Nr. 79/2020
Online-Kommentare

X. c. SRF.ch

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I. Sachverhalt

A. Ungefähr am 20. Februar 2020 wollte X. auf der Website SRF.ch einen Kommentar hochladen, was ihm nicht mehr gelang. Zuvor hatte er nach eigenen Angaben «während Monaten» Kommentare eingesandt. Diese seien bisweilen veröffentlicht, gelegentlich gar nicht publiziert, gelegentlich nach der Publizierung wieder gelöscht worden. Die schliesslich erfolgte Sperrung sei ihm erst nach Nachfragen kommuniziert worden, drei seiner Kommentare seien ihm schliesslich als Begründung für die Sperrung angegeben worden. Im einen hatte er die Online-RedaktorInnen als «selbstherrliche, anonyme Kontrolleure» einer «Zensurabteilung» bezeichnet, in einem zweiten hatte er gefragt, ob «wieder mal ein A am Werk» sei beim Kontrollieren, im dritten hatte er sein Gegenüber herausgefordert, ob er «kein Berufsethos habe». Eine Dauer der Sperrung sei ihm nie mitgeteilt worden.

B. Am 10. März reichte X. Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Der Beschwerdeführer (BF) macht geltend, die gelegentliche Nichtpublikation und schliesslich gänzliche Sperrung seiner Kommentare verletze allenfalls (da es keine Bestimmung für den genauen Sachverhalt gebe) die zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») gehörenden Richtlinien 2.2 (Meinungspluralismus), 5.2 (Leserbriefe und Online-Kommentare) und/oder 9.1 (Unabhängigkeit).

Im Einzelnen macht der BF geltend, im Umgang mit User-Kommentaren herrsche bei SRF.ch Willkür. Auf seine Nachfragen, weshalb seine Kommentare nicht veröffentlicht worden seien, habe man ihn – wenn überhaupt geantwortet worden sei – auf die Netiquette von SRF.ch verwiesen und ihm im Übrigen nur unvollständige, ungenügende oder – eben – gar keine Auskunft gegeben. Ab Februar 2020 habe er zunächst fast nicht und schliesslich gar nicht mehr kommentieren können. Die Nachfragen beim Kundendienst hätten zunächst weder zu einer Klärung geführt, weshalb er gesperrt worden sei, noch zur Frage, wie lange die Sperrung dauere. Schliesslich seien ihm vom SRF.ch die erwähnten drei Kommentare angegeben worden, derentwegen er gesperrt worden sei. Deren Inhalt rechtfertige aber die getroffene Massnahme nicht. Ein «Ausschluss von der Teilnahme am öffentlichen Diskurs … auf unbestimmte Zeit ist eine drastische Massnahme und nicht hinnehmbar».

Weiter macht der BF geltend, die Netiquette, auf welche die Online-Redaktion sich für ihre Entscheide stütze, sei nicht vereinbar mit dem öffentlichen Auftrag von SRF.

Schliesslich beantragt der BF verschiedene Massnahmen des Presserates gegenüber SRF.ch, auf welche hier nicht weiter eingegangen wird, da der Presserat den Medienhäusern keine Weisungen erteilen kann (s. unten, Erwägung 2).

C. Mit Beschwerdeantwort vom 31. August 2020 beantragten der Rechtsdienst von SRF und der stellvertretende Bereichsleiter SRF News für SRF.ch (der Beschwerdegegner, BG), die Beschwerde sei abzuweisen, soweit auf sie einzutreten sei.

SRF.ch verweist darauf, dass der BF mit seiner Anmeldung als User bei SRF die Netiquette akzeptiert habe, welche die Bedingungen zur Nutzung der Kommentarspalten beschreibe. In der Folge habe er mehrfach gegen diese Bedingungen verstossen, weshalb er gesperrt worden sei. Worin diese Verstösse aus Sicht von SRF bestanden haben, belegt oder erläutert der BG nicht, es ist nur generell von «beleidigenden Äusserungen gegenüber Mitarbeitenden» die Rede.

SRF.ch verweist zur Begründung des Ablehnungsbegehrens im Weiteren auf die Presserats-Stellungnahme 9/2015, welche festgestellt habe, dass eine Verletzung der «Erklärung» allenfalls dann gegeben sei, «wenn eine Redaktion Briefe eines Lesers systematisch, über sehr lange Zeit und aus journalistisch nicht zu rechtfertigenden Gründen ablehnen würde». Davon könne hier keine Rede sein. Die Sperrung sei aufgrund der erwähnten Verstösse gerechtfertigt, ein User könne im Übrigen nach angemessener Zeit den Antrag stellen, wieder kommentieren zu dürfen, von einer sehr langen Sperre sei entsprechend nicht auszugehen. Wie lange der BF gesperrt bleiben dürfte, respektive ab wann er mit einem Antrag auf Zulassung Erfolg haben könnte, wird allerdings ebenfalls nicht erwähnt.

D. Am 8. September 2020 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg sowie den Vizepräsidenten Casper Selg und Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 26. Oktober 2020 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Der Beschwerdeführer wirft SRF.ch willkürlichen Umgang mit seinen Kommentaren vor, weiter eine ungerechtfertigte Sperrung des Zugangs zu den Kommentarspalten, er bestreitet die Zulässigkeit der Bestimmungen der Netiquette von SRF.ch und er verlangt Antworten seitens von SRF. Dabei macht er allfällige Verletzungen der Richtlinien 2.2 (Meinungspluralismus), 5.2 (Leserbriefe und Online-Kommentare) und/oder 9.1 (Unabhängigkeit) zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» geltend.

2. Was Inhalt und Zulässigkeit der SRF-Netiquette betrifft, liegt diese ausserhalb der Zuständigkeit des Presserates. Dasselbe gilt, wie bereits erwähnt, für allfällige Weisungen an SRF. Aufgabe des Presserates ist es, journalistische Produkte an den medienethischen Anforderungen der «Erklärung» zu messen, er hat kein Weisungsrecht gegenüber den Medienhäusern.

3. Was bleibt ist die Beanstandung hinsichtlich des Ausschlusses einzelner und schliesslich aller Kommentare des BF. Im Zentrum steht hier die Richtlinie 5.2 (Leserbriefe und Online-Kommentare). Diese bestimmt, dass für Online-Kommentare die gleichen berufsethischen Normen zu gelten haben wie für redaktionelle Texte, dass aber auf Leserbriefseiten ein möglichst grosser inhaltlicher Freiraum zugestanden werden soll, redaktionell soll nur bei offensichtlichen Verletzungen eingeschritten werden. Briefe von Leserinnen und Lesern sowie Online-Kommentare dürfen aber grundsätzlich redigiert und dem Sinn entsprechend gekürzt werden. Ein Anspruch auf Publikation besteht nicht (vgl. Stellungnahme 28/2002).

In der Netiquette legt SRF.ch – ähnlich wie andere Medienhäuser – unter anderem folgende hier relevante Bedingungen fest:

«Diskutieren Sie respektvoll und so, wie Sie es auch von Angesicht zu Angesicht tun würden. (…) Ausdrücklich nicht toleriert sind (…) Inhalte, die keinen Bezug zum jeweiligen Thema haben, (…) Persönliche Angriffe jeglicher Art, Beleidigungen oder gezielte Provokationen (…). Beiträge können ohne Rücksprache mit dem Verfasser gelöscht werden. Bei wiederholtem Verstoss gegen die Netiquette kann der Nutzer gesperrt werden (…). Es besteht grundsätzlich kein Anrecht auf Publikation. Es werden keine persönlichen Auskünfte zu abgelehnten Kommentaren erteilt, wenn diese gegen die Netiquette verstossen.»

Der BF macht nicht geltend, Richtlinie 5.2 werde verletzt, indem seine spezifische Meinung unterdrückt werde. Er macht primär geltend, dass seine Kommentare häufig nicht publiziert wurden und dass er schliesslich ohne hinreichenden Grund gesperrt worden sei. Und weiter sieht er in einem Ausschluss wie dem seinen ganz allgemein einen Verstoss gegen den Meinungspluralismus.

Wenn SRF.ch Leserkommentare nicht publiziert, dann ist dieses Vorgehen sowohl von der «Erklärung» als auch von der SRF-Netiquette gedeckt.

Wo es allerdings um die gänzliche Sperrung eines Zugangs zur Kommentarfunktion geht, fragt sich, ob der BF effektiv die entsprechenden Bestimmungen der Netiquette verletzt hat. Und umgekehrt, ob SRF dem BF als Folge den Zugang in einem übertriebenen Ausmass verweigert. Es lässt sich allenfalls darüber diskutieren, ob der im ersten beanstandeten Mail enthaltene, sicher polemische Vorwurf der «Zensurbehörde» oder die im dritten Mail enthaltene Frage nach dem «Berufsethos» unter den Bedingungen der Netiquette allenfalls noch zulässig wären. Die Bezeichnung eines Mitarbeiters als A (Arschloch) ist allerdings ein so krasser Verstoss, dass der Entzug des Zugangs unter den Bedingungen der Netiquette (welche der User mit seiner Anmeldung akzeptiert) ohne jede Frage gerechtfertigt ist. Daran ändert nichts ob er nur «A» schreibt oder das Wort ausschreibt: gemeint ist ganz offensichtlich dasselbe. Ganz abgesehen davon, dass hier jemand auch unabhängig von allen berufsethischen Überlegungen offensichtlich jeden Anstand vermissen lässt. Richtlinie 5.2 ist nicht verletzt, jedenfalls soweit die Sperrung nicht über «sehr lange Zeit» erstreckt wird (vgl. 9/2015).

In seiner Stellungnahme 11/2012 hat der Presserat zudem festgehalten, dass niemand generell von Online-Kommentaren ausgeschlossen werden darf. Redaktionen verstossen gegen den Grundsatz der Informationsfreiheit, wenn sie sich grundsätzlich weigern, Texte einer Person zu veröffentlichen. SRF ist deshalb gehalten, dem Beschwerdeführer bekannt zu geben, wie lang die Sperrung maximal gelten soll. Andernfalls handelt es sich um eine zeitlich unbegrenzte Massnahme.

4. Von den beiden übrigen angeführten Richtlinien 2.2 (Meinungspluralismus) und 9.1 (Unabhängigkeit) entfällt die zweite, weil sie sich nicht auf den vorliegenden Sachverhalt bezieht, sondern auf die Annahme von Geschenken seitens von JournalistInnen. Was den Meinungspluralismus, Richtlinie 2.2, betrifft: Dieser kann nicht wirklich tangiert sein, wenn ein Medienhaus einen von (laut BG) 18’000 registrierten Kommentierenden während einer gewissen Zeit sperrt. Die Richtlinien 2.2 und 9.1 sind ebenfalls nicht verletzt.

III. Feststellungen

1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.

2. SRF.ch hat mit der Nichtveröffentlichung von Kommentaren des BF sowie mit der zeitlich beschränkten Sperrung des Zugangs zu den Kommentarspalten die Ziffern 2 (Meinungspluralismus), 5 (Online-Kommentare) und 9 (Unabhängigkeit) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.