Zusammenfassung
«20 Minuten» berichtete in mehreren Artikeln über Wohnungskündigungen in Windisch. Laut «20 Minuten» mussten die Mieterinnen und Mieter ihre Wohnungen verlassen, weil der Kanton in der Liegenschaft Asylsuchende einquartieren wollte. Den Anstoss zur Berichterstattung gab eine Information aus dem Gemeinderat. Das Co-Präsidium der SP Schweiz reichte beim Presserat gegen zwei dieser Artikel Beschwerde ein: Die Unterbringung von Asylsuchenden werde als einziger Grund für die Kündigungen genannt, der Eigentümer der Liegenschaft habe aber bereits nach Erscheinen des ersten Artikels erklärt, die Häuser seien in schlechtem Zustand und müssten abgebrochen werden. Die Unterbringung von Asylsuchenden sei eine Zwischennutzung. Der Schweizer Presserat kam zum Schluss, «20 Minuten» habe im ersten Artikel den damaligen Wissensstand korrekt wiedergegeben. Der zweite beanstandete Artikel gebe hingegen die Fakten so verkürzt wieder, dass sie nicht mehr stimmten. Damals war bereits klar, dass die Kündigung aufgrund des geplanten Abrisses erfolgte und die Unterbringung von Asylsuchenden nur eine Zwischennutzung war. «20 Minuten» hatte das in der Zwischenzeit selber berichtet. Die Wahrheitspflicht und die Pflicht zur Berichtigung sind damit verletzt. Der Presserat beschäftigte sich zudem mit der Frage, ob das Medium auch die Informationen im ersten Artikel hätte berichtigen müssen, nachdem weitere Fakten auf den Tisch kamen. Er ist der Ansicht, dass das unverhältnismässig wäre, schliesslich fussten die ersten Informationen auf einer Mitteilung von Behörden.
Résumé
« 20 Minuten » a fait état dans plusieurs articles de résiliations de bail à Windisch. Selon le journal, les locataires ont dû quitter leurs appartements, car le canton souhaitait y loger des requérants d’asile. Le traitement médiatique de l’affaire faisait suite à une information du conseil communal. La co-présidence du PS Suisse a déposé une plainte contre deux de ces articles, du fait que l’hébergement de requérants d’asile était le seul motif indiqué pour les résiliations. Pourtant, le propriétaire des bâtiments avait expliqué, après la parution du premier article, que ceux-ci étaient en mauvais état et devaient être arrachés. L’hébergement de requérants d’asile constituait selon ses éclaircissements une utilisation transitoire. Le Conseil suisse de la presse a conclu que le premier article de « 20 Minuten » reflétait lors de sa publication l’état des connaissances sur le dossier. Il a par contre noté que le deuxième article présentait les faits de manière si sommaire qu’ils ne correspondaient plus à la réalité. Au moment de sa publication, il était déjà notoire que les résiliations étaient la conséquence de la démolition prévue et que l’hébergement de requérants d’asile constituait uniquement une utilisation transitoire. « 20 Minuten » avait lui-même fait état de cette situation dans l’intervalle. Il n’a par conséquent pas respecté son obligation de rechercher la vérité ni de rectifier les informations publiées. Le Conseil suisse de la presse s’est également demandé si le journal aurait dû étendre la rectification au premier article après que de nouveaux faits sont apparus. Il est d’avis qu’une telle rectification serait disproportionnée, dans la mesure où les premières informations reposaient sur une communication des autorités.
Riassunto
«20 Minuten» ha informato in diversi articoli della disdetta di appartamenti a Windisch, indicando che inquilini e inquiline hanno dovuto abbandonare i propri appartamenti perché il Cantone voleva alloggiare nell’immobile dei richiedenti asilo. La notizia è stata diffusa dal Consiglio comunale. Il copresidente del PS svizzero ha presentato un reclamo contro due di questi articoli presso il Consiglio della stampa. L’alloggiamento dei richiedenti asilo è stato citato come unico motivo delle disdette, nonostante dopo la pubblicazione del primo articolo il proprietario avesse dichiarato che gli alloggi erano in cattive condizioni, che dovevano esser demoliti e che la sistemazione dei richiedenti asilo era temporanea. Il Consiglio svizzero della stampa è giunto alla conclusione che nel suo primo articolo «20 Minuten» abbia riferito correttamente la situazione così come la si conosceva allora. Per contro, nel secondo articolo ha riportato i fatti in modo talmente abbreviato da non risultare più corretti. Infatti, già allora risultava chiaro che la disdetta era dovuta alla prevista demolizione dell’edificio e che l’alloggio dei richiedenti asilo era una soluzione temporanea. Lo stess «20 Minuten» aveva nel frattempo riportato la notizia. Il dovere di verità e il dovere di rettifica sono quindi stati violati. Il Consiglio della stampa ha pure affrontato la questione riguardo all’opportunità o meno da parte del media di rettificare anche le informazioni contenute nel primo articolo dopo che erano emersi ulteriori elementi. Il Consiglio ritiene che ciò sarebbe stato sproporzionato, poiché le informazioni iniziali si basavano su una comunicazione delle autorità.
I. Sachverhalt
A. Am 27. Februar 2023 veröffentlichte «20minuten.ch» einen Artikel mit dem Titel «49 Mieter müssen Wohnung wegen Asylunterkunft verlassen», der sich im Wesentlichen auf eine Medienmitteilung der Gemeinde Windisch bezog. Der Gemeinderat fühle sich vom Kanton überrumpelt, er erwarte von ihm, dass er auf die Miete der betroffenen Liegenschaften verzichte. Am 1. März erschien ein weiterer Beitrag, in dem «20 Minuten» über den Liegenschaftsbesitzer berichtete, der zwischenzeitlich in mehreren Medien erklärt hatte, dass auf dem betreffenden Gelände ein Neubau geplant sei; bei der Asylunterkunft handle es sich um eine Zwischennutzung. Am 2. März 2023 folgten in «20 Minuten» zwei weitere Artikel zum Thema. Der eine mit dem Titel «Wohnungskrise spitzt sich zu – ‹Windisch war Vorgeschmack›»: Experten warnten, wegen fehlender Wohnungen würden in der Schweiz soziale Spannungen drohen. Die Wohnungsnot löse den Klimawandel ab. Als Beispiel nennt «20 Minuten» den «Fall Windisch, wo Mieterinnen und Mieter ihre Wohnungen für eine neue Asylunterkunft verlassen müssen». Der andere mit dem Titel «Windisch: Mieter nach Treffen mit Gemeinde enttäuscht».
B. Am 6. März 2023 reichten Mattea Meyer und Cédric Wermuth, das Co-Präsidium der SP Schweiz, eine Beschwerde beim Schweizer Presserat gegen die genannten Artikel ein. Sie machen, anwaltlich vertreten, geltend, dass der erste Artikel irreführend sei. Als einziger Grund für die Kündigung in Windisch werde im Text die Unterbringung von Asylsuchenden und Geflüchteten genannt. Zudem würden die Leserinnen und Leser des Artikels darüber im Unklaren gelassen, ob es sich bei den Liegenschaften in Windisch um Eigentum des Kantons, der Gemeinde oder um Privateigentum handle. Die Beschwerdeführenden machen geltend, der Artikel sei einseitig geschrieben und ungenügend recherchiert. Schliesslich habe der Eigentümer der entsprechenden Liegenschaft am 28. Februar 2023 gegenüber SRF und dem «Tages-Anzeiger» schriftlich ausgeführt, dass die 32 Wohnungen in den drei Häusern in einem baulich so schlechten Zustand seien, dass sie abgebrochen werden müssten. Nur deswegen habe man den Mietern gekündigt. Moniert werden auch zwei weitere Artikel von «20 Minuten» mit dem Titel «Wohnungskrise spitzt sich zu – ‹Windisch war Vorgeschmack›» sowie «Windisch: Mieter nach Treffen mit Gemeinde enttäuscht» (beide am 2. März 2023 veröffentlicht). Auch hier würden wie im ersten Artikel Asylsuchende als einziger Grund erwähnt, weshalb die Mieterinnen und Mieter in Windisch ihre Liegenschaften verlassen müssten. Im ersten Artikel heisst es: «Der Fall Windisch, wo Mieterinnen und Mieter ihre Wohnung für eine neue Asylunterkunft verlassen müssen, …», im zweiten Artikel: «Der Fall löste diese Woche grosse Empörung aus. Für eine geplante Asylunterkunft müssen 49 Mieterinnen und Mieter ihre Wohnungen verlassen.» Weiterer Bestandteil der Beschwerde ist ein Link, der nach Ansicht der Beschwerdeführenden irreführend auf einen Artikel über Wohnungskündigungen in Seegräben verweist, die wenige Tage vorher publik wurden.
Nach Ansicht der Beschwerdeführenden verstösst diese Berichterstattung gegen die Wahrheits- und Berichtigungspflicht gemäss Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung») in Verbindung mit den Richtlinien 1.1 (Wahrheitssuche) und 5.1 (Berichtigungspflicht). Die Behauptung, den betreffenden Mieterinnen und Mietern in Windisch sei einzig aufgrund der unterzubringenden Asylsuchenden gekündigt worden, habe sich als unwahr erwiesen. Zwar stelle die Redaktion von «20 Minuten» auf die Medienmitteilung der Gemeinde ab, doch die sei auch fehlerhaft. Schliesslich habe auch die Gemeinde nicht darauf verwiesen, dass der Eigentümer die Liegenschaften abreissen und nur deshalb einer Zwischennutzung zuführen wolle.
C. In der Beschwerdeantwort vom 6. Juni 2023 macht die TX Group als Herausgeberin von «20 Minuten» geltend, dass im Grundsatz auf eine behördliche Aussage vertraut werden dürfe, und dass die Redaktion sofort Nachfragen angestellt habe. So sei die zuständige Stelle beim Kanton um eine Stellungnahme gebeten worden. Zudem sei die Eigentümerin der Liegenschaft ausfindig gemacht worden und ebenfalls um Stellungnahme gebeten worden. Zum Zeitpunkt der Publikation des Artikels vom 27. Februar 2023 seien tatsächlich noch nicht alle Hintergründe des Falles bekannt gewesen. Dies sei bei einer News-Berichterstattung eine alltägliche Situation. Es sei aber stets fakten- und wahrheitsgetreu berichtet worden. Alle neuen Entwicklungen seien später aufgegriffen worden. Die Behauptung der Beschwerdeführenden, die Kündigung von knapp 50 Mieterinnen und Mietern habe keinen Zusammenhang mit der geplanten Unterbringung von Asylsuchenden, sei falsch. Dies gelte auch für die beiden Artikel vom 2. März 2023. Die Stellungnahme der Vermieterschaft hätte zwar erwähnt werden können, ein Verstoss gegen die Wahrheitspflicht liege aber nicht vor. Da keine Verletzung der Wahrheitspflicht vorliege, sei auch keine Berichtigung gemäss Richtlinie 5.1 (Berichtigungspflicht) nötig gewesen.
Die TX Group kritisiert die SP-Spitze wegen einer «unredlichen Kampagne» gegen «20 Minuten» auf Social Media. Diese habe zu rufschädigenden und mutmasslich justiziablen Kommentaren gegen «20 Minuten» geführt. Die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten werde darin herabgewürdigt und Vorurteile gegen einen ganzen Berufsstand geschürt und verstärkt.
D. Das Präsidium des Presserats wies den Fall der 3. Kammer zu. Ihr gehören Jan Grüebler (Kammerpräsident), Annika Bangerter, Monika Dommann, Christina Neuhaus, Simone Rau, Pascal Tischhauser und Hilary von Arx an.
E. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihren Sitzungen vom 3. Juli 2023 und 3. April 2024 und auf dem Korrespondenzweg.
F. Innerhalb der reglementarischen Frist von 10 Tagen beantragten zwei Mitglieder des Presserats die Behandlung der Beschwerde durch das Plenum.
G. Das Plenum des Presserats behandelte die Beschwerde an seiner Sitzung vom 13. November 2023 und auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. Journalistinnen und Journalisten halten sich an die Wahrheit ohne Rücksicht auf die sich für sie ergebenden Folgen. Sie lassen sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten, die Wahrheit zu erfahren. Richtlinie 1.1 zur «Erklärung» hält die Wahrheitssuche als Ausgangspunkt der Informationstätigkeit fest. Sie setzt die Beachtung verfügbarer und zugänglicher Daten, die Achtung der Integrität von Dokumenten (Text, Ton und Bild) sowie die Überprüfung und die allfällige Berichtigung voraus.
Der Presserat kann nicht beurteilen, was der tatsächlich entscheidende Grund für die Kündigungen war. Der Presserat beurteilt ausschliesslich, ob «20 Minuten» mit der Berichterstattung den Medienkodex verletzt hat.
Setzt man alle dem Presserat zur Verfügung stehenden Informationen zusammen, ergibt sich folgendes Bild: Der Hauseigentümer kündigte den Mieterinnen und Mietern der betroffenen Liegenschaft, nachdemer mit dem Kanton Aargau übereingekommen war, die Liegenschaft für die Unterbringung von Asylsuchenden zur Verfügung zu stellen. Die Liegenschaft ist zwar baufällig, aber in der Gemeinde wurde zum Zeitpunkt der Vereinbarung zwischen Eigentümer und Kanton noch kein Abbruchgesuch gestellt, auch ein Baugesuch lag nicht vor. Die Gemeinde wusste zu diesem Zeitpunkt offensichtlich nichts von den Plänen des Hauseigentümers. In der Gemeinde wurde aber darüber spekuliert, ob es nach Ablauf des Mietvertrags einen Neubau an gleicher Stelle geben soll. «Wir gehen davon aus, dass die geplante Asylunterkunft eine Zwischenlösung ist», zitierte «Blick» am 28. Februar 2023 die Gemeindepräsidentin. Die betroffenen Immobilien seien nicht in einem Zustand, in dem sie noch jahrelang bewohnt werden könnten. Auf diese Weise verschaffe man sich Zeit, ein Baugesuch vorzubereiten. Am Abend des 28. Februar sagte dann der Liegenschaftsbesitzer im «Regionaljournal Aargau Solothurn» von SRF, es handle sich bei der geplanten Asylunterkunft um eine Zwischennutzung. Der geplante Neubau sei der Kündigungsgrund gewesen. Am 1. März berichtete «20 Minuten» ausführlich über diese Stellungnahme des Liegenschaftsbesitzers.
Im Ergebnis liegt «20 Minuten» nicht falsch mit der Aussage, Mieterinnen und Mieter müssten Asylsuchenden weichen. Denn das ist der Fall. Es ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Der Hauseigentümer will die Liegenschaft sanieren und hat deshalb ihren ordentlichen Mieterinnen und Mietern gekündigt, nachdem er mit dem Kanton Aargau übereingekommen war, diesem die Liegenschaft drei Jahre lang für die Unterbringung von Asylsuchenden zur Verfügung zu stellen. Für den Eigentümer der Liegenschaft hat das den Vorteil, dass die ordentlichen Mieterinnen und Mieter die Liegenschaft verlassen haben, wenn diese abgerissen werden soll.
Der von den Beschwerdeführenden beanstandete Artikel «49 Mieter müssen Wohnung wegen Asylunterkunft verlassen» vom 27. Februar 2023 gibt den damaligen Wissensstand wieder. Zum Zeitpunkt der Publikation wusste nicht einmal die Gemeindepräsidentin von Windisch, dass die Eigentümerschaft der Liegenschaft einen Abbruch plant. Dies machen die Beschwerdeführenden selbst geltend, indem sie Ausführungen, die die Gemeindepräsidentin von Windisch gegenüber dem «Tages-Anzeiger» von 2. März 2023 (Print) gemacht hat, zitieren: «Erst am Dienstag, sagt Ammon, habe sie in einem Gespräch mit dem Eigentümer erfahren, dass er die Liegenschaften abreissen und durch einen Neubau ersetzen wolle. Dass den jetzigen Mietern früher oder später gekündigt werde, sei somit klar.» Somit ist die Ziffer 1 der «Erklärung» (Wahrheitspflicht) nicht verletzt.
Anders sieht es bei den beiden Artikeln vom 2. März 2023 aus: Hier sind die Sätze «Der Fall Windisch, wo Mieterinnen und Mieter ihre Wohnung für eine neue Asylunterkunft verlassen müssen» und «Der Fall löste diese Woche grosse Empörung aus. Für eine geplante Asylunterkunft müssen 49 Mieterinnen und Mieter ihre Wohnungen verlassen» tatsächlich verkürzt. Zu diesem Zeitpunkt wusste man mehr über die Hintergründe. «20 Minuten» hatte ja vorher selber darüber berichtet, dass es bei der Asylunterkunft um eine Zwischennutzung ging, weil der Liegenschaftsbesitzer einen Neubau plante. Der Presserat hat diesen Punkt im Plenum kontrovers diskutiert. Kann sich das Publikum ein eigenes Bild machen, wenn dann nur noch die geplante Asylunterkunft, aber nicht der geplante Hausabriss erwähnt wird? Der Presserat kommt zum Schluss, dass beides ein wichtiger Teil der Wahrheit ist und die Information in den beiden Artikeln vom 2. März ungenügend war. Deshalb ist die Ziffer 1 der «Erklärung» (Wahrheitspflicht) verletzt.
2. Richtlinie 5.1 (Berichtigungspflicht) verpflichtet Journalistinnen und Journalisten zur unverzüglichen und selbst initiierten Berichtigung von «materiell unrichtigen» Fakten.
Als «20 Minuten» Ende Februar die ersten Artikel zum Thema publizierte, wusste die Redaktion allerdings nicht, dass die Informationen der Gemeinde Windisch respektiv der Kantonalen Sozialdienste nicht vollständig waren. Erst später erfuhr die Redaktion, dass ein wichtiger Teil der Fakten (der geplante Neubau) fehlte und berichtete am 1. März auch darüber. Nun stellt sich die Frage, ob «20 Minuten» die ersten Artikel nachträglich hätte berichtigen müssen.
Grundsätzlich gilt, dass Redaktionen berichtigen müssen, sobald sie erfahren, dass eine wesentliche Information in einem Beitrag falsch war. Dies ist aber nicht zwingend, wenn die fehlerhafte Information zum Zeitpunkt der Publikation auf den öffentlich bekannten Fakten beruht wie in diesem Fall
Es wäre unverhältnismässig und nicht praktikabel, wenn sämtliche Medienberichte über falsche oder ungenaue Aussagen von Behörden im Nachhinein berichtigt werden müssten.
Der Presserat hat sich schon 2011 (Stellungnahme 29/2011) ausführlich mit dieser Problematik befasst. In Hearings wurde der Frage nachgegangen, was in Mediendatenbanken und Archiven wie berichtigt oder korrigiert werden muss. Angehört wurden Vertreterinnen und Vertreter von Google, der Schweizer Mediendatenbank (SMD), der Redaktionen von NZZ Online und «20 Minuten» sowie des Rechtsdienstes von Tamedia. Aus den Hearings folgerte der Presserat: «Informationen, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung eines Medienberichts korrekt waren, sind unter Umständen aus heutiger Sicht nicht mehr richtig oder zumindest nicht vollständig. Ist deshalb zu fordern, dass online zugängliche Berichte in Medienarchiven stetig aktualisiert werden sollten? Falls der Inhalt zum Zeitpunkt der Veröffentlichung richtig war, ist dies in den meisten Fällen nicht angebracht. Archive haben eine wichtige Funktion, nicht nur für Journalisten. Änderungen in Archiven verfälschen die historischen Informationen. Texte sollten in ihrer ursprünglichen Form, auch wenn sie nicht (mehr) richtig sind, im Archiv ersichtlich sein … Bei besonders begründeten, stossenden Fällen ist es ausnahmsweise angebracht, einen Artikel mit einem zusätzlichen Vermerk zu versehen.» Als besonders begründete Fälle werden in 29/2011 unter anderen genannt: Einstellungen oder Freisprüche in Strafverfahren oder wenn eine mögliche Persönlichkeitsverletzung vorliegt.
Zweck von Richtlinie 5.1 ist, dass Medienberichte den Fakten entsprechen. Deshalb müssen sie gegebenenfalls berichtigt werden. Wer in Mediendatenbanken oder online recherchiert, soll auf die richtigen Fakten stossen. Zu diesem Fall wurde von «20 Minuten» und anderen Medien ausführlich berichtet. Bei einer Recherche stösst man nicht nur auf den Artikel vom 27. Februar, sondern vor allem auf spätere Artikel, die den Sachverhalt ausführlicher darstellen. Eine Berichtigung ist auch deshalb nicht nötig. Mit dem Artikel vom 27. Februar 2023 hat «20 Minuten» die Richtlinie 5.1 (Berichtigungspflicht) nicht verletzt.
Die Situation bei den beiden Artikeln vom 2. März ist eine andere. Da hier die Wahrheitspflicht verletzt ist, hätte auch eine Berichtigung erfolgen müssen. Mit den beiden Artikeln hat «20 Minuten» die Richtlinie 5.1 (Berichtigungspflicht) verletzt.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.
2. «20 Minuten» hat mit dem Artikel «49 Mieter müssen Wohnung wegen Asylunterkunft verlassen» vom 27. Februar 2023 weder die Ziffer 1 (Wahrheit) noch die Ziffer 5 (Berichtigung) verletzt.
3. Mit den beiden Artikeln «Wohnungskrise spitzt sich zu – ‹Windisch war Vorgeschmack›» sowie «Windisch: Mieter nach Treffen mit Gemeinde enttäuscht» vom 2. März 2023 hat «20 Minuten» die Ziffern 1 (Wahrheit) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.