I. Sachverhalt
A. Am 30. November 2011 veröffentlichte «20 Minuten» einen Bericht von Cécile Blaser mit dem Titel «Abtreibung: Graben in katholischer Kirche wächst». Der Lead lautet: «Das Bistum Chur läuft erneut Sturm: Auch in Zürich unterstützt die katholische Landeskirche eine Stelle, die über Abtreibung informiert. Chur fordert einen sofortigen Zahlungsstopp.» Der Sprecher des Bistums Chur habe verärgert auf einen Bericht von Kath.net. reagiert, wonach die katholische Landeskirche Zürich in den letzten zwei Jahren die Beratungsstelle Appella unterstützt habe. Das könne der Bischof nicht tolerieren, weshalb er die sofortige Einstellung der Zahlungen fordere. Entweder sei man gegen oder für die Abtreibung. Nun suche man das Gespräch. Im Artikel entgegnet der Sprecher des Synodalrats der katholischen Landeskirche Zürich: «‹Diese dogmatische Haltung blendet die Realität aus.› Es sei legitim, als Beratungsstelle hilfesuchende Frauen umfassend zu informieren, auch über Abtreibung. Appella sei unterstützt worden, weil sie mit ihrem Ansatz der katholischen Ethik nahe stehe.» Zusätzlich weist der Artikel auf eine Umfrage zum Thema hin: Was halten Sie davon, dass die Kirche Abtreibung unterstützt? Stimmen Sie ab auf ‹20 Minuten Online›.»
B. Gleichentags richtete der Generalvikar der Katholischen Kirche im Kanton Zürich ein öffentliches Schreiben an die Redaktion «20 Minuten» mit dem Titel «Katholische Kirche unterstützt keine Abtreibung» und dem Untertitel «Korrigendum zur Falschmeldung in ‹20 Minuten› vom 20.11.2011». Die Katholische Kirche im Kanton Zürich habe für die Beratungsstelle Appella einen einmaligen Beitrag von 1000 Franken gesprochen, um im Sinne der katholischen Ethik schwangere Frauen zu beraten und zu unterstützen. Dabei gehe es klar darum, Leben zu erhalten, nicht Leben zu zerstören. Die katholische Kirche im Kanton Zürich befürworte keine Abtreibungen. Die Online-Umfrage von «20 Minuten» unterstelle demgegenüber in ungehöriger und verleumderischer Weise, die Katholische Kirche (im Kanton Zürich) unterstütze Abtreibungen. Diese Unterstellung sei inakzeptabel.
C. Tags darauf veröffentlichte «20 Minuten» folgendes «Korrigendum»: «In der gestrigen Ausgabe war der Hinweis zur Online-Umfrage über den Abtreibungskonflikt in der katholischen Kirche unglücklich formuliert. Statt ‹Was halten Sie davon, dass die Kirche Abtreibung unterstützt?› sollte er lauten: ‹Was halten Sie davon, dass die katholische Landeskirche die Beratung über Abtreibung unterstützt?›»
D. Am 8. Dezember 2011 beschwerte sich das Generalvikariat der Katholischen Kirche im Kanton Zürich beim Presserat über die «tendenziöse Berichterstattung» und das «falsche Korrigendum» in «20 Minuten» vom 30. November und 1. Dezember 2011.
Die Journalistin Cécile Blaser untermaure in ihrem Bericht die falsche Aussage, die Katholische Kirche im Kanton Zürich unterstütze mittels Kirchensteuergeldern Abtreibungen. Dies obwohl sie von ihren Gesprächspartnern – dem Pressesprecher des Bistums Chur sowie dem Sprecher der katholischen Landeskirche Zürich – darauf aufmerksam gemacht worden sei, dass die Beratungsstelle Appella dem Leben verpflichtet sei. «Es wird keine ‹Beratung über Abtreibung› betrieben und die Abtreibung ‹unterstützt›». Es sei zudem seltsam, dass «20 Minuten» mit keiner Zeile erwähne, dass die Beschwerdeführerin in den Jahren 2010 und 2011 gerade mal mit je 1000 Franken Projekte unterstützt habe, welche nicht einmal mit der Beratung direkt zu tun hätten.
Die Leserumfrage unter dem Titel «Was halten Sie davon, dass die Kirche Abtreibungen unterstützt?» setze dem Ganzen noch die «Krone» auf. Und anstatt die korrigierende Medienmitteilung der Katholischen Landeskirche zu veröffentlichen, habe «20 Minuten» noch einen obendrauf gesetzt und als Korrigendum die falsche Behauptung veröffentlicht, die «Katholische Landeskirche» unterstütze die «Beratung über Abtreibung».
Mit der Veröffentlichung des beanstandeten Berichts und dem Korrigendum habe «20 Minuten» die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Entstellung von Informationen), 5 (Berichtigung) und 7 (sachlich ungerechtfertigte Anschuldigungen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt. Die Beschwerdeführerin halte es für angebracht, dass sich «20 Minuten» für diese Fehlleistung entschuldige und eine Stellungnahme des Generalvikars abdrucke.
E. Am 30. Januar 2012 beantragte die durch den Rechtsdienst der Tamedia vertretene Redaktion «20 Minuten», die Beschwerde sei abzuweisen.
Die Katholische Kirche im Kanton Zürich habe Appella, einer unabhängigen und konfessionell neutralen Beratungsstelle, die Telefonberatungen für Frauen und werdende Mütter anbiete, finanzielle Beiträge zukommen lassen. Zu einer umfassenden Beratung gehöre auch die Auskunftserteilung über Risiken und Arten der Abtreibung, wenn eine Frau dies wünsche.
Der beanstandete Bericht von «20 Minuten» behaupte nicht, dass Appella nur über Abtreibung informiere, sondern vielmehr, dass die Beratungsstelle, «neben Fragen zur Familienplanung auch über Abtreibungen informiert». Im Artikel stehe ausserdem an keiner Stelle, dass die Beschwerdeführerin die Abtreibung befürworte, sondern lediglich, dass sie Appella unterstütze. Wie bereits in einem früheren Fall im Kanton Graubünden scheine das Bistum Chur gegenüber Appella eine andere Haltung zu vertreten als die Beschwerdeführerin, was sich exemplarisch in den Statements des Pressesprechers des Bistums Chur sowie demjenigen der Katholischen Landeskirche Zürich zeige. Unter diesen Umständen sei die Formulierung «Graben in katholischer Kirche wächst» inhaltlich vertretbar.
Die Beschwerdegegnerin habe durch das Schreiben der Katholischen Kirche des Kantons Zürich vom 30. November 2011 zur Kenntnis genommen, dass die in der Leserumfrage verwendete Formulierung «Was halten Sie davon, dass die Kirche Abtreibung unterstützt?» durch den Durchschnittsleser falsch interpretiert werden könnte. Die im Korrigendum verwendete Formulierung «Was halten Sie davon, dass die katholische Landeskirche die Beratung über Abtreibung unterstützt?» entspreche hingegen vollumfänglich den Tatsachen.
In Bezug auf die weiter als verletzt gerügten Ziffern 3 (Entstellung von Tatsachen) und 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) führe die Beschwerdeführerin nicht näher aus, inwiefern sie diese Bestimmungen verletzt sieht. Und soweit die Beschwerdeführerin schliesslich eine Verletzung der Berichtigungspflicht (Ziffer 5 der «Erklärung») moniert, macht die Redaktion «20 Minuten» geltend, beim Artikel gebe es nichts zu berichtigen und die missverständliche Frage bei der Leserumfrage habe sie präzisiert und sei mithin der Berichtigungspflicht nachgekommen.
F. Am 1. Februar 2012 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.
G. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 22. Juni 2012 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Soweit die Beschwerdeführerin sinngemäss beantragt, der Presserat habe anzuordnen, dass sich «20 Minuten» für den beanstandeten Bericht und die aus Sicht der Katholischen Kirche des Kantons Zürich fehlerhafte Korrektur entschuldige und zudem eine Stellungnahme des Generalvikars abdrucke, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. Gemäss Artikel 16 Absatz 3 seines Geschäftsreglements kann der Presserat in sei
nen Stellungnahmen Feststellungen treffen und Empfehlungen erlassen. Er hat jedoch keine Sanktionsmöglichkeiten und kann den Redaktionen keine verbindlichen Weisungen erteilen.
2. Die Beschwerde rügt eine Verletzung der Ziffern 1, 3, 5 und 7 der «Erklärung» ohne jedoch in Bezug auf die Ziffern 3 (Entstellung von Tatsachen) und 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) näher darzulegen, inwiefern «20 Minuten» diese Bestimmungen verletzt hat. Für den Presserat steht im Zentrum der Beschwerde, ob die von der Katholischen Kirche im Kanton Zürich» bestrittenen Aussagen, die katholische Kirche unterstütze Abtreibungen respektive sie unterstütze die Beratung über Abtreibung gegen die Wahrheitspflicht (Ziffer 1 der «Erklärung») verstösst und ob «20 Minuten» gegebenenfalls zu einer Berichtigung (Ziffer 5 der «Erklärung») verpflichtet war.
3. Gestützt auf die ihm eingereichten Unterlagen stellt der Presserat fest, dass offensichtlich keine Rede davon sein kann, dass die Beschwerdeführerin Abtreibungen unterstützt. Umstritten ist hingegen, ob «20 Minuten» durch den Aufbau des Artikels und insbesondere durch die Formulierung der Frage «Was halten Sie davon, dass die Kirche Abtreibung unterstützt?» dies seiner Leserschaft fälschlich suggeriert hat. Zwar lässt sich in einer sehr weitgehenden Verkürzung und Zuspitzung argumentieren, dass wer eine Beratungsstelle (indirekt) finanziell unterstützt, die auch über Möglichkeiten der Abtreibung informiert, letztlich auch Abtreibungen unterstützt. Nach Auffassung des Presserats sind die im Artikel vom 30. November 2011 verwendeten Formulierungen und insbesondere die überspitzte Fragestellung bei der Umfrage geeignet, bei der Leserschaft den wahrheitswidrigen Eindruck zu erwecken, der Meinungsunterschied zwischen dem Bistum Chur und der Katholischen Kirche im Kanton Zürich beschränke sich nicht bloss darauf, welche Beratungsangebote förderungswürdig sind, sondern die Beschwerdeführerin vertrete darüber hinaus generell eine liberale Haltung zum Schwangerschaftsabbruch. Dies räumt auch die Beschwerdegegnerin ein, wenn sie auf Seite 4 ihrer Beschwerdeantwort ausführt, sie habe aufgrund des Schreibens der Beschwerdeführerin an die Redaktion vom 30. November 2011 zur Kenntnis genommen, dass ihre Formulierung durch den Durchschnittsleser falsch interpretiert werden könnte und sie habe deshalb am 1. Dezember ein «Korrigendum» veröffentlicht. Insoweit ist die Beschwerde deshalb wegen Verletzung von Ziffer 1 der «Erklärung» teilweise gutzuheissen.
4. Wie steht es dagegen mit dem Wahrheitsgehalt der von der Katholischen Kirche im Kanton Zürich ebenfalls beanstandeten Formulierung des Korrigendums («Was halten Sie davon, dass die katholische Landeskirche die Beratung über Abtreibung unterstützt?»)? Der Presserat stellt in Bezug auf die Tätigkeit der Beratungsstelle Appella fest, dass der Darstellung der Beschwerdeführerin, wonach sie die Beratungsstelle lediglich in finanziell bescheidenem Rahmen und im Zusammenhang mit anderen Projekten unterstützt habe und dass diese keine «Beratung über Abtreibung» betreibe, sondern dem Leben verpflichtet sei, diejenige von «20 Minuten» gegenübersteht. Danach gehört bei Appella zu einer umfassenden Beratung auf Wunsch auch die Auskunftserteilung über Risiken und Arten der Abtreibung. Der Presserat kann gestützt auf die Akten nicht entscheiden, welche dieser Darstellungen zutreffend ist. Immerhin ist aber festzustellen. dass auf der Website appella.ch auch Informationen zu ungewollten Schwangerschaften und verschiedenen Abtreibungsmethoden zu finden sind. Unter diesen Umständen stellt für den Presserat die Aussage, die Katholische Kirche des Kantons Zürich unterstütze die «Beratung über Abtreibung» eine zulässige Zuspitzung des unbestrittenen Faktums dar, dass die Beschwerdeführerin die Beratungsstelle, welche augenscheinlich auch über Methoden des Schwangerschaftsabbruchs informiert, zumindest indirekt finanziell unterstützt. Das von «20 Minuten» veröffentlichte «Korrigendum» ist mithin nicht zu beanstanden und eine Verletzung der Ziffer 5 der «Erklärung» (Berichtigung) entsprechend zu verneinen.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.
2. «20 Minuten» hat mit dem Bericht «Abtreibung: Graben in katholischer Kirche wächst» vom 30. November 2011 durch eine zumindest missverständlich interpretierbare Fragestellung («Was halten Sie davon, dass die Kirche Abtreibung unterstützt») die Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.
3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
4. «20 Minuten» hat die Ziffern 3 (Entstellung von Tatsachen), 5 (Berichtigung) und 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) der «Erklärung» nicht verletzt.