Nr. 43/2025
Trennung von Fakten und Kommentar / Diskriminierungsverbot

(X. und Y. c. «Das Magazin»)

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Zusammenfassung

Der Artikel «Liebe Kosovarinnen, wir müssen uns wehren!», der im Oktober 2024 im «Magazin» publiziert wurde, löste eine Debatte über Frauenfeindlichkeit in der albanischen Gemeinschaft aus. Der Presserat hat nun eine Beschwerde gegen das «Magazin» abgewiesen. Der Essay von Kaltërina Latifi ist für die Leserschaft eindeutig als Meinungsstück erkennbar. Die Autorin macht zudem von Beginn an klar, dass zahlreiche Personen ihre Sichtweise nicht teilen.
Der Presserat weist die Kritik zurück, dass die Autorin ihre subjektive Meinung als allgemeine Tatsache darstelle und sie verallgemeinere. Latifi thematisiert frauenfeindliche Machtstrukturen in der (kosovo-)albanischen Gemeinschaft und beschreibt damit ein Problem von hoher Relevanz. Indem die Autorin das kulturelle Wertesystem analysiert, kommt sie gar nicht darum herum, die Gemeinschaft explizit benennen zu müssen. Die Autorin weist mehrfach in ihrem Essay darauf hin, dass sie über soziale Normen und Traditionen schreibt, und verdeutlicht damit ausreichend, dass sich ihre Kritik nicht auf sämtliche (Kosovo-)Albanerinnen respektive -Albaner bezieht. Gleichzeitig anerkennt der Presserat, dass bei einer selektiven und voreingenommenen Lektüre der Text Vorurteile bestätigen oder gar verstärken kann. Das ist allerdings nicht der Autorin zur Last zu legen.
Eine Aufgabe des Journalismus ist es, gesellschaftliche Debatten anzustossen und zu führen. Im Sinne der Meinungs- und Medienfreiheit muss es möglich sein, eine Minderheit öffentlich und gegebenenfalls scharf zu kritisieren. Das «Magazin» wie auch die Autorin haben sich in der Folge der Kritik gestellt und diese aufgenommen, was der Presserat begrüsst.

Résumé

L’article « Liebe Kosovarinnen, wir müssen uns wehren! » (Chères Kosovares, nous devons nous défendre !), publié en octobre 2024 dans « Magazin », a suscité un débat sur la misogynie au sein de la communauté albanaise. Le Conseil suisse de la presse a dans ce contexte rejeté une plainte contre « Magazin », au motif que les lecteurs pouvaient percevoir sans équivoque que l’essai de Kaltërina Latifi est un article d’opinion. De plus, l’autrice signifie dès le début de l’article que de nombreuses personnes ne partagent pas son point de vue.
Le Conseil suisse de la presse rejette la critique selon laquelle l’autrice fait passer ses évocations subjectives pour des faits, voire qu’elle les généralise. Kaltërina Latifi dénonce les structures misogynes du pouvoir au sein de la communauté albanaise du Kosovo et, par là-même, elle décrit un problème de haute importance. Dans la mesure où elle décrit les valeurs culturelles de cette communauté, elle n’a pas d’autre choix que de la nommer expressément. Elle souligne à plusieurs reprises dans son essai qu’elle décrit des normes sociales et des traditions, et énonce donc suffisamment clairement que sa critique ne vise pas toutes les Albanaises et tous les Albanais du Kosovo. Le Conseil suisse de la presse reconnaît qu’une lecture sélective et biaisée du texte peut confirmer ou même renforcer les préjugés, mais que l’autrice ne peut pas en être considérée comme responsable.
L’une des fonctions du journalisme est de susciter et de mener des débats au sein de la société. Au nom de la liberté d’opinion et de la presse, il doit être possible de critiquer une minorité publiquement, et le cas échéant de manière véhémente. « Magazin » et l’autrice ont, suite à la publication de l’essai, prêté le flanc à la critique et en ont tenu compte, ce que le Conseil suisse de la presse salue.

Riassunto

L’articolo «Liebe Kosovarinnen, wir müssen uns wehren!» (care donne kosovare, dobbiamo difenderci!), pubblicato sulla rivista «Magazin» nell’ottobre 2024, ha scatenato un dibattito sulla misoginia nella comunità albanese. Il Consiglio della stampa ha respinto il reclamo contro «Magazin». Il saggio di Kaltërina Latifi è chiaramente riconoscibile da lettrici e lettori come un articolo di opinione. L’autrice chiarisce inoltre fin dall’inizio che numerose persone non condividono il suo punto di vista. Il Consiglio della stampa respinge la critica secondo cui l’autrice presenterebbe la propria opinione soggettiva come un fatto generale e opererebbe generalizzazioni improprie. Latifi affronta il tema delle strutture di potere misogine nella comunità albanese (del Kosovo) e descrive così un problema di grande rilevanza. Analizzando il sistema di valori culturali, l’autrice non può fare a meno di nominare esplicitamente la comunità. Quest’ultima sottolinea più volte nel suo saggio che sta scrivendo di norme sociali e tradizioni, chiarendo così in modo adeguato che la sua critica non si riferisce a tutte le albanesi e a tutti gli albanesi (del Kosovo). Al contempo, il Consiglio della stampa riconosce che una lettura selettiva e prevenuta del testo può confermare o addirittura rafforzare pregiudizi. Tuttavia, ciò non è responsabilità dell’autrice.
Uno dei compiti del giornalismo è stimolare e condurre dibattiti sociali. Ai fini della libertà di espressione e dei media deve essere possibile criticare pubblicamente una minoranza e, se necessario, aspramente.
Sia la rivista «Magazin» che l’autrice hanno affrontato le critiche e le hanno accolte, cosa che il Consiglio della stampa approva.

 

I. Sachverhalt

A. Am 3. Oktober 2024 publizierte «Das Magazin» online einen Beitrag mit dem Titel «Liebe Kosovarinnen, wir müssen uns wehren!». Der Obertitel lautet: «Essay zu Frauenfeindlichkeit». Verfasst hat ihn die Schweizer und kosovo-albanische Literaturwissenschafterin und Kolumnistin Kaltërina Latifi. Darin schreibt sie über die Geschlechterverhältnisse und Misogynie in der albanischen Gesellschaft. Zwar gebe es «löbliche Einzelfälle», doch diese würden lediglich ablenken von «einer in unserer Kultur weiterhin unterschwellig praktizierten und zum Teil in verschleierter Form zelebrierten Unterjochung der Frau». Latifi prangert in ihrem Essay Frauenfeindlichkeit, Sexismus sowie ein patriarchales Wertesystem an, in dem der Mann «Dreh- und Angelpunkt» sei. Die Frau hingegen habe keinen Selbstwert. Latifi beschreibt diese Struktur als «Leitidee» der albanischen Kultur. Diese würde Frauen wie Männer ins Verderben stürzen. Die Autorin stellt das von ihr angeprangerte Wertesystem auch in der Diaspora fest.

Sie verweist auf Erfahrungen wie etwa jene ihrer Mutter, die dafür bemitleidet worden sei, drei Töchter, aber keinen Sohn zu haben. Darüber hinaus bespricht Latifi auch das Tötungsdelikt von Bergdietikon, bei dem ein Albaner nordmazedonischer Herkunft seine ursprünglich aus dem Kosovo stammende Frau ermordete. Latifi appelliert in ihrem Essay, über traditionalistische, misogyne Verhaltensweisen zu sprechen und «Licht in das Dunkel der Unterdrückungspraktiken zu bringen». Dazu zählt sie unter anderem Ehen, in denen Frauen von ihren Männern und Schwiegereltern ausgebeutet werden, männliche Besitzansprüche oder eine Kindererziehung durch Grosseltern, die traditionell patriarchale Rollenbilder vermitteln. Gemäss Latifi würden Betroffene in der Regel schweigen, vieles werde in der Gemeinschaft heruntergespielt. In ihrem Essay benennt sie auch ihre eigenen Zweifel: Ob sie übertreibe? Zwar würden die negierenden Reaktionen sie verunsichern, aber ihre Erfahrungen lehrten sie eines Besseren, hält sie fest.

B. Gegen den Essay reichten am 6. November 2024 X. und Y. gemeinsam eine Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Für die beiden Beschwerdeführerinnen verletzen mehrere Passagen die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (in der Folge «Erklärung» genannt). Sie kritisieren, dass die Autorin an mehreren Stellen Fakten und kommentierende Einschätzungen vermischt habe, was zu einer Verletzung der Richtlinie 2.3 führe. Dies etwa, wenn die Autorin schreibt, dass die kosovo-albanische Frau keinen Selbstwert habe und sich ihr Wert «durch äussere Faktoren innerhalb einer bestimmten soziokulturellen Konstellation – und das immer im Verhältnis zum Mann» ergebe. Diese Aussage würde als allgemeine Tatsache dargestellt, basiere jedoch auf einer subjektiven Meinung. Die Verallgemeinerungen seien weder durch Fakten belegbar noch gälten sie universell. Es handle sich um eine einseitige Interpretation, welche die Vielfalt innerhalb der albanischen Kultur nicht widerspiegle. Des Weiteren würde die Aussage, dass die «Geburt eines Sohnes für viele weiterhin als das Nonplusultra zivilisatorischer Errungenschaft» gelte, ebenfalls als eine allgemeingültige Tatsache präsentiert. Die Behauptung, dass «in gewissen Fällen sogar ein Schwangerschaftsabbruch der Geburt eines Mädchens vorgezogen wird», sei zudem schwerwiegend und hätte Belege verlangt.

Die Beschwerdeführerinnen monieren die Passage, in der die Autorin schreibt, dass die Macht ohnehin beim Ehemann und seiner Familie bliebe, «auch wenn Frauen hoffen, dass sie durch die Schenkung der Aufenthaltsbewilligung besser behandelt werden. Das ist faktisch nie eingetroffen». Diese Aussage würde insbesondere mit dem Begriff «faktisch» als Tatsache präsentiert, ohne den entsprechenden Nachweis zu liefern. Das sei eine klare Vermischung von Kommentar und Fakt. Zudem würde suggeriert, dass Frauen ausschliesslich heiraten würden, um eine Aufenthaltsbewilligung zu erhalten. Das impliziere fälschlicherweise, dass es sich um Scheinehen handle, was spekulativ sei.

Ebenfalls kritisieren die Beschwerdeführerinnen die Aussage: «Ein ungeschriebenes Gesetz besagt nämlich, dass eine Frau, die ihren Mann verlässt, sich auch von ihren Kindern verabschiedet.» Sie sehen darin eine unbewiesene Meinung und eine pauschale Darstellung, die nicht den tatsächlichen Verhältnissen entspreche.

Die Beschwerdeführerinnen erachten auch die Menschenwürde (Ziffer 8 der «Erklärung») und insbesondere das Diskriminierungsverbot (Richtlinie 8.2) als verletzt. Sie machen dies unter anderem fest an der Aussage, dass die löblichen Einzelfälle nur ablenken würden «von einer in unserer Kultur weiterhin unterschwellig praktizierten und zum Teil in verschleierter Form zelebrierten Unterjochung der Frau». Diese pauschale Behauptung über die albanische Kultur impliziere, dass Frauen systematisch unterdrückt würden. Solche Verallgemeinerungen seien diskriminierend und würden positive Entwicklungen und Initiativen in Richtung Gleichberechtigung ignorieren. Der gesamten albanischen Kultur würde vielmehr eine destruktive Leitidee zugeschrieben, indem die Autorin schreibe: «Es geht mir hier nicht so sehr um die bösen Männer und die ach so armen Frauen, sondern um eine fest in unserer albanischen Kultur verankerten Leitidee, die zuletzt alle, Frauen wie Männer auf ihre jeweils eigene Weise, ins Verderben zieht.» Diese Behauptung stelle eine Form der kulturellen Diskriminierung dar, indem sie undifferenziert, pauschal negative Werte einer gesamten Kultur zuweisen würde.

Ebenfalls Ziffer 8 und Richtlinie 8.2 wird gemäss den Beschwerdeführerinnen durch folgende Passage verletzt: «Die guten Beispiele gleichen die andernorts hinter verschlossenen Türen verübten Gräueltaten nicht aus. Es ist an der Zeit, den Blick ganz bewusst auf die ansonsten unsichtbar bleibende Mehrheit zu lenken und so allmählich Licht in das Dunkel der Unterdrückungspraktiken zu bringen.» Diese Formulierung lege nahe, dass es in der albanischen Kultur eine unsichtbare Mehrheit gebe, die systematisch Gräueltaten oder Unterdrückung praktiziere. Durch diese Aussage würde nicht nur eine grosse Gruppe von Menschen undifferenziert und pauschal in ein negatives Licht gerückt, sondern schwere Vorwürfe gegen eine gesamte Kultur erhoben. Die herabsetzende Darstellung verstosse gegen das Diskriminierungsverbot. Des Weiteren erachten die Beschwerdeführerinnen die Aussage der Autorin, dass Sexismus ein grundlegendes Merkmal der gesamten Kultur sei, als problematisch. Dies würde Stereotypen und Vorurteile verstärken. Ein einseitiges Bild zementiere auch der Satz, dass die Frau in der albanischen Kultur ein Objekt sei, «über das der Mann schalten und walten kann, wie er will. Sie ist sein Eigentum». Diese Verallgemeinerung, die auf Geschlecht und kulturellem Hintergrund basiere, führe zu einer verzerrten Wahrnehmung der albanischen Kultur.

C. Am 25. Juli 2025 nahm der Rechtsdienst der Tamedia für die Redaktion des «Magazin» Stellung zur Beschwerde. Diese sei abzuweisen. Anders als die Beschwerdeführerinnen kritisieren, habe die Autorin keine pauschalen Aussagen gemacht, sondern einen ausführlichen und vertieften Essay verfasst. Sie schreibe in grundlegender Weise über die Frauenfeindlichkeit in der albanischen Kultur, der sie selbst angehöre. Statt undifferenziert zu kritisieren, habe sie sich in ihrem Text auf ein prinzipielles und strukturelles Problem konzentriert. Es gehe nicht um individuelle Schicksale, sondern um die kulturelle, strukturelle Dimension von Frauenfeindlichkeit. Kaltërina Latifi sei seit 2021 Kolumnistin des «Magazin» und habe sich in ihren Beiträgen wiederholt mit der Rolle der Frauen im albanischen Kontext befasst. Ihre Beschreibungen stütze sie auf ihre Lebenserfahrung und ihre Beobachtungen im persönlichen Umfeld. Es werden auch andere Schweizer Medienberichte angeführt, die diese Beobachtungen bestätigten.

D. Die Redaktion argumentiert, dass Richtlinie 2.3 nicht verletzt sei, da der Artikel als Essay überschrieben und somit klar als Meinungsstück gekennzeichnet sei. Die Autorin weise ausdrücklich darauf hin, dass ihre Aussage über den fehlenden Selbstwert der Frau im tradierten albanischen Wertesystem eine «Verkürzung» darstelle. Die Beschreibung treffe in keiner Weise ausnahmslos auf alle Albanerinnen und Albaner zu, sondern handle von einem Wertesystem. Wäre es nicht möglich, in dieser Weise über Grundstrukturen von Traditionen zu sprechen, wäre dies eine unzulässige Einschränkung der Medien- und Meinungsfreiheit sowie eine Verarmung der gesellschaftlichen Debatte.

Ebenfalls sei Richtlinie 2.3 nicht verletzt, wenn die Autorin die Bevorzugung von Söhnen beschreibe, die soweit gehen könne, dass statt der Geburt eines Mädchens ein Schwangerschaftsabbruch vorgezogen würde. Selbst der von den Beschwerdeführerinnen genannte Wikipedia-Eintrag verweise auf eine überdurchschnittlich hohe Geburtenrate von Jungen im albanischen Kulturkreis. Das Ungleichgewicht der Geschlechter würde auch der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen, die UNFPA, zeigen. Eine Krankenhausärztin aus Tirana habe zudem gegenüber dem «Deutschlandfunk» die gezielte Abtreibung von weiblichen Föten in einem Beitrag bestätigt. Zudem habe die Autorin nicht absolut über dieses Phänomen geschrieben, sondern festgehalten, dass die Geburt eines Sohnes «für viele» erste Wahl sei und dies «in gewissen Fällen» zu einem Schwangerschaftsabbruch führe. Dadurch habe sie genügend differenziert.

Des Weiteren sei Richtlinie 2.3 auch nicht durch die Passage verletzt, dass Frauen sich durch die «Schenkung der Aufenthaltsbewilligung» erhoffen, besser behandelt zu werden, was «faktisch nie eingetroffen» sei. Diese Aussage sei als Zitat und somit als subjektive Meinung von «Mira», einer Bekannten der Autorin, gekennzeichnet. Nie werde zudem im Text gesagt oder suggeriert, dass Frauen ausschliesslich zum Zweck der Erlangung einer Aufenthaltsbewilligung heiraten würden. Hinsichtlich des «ungeschriebenen Gesetzes», dass eine Frau, die ihren Mann verlässt, sich auch von ihren Kindern verabschiede, stütze sich die Autorin auf ihre eigenen Erfahrungen und die ihres Umfelds. Als Beispiel sei im Text jenes von «Fanka» genannt.

Dezidiert weist das «Magazin» den Vorwurf zurück, das Diskriminierungsverbot verletzt zu haben. Vielmehr würden die Beschwerdeführerinnen missverstehen, dass die Autorin die Unterjochung der Frau in der albanischen Kultur als ein prinzipielles und strukturelles Problem verstehe. Dieses lasse sich längerfristig nur lösen, wenn es explizit benannt werde. Die Redaktion weist auf die Verhältnismässigkeit von Richtlinie 8.2 hin. Diese besagt, dass die Gefahr einer Diskriminierung gegen den Informationswert einer Aussage abzuwägen sei. Die bestehenden misogynen Machtstrukturen entsprächen einem solchen grossen Informationswert, weshalb eine offene Diskussion über deren Gründe angebracht sei.

Indem die Autorin bereits zu Beginn des Artikels schreibe, dass es «selbstverständlich» Ausnahmen gebe, sie aber nicht «die löblichen Einzelfälle» umtrieben, deklariere sie klar, dass nicht alle Albanerinnen und Albaner der typischen Rollenbeschreibung entsprechen würden. Zudem mache sie deutlich, dass sie den Fokus auf die Missstände legen wolle, weshalb Richtlinie 8.2 nicht verletzt sei. Dies betreffe auch die Aussage, welche von einer in der «albanischen Kultur verankerten Leitidee» handle. Es müsse im Sinne der Meinungs- und Medienfreiheit erlaubt sein, dass in einem persönlichen Essay eine Kosovo-Albanerin die «Geringschätzung der Frau» als eine negative «Leitidee» bezeichnen dürfe. Des Weiteren weist die Redaktion die Kritik der Beschwerdeführerinnen von sich, dass mit den genannten «Gräueltaten» und «Unterdrückungspraktiken» schwere Vorwürfe gegen die gesamte Kultur erhoben würden und eine pauschale Verurteilung stattfände. Vielmehr habe die Autorin explizit nicht alle Albanerinnen und Albaner gemeint, sondern «viele» geschrieben. Zudem anerkenne sie die «Ausnahmeerscheinungen» und «guten Beispiele». Um ihre Aussage zu untermauern, verweist das «Magazin» auf den Forensiker Frank Urbaniok, der die Kriminalstatistik der Schweiz nach Staatsangehörigkeiten aufgeschlüsselt hat. Gemäss Urbaniok begingen Kosovo-Albaner fast viermal mehr Delikte gegen Leib und Leben als Schweizer und lösten fast doppelt so viele Verfahren wegen Sexualdelikten aus.

Die Redaktion sieht Richtlinie 8.2 ebenfalls als nicht verletzt an bezüglich des beschriebenen Sexismus in der albanischen Kultur. Vielmehr würden die Beschwerdeführerinnen ihren Vorwurf auf eine undifferenzierte Lektüre stützen. Denn die Autorin schreibe nicht, dass alle Frauen in der albanischen Kultur als Objekte behandelt würden. Vielmehr nennt sie eine geschilderte Episode als «symptomatisch» und bezeichnet Sexismus als «Standardeinstellung» der albanischen Kultur. Das bedeute gerade nicht, dass alle Albaner Sexisten und alle Frauen Sexismusopfer seien.

D. Das Präsidium des Presserates wies die Beschwerde der 3. Kammer zu. Ihr gehören Jan Grüebler (Kammerpräsident), Annika Bangerter, Lena Berger, Dennis Bühler, Monika Dommann, Andri Rostetter und Hilary von Arx an.

E. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 11. November 2025 und auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Vorbemerkung: Die Beschwerdeführerinnen führen in einigen Punkten Richtlinie 3.2 (Medienmitteilungen) als verletzt an. Da diese Richtlinie jedoch die Kennzeichnung von Medienmitteilungen regelt, geht der Presserat davon aus, dass diese Richtlinie falsch benannt wurde und die Beschwerdeführerinnen tatsächlich Richtlinie 2.3 meinten. Er beurteilt deshalb diese Punkte der Beschwerde unter Richtlinie 2.3.

Richtlinie 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) verpflichtet Journalistinnen und Journalisten, dass das Publikum zwischen Fakten und kommentierenden Einschätzungen unterscheiden kann. Beim kritisierten Text handelt es sich um einen Essay – also um einen erklärenden Text mit einer betont subjektiven Betrachtung der schreibenden Person. Bereits die Form weist auf eine persönliche Haltung hin. Das wird im vorliegenden Text schon in den einleitenden Passagen deutlich. Die Autorin beschreibt das Spannungsverhältnis, in dem sie sich befindet: Ihre öffentlich geäusserte Kritik zu frauenfeindlichen Praktiken in der kosovo-albanischen Gesellschaft werde von einem Teil der Gemeinschaft als Übertreibung taxiert. Nicht alle seien so, es gebe Ausnahmen, heisse es, schreibt sie und fährt fort: «Selbstverständlich, denke ich mir dann. Mich treiben aber nicht die lobenden Einzelfälle um. Sie lenken nur ab von einer in unserer Kultur weiterhin unterschwellig praktizierten und zum Teil in verschleierter Form zelebrierten Unterjochung der Frau.» Damit macht die Autorin von Beginn an klar, dass ihre Haltung umstritten ist. Die Leserschaft weiss somit von der ersten Passage an, dass es sich um ein Meinungsstück handelt. Dadurch macht die Autorin für das Publikum transparent erkennbar, dass der Text auf ihren Wertungen und auf ihrer Sichtweise basiert.

Ebenfalls differenziert die Autorin bei heiklen Passagen, indem sie beispielsweise festhält, dass die Geburt eines Sohnes «für viele» einen höheren Stellenwert habe als die Geburt eines Mädchens. Dasselbe trifft zu, wenn die Autorin schreibt, dass dies «in gewissen Fällen» zu einem Schwangerschaftsabbruch bei weiblichen Föten führe.

Bei der kritisierten Passage «auch wenn Frauen hoffen, dass sie durch die Schenkung der Aufenthaltsbewilligung besser behandelt werden. Das ist faktisch nie eingetroffen» handelt es sich um ein Zitat – und somit um eine Meinung einer Drittperson. Dieses ist klar ausgewiesen. Der Vorwurf der Beschwerdeführerinnen, der Text suggeriere Scheinehen, erschliesst sich dem Presserat nicht. Das wird nirgendwo im Text behauptet.

Weiter kritisieren die Beschwerdeführerinnen die Aussage, dass es ein «ungeschriebenes Gesetz» gebe, dass Frauen, die ihre Männer verlassen, sich auch von ihren Kindern verabschieden müssten. Sie argumentieren, dass dies nicht den tatsächlichen Verhältnissen entspreche. Dafür verweisen sie auf einen Anwalt aus Pristina, der ihnen gegenüber bestätigte, dass ihm ebenfalls keine rechtliche oder gesellschaftliche Regel diesbezüglich bekannt sei. Das «Magazin» hält hingegen in seiner Entgegnung fest, dass sich die Aussage auf die Erfahrungen der Autorin und deren Umfeld stütze. Ein Beispiel dafür sei «Fanka», deren Geschichte im Essay erzählt wird. Die Redaktion argumentiert, dass die Aussage des Anwalts das von ihrer Autorin in der Praxis beobachtete ungeschriebene Gesetz in keiner Weise widerlege. Ob es dieses gibt oder nicht, kann der Presserat nicht beurteilen. Er kann einzig feststellen, ob die Publikation den medienethischen Anforderungen entspricht oder nicht. Die vorgebrachte Kritik bezieht sich auf Richtlinie 2.3. Aufgrund der Form des Textes und insbesondere aufgrund des geschilderten Erlebens der Autorin sowie der Geschichte aus ihrem persönlichen Umfeld ist diese Aussage durch die Kommentarfreiheit geschützt. Richtlinie 2.3 ist somit nicht verletzt.

2. Die Beschwerdeführerinnen kritisieren des Weiteren, dass der Text Richtlinie 8.2 (Diskriminierungsverbot) verletze. Diese hält fest, dass unter anderem die Nennung der ethnischen oder nationalen Zugehörigkeit diskriminierend wirken kann, insbesondere wenn sie negative Werturteile verallgemeinert und damit Vorurteile gegenüber Minderheiten verstärkt. Deshalb sei der Informationswert gegen die Gefahr einer Diskriminierung abzuwägen und die Verhältnismässigkeit zu wahren. Das Thema des Essays sind frauenfeindliche Machtstrukturen in der kosovo-albanischen Gesellschaft. Die Relevanz respektive der Informationswert ist somit hoch – und für den Presserat ausreichend vorhanden. Indem die Autorin die Strukturen dieser Gemeinschaft analysiert, kommt sie gar nicht darum herum, diese auch explizit benennen zu müssen.

Die Beschwerdeführerinnen kritisieren, dass die Autorin der kosovo-albanischen Kultur eine destruktive Leitidee und Sexismus zuschreibe. Das stelle eine kulturelle Diskriminierung dar. Diese Kritik teilt der Presserat nicht. Texte, die sich mit einer Gesellschaft auseinandersetzen, sind unabhängig vom Thema immer ein Stück weit generalisierend. Dies, weil es ja gerade um übergeordnete Normen, Haltungen, Strukturen oder Traditionen geht. Der vorliegende Essay macht von Beginn weg klar, dass er eine Antwort auf jene Stimmen ist, welche die frühere Kritik der Autorin an der Misogynie negierten. Es wird somit von Anfang an deutlich gemacht, dass zahlreiche Menschen die Thematik anders einschätzen. Indem die Autorin wiederholt und explizit in ihrem Essay darauf hinweist, dass sie über ein Wertesystem und über Traditionen schreibt, macht sie zudem deutlich, dass sich ihre Kritik nicht auf sämtliche (Kosovo-) Albanerinnen respektive sämtliche (Kosovo-)Albaner bezieht.

Der Presserat hat mehrfach betont, dass Kritik am Verhalten von Menschen möglich sein muss, auch wenn sie einer der in Richtlinie 8.2 erwähnten Minderheiten in der Schweiz angehören. In diesem Falle gilt dies ganz besonders: Die Autorin blickt nicht von aussen auf die kosovarisch-albanische Gemeinschaft, sondern aus ihrem Inneren. Sie beschreibt Haltungen und Werte einer Kultur, der sie selber angehört. Und sie schliesst sich selber in ihre Forderung ein, das Tabu zu brechen und über die Misogynie zu sprechen. Eine Aufgabe des Journalismus ist es, gesellschaftliche Debatten anzustossen und diese zu führen. Im Sinne der Meinungs- und Medienfreiheit muss es möglich sein, eine Minderheit öffentlich und gegebenenfalls scharf kritisieren zu können. Richtlinie 8.2 ist daher nicht verletzt.

3. Der Artikel hat viel Kritik ausgelöst. Der Presserat begrüsst es, wie die Debatte im Anschluss an den Artikel ermöglicht und geführt wurde: Das «Magazin» hat einen offenen Brief von 90 Absenderinnen, aber auch zustimmende Zuschriften in einer weiteren Publikation veröffentlicht. Zudem nahm die Autorin an einer Podiumsdiskussion teil, wo auch Gegenstimmen vertreten waren.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird in allen Punkten abgewiesen.

2. «Das Magazin» hat mit dem Essay «Liebe Kosovarinnen, wir müssen uns wehren!» und dem entsprechenden Online-Artikel die Ziffern 2 (Trennung von Fakten und Meinung) und 8 (Diskriminierungsverbot) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.