Nr. 53/2024
Wahrheit / Unterschlagen wichtiger Informationselemente / Berichtigung

(X. und Y. c. «blick.ch», «Klein Report», «blue News», «baseljetzt.ch»)

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I. Sachverhalt

A. Am 10. August 2023 erschien auf «blick.ch» ein Artikel unter dem Titel: «Daniela Caviglia (†56) verlor den Kampf gegen Long Covid», Untertitel: «Daniela Caviglia (†56) machte ihren Kampf gegen Long Covid und chronisches Erschöpfungssyndrom öffentlich. Am Montag hat sie ihrem Leiden ein Ende gesetzt.» Als Autor zeichnete Michael Sahli.

Der Text beschreibt den Leidensweg einer Frau, die laut eigenen Angaben nach zwei aufeinanderfolgenden Covid-Erkrankungen «tausend Tode» gestorben sei, kein Licht mehr vertragen habe, keine Gerüche, keine lauten Geräusche, sie habe nur noch erschöpft im Bett gelegen. Trotz Impfung sei sie schwer erkrankt. Dennoch habe sie die Kraft gefunden, «öffentlich über ihre Krankheit zu sprechen: das chronische Erschöpfungssyndrom (ME/CFS), eine Nachwirkung von Long Covid». Sie habe in offenen Briefen um Anerkennung dieser Krankheit gerungen, sie habe kritisiert, dass die Behörden nie daran gedacht hätten, ein Versorgungssystem für Menschen mit dieser Krankheit aufzubauen. «Blick» habe die Frau im Mai besucht, dort sei schon klar geworden, dass sie nur noch wenig Hoffnung auf eine Besserung gehegt habe. Am 7. August sei sie freiwillig aus dem Leben geschieden.

B. Am 14. August 2023 reichte X. (Beschwerdeführer A) Beschwerde beim Schweizer Presserat ein (Beschwerde 1). Er macht geltend, der Text verletze die Ziffer 1 (Wahrheit) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»), insbesondere die Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) zur «Erklärung».

Der Beschwerdeführer A führt zur Begründung an, obwohl Frau Caviglia öffentlich dokumentiert habe, dass ihr Gesundheitszustand sich nach den Impfungen massiv verschlechtert habe, werde im Artikel nur über «Long Covid» geschrieben. Der Beschwerdeführer verweist auf einen Twitter-Beitrag vom 27. Juni 2023, in dem Caviglia schrieb, ihr Zustand habe sich nach zwei Impfungen massiv verschlechtert. Dass sie trotz Impfung zweimal schwer an Corona erkrankt sei, werfe für den Autor des Beitrags offensichtlich keine Fragen auf. Auch werde im Artikel nicht erwähnt, dass sie sich «de facto unter Zwang impfen gelassen» habe (wegen der Zertifikatspflicht), was «zu ihrer Erkrankung und schlussendlich zu ihrem Suizid geführt» habe. Somit hielten sich der Autor, wie auch der «Blick» insgesamt, nicht an die Wahrheitssuche, sondern blieben – wie schon seit Monaten – beim «Long Covid Narrativ». Seit einem Impfaufruf des Chefredaktors im Sommer 2021 führe der «Blick» eine massive und «gefährliche Desinformationskampagne, die nichts mit ‹Wahrheitssuche› und Journalismus» zu tun habe.

C.  1. Am 10. November 2023 erhob Y. (Beschwerdeführerin B) Beschwerde gegen den gleichen Artikel von «blick.ch» (Beschwerde 2). Sie macht im Falle des Artikels von «blick.ch» Verstösse geltend gegen die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Unterschlagen wichtiger Informationen) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten».

Auch sie erachtet die Ursache der Krankheit und des Todes von Daniela Caviglia als falsch beschrieben und verweist dabei auf denselben Tweet wie der erste Beschwerdeführer. Diesen Tweet zitiert die Beschwerdeführerin B in insgesamt neun kurzen Auszügen. Unter anderem mit der Aussage: «Ich werde an den Folgen der Corona-Impfung gestorben sein bevor mein #PostVac auch nur anerkannt wird.» Sowie: «Nun hat die Impfung #MECFS ausgelöst, eine Krankheit, die mich berufsunfähig gemacht und meine ganze Lebensqualität komplett ausgelöscht hat. (…)» Somit werde im Artikel die Ursache ihrer Krankheit falsch benannt (Ziffer 1 der «Erklärung») und es werde unterschlagen, dass die Patientin selber die Covid-Impfungen als Ursache ihres Leidens bezeichnet habe. Im Weiteren habe Frau Caviglia die Schweizer Behörden und Swissmedic scharf kritisiert. All dies sei unterschlagen worden (Ziffer 3 der «Erklärung»). Die Beschwerdeführerin hat gemäss beigelegtem E-Mail die Redaktion auf diese Umstände hingewiesen, die Redaktion sei darauf aber nicht eingegangen. Damit habe sie auch gegen die Pflicht zur Berichtigung falscher Inhalte (Ziffer 5 der «Erklärung») verstossen.

2. Schon zuvor, am 31. Oktober 2023, hatte die Beschwerdeführerin B eine Beschwerde gegen den «Mediendienst der Schweizer Kommunikationsbranche», den «Klein Report» erhoben (Beschwerde 3). Der Artikel erschien am 20. Oktober 2023 unter dem Titel «Tragischer Tod von ‹Kavallo›-Chefredaktorin Daniela A. Caviglia». Die Autorin des Beitrags, Ursula Klein, würdigt die Verstorbene als Kommunikationsexpertin und später Chefredaktorin des Pferdemagazins. Der Text beschrieb den Verlauf des chronischen Fatigue-Syndroms, immer davon ausgehend, dass die Erkrankung als Folge von zwei aufeinanderfolgenden Covid-Erkrankungen ausgebrochen war.

Die Beschwerdeführerin B rügte dabei drei Passagen als Verstösse gegen die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Unterschlagen wichtiger Informationselemente) und 5 (fehlende Berichtigung) der «Erklärung». Dies belegt sie mit den gleichen insgesamt neun Passagen aus dem Tweet der Verstorbenen vom 27. Juni 2023, in welchem diese ausdrücklich auf die «Zwangsimpfungen» hingewiesen habe, welche Ursache ihrer langwierigen Krankheit seien. Die Hintergründe der Erkrankung, wie auch die schweren Vorwürfe, die die Verstorbenen gegen die Behörden erhoben habe, nicht zu erwähnen, verstosse gegen die Wahrheitspflicht und entspreche einem Unterschlagen wichtiger Elemente von Informationen. Zudem habe sie, die Beschwerdeführerin B, auch in diesem Fall die Redaktion auf ihre Fehler aufmerksam gemacht, allerdings ohne Erfolg, was im Effekt gegen die Ziffer 5 der «Erklärung« verstosse (Berichtigungspflicht).

3. Mit zwei weiteren Schreiben vom 10. November 2023 erhob die gleiche Beschwerdeführerin B Beschwerde gegen zwei weitere Publikationen:

– gegen einen Text von «blue News» vom 10. August 2023, gezeichnet von «aru» mit dem Titel «Daniela Caviglia wollte wegen Long Covid nicht mehr leben» (Beschwerde 4). Auch dieser Artikel beschreibt das Leiden Caviglias mit Hinweis auf die beiden Covid-Erkrankungen, aber ohne Hinweis auf die Impfungen. Hier kritisiert die Beschwerdeführerin B die gleichen Verstösse mit den wörtlich fast gleichen Begründungen und den gleichen neun Zitaten aus dem einen Tweet.

– und gegen einen Text von «baseljetzt.ch» mit dem Titel «Ein Hilferuf an die Öffentlichkeit: Baselbieterin ging wegen Long Covid zu Exit» vom 10. August 2023, gezeichnet von Ann Weber (Beschwerde 5). Dieser Artikel befasst sich ebenfalls ausführlich mit der Long-Covid-Erkrankung von Frau Caviglia, ebenso mit deren Kampf um Anerkennung dieser Krankheit und schliesslich setzt sich der Text ausführlich mit der Krankheit selber und vergleichbaren Schicksalen auseinander.

Auch in diesem Fall begründet die Beschwerdeführerin B ihre Kritik mit den meist wörtlich gleichen Argumenten und den exakt gleichen Zitaten (aus dem Tweet vom 27. Juni 2023) wie in den Beschwerden 2, 3 und 4.

D. Mit Schreiben vom 24. Oktober 2023 beantwortete die Rechtsabteilung der Ringier AG, welcher der «Blick» gehört, die Beschwerde 1 und beantragte, auf diese sei nicht einzutreten. Eventualiter sei diese abzuweisen. Die später eingereichten Beschwerden 2, 3, 4 und 5 hatten zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorgelegen.

Den Antrag auf Nichteintreten begründet «blick.ch» damit, dass der Beschwerdeführer 1 sich gar nicht mit dem Gehalt der von ihm aufgerufenen Berufspflichten auseinandersetze. Den Antrag auf vollumfängliche Abweisung der Beschwerde begründet «Blick» damit, dass der eine von der Beschwerde zitierte Tweet sich nach gründlicher Prüfung als «Ausreisser» erwiesen habe. Die Patientin habe sich immer wieder zu ihrer Krankheit geäussert, in Tweets, in einem Blog, in Gesprächen mit «Blick». Ihre Sicht sei immer gewesen, sie leide nach zwei Covid-Erkrankungen an Long Covid. Sie habe immer kritisiert, dass zu wenig für die PatientInnen getan werde, die unter dieser Krankheit zu leiden hätten. Darüber habe «blick.ch» mehrfach berichtet. Und die Patientin ihrerseits habe auch selber auf diese Artikel verwiesen, was sie nicht getan hätte, wenn sie falsch zitiert worden wäre. Angesichts ihrer immer unerträglicher werdenden Lage habe sie den zitierten, verständlicherweise verbitterten und wütenden Tweet vom 27. Juni 2023 verfasst. Dieser sei die einzige anders lautende Äusserung geblieben. Gestützt auf die früheren Kontakte mit Frau Caviglia, mit ihr Nahestehenden nach ihrem Tod, aber auch auf die direkten Kontakte, die man mit ihr gehabt habe, sei die Redaktion zum Schluss gekommen, diesen einen Tweet nicht zu erwähnen, weil er im Widerspruch zu allen übrigen Äusserungen der Frau gestanden habe. Selbst in ihrer eigenen Todesmeldung habe sie nicht von den Impfungen als Ursache geschrieben. Im Übrigen bestreite «Blick» nicht – anders als vom Beschwerdeführer 1 vermutet –, dass Covid-Impfungen schwere Nebenwirkungen haben können, «blick.ch» habe selber mehrfach darüber berichtet. Entsprechend sei nie gegen die Pflicht zur Suche nach der Wahrheit verstossen worden, noch habe man etwas unterschlagen. Eine Berichtigung habe entsprechend auch nicht vorgenommen werden müssen, die Ziffern 1, 3 und 5 der «Erklärung» seien nicht verletzt.

E. Am 31. Mai bzw. am 25. Juli 2024 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerden 1 und 2 bzw. 3, 4 und 5 angesichts der letztlich gleichen Fragestellung und der gleichen Beweislage zu vereinigen. Diese werden vom Präsidium behandelt, bestehend aus Susan Boos, Präsidentin, Annik Dubied, Vizepräsidentin, Jan Grüebler, Vizepräsident, und Ursina Wey, Geschäftsführerin.

F. Das Präsidium des Presserats hat die vorliegende Stellungnahme am 19. Dezember 2024 verabschiedet.

 

II. Erwägungen

1. Eintreten: Der Presserat tritt auf die Beschwerden ein. Die Beschwerdeführenden haben die Passagen, auf welche sich ihre Kritik bezieht, genau benannt, ebenso wie die Bestimmungen, gegen welche der Text verstosse. Das ist gemäss dem Geschäftsreglement ausreichend für ein Eintreten, eine Auseinandersetzung mit dem «Gehalt der Bestimmungen», wie sie Ringier vermisst, wird dafür nicht vorausgesetzt.

2. Vorgehen: Die vier Beschwerden von Beschwerdeführerin B trafen allesamt ein, nachdem «blick.ch» die Antwort auf die Beschwerde 1 bereits eingereicht hatte. Da die Argumentationen in den Beschwerden 2 bis 5 inhaltlich praktisch gleich lauten wie diejenige von Beschwerdeführer 1, und da auch die Belege identisch sind (Passagen aus dem fraglichen Tweet vom 27. Juni 2023), hat das Präsidium des Presserats beschlossen, die fünf Beschwerden aus verfahrensökonomischen Erwägungen zu vereinigen und keine weiteren Stellungnahmen einzuholen.

3. Wahrheitssuche (Ziffer 1 der «Erklärung», Richtlinie 1.1): Gemäss den dem Presserat vorliegenden Unterlagen hat die verstorbene Daniela Caviglia über längere Zeit konstant ihre zwei aufeinanderfolgenden Covid-Erkrankungen als Grund für ihr Leiden am chronischen Fatigue-Syndrom angegeben. Sie hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie damit nicht Impfgegner-Positionen unterstützen, sondern auf die Notwendigkeit hinweisen wolle, sich zu schützen, auch mit Impfungen. Und sie übte heftige Kritik an den Behörden wegen deren mangelnden Unterstützung von Long-Covid-PatientInnen. Ein einzelnes Mal – in dem besagten Tweet – hat sie ihre beiden Covid-Impfungen als Grund für ihr Leiden angegeben. Wenn die Redaktion in Abwägung der verschiedenen Texte der Betroffenen und unter Berücksichtigung von Gesprächen mit ihr und mit ihrem Umfeld zum Schluss kommt, dass dieses eine emotionale Schreiben nicht ihrer eigentlichen, lange gehegten Überzeugung über die Ursachen ihrer Krankheit entsprochen habe, kann der Presserat angesichts der verschiedenen zu Rate gezogenen Quellen keinen Verstoss gegen die Pflicht zur Wahrheitssuche erkennen. Die Ziffer 1 der «Erklärung» ist nicht verletzt.

4. Unterschlagen wichtiger Informationen (Ziffer 3 der «Erklärung»): Wenn aber ein Text vorliegt – wenn auch nur ein einziger von vielen –, in welchem die Patientin ihren eigenen, verschiedentlich gehegten Überzeugungen widerspricht, stellt sich die Frage, ob das nicht dennoch hätte erwähnt werden müssen. Die Antwort lautet: Das wäre denkbar, ist aber nicht erforderlich.

Die Texte untersuchen allesamt nicht die Ursachen von Long Covid, sondern sie schildern das dramatische Schicksal einer betroffenen Person.

Ob man den Aspekt «Was war die Ursache, was hat sie selber darüber wohl gedacht und wieso ein Mal anders?» mit einbezieht, ist letztlich eine Frage der journalistischen Gewichtung, die der Presserat nicht zu beurteilen hat. Dass der «Blick» diesen Aspekt nicht angesprochen hat, weil er generell eine «Desinformationskampagne» zur Impfpflicht und deren Folgen betreibe, wie Beschwerdeführer 1 schreibt, erscheint wenig wahrscheinlich angesichts der von Ringier eingereichten Artikel, die sich mit den möglichen schwerwiegenden Nebenwirkungen von Covid-Impfungen beschäftigen. Die Ziffer 3 (Unterschlagen wichtiger Informationen) der «Erklärung» ist nicht verletzt.

5. Berichtigung (Ziffer 5 der «Erklärung»): Da kein Verstoss gegen die Wahrheitspflicht vorliegt und keine wichtigen Informationen unterschlagen wurden, bestand keine Verpflichtung, eine Berichtigung vorzunehmen. Ziffer 5 der «Erklärung» ist nicht verletzt.

III. Feststellungen

1. Der Presserat weist die Beschwerden ab.

2. «blick.ch», «Klein Report», «blue News» und «baseljetzt.ch» haben mit ihren Texten zum Tod der Long-Covid-Patientin Daniela Caviglia die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Unterschlagen wichtiger Informationen) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.