I. Sachverhalt
A. Anfang August 2008 versandte Jürg Steiner eine Medienmitteilung seines Unternehmens «Swiss Marshall – Steiner Security in Community». Darin lud er für den 14. August 2008 zur Präsentation des persönlichen Sicherheitstrainings von Ricardo Lumengo ein, eines Nationalrats der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz.
B. Die Gratiszeitung «20 Minuten» wartete nicht bis zu diesem PR-Termin. Sie brachte unverzüglich, am 8. August 2008, einen vierspaltigen Seitenaufmacher von Reza Rafi: «Schwarzer Politiker besucht Kampfkurs», lautete die Überschrift. «Dem schwarzen SP-Politiker Ricardo Lumengo werden die rassistischen Attacken zuviel: Nun besucht er beim umstrittenen Ex-Polizisten Jürg Steiner ein Sicherheitstraining», hiess es im Lead. Darunter berichtete das Blatt über den «Ex-Asylanten» und «ersten schwarzen Nationalrat», dem «die Gewaltzunahme in der Gesellschaft Sorgen» bereite und der sich wiederholt gegen rassistisch motivierte Angriffe – auch auf ihn selbst – zur Wehr gesetzt habe.
Lumengo wolle nun «in die Offensive» gehen und «einen persönlichen Selbstverteidigungskurs» besuchen. Anbieter und Trainer sei der «umtriebige» Jürg Steiner. Der – so berichtet «20 Minuten» weiter – «quittierte 2003 nach einer Verurteilung wegen Nötigung seinen Job bei der Polizei. Er hatte eine Autofahrerin aufgrund ihrer schlechten Fahrweise schikaniert».
C. Noch am selben Tag wandte sich der anwaltlich vertretene Jürg Steiner mit einer Beschwerde an den Schweizer Presserat. Er beanstandete, die Gleichstellung seines Angebots mit einem «Kampfkurs» sei unzutreffend. Durch die Veröffentlichung von «20 Minuten» sei fälschlicherweise der Eindruck entstanden, statt eines «gezielten Fitnessprogramms», bei dem Lumengo übe, «mutig und clever bei Gewalt zu handeln», lerne der Nationalrat seinerseits Gewalt anzuwenden.
Und selbst wenn zutreffe, dass er nach der erwähnten Verurteilung aus dem Dienst bei der Polizei ausgetreten sei, bestehe kein öffentliches Interesse daran, diese Bagatellstrafe noch fünf Jahre später publik zu machen. Dies verstosse gegen das «Recht auf Vergessen», das auch er für sich in Anspruch nehme. Zudem wiege der Vorwurf schwer, jemand sei wegen eines Delikts verurteilt worden. Daher hätte er, Steiner, vor der Publikation zwingend angehört werden müssen. Auch der im Artikel nicht näher erläuterte Vorwurf, er sei «umstritten», stelle eine durch nichts gerechtfertigte Herabsetzung dar. Der Beschwerdeführer werde selbst als Vertragspartner von Nationalrat Lumengo weder zur absoluten noch zur relativen Person der Zeitgeschichte. Er sei bloss einer von Dutzenden ehemaliger Polizisten, die heute selbstständig tätig sind.
Mit der Publikation des beanstandeten Artikels habe «20 Minuten» gegen Ziffer 7 (Verletzung der Privatsphäre, Namensnennung und sachlich ungerechtfertigte Anschuldigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten») bzw. die zugehörigen Richtlinien zur «Erklärung» 7.5 (Resozialisierung) sowie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) verstossen.
D. Am 12. September 2008 beantragte die durch den Rechtsdienst der Tamedia AG vertretene Redaktion von «20 Minuten», die Beschwerde abzuweisen. Der Beschwerdeführer sei 2003 wegen Amtsanmassung und Nötigung verurteilt worden. Er habe den Polizeidienst einen Tag danach quittiert. Der Fall habe in der Schweiz hohe Wellen geschlagen und mehre Medien hätten darüber berichtet. Die Beschwerdegegnerin reichte dazu Kopien der Berichte von «Facts», «Tages-Anzeiger», NZZ und «Berner Zeitung» ein. Missbrauche ein Polizist sein Amt, sei dies keine Bagatelle, sondern durchaus von öffentlichem Interesse; insbesondere, «wenn einer Sicherheitsdienste anbietet, der wegen Amtsanmassung und Nötigung vorbestraft ist». Zudem sei der Hinweis von «20 Minuten» im Zusammenhang mit der Berichterstattung über einen Nationalrat erfolgt.
Die Privatsphäre sei auch deshalb nicht verletzt, weil Steiner wegen dienstlicher Vergehen verurteilt und nun erneut im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als privater Sicherheitsunternehmer über ihn berichtet worden sei. Der Beschwerdeführer habe zudem als unkonventioneller, umtriebiger Polizist bereits vor 2003 das Licht der Öffentlichkeit auf sich gezogen. Dass er das Scheinwerferlicht auch heute noch liebe, belege seine Website. Und der Begriff «umstritten» sei keine Negativqualifikation, er setze den Beschwerdeführer keinesfalls herab.
Schliesslich könne von einer Verletzung der Anhörungspflicht keine Rede sein, da diese Pflicht nur bei schweren Vorwürfen bestehe. Ein Gerichtsurteil sei aber seinem Wesen nach «kein Vorwurf, zu dem allenfalls ein Gegengewicht herzustellen wäre», sondern eine Tatsache.
E. Das Präsidium des Presserates übertrug die Beschwerde zur Behandlung an die 1. Kammer. Diese setzt sich zusammen aus Edy Salmina (Kammerpräsident), Luisa Ghiringhelli Mazza, Pia Horlacher, Dr. Philip Kübler, Klaus Lange, Sonja Schmidmeister und Francesca Snider (Mitglieder).
F. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 15. Januar 2009 sowie auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. Vorab ist festzustellen, dass der Beschwerdeführer die Bezeichnung seines «Sicherheitstrainings» als «Kampfkurs» zwar als unzutreffend betrachtet und weiter behauptet, es sei fälschlicherweise der Eindruck entstanden, Nationalrat Lumengo lerne bei Gefahr Gewalt anzuwenden. Eine Verletzung von Ziffer 1 der «Erklärung» (Wahrheit) rügt Jürg Steiner indes nicht. Daher geht der Presserat auf diese Beanstandung nicht näher ein.
2. a) Ziffer 7 der «Erklärung » verlangt, die Privatsphäre von Personen zu respektieren, die Gegenstand von Medienberichten sind, sofern kein überwiegendes öffentliches Interesse vorliegt. Nach der gleichen Bestimmung sind sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen zu unterlassen. Die zugehörige Richtlinie 7.6 (Namensnennung) hält fest, dass Journalistinnen und Journalisten grundsätzlich weder Namen nennen, noch andere Angaben machen dürfen, die eine Identifikation einer im Medienbericht erwähnten Person durch Dritte ermöglichen, die nicht zu deren Familie, sozialem oder beruflichem Umfeld gehören, also ausschliesslich durch die Medien informiert werden. Die Richtlinie 7.6 nennt Voraussetzungen, die eine identifizierende Berichterstattung ausnahmsweise erlauben: generell, wenn dies durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt ist, aber auch dann, wenn der Betroffene in die namentliche Berichterstattung einwilligt.
b) Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer die Medien zu einer Orientierung über seine Aktivitäten eingeladen. Also musste er nicht nur damit rechnen, sondern lag es auch in seinem Interesse, dass die Medien unter Namensnennung über ihn und seine Firma berichten. «20 Minuten» war ohne Weiteres berechtigt, mit Namensnennung über die aktuelle Tätigkeit des Beschwerdeführers und dessen Zusammenarbeit mit Nationalrat Lumengo zu berichten, auch ohne den Medientermin abzuwarten.
3. a) Heikler war es, im Bericht über die Geschäftstätigkeit von Jürg Steiner ein fünf Jahre zurückliegendes Urteil gegen ihn zu erwähnen. Denn auch wenn eine strafrechtliche Verurteilung im Zusammenhang mit einer öffentlichen oder einer geschäftlichen Tätigkeit erfolgt, gehört diese Information grundsätzlich zur geschützten Privatsphäre einer Person. Dies gebietet auch deren Anspruch auf Resozialisierung (Richtlinie 7.5). Der Presserat hat in der Stellungnahme 22/2008 zudem aus Ziffer 7 der «Erklärung» und der Richtlinie 7.5 abgeleitet, dass strafrechtlich verurteilte Personen einen Anspruch darauf haben, nach einer gewissen Zeit von den Medien in Ruhe gelassen zu werd
en. «Das Recht auf Vergessen gilt aber nicht absolut. Medien dürfen ausnahmsweise auch über frühere Strafverfahren berichten, falls dies durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt ist und sofern sie dies in verhältnismässiger Weise tun. Dies gilt insbesondere, wenn eine Zusammenhang zwischen einem früheren Verhalten und der aktuellen Tätigkeit einer Person besteht.»
b) Im zu beurteilenden Fall ist ein ausreichender Zusammenhang zwischen der früheren Verurteilung und der heutigen Tätigkeit von Jürg Steiner gegeben. Denn für die Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit eines Anbieters von Sicherheitstrainings ist eine Verurteilung wegen Amtsanmassung und Nötigung auch dann relevant, wenn der Betroffene den öffentlichen Dienst inzwischen verlassen hat. Wer wie der Beschwerdeführer von sich aus mit der Einladung zu einem Medientermin an die Öffentlichkeit tritt, darf im Übrigen nicht davon ausgehen, dass die Medien unkritisch berichten. Schliesslich steht die Vorstrafe des Beschwerdeführers nicht im Vordergrund, sondern sie wird lediglich am Schluss des Berichts von «20 Minuten» erwähnt, insoweit also verhältnismässig.
4. Hätte «20 Minuten» den Beschwerdeführer wenigstens vor der Publikation anhören sollen? Gemäss Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» sind Journalistinnen und Journalisten verpflichtet, Betroffene vor der Publikation schwerer Vorwürfe zu befragen und deren Stellungnahme im gleichen Medienbericht kurz und fair wiederzugeben. Die Anhörung ist auch dann zwingend, wenn die Vorwürfe gegen Personen erhoben werden, die nicht im Zentrum eines Artikels stehen (Stellungnahme 7/2004).
Sind die im beanstandeten Bericht gegenüber Jürg Steiner erhobenen Vorwürfe als schwer zu betrachten? In Bezug auf die kommentierende Wertung, Jürg Steiner sei umstritten, ist dies zu verneinen. Weil jedoch der aktuellen Tätigkeit des Beschwerdeführers im Hinblick auf dessen öffentliche Wahrnehmung erhebliche Bedeutung zukommt, fällt die Erwähnung der Verurteilung erheblich stärker ins Gewicht. Doch auch hier war eine vorgängige Anhörung nicht zwingend.
Der Presserat hat in der Stellungnahme 33/2007 seine Praxis zur Anhörungspflicht präzisiert: Dieses grundlegende Prinzip werde «überspannt, würde man bei jeder neuen Erwähnung publizierter Vorwürfe eine erneute Anhörung des Betroffenen als zwingend erachten. Dies gilt insbesondere dann, wenn wie hier bereits früher veröffentlichte Vorwürfe in Form einer kurzen Rückblende gerafft dargestellt werden und sofern diese nicht plötzlich in einem ganz anderen Zusammenhang oder zusammen mit neuen relevanten Fakten veröffentlicht werden.»
Über die Verteilung des Beschwerdeführers ist vor fünf Jahren breit berichtet worden. «20 Minuten» erwähnt das Urteil nur kurz und nicht in wesentlich verändertem Kontext. Ebenso wenig enthält der Bericht neue, relevante Fakten, die es in einem neuen Licht erscheinen lassen und eine Anhörung zwingend machen würden.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. «20 Minuten» hat mit der Veröffentlichung des Berichts «Schweizer Politiker besucht Kampfkurs» vom 8. August 2008 die Ziffern 3 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) und 7 (Respektierung der Privatsphäre, Recht auf Vergessen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.