I. Sachverhalt
A. Am 14. Januar 2024 veröffentlichte die «SonntagsZeitung» (SoZ) einen Artikel von Fabienne Riklin mit dem Titel «Fast 60 Prozent der Kinder haben einen Migrationshintergrund». Laut Text stammen die Zahlen und die Berechnungen vom Bundesamt für Statistik (BfS) und betreffen die Jahre 2019 und 2021. Demnach leben 58 Prozent der Kinder von 0 bis 6 Jahren und 56 Prozent der Kinder zwischen 7 und 15 Jahren in einem Haushalt mit «mindestens einem Elternteil, der im Ausland geboren wurde oder eine ausländische Nationalität hat». Es folgt die Einordnung eines Soziologen, der zum Thema Migration forscht, sowie die Analyse einer Familienforscherin zu den Geburtenraten von Schweizerinnen, von in die Schweiz eingewanderten Ausländerinnen und der zweiten Generation. Letztere würden ihre Familienplanung jener der Schweizerinnen angleichen. Der Soziologe ist der Ansicht, der Hauptgrund beim Geburtenrückgang liege in der Nicht-Emanzipation der Männer, und zwar nicht nur bei Migranten, sondern überhaupt in der Schweiz. Weil Frauen grundsätzlich gut, wenn nicht sogar besser als Männer ausgebildet seien, leide ihre Lebensqualität mit Kindern, weil sie den grösseren Anteil der Care-Arbeit übernehmen müssten. Illustriert ist der Artikel mit einem Bild, das drei Kinder zeigt: Ein blondes weisses Kind in der Mitte, umrahmt von zwei Kindern mit dunklen Haaren und dunklerer beziehungsweise schwarzer Haut. Die Bildlegende dazu lautet: «Die Zahl der Kinder mit Eltern, die im Ausland geboren wurden oder eine ausländische Nationalität haben, nimmt stetig zu.»
B. Am 29. Januar 2024 reicht X. gegen den Artikel in der «SonntagsZeitung» beim Schweizer Presserat Beschwerde ein. Er macht einen Verstoss gegen die Richtlinien 1.1 (Wahrheitssuche) und 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung») geltend. Es sei fraglich, ob tatsächlich fast 60 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund aufweisen würden. Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, die Zahlen des BfS würden dies nicht belegen: Deren «Schema zur Typologie der Bevölkerung nach Migrationsstatus» zähle Eingebürgerte und AusländerInnen mit mindestens einem in der Schweiz geborenen Elternteil (unabhängig von deren Migrationshintergrund) zur Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. Und nach dieser BfS-Statistik liege der Anteil der Kinder unter 14 Jahren, die in der Schweiz geboren wurden, am 31. Dezember 2023 bei 90,1 Prozent. Weiter ist der Beschwerdeführer der Meinung, die Bebilderung des Artikels verletze die Richtlinien 3.4 (Illustration) und 8.2 (Diskriminierungsverbot). Das (nicht als solches deklarierte) Symbolbild mit den zwei nicht-weissen Kindern suggeriere – in Verbindung mit dem Titel –, dass Menschen mit Migrationshintergrund in der Schweiz nicht weiss seien. Dies unterstütze rassistische Diskriminierungen, denen nicht-weisse Menschen in der Schweiz ausgesetzt seien.
C. Am 25. Juni 2024 nimmt der Rechtsdienst der TX Group im Namen der «SonntagsZeitung» zur Beschwerde Stellung und beantragte deren Abweisung. Die Zahlen, die der Beschwerdeführer bestreite, seien von der Medienstelle des BfS geliefert worden: Da es keine reine Statistik zum Migrationsstatus von Kindern gebe, habe die Medienstelle auf die Tabelle «Kinder nach dem Migrationsstatus des Haushalts» verwiesen. Ein Spezialist für Demografie und Migration des BfS habe die von der «SonntagsZeitung» berechneten Zahlen bestätigt und weitere aktuelle Zahlen geliefert. Wie die Prozentzahlen zustande gekommen seien würde im ersten Absatz des Artikels explizit erwähnt. Die Redaktion legt dazu einen Mailausdruck des BfS bei, welcher diese Angaben enthält. Die Richtlinien 1.1 (Wahrheitssuche) und 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) zur «Erklärung» seien somit nicht verletzt. Was die Bebilderung angehe, so werde der Vorwurf ebenfalls zurückgewiesen: Symbolbilder müssten als solche erkennbar sein, Leser und Leserinnen sei beim gezeigten Bild klar, dass damit das Thema «Migrationshintergrund» generell illustriert werde. Zudem sei das Aussehen der drei Kinder nicht klar deren Herkunft zuzuordnen: Das blonde Kind könnte aus Schweden stammen, das etwas dunklere Kind aus Portugal. Die Vielfalt des Aussehens von Personen aus verschiedensten Herkunftsländern könne gar nicht genau abgebildet werden. Die Bebilderung verletze weder die Richtlinie 3.4 (Illustrationen) noch 8.2 (Diskriminierungsverbot) zur «Erklärung».
D. Am 16. Oktober 2024 teilt der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde gemäss Artikel 13 Abs. 1 seines Geschäftsreglements vom Präsidium behandelt, bestehend aus Susan Boos, Präsidentin, Annik Dubied, Vizepräsidentin, Jan Grüebler, Vizepräsident, und Ursina Wey, Geschäftsführerin.
E. Das Präsidium des Presserats hat die vorliegende Stellungnahme am 11. November 2024 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Gemäss Richtlinie 1.1 zur «Erklärung» stellt die Wahrheitssuche den Ausgangspunkt der Informationstätigkeit dar. Sie setzt die Beachtung verfügbarer und zugänglicher Daten, die Achtung der Integrität von Dokumenten (Text, Ton und Bild), die Überprüfung und die allfällige Berichtigung voraus. Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, die von der «SonntagsZeitung» zitierten Zahlen würden nicht mit den Zahlen des Bundesamtes für Statistik übereinstimmen. Gemäss Mail, welches die SoZ ihrer Stellungnahme beigelegt hat, stützt das BfS im vorliegenden Fall den Migrationsstatus eines Haushalts einerseits auf das Geburtsland der Haushaltsmitglieder. Anderseits führt auch die ausländische Nationalität eines Haushaltsmitgliedes zum Status Migrationshintergrund. Die Definition der «SonntagsZeitung» stammt ebenfalls vom BfS. Dieses rechnet aber im Inland geborene Ausländer nicht dazu. Es handelt sich um zwei unterschiedliche Definitionen beziehungsweise Statistiken. Die SoZ erklärt im kritisierten Artikel genau, wie sie den «Migrationshintergrund» der Kinder definiert und belegt diese Aussage. Auch das Runden von 56, beziehungsweise 58 Prozent auf «fast 60 Prozent» ist zwar grosszügig, aber dennoch nicht falsch. Damit ist die Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) nicht verletzt. Eine Verletzung der Richtlinie 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) wird vom Beschwerdeführer angeführt, aber weder präzisiert noch begründet oder belegt. Für den Schweizer Presserat ist keine Verletzung erkennbar.
2. Richtlinie 3.4 (Illustrationen) verlangt von JournalistInnen, dass Bilder mit Illustrationsfunktion, die ein Thema, Personen oder einen Kontext ins Bild rücken, die keinen direkten Zusammenhang mit dem Textinhalt haben (Symbolbilder), als solche erkennbar sind. Sie sind klar von Bildern mit Dokumentations- und Informationsgehalt unterscheidbar zu machen, die zum Gegenstand der Berichterstattung einen direkten Bezug herstellen. Für DurchschnittsleserInnen ist auch ohne den Zusatz «Symbolbild» in der Bildlegende klar, dass die Bebilderung des vorliegenden Artikels einen Zusammenhang mit dem Text hat, aber nicht zwingend die konkrete Bebilderung der 60 Prozent Kinder mit Migrationshintergrund darstellen kann. Richtlinie 3.4 (Illustrationen) ist daher nicht verletzt.
3. Gemäss Richtlinie 8.2 (Diskriminierungsverbot) kann die Nennung der ethnischen oder nationalen Zugehörigkeit, der Herkunft, der Religion, der sexuellen Orientierung und/oder der Hautfarbe diskriminierend wirken, insbesondere wenn sie negative Werturteile verallgemeinert und damit Vorurteile gegenüber Minderheiten verstärkt. Auf dem Bild sind drei Kinder mit unterschiedlichen Hautfarben abgebildet, es wird weder ein Werturteil gefällt noch sind negative Assoziationen ersichtlich. Das Bild stellt einen Zusammenhang zwischen Hautfarbe und Migrationsstatus her, dieser Zusammenhang ist aber nicht diskriminierend. Richtlinie 8.2 (Diskriminierungsverbot) ist nicht verletzt.
III. Feststellungen
1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.
2. Die «SonntagsZeitung» hat mit dem Beitrag «Fast 60 Prozent der Kinder haben einen Migrationshintergrund» vom 14. Januar 2024 die Ziffern 1 (Wahrheit), 2 (Trennung von Fakten und Kommentar), 3 (Illustrationen) und 8 (Diskriminierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.