Nr. 23/2013
Wahrheit / Unterschlagung wichtiger Informationen / Anhörung bei schweren Vorwürfen / Lauterkeit der Recherche / Identifizierung

(X. c. «Blick») Stellungnahme des Presserates vom 8. Mai 2013

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Zusammenfassung

Foto durchs Ladenfenster verletzt Recht am eigenen Bild
Muss es sich ein Geschäftsmann gefallen lassen, heimlich durch das Schaufenster seines Geschäfts fotografiert zu werden? Nein, findet der Presserat. Auch die Geschäftstätigkeit gehört zur geschützten Privatsphäre, ausser das öffentliche Interesse überwiegt.

«Blick» berichtete im Rahmen der Artikelserie «Lügner, Trickser, Abkassierer» über einen unsauber geschäftenden Handwerker. Er habe Vorschüsse kassiert, ohne die vereinbarte Leistung zu erbringen und so gutgläubige Kunden um ihr Geld gebracht. Der Betroffene wandte sich an den Presserat und beschwerte sich, seine Privatsphäre sei verletzt.

Für den Presserat ist der Beschwerdeführer im Bericht zwar nicht identifizierbar. Trotzdem muss er es sich nicht gefallen lassen, von der Strasse aus durchs Fenster seines Geschäfts fotografiert zu werden. Es geht nicht an, gegen den Willen des Betroffenen ein Bild zu machen und es beim Abdruck mit einem Balken zu versehen, um den Persönlichkeitsschutz zu wahren. Zwar besteht an der Berichterstattung über die umstrittene Geschäftspraxis des Beschwerdeführers ein öffentliches Interesse. Dieses rechtfertigt aber nicht, ihn bildlich an den Pranger zu stellen.

Résumé

Tirer un portrait à travers la vitrine d’un commerce viole le droit à l’image
Le propriétaire d’un magasin doit-il accepter de se faire photographier à travers la vitrine de son magasin? Non, estime le Conseil de la presse. L’activité professionnelle appartient elle aussi à la sphère privée protégée, sous réserve d’un intérêt public prépondérant à une publication.

Dans le cadre d’une série d’articles sous le titre «Menteurs, truqueurs et escrocs», «Blick» rend compte d’un artisan malhonnête en affaires qui empochait des avances sans jamais fournir la prestation convenue et escroquait ainsi des gens de bonne foi. La personne concernée saisit le Conseil de la presse et se plaint d’une atteinte à sa sphère privée.

Pour le Conseil de la presse, le plaignant ne peut pas être identifié sur la base du compte rendu en cause. Néanmoins il n’a pas à tolérer d’être photographié de la rue à travers la vitrine de son magasin. Il n’est pas admissible de faire une photo contre la volonté de la personne concernée et de la munir d’un cache noir au moment de la publication, prétendant ainsi préserver sa sphère privée. Un intérêt public existe certes à connaître les pratiques commerciales discutables du plaignant, mais cela ne justifie pas de le clouer au pilori par l’image.

Riassunto

Foto scattate attraverso la finestra…
È consentito fotografare in segreto un artigiano che lavora, da fuori della finestra del suo laboratorio? Il Consiglio della stampa dice «no». Se non è dato un preponderante interesse pubblico, il laboratorio appartiene alla sfera privata inviolabile di una persona. 

Nel contesto di una serie di articoli dedicati a imbroglioni di tutte le risme («Lügner, Trickser, Abkassierer»), il «Blick» descriveva le attività di un artigiano abituato a incassare anticipi dai clienti senza poi finire il lavoro per cui era già stato pagato. L’uomo si è rivolto al Consiglio della stampa, denunciando la violazione della propria sfera privata.
 
Il Consiglio della stampa accetta l’osservazione del giornale, che dalla foto la persona non è identificabile. Ma fotografare qualcuno attraverso la finestra del suo laboratorio, senza chiedere il permesso, non è lecito. Neanche se poi, sul giornale, si mette una strisciolina nera sugli occhi della persona ritratta. Le soperchierie di cui l’uomo era accusato erano certamente di pubblico interesse. Ma era esagerato metterlo alla gogna ritraendolo in quel modo.


I. Sachverhalt


A.
Am 5. April 2011 veröffentlichte Viktor Dammann in der Tageszeitung «Blick» einen Artikel unter dem Titel «Tischler kassierte, ohne zu liefern» und dem Untertitel «Lesen Sie, wie sich die feine Zürcher Gesellschaft von einem Kunsthandwerker über den Tisch ziehen lässt».

B. Tags darauf, am 6. April 2011, publizierte «Blick» die Ergebnisse einer Online-Umfrage: «Haben Sie das Gefühl, dass man Handwerkern immer weniger trauen kann?»

C. Mehr als ein Jahr später, vom 29. Mai 2012 bis 2. Juni 2012, erschien im «Blick» eine Artikelserie von Viktor Dammann unter dem Übertitel «Lügner, Trickser, Abkassierer». Die Artikel befassen sich mit Personen, die nach Ansicht von «Blick» eine Gesetzeslücke nutzen, um gutgläubige Menschen um ihr Geld zu bringen. Teil dieser Serie bildet der Artikel «Restaurator zieht Kunden über den Tisch» vom 30. Mai 2012. Dieser orientiert sich am oben genannten Artikel vom 5. April 2011.

Konkret erhebt «Blick» folgende Vorwürfe gegen den Tischler: 1. Eine Kundin habe für Möbel eine Anzahlung von 9000 Franken gemacht, aber die Möbel nie erhalten und auch die Anzahlung nicht zurückerstattet bekommen. 2. Neun weitere Kunden seien zwischen 2007 und 2010 «geprellt worden». 3. Ein weiterer Kunde habe eine Anzahlung von 1480 Franken erst zurückerhalten, nachdem er eine Strafanzeige eingereicht hatte. 4. Ein Staatsanwalt, der Opfer von X. geworden sei, habe Strafanzeige eingereicht. 5. Ein Antiquitätenhändler habe X. ein Möbel zum Verkauf überlassen, aber weder Geld bekommen noch das Möbel zurückerhalten.

D. Am 2. Juni 2012 endete die Serie mit dem Bericht «Die Täter werden indirekt ermutigt, weiterzumachen». Darin setzt sich Strafrechtsprofessor und Nationalrat Daniel Jositsch für eine Änderung des Betrugstatbestandes im Strafgesetzbuch ein. Der Tischler wird in diesem Bericht nicht erwähnt.

E. Am 2. Oktober 2012 beschwerte sich der anwaltlich vertretene X., Restaurator in Zürich, beim Schweizer Presserat. Der Beschwerdeführer rügt, die Veröffentlichung der obenerwähnten Medienberichte verletze die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Unterschlagung wichtiger Informationen; Anhörung bei schweren Vorwürfen), 4 (Lauterkeit der Recherche) und 7 (Privatsphäre, Identifizierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten».

Da die beiden Berichte vom 5. April und 6. April 2011 länger als sechs Monate zurückliegen, wird hier auf die Beschwerde nur eingegangen, soweit sie sich auf die Artikel vom 30. Mai und vom 2. Juni 2012 bezieht.

«Blick» habe durch das bewusste Weglassen von wichtigen Informationen einzelne, wenige Differenzen zwischen Auftraggebern und Restaurator X. «aufgeblasen und als systematisches, bewusstes und strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Beschwerdeführers dargestellt». Der Artikel vom 30. Mai 2012 erwecke in seiner verzerrten, teilweise unrichtigen Darstellung beim Leser den Eindruck, es handle sich beim Beschwerdeführer um einen mit allen Wassern gewaschenen Betrüger. Dabei unterschlage «Blick», dass der Beschwerdeführer im ersten der erwähnten Fälle die Anzahlung vollständig zurückbezahlt habe und dass die Vorwürfe des Antiquitätenhändlers auf unbewiesenen Vermutungen beruhten.

Weiter erwähne der Artikel vom 30. Mai 2012 bloss eine Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft und gebe deren Begründung dermassen verkürzt wieder, «dass der Anschein entstehe, die Staatsanwaltschaft hätte die Sache nicht eingehend geprüft und die Schuld dem angeblichen Opfer zugeschoben». Weiter seien diverse Nichtanhandnahmeverfügungen und Einstellungen der Staatsanwaltschaft nicht
erwähnt worden. Der Beschwerdeführer rügt weiter, dass er sich im Artikel vom 30. Mai 2011 nicht zu den Vorwürfen äussern konnte, womit Ziffer 3 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) verletzt wäre.  Zudem sei X.eindeutig identifizierbar.

Der Artikel vom 2. Juni 2012 nenne den Beschwerdeführer zwar nicht mehr explizit, «doch werde dieser als eines der Hauptbeispiele in direktem Zusammenhang mit weiteren angeblichen und tatsächlichen Betrügern gestellt». Die Kampagne im «Blick» habe ihn in seinen persönlichen Verhältnissen tief getroffen und sein berufliches Fortkommen erheblich beeinträchtigt.

F. Am 8. November 2012 wies die ebenfalls anwaltlich vertretene «Blick»-Redaktion die Beschwerde zurück. Soweit sich die Beschwerde gegen die Artikel vom 5. und 6. April 2011 richte, sei darauf nicht einzutreten, weil die Frist von sechs Monaten seit der Publikation für Beschwerden an den Presserat diesbezüglich bereits abgelaufen sei.

Zum Vorwurf, die Wahrheitspflicht verletzt zu haben, schreibt die Beschwerdegegnerin, X. behaupte nicht, er habe die Anzahlung im ersten Fall bereits vor Erscheinen des Artikels vom 30. Mai 2012 zurückbezahlt. Und im zweiten Fall ändere das Fehlen von schriftlichen Unterlagen nichts an der Glaubwürdigkeit der Vorwürfe. Zudem hätten nicht die Berichte im «Blick» dem Geschäft des Beschwerdeführers geschadet. Vielmehr habe er sein berufliches Fortkommen durch konsequente Misswirtschaft selber verunmöglicht.

Der Beschwerdeführer habe trotz wiederholter Kontaktaufnahme keine genaueren Angaben zu den Vorwürfen machen wollen als die im Artikel vom 5. April 2011 zitierten. Zur fehlenden Stellungnahme zu den Vorwürfen im Artikel vom 30. Mai 2012 und zum Zustandekommen des Bildes äussert sich die Beschwerdegegnerin nicht.

Da der Beschwerdeführer von sich behaupte, er sei erfolgreich als Tischler tätig und da er in der Zürcher Altstadt ein Geschäft betreibe, sei er in der Öffentlichkeit bekannt. Deshalb verstosse die Publikation seines Bildes und seiner Initialen nicht gegen den Pressekodex.

G. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu; ihr gehören Max Trossmann (Kammerpräsident), Marianne Biber, Jan Grüebler, Matthias Halbeis, Peter Liatowitsch und Markus Locher an. Franca Siegfried, Redaktorin im Newsroom der «Blick»-Gruppe, trat gestützt auf Artikel 14 Absatz 2 des Geschäftsreglements des Presserats von sich aus in den Ausstand.

H. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihren Sitzungen vom 9. Januar und 8. Mai 2013.

II. Erwägungen

1. Gemäss Artikel 10 Absatz 1 seines Geschäftsreglements tritt der Presserat nicht auf eine Beschwerde ein, wenn die Publikation des beanstandeten Medienberichts länger als sechs Monate zurückliegt. Für den Artikel vom 5. April 2011 und die Online-Umfrage vom 6. April 2011 ist die Beschwerdefrist von sechs Monaten längst abgelaufen. Deshalb ist insoweit nicht auf die Beschwerde einzutreten.

2. «Blick» hat mit der Artikelserie auf eine mögliche Lücke im Strafgesetzbuch hingewiesen. Damit nimmt die Zeitung eine wichtige Aufgabe der Medien wahr. Mit dem Artikel vom 2. Juni 2012 zeigt Viktor Dammann auf, dass das Thema auf der politischen Agenda ist.

3. Nach Ansicht des Beschwerdeführers verletzt der Artikel vom 30. Mai 2012 die Wahrheitspflicht in zweierlei Hinsicht. Im Fall der Kundin, bei welcher der Beschwerdeführer behauptet, die Anzahlung vollständig zurückgezahlt zu haben, ist für den Presserat jedoch nicht ersichtlich, zu welchem Zeitpunkt das Geld zurückbezahlt worden ist. Da dies auch nach Erscheinen des Artikels geschehen sein könnte, ist in diesem Punkt eine Verletzung der Wahrheitspflicht nicht erstellt.

Ebenso wenig kann der Presserat gestützt auf die von den Parteien eingereichten Unterlagen beurteilen, ob die Vorwürfe des Antiquitätenhändlers stimmen oder nicht. Und dass «Blick» lediglich von der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft berichtet, weitere Nichtanhandnahmeverfügungen und Einstellungen der Staatsanwaltschaft aber nicht erwähnt, erachtet der Presserat nicht als Verstoss gegen die Ziffern 1 und 3 (Wahrheitspflicht und Unterschlagung von Informationen), geht doch aus dem Bericht klar hervor, dass es nie zu einer strafrechtlichen Verurteilung gekommen ist.

4. a) Gemäss der Ziffer 7 der «Erklärung» respektieren die Medienschaffenden «die Privatsphäre der einzelnen Personen, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt». Laut der zugehörigen Richtlinie 7.2 (Identifizierung) sollten die Medienschaffenden die beteiligten Interessen (Recht der Öffentlichkeit auf Information, Schutz der Privatsphäre) sorgfältig abwägen. Ist die Identifizierung nicht gerechtfertigt, sollen sie weder Namen noch andere Angaben nennen, «welche die Identifikation einer Person durch Dritte ermöglichen, die nicht zu Familie, sozialem oder beruflichem Umfeld des Betroffenen gehören, also ausschliesslich durch die Medien informiert werden».

b) Im Artikel vom 2. Juni 2012 wird X. nicht erwähnt, weshalb eine Verletzung von Ziffer 7 der «Erklärung» hier von vornherein ausser Betracht fällt. Hingegen ist beim Artikel vom 30. April 2012 zu prüfen, ob der Beschwerdeführer gestützt auf die darin enthaltenen Angaben ausserhalb seines sozialen und beruflichen Umfelds erkennbar ist.

Im relativ kleinen Porträtbild ist die Augenpartie mit einem schwarzen Balken verdeckt. Und entgegen dem wegen Ablaufs der Beschwerdefrist vom Presserat nicht zu prüfenden Artikel vom 5. April 2011 verzichtet «Blick» auf die Nennung des Vornamens und nennt nur den ersten Buchstaben des Nachnamens. Auch fehlt der Hinweis auf die Zürcher Altstadt. Identifizierend wirken könnten allenfalls die Begriffe «Zürcher Möbelrestaurator» und «hoch verschuldeter Tischler». Nach Ansicht des Presserates können Personen ausserhalb seines näheren Umfelds den Beschwerdeführer mit diesen Angaben kaum identifizieren.

5. a) War «Blick» hingegen verpflichtet, den Beschwerdeführer vor der Veröffentlichung des Artikels vom 30. Mai 2012 mit den Vorwürfen zu konfrontieren? Diese wiegen nach Ansicht des Presserats schwer. Nur schon, dass der Artikel über X. in der Serie «Lügner, Trickser, Abkassierer» erschien, unterstreicht dies.

b) Die Richtlinie 3.8 der «Erklärung» auferlegt den Journalistinnen und Journalisten die Pflicht, Betroffene vor der Publikation schwerer Vorwürfe anzuhören. Gemäss der Praxis des Presserats ist eine Anhörung allerdings nicht zwingend, wenn schwere Vorwürfe nicht neu sind, sondern vom gleichen Medium schon zuvor veröffentlicht wurden (Stellungnahmen 10 und 23/2008). Verzichtet die Redaktion auf die (neuerliche) Anhörung, ist sie aber verpflichtet, zusammen mit dem Vorwurf auch eine frühere Stellungnahme des Betroffenen mitzuliefern.

c) «Blick» hat die meisten der im Artikel vom 30. Mai 2012 enthaltenen Vorwürfe schon ein Jahr zuvor veröffentlicht. Damals holte die Redaktion eine Stellungnahme des Beschwerdeführers ein. Im neuen Artikel hat sie es aber unterlassen, auf die frühere Stellungnahme von X. hinzuweisen. Neu veröffentlicht «Blick» zudem die Vorwürfe eines Antiquitätenhändlers, welcher sich von X. betrogen fühle. Auch dazu hätte die Redaktion den Beschwerdeführer anhören und eine allfällige Stellungnahme veröffentlichen müssen.

d) Nun stellt sich die Frage, ob schwere Vorwürfe gegen eine anonymisierte Person überhaupt eine Anhörung erfordern, da die Person für Aussenstehende nicht zu identifizieren ist. Die Anhörungspflicht gilt auch in einem solchen Fall, denn Personen aus dem Umfeld des Betroffenen werden diesen erkennen und vermutlich mit grossem Interesse den Artikel lesen. Deshalb ist e
s unabdingbar, dass der Betroffene Stellung nehmen kann (ebenso bereits die Stellungnahme 21/2007 mit weiteren Hinweisen).

6. a) Wie steht es hingegen mit dem Porträtbild? Der Beschwerdeführer macht dazu geltend, «Blick» habe es ohne sein Wissen, von der Gasse aus durch das Fenster seines Geschäftslokals aufgenommen. Die Beschwerdegegnerin bestreitet in ihrer Beschwerdeantwort diese Sachverhaltsdarstellung nicht explizit, sondern macht lediglich geltend, der Beschwerdeführer sei durch seine Geschäftstätigkeit in Zürich bekannt, mithin dürfe sein Bild veröffentlicht werden. Auch wenn der Beschwerdeführer wie ausgeführt aufgrund der Angaben und des relativ kleinen Bildes mit Balken im Artikel vom 30. Mai 2012 nicht identifizierbar ist, stellt sich die Frage, ob «Blick» berechtigt ist, den nichtsahnenden Tischler durch das Schaufenster seines Geschäfts hindurch zu fotografieren.

b) Der Presserat hat sich bisher nicht zur Frage geäussert, ob das Recht am eigenen Bild nicht bloss vor einer unbewilligten Veröffentlichung, sondern je nach den Umständen bereits auch vor der Aufnahme schützt. Die Rechtslehre bejaht dies und unterscheidet zwei Teilaspekte des Rechts am eigenen Bild. Dieses schützt die Persönlichkeit einerseits davor, gegen ihren Willen in identifizierender Weise fotografiert oder gefilmt zu werden, anderseits vor der Veröffentlichung des eigenen Bilds gegen den eigenen Willen (Christian Brückner, Das Personenrecht des ZGB, 2000, S. 188 Rz 638).

Die Richtlinie 7.1 zur «Erklärung» (Privatsphäre) hält dazu zweierlei fest: 1. «Journalistinnen und Journalisten dürfen im Privatbereich keine Ton-, Bild- oder Videoaufnahmen ohne Einwilligung des Betroffenen machen.» 2. «Auch im öffentlichen Bereich ist das Fotografieren oder Filmen von Privatpersonen nur dann ohne Einwilligung der Personen zulässig, wenn sie auf dem Bild nicht herausgehoben werden.» Vorbehalten bleibt selbstverständlich ein überwiegendes öffentliches Interesse an einer Aufnahme oder Veröffentlichung.

c) Die Frage, was örtlich noch zum geschützten Privatbereich gehört und was zur öffentlichen Sphäre, ist in Zweifelsfällen schwierig abzugrenzen. Grundsätzlich erstreckt sich der Persönlichkeitsschutz aber auch auf die geschäftliche Tätigkeit und mithin sind auch Geschäftsräume durch das Hausrecht geschützt. Entsprechend muss es sich ein Geschäftsinhaber grundsätzlich nicht gefallen lassen, dass er ohne seine Einwilligung in seinem Geschäft fotografiert wird.

Was aber, wenn das Bild von aussen, durch das Schaufenster aufgenommen wird? Hier lässt sich durchaus argumentieren, dass der Fotograf damit das Hausrecht nicht verletzt und deshalb nicht in den Privatbereich eindringt. Der Presserat hat aber in jüngerer Zeit mehrfach festgehalten (vgl. die Stellungnahmen 1 und 43/2010), dass nicht alles, was öffentlich wahrnehmbar ist, durch die Medien unbesehen weiterverbreitet werden darf. Der erste Satz des zweiten Abschnitts der Richtlinie 7.1 «Auch im öffentlichen Bereich ist das Fotografieren oder Filmen von Privatpersonen nur dann ohne Einwilligung der Betroffenen zulässig, wenn sie auf dem Bild nicht herausgehoben werden» bezieht sich zudem ebenso wie der Satz im ersten Abschnitt zu Aufnahmen im Privatbereich nicht bloss auf die Veröffentlichung, sondern bereits auf die Aufnahme. Dies nach Auffassung des Presserates zu Recht. Denn unter dem Gesichtspunkt des Rechts am eigenen Bild kann nicht angehen, jemandem beispielsweise vor der Haustüre oder vor dem Geschäft aufzulauern, gegen den Willen des Betroffenen ein Bild zu machen und dieses zur Wahrung des Persönlichkeitsschutzes dann bei der Veröffentlichung (notdürftig) mit einem Balken zu versehen.

d) An der Berichterstattung über die umstrittene «Geschäftspraxis» des Beschwerdeführers bestand zwar wie ausgeführt ein überwiegendes öffentliches Interesse. Dies rechtfertigt es aber nicht, den Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang zu identifizieren und noch weniger, ihn bildlich an den Pranger zu stellen. Denn das Bild ist hier im Gegensatz zu anderen Fällen – erinnert sei beispielsweise an die mit versteckter Kamera aufgenommenen Beratungsgespräche mit Schönheitschirurgen, vgl. dazu die Stellungnahme 51/2007 – in keiner Weise geeignet, seine umstrittenen Geschäftspraktiken zu dokumentieren.

Das von «Blick» erstellte Personenbild ist zwar vom öffentlichen Grund aus aufgenommen, weshalb insofern eine unlautere Beschaffung im Sinne von Ziffer 4 der «Erklärung» (Lauterkeit der Recherche) zu verneinen ist. Da es jedoch auf X. fokussiert ist und ihn heraushebt, verletzt bereits die Aufnahme mangels eines überwiegenden öffentlichen Interesses sein Recht am eigenen Bild.

III. Feststellungen

1. Da in Bezug auf die Artikel vom 5. April 2011 («Tischler kassierte, ohne zu liefern») und 6. April 2011 (Online-Umfrage) die Beschwerdefrist abgelaufen ist, tritt der Presserat insoweit nicht auf die Beschwerde ein.

2. Die Beschwerde wird teilweise gut geheissen.

3. «Blick» hat mit dem Artikel vom 30. Mai 2012 («Restaurator zieht Kunden über den Tisch») die Ziffern 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» und 7 (in Bezug auf das Recht am eigenen Bild) verletzt. Aufgrund der schweren Vorwürfe gegen den Beschwerdeführer hätte «Blick» diesen vor der Publikation des Artikels anhören und eine allfällige Stellungnahme veröffentlichen müssen. Mangels eines überwiegenden öffentlichen Interesses muss es sich der Restaurator zudem nicht gefallen lassen, heimlich von der Gasse aus durch das Fenster seines Geschäfts fotografiert und dabei bildlich herausgehoben zu werden.

4. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.

5. «Blick» hat die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (in Bezug auf die Entstellung von Informationen), 4 (Lauterkeit der Recherche) und 7 (in Bezug auf die Identifizierung) der «Erklärung» nicht verletzt.