kurz nach 10 Uhr morgens, mit einer E-Mail an den «Baslerstab». Darin verlangte Beat Leuthardt, Leiter Rechtsabteilung des MV Basel, den Abdruck einer von ihm ausformulierten Gegendarstellung. Der Beitrag der Grünliberalen sei objektiv mehrfach falsch. Bei einem Ja zur Initiative wären Mietpreissteigerungen bei sanierten Liegenschaften keineswegs generell ausgeschlossen. Den sanierenden Vermietern verbleibe vielmehr ein Spielraum bis zu einem Drittel über dem statistischen Durchschnitt der Mieten. Bei «energetischen Sanierungen etc.» gelte dies noch verstärkt. «Ebenso falsch ist es zu behaupten, es dürften ‹Renovationskosten nicht mehr auf den Mietzins abgewälzt werden›. Richtig ist, dass solche Kosten (…) weiterhin überwälzt werden dürfen. Nur wer schon vor der Sanierung spekulativ zu hoch liegt, darf bei einem Ja nicht noch weiter erhöhen.»
C. Die Reaktion des «Baslerstab» erfolgte kurz nach 16 Uhr desselben Montags: Da es sich bei dem beanstandeten Artikel nicht um einen redaktionellen Beitrag handle, sei die E-Mail von Beat Leuthardt von der Redaktion an den Verlag Inserateunion weitergeleitet worden, der den «Baslerstab» herausgibt. «Der von Ihnen beanstandete Text wurde unter der Rubrik ‹Spektrum der Parteien› veröffentlicht. Dieses Gefäss steht allen Parteien offen. Sie können darin zu aktuellen politischen Themen Stellung nehmen oder auch auf ihr Parteiprogramm eingehen. Die Texte werden uns fixfertig angeliefert, wir nehmen keine inhaltlichen Veränderungen oder Ergänzungen vor. Da der Text nicht von unserer Redaktion verfasst wurde, können wir die von Ihnen verlangte Gegendarstellung nicht drucken.»
Hingegen bestehe die Möglichkeit, die Gegendarstellung als bezahltes Inserat drucken zu lassen oder dafür die Rubrik «Spektrum der Parteien» zu reservieren. «Dazu müssen Sie allerdings Mitglied einer Partei sein und unter dem Namen der Partei veröffentlichen. Das Gefäss ist für die Parteien kostenlos und erscheint immer montags.»
D. Der Mieterverband liess sich weder auf das eine noch auf das andere Angebot ein und verlangte wenige Minuten später noch einmal per E-Mail ultimativ den kostenfreien Abdruck des gewünschten Textes. In der Folge antwortete der «Baslerstab» kategorisch, der Mieterverband sei bereits in der Ausgabe vom 26. August 2008 ausführlich zu Wort gekommen und überdies sei die Zeitung «in diesem Fall nicht verpflichtet, eine Gegendarstellung zu drucken».
E. Am 28. September 2008 wurde die Mietwohnschutzinitiative von 61 Prozent der Stimmenden abgelehnt. Neben den bürgerlichen hatten Parteien quer durch das parlamentarische Spektrum die Nein-Parole herausgegeben.
F. Am 18. Dezember 2008 gelangte der MV Basel an den Presserat und beanstandete, der «Baslerstab» habe mit der Veröffentlichung des Textes von Eva Maria Hodel die Ziffern 3 (Entstellung von Tatsachen) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.
Sachlich eindeutig falsch seien insbesondere die beiden Behauptungen der Kolumne, sanierte Liegenschaften müssten nach dem Umbau zu demselben Mietpreis angeboten werden wie vor der Sanierung und Renovationskosten dürften bei einer Annahme der Initiative nicht mehr auf den Mietzins abgewälzt werden. Im Gegenteil sehe die Initiative für die Abwälzung der «Renovationskosten» auf die Mietzinse sogar detaillierte Berechnungsmodelle vor. Nach der Veröffentlichung des Textes habe sich der «Baslerstab» überdies geweigert, den Fehler zu berichtigen.
G. Am 12. Februar 2009 beantragte die Herausgeberin des «Baslerstab», Ruth Ludwig-Hagemann, die Beschwerde sei abzuweisen. Weder seien im Beitrag der Grünliberalen Tatsachen entstellt, noch sei das Begehren des MV Basel um Richtigstellung in ungerechtfertigter Weise abgewiesen worden. Ohnehin handle es sich bei den unter dem Titel «Spektrum der Parteien» veröffentlichten Texten um bezahlte politische Inserate, die im Anzeigenteil des «Baslerstab» erscheinen. «Die Überprüfung des Inhaltes eines politischen Inserats durch den Verlagsleiter findet in begrenztem Umfang statt – eine Intervention erfolgt bei schwerwiegenden Verstössen gegen die Fairness, menschenverachtende oder rassistische Äusserungen u. ä.» Die Interpretation der Initiative des MV Basel durch die Autorin des beanstandeten Textes sei jedenfalls «nicht dermassen falsch, als dass der Baslerstab aus eigenem Antrieb hätte korrigierend eingreifen resp. dem Beschwerdeführer hierfür eine unentgeltliche Plattform bieten müssen».
H. Am 9. März 2009 erweiterte der MV Basel seine Beschwerde und rügte zusätzlich eine Verletzung der Ziffer 10 der «Erklärung» (Trennung von redaktionellem Teil und Werbung). In seiner Beschwerdeantwort habe der «Baslerstab» erstmals und im Gegensatz zur schriftlich übermittelten Position seiner eigenen Anzeigenabteilung geltend gemacht, die Rubrik «Spektrum der Parteien» gehöre nicht zum redaktionellen Teil, sondern sei ein bezahltes Inserat. Diese Aussage sei neu und soweit überprüfbar inhaltlich falsch. Aufgrund von Titel und Platzierung werde das «Spektrum der Parteien» in weiten Kreisen als politische Rubrik wahrgenommen. Zudem sei die Rubrik den Parteien soweit ersichtlich bis Ende 2008 unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden. Jedenfalls sei die Rubrik für die Leserschaft nicht als Inserat erkennbar.
I. Am 31. März 2009 beantragte der «Baslerstab», auf die Beschwerdeergänzung sei nicht einzutreten, eventuell sei die Beschwerde samt Ergänzung abzuweisen. Dem MV Basel sei von Anfang an kommuniziert worden, dass es sich beim beanstandeten Text der Grünliberalen um eine Anzeige handelt. Für die Leserschaft des «Baslerstab» sei ohne weiteres erkennbar, dass die publizierten politischen Inserate von der Redaktion weder erstellt noch bearbeitet würden. Den Inseraten werde – im Gegensatz zu redaktionellen Beiträgen – stets eine Anzeigennummer beigefügt. Der Inseratecharakter sei zudem auch aufgrund der Gestaltung sowie der Platzierung auf einer Anzeigenseite erkennbar.
J. Das Präsidium des Presserat wies die Beschwerde seiner 1. Kammer zu. Die
se setzt sich zusammen aus Edy Salmina (Kammerpräsident), Luisa Ghiringhelli Mazza, Pia Horlacher, Philip Kübler, Klaus Lange, Sonja Schmidmeister und Francesca Snider.
K. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 7. Mai 2009 sowie auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. Vorab ist zu entscheiden, ob auf die Beschwerdeergänzung vom 9. März 2009 einzutreten sei. In der Regel beschränkt sich das Presseratsverfahren auf einen einfachen Schriftenwechsel. Falls es aus Sicht des Presseratspräsidiums zur Klärung der Standpunkte der Parteien notwendig ist, kann es aber jederzeit einen zusätzlichen Schriftenwechsel oder andere verfahrensleitende Massnahmen anordnen. Im vorliegenden Fall drängte sich die Durchführung eines ergänzenden Schriftenwechsels aus verfahrensökonomischen Gründen auf. Die Beschwerdeergänzung wurde – wenn auch knapp – innerhalb der Beschwerdefrist von sechs Monaten nach der beanstandeten Veröffentlichung eingereicht und war deshalb vom Presserat so oder zu behandeln, sei es im Rahmen des aktuellen oder in einem separaten Beschwerdeverfahren.
2. Ist die umstrittene Kolumne dem redaktionellen Teil oder dem Inserateteil zuzurechnen? Grundsätzlich ist dazu auf die Angaben des «Baslerstab» abzustellen. Denn gestützt auf die Presse- und die Insertionsfreiheit liegt es im Ermessen der Verlage, was sie im redaktionellen Teil und was sie im Inserateteil veröffentlichen. Allerdings erscheint die Zuordnung zum Inserateteil nur bei genauer Betrachtung und dem entsprechenden Vorwissen – aufgrund der verwendeten Schrift und der Verwendung einer Inseratenummer – formal nachvollziehbar.
3. Gemäss Art. 4 Abs. 4 seines Geschäftsreglements erstreckt sich die Zuständigkeit des Schweizer Presserates auf den redaktionellen Teil oder damit zusammenhängende berufsethische Fragen sämtlicher öffentlicher, periodischer und/oder auf die Aktualität bezogener Medien. Entsprechend prüft der Presserat zwar redaktionelle Beiträge, nicht aber Inserate auf ihre inhaltliche Übereinstimmung mit den berufsethischen Normen der «Erklärung». Auf die Beanstandung des MV Basel, der «Baslerstab» habe mit der Veröffentlichung des Textes von Eva-Maria Hodel und der Verweigerung des Abdrucks einer Richtigstellung die Ziffern 3 (Entstellung von Tatsachen) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung» verletzt, tritt der Presserat aus diesem Grund nicht ein.
Lediglich ergänzend sei darauf hingewiesen, dass diese Rügen selbst dann abzuweisen wären, wenn es sich beim «Spektrum der Parteien» um die im redaktionellen Teil veröffentlichte Kolumne eines Gastautors gehandelt hätte. Gemäss der Praxis des Presserates beschränkt sich die Prüfungspflicht der Redaktion bei Beiträgen von externen Autoren, die keine Berufsjournalisten sind – ähnlich wie bei Leserbriefen – auf offensichtliche Verstösse gegen berufsethische Normen. Selbst wenn die Autorin die offenbar auch von anderen Parteien ähnlich geäusserte Kritik an der Initiative verkürzt und zugespitzt darstellt, vermag der Presserat keine offensichtliche Entstellung von Tatsachen zu erkennen, welche über die im politischen Meinungskampf übliche plakative Darstellungsweise hinausgehen würde, zumal der extrem ausführliche und in seiner juristischen Diktion für Laien schwer verständliche Initiativtext einigen Interpretationsspielraum lässt.
Auch wenn er dazu nicht verpflichtet war, hätte es dem «Baslerstab» aber wohl angestanden, angesichts der unmittelbar bevorstehenden Abstimmungstermins eine kurze Entgegnung des Beschwerdeführers abzudrucken.
4. Einzutreten ist hingegen auf die Rüge, der beanstandete Text sei – sofern dieser als politisches Inserat zu betrachten sei – ungenügend als solches gekennzeichnet. Gemäss der Richtlinie 10.1 zur «Erklärung» ist die Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung optisch und begrifflich klar zu kennzeichnen.
Der Text von Eva-Maria Hodel steht (oben links) als einziges Text-Bild-Element zwischen Rubrikanzeigen und anderer Werbung. Unter einer dicken schwarzen Linie ist er links mit einem winzigen Zahlen-, rechts mit einem Buchstaben-Zahlen-Code gekennzeichnet. Es handelt sich um die Anzeigennummer. Weder diese noch die von redaktionellen Beiträgen abweichende Schrift macht es für den nicht besonders aufmerksamen Teil der Leserschaft auf Anhieb ersichtlich, dass es sich um ein politisches Inserat handelt. Auch die regelmässige Verwendung des Rubrik-Titels «Spektrum der Parteien» ebenso wie der Bezug zu aktuellen politischen Inhalten ist zudem geeignet – wie das Beispiel des Beschwerdeführers und offenbar auch anderer politischer Exponenten im Raum Basel zeigt – die irrige Annahme zu erwecken, es handle sich um eine von der Redaktion betreute Kolumne. Angesichts dieser Unklarheit wäre es angezeigt, die Texte auch begrifflich unzweideutig als Inserat zu deklarieren. Eine Verletzung der Ziffer 10 der «Erklärung» ist deshalb zu bejahen.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit der Presserat darauf eintritt.
2. Mit der Publikation des begrifflich zu wenig deutlich als «Anzeige» gekennzeichneten Textes einer Vertreterin der Grünliberalen Partei Basel Stadt in der Ausgabe vom 22. September 2008 hat der «Baslerstab» die Ziffer 10 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Trennung von redaktionellem Teil und Werbung) verletzt.
3. Soweit die Beschwerde beim gleichen politischen Inserat der Grünliberalen Partei die Entstellung von Tatsachen und die unterlassene Berichtigung durch den «Baslerstab» beanstandet, tritt der Presserat nicht darauf ein.