I. Sachverhalt
A. Am 29. März 2007 veröffentlichte die «Basler Zeitung» unter dem Titel «Stecke endlich im richtigen Körper» ein von Gerhard Lob verfasstes Porträt über die transsexuelle Laura Armani. Die 45-jährige Ärztin habe durch eine Geschlechtsumwandlung ihr «wahres Ich» gefunden und kandidiere nun im Tessin für Staatsrat und Parlament. Schon als Kind habe sie sich als Mädchen gefühlt. Sie sei in bürgerlichen Verhältnissen als Sohn eines im Artikel namentlich genannten ehemaligen Exekutivpolitikers aufgewachsen. Die Familie habe ihr Anderssein nicht akzeptiert. Sie habe jahrelang nach aussen die Rolle des Ehemannes mit zwei Kindern und erfolgreichen Arztes gespielt. Schliesslich habe sie es aber Ende 2004 in ihrem Körper nicht mehr ausgehalten. Ihr Umfeld habe daraufhin äusserst negativ reagiert. Für die Ehefrau sei durch das Coming-Out eine Welt zusammengebrochen. Der Vater habe Briefe an den Kantonsarzt mit Kopie an Polizei und Staatsanwaltschaft geschrieben. «Der Sohn sei psychisch krank, gewalttätig und suizidgefährdet, behauptete er. Es kam zum FFE, zum fürsorgerischen Freiheitsentzug.» Nach einer erfolgreichen Geschlechtsumwandlung in Deutschland habe Laura Armani ein neues Leben als Frau begonnen. Aber noch seien Klagen gegen den Vater wegen Verleumdung hängig. «Auslöser war ein Leserbrief der Eltern im ‹Corriere del Ticino›, in dem unter anderem behauptet wurde, ihr Sohn leide unter ‹akuten Störungen seiner Persönlichkeit›.»
B. Am 4. April 2007 gelangte X., der im Artikel der «Basler Zeitung» vom 29. März 2007 namentlich und mit seiner früheren politischen Funktion genannte Vater von Laura Armani, mit einer Beschwerde an den Presserat. Er beanstandete darin, der Autor des Berichts habe es unterlassen, sich vor der Veröffentlichung die beiden angeprangerten Briefe an den Kantonsarzt vorlegen zu lassen. Zudem sei er trotz der gegenüber ihm erhobenen schweren Vorwürfe weder angehört noch im Artikel zu Wort gekommen. Weiter stelle die Nennung seines vollen Namens und seiner früheren Funktion eine unentschuldbare Entgleisung der «Basler Zeitung» dar. Sinngemäss beanstandete der Beschwerdeführer damit eine Verletzung der Ziffern 1 (Wahrheitssuche), 3 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) und 7 (Respektierung der Privatsphäre) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten».
C. Am 9. Mai 2007 wies die durch den stellvertretenden Chefredaktor Urs Buess und Jochen Schmid, Ressortleiter News-Team, vertretene Redaktion der «Basler Zeitung» die Beschwerde als unbegründet zurück. Laura Armani habe öffentliches Interesse erweckt, weil ihr im Tessin die Ausübung des Arztberufs verboten worden sei und sie bei den Kantonswahlen vom April 2007 für den Tessiner Staatsrat kandidiert habe. Zudem sei Transsexualität ein gesellschaftliches Phänomen, das einen Teil der Bevölkerung sehr interessiere. Geschichten über das Coming-Out solcher Personen hätten wie einst Geschichten über Homosexuelle eine wichtige öffentliche Funktion. Die Darstellung des Lebens von Laura Armani in der Form eines subjektiven Porträts habe dabei zwangsläufig auch ihre Kindheit einschliessen müssen. Die derjenigen von Laura Armani widersprechende Haltung des Vaters sei der Redaktion bekannt gewesen. Seine Einschätzung, «der Sohn sei psychisch krank, gewalttätig und suizidgefährdet», sei im Artikel zitiert worden. Angesichts der interfamiliären Spannungen hätten sie geglaubt, auf eine weitere Befragung des Vaters verzichten zu können. In Bezug auf die Namensnennung weist die «Basler Zeitung» darauf hin, dass Laura Armani bei ihrer politischen Kandidatur unter ihrem Namen, aber auch unter dem ursprünglichen Familiennamen auftrete. Zudem hätten sich die beiden Eltern unter Angabe von Namen und Wohnort in einem im «Corriere del Ticino» am 1. März 2006 veröffentlichten Brief öffentlich und im Detail über ihr Kind geäussert.
D. Am 10. Mai 2007 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium, bestehend aus dem Präsidenten Peter Studer und den Vizepräsidentinnen Sylvie Arsever sowie Esther Diener-Morscher behandelt.
E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 28. Dezember 2007 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Der Presserat hat sich bereits in seiner Stellungnahme 25/2007 mit einer Beschwerde zu Berichten über die Kandidatur und Person von Laura Armani befasst. Er wies dabei darauf hin, dass die Einwilligung der Porträtierten die Medien nicht davon entbinde, Betroffene gegebenenfalls vor sich selber zu schützen. Da Laura Armani jedoch für politische Ämter kandidierte, sei eine Berichterstattung über ihre Person und Geschichte aber jedenfalls zulässig gewesen. Ebenso sei es legitim, dass die Medien über das Thema Transsexualität berichteten. Diese Überlegungen gelten gleichermassen für den vom Beschwerdeführer beanstandeten Artikel der «Basler Zeitung». Näher zu prüfen ist hingegen, ob die Art und Weise dieser Berichterstattung den berufsethischen Bestimmungen standhält.
2. a) War die «Basler Zeitung», wie dies der Beschwerdeführer geltend macht, vor der Publikation des Artikels verpflichtet, Einsicht in die darin erwähnten Briefe an den Tessiner Kantonsarzt zu verlangen? Auch diesen oder zumindest einen ähnlichen Vorwurf hat der Beschwerdeführer bereits in seiner Eingabe erhoben, die der Stellungnahme 25/2007 zu Grunde lag. Der Presserat hat zudem zu Ziffer 1 der «Erklärung» und zur zugehörigen Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) verschiedentlich (vgl. z.B. die Stellungnahmen 51 und 60/2006) ausgeführt, dass aus diesen Bestimmungen keine Pflicht zu objektiver Berichterstattung abgeleitet werden kann. Und ebenso wenig beinhalte die Verpflichtung zur Wahrheitssuche die Pflicht, Vorwürfe durch eine umfassende Recherche zu klären. Vorauszusetzen ist allerdings gerade bei parteiergreifendem Journalismus, dass die Pflicht zur Anhörung Betroffener (Richtlinie 3.8 zur «Erklärung») respektiert wird.
b) Vorliegend ist zu prüfen, ob der genaue Inhalt der Schreiben des Beschwerdeführers an den Tessiner Kantonsarzt aus dem Jahr 2005 für das Verständnis der Leserschaft derart relevant war, dass sich die «Basler Zeitung» zwingend näher damit hätte auseinandersetzen müssen. Dies ist nach Auffassung des Presserates bei einem Artikel zu verneinen, dessen Basis die erkennbar subjektive Darstellung von Laura Armani bildet. Zumal die im Artikel wiedergegebene Kurzfassung der Position des Beschwerdeführers, «der Sohn sei psychisch krank, gewalttätig und suizidgefährdet» dem Inhalt dieser Schreiben durchaus entspricht.
3. a) Die Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» auferlegt den Medienschaffenden die Pflicht, Betroffene vor der Publikation schwerer Vorwürfe anzuhören, und deren Stellungnahme im gleichen Medienbericht kurz und fair wiederzugeben. Erhob der Bericht derartige schwere Vorwürfe gegen den Beschwerdeführer, die es im Sinne der Richtlinie 3.8 zwingend gemacht hätten, ihn anzuhören?
b) Auch zu dieser Rüge lässt sich ein Quervergleich zur bereits erwähnten Stellungnahme 25/2007 machen. In einem in dieser Stellungnahme beurteilten Bericht vom 25. Januar 2007 schrieb der «Blick»: «Der Vater, ein Politiker und ehemaliger Oberst, denunziert in Hetzbriefen den Sohn beim Kantonsarzt. Der Sohn sei psychisch krank, gewalttätig und suizidgefährdet, schreibt er im April und August 2005.» Dabei erachtete der Presserat den Begriff «Hetzbrief» zwar als hart. Aber selbst wenn dieser als schwerer Vorwurf im Sinne der Richtlinie 3.8 zu werten wäre, befand er, der Standpunkt des Beschwerdeführers sei im Bericht wiedergeben worden – wenn auch nur knapp genügend.
c) Bei der «Basler Zeitung»
war der Aufbau des ganzen Porträts und insbesondere der Abschnitt über den Lebensumbruch und die Psychiatrieaufenthalte zwar geeignet, die Sympathie der Leserschaft eher für die Seite der Porträtierten hervorzurufen. Doch war, wie bereits ausgeführt, auch hier für die Leserschaft ersichtlich, dass der Artikel von Gerhard Lob einseitig den Standpunkt von Laura Armani wiedergibt, währenddem ihre Familie offensichtlich eine entgegengesetzte Sichtweise vertritt. Und dass es nach dem im Porträt geschilderten dramatischen Umbruch im Leben von Laura Armani heftige und negative Reaktionen von Ehefrau und Eltern gab, erscheint nicht ungewöhnlich, sondern durchaus nachvollziehbar und lässt letztere nicht a priori in einem negativen Licht erscheinen. Gerade auch deshalb war die Anhörung des Beschwerdeführers vor der Veröffentlichung des Berichts durch die «Basler Zeitung» nicht zwingend.
4. a) Ziffer 7 der «Erklärung» auferlegt den Medienschaffenden die Pflicht, die Privatsphäre des Einzelnen zu respektieren, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Gemäss der Richtlinie 7.6 zur «Erklärung» sollten Journalistinnen und Journalisten grundsätzlich weder Namen noch andere Angaben veröffentlichen, die eine Identifikation durch Dritte ermöglichen, die nicht zu Familie, beruflichem oder sozialem Umfeld gehören. Die Richtlinie 7.6 nennt darüber hinaus eine Reihe von Gründen, die eine namentliche Berichterstattung ausnahmsweise rechtfertigen:
– Überwiegendes öffentliches Interesse (inhaltlich unbestimmte «Generalklausel»);
– Nennung eines politischen oder amtlichen Funktionsträgers, soweit das Delikt einen Bezug zu dieser Funktion hat;
– Gefahr von Verwechslungen, falls der Name nicht genannt wird;
– Wenn die Person bereits allgemein bekannt ist – wobei meist die Medien im konkreten Fall für die Bekanntheit gesorgt haben, weshalb diese Ausnahme mit besonderer Zurückhaltung anzuwenden ist;
– Ausdrückliche Einwilligung der Betroffenen.
b) Die Redaktion der «Basler Zeitung» macht zur Rechtfertigung der Namensnennung und der Angabe des früheren politischen Amts des Beschwerdeführers, zu der es «gekommen sei», kein besonderes öffentliches Interesse geltend. Ein solches ist für den Presserat im Zusammenhang mit dem zur Diskussion stehenden privaten Sachverhalt – der Beziehung und Auseinandersetzung zwischen Sohn und Eltern – auch nicht ersichtlich. Insbesondere besteht auch keinerlei Zusammenhang zur früheren politischen Tätigkeit des Beschwerdeführers. Die «Basler Zeitung» beruft sich zur Rechtfertigung der Namensnennung sinngemäss auf die beiden Ausnahmen «allgemeine Bekanntheit» und «Einwilligung der Betroffenen». Selbst wenn Laura Armani im Zusammenhang mit ihren politischen Kandidaturen insbesondere in den Tessiner Medien auch unter ihrem ursprünglichen Familiennamen auftrat, konnte nicht davon ausgegangen werden, dass der familiäre Zusammenhang zum Beschwerdeführer der Leserschaft der «Basler Zeitung» bereits vor der Veröffentlichung des Berichts vom 29. März 2007 bekannt war. Und ebenso wenig kann aus der Veröffentlichung des namentlich gezeichneten Leserbriefs des Beschwerdeführers und seiner Frau im «Corriere del Ticino» vom 1. März 2006, also mehr als ein Jahr vor Erscheinen des Artikels der «Basler Zeitung», abgeleitet werden, dass sich der Beschwerdeführer damit für die Zukunft generell mit der Nennung seines Namens im Zusammenhang mit dieser privaten Angelegenheit einverstanden erklären würde.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.
2. Mit der Nennung des Namens und der ehemaligen politischen Funktion des Beschwerdeführers im Artikel «Stecke endlich im richtigen Körper» vom 29. März 2007 hat die «Basler Zeitung» die Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.
3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.
4. Die «Basler Zeitung» hat die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht) und 3 (Anhörung bei schweren Vorwürfen), der «Erklärung» nicht verletzt.