I. Sachverhalt
A. «Die Weltwoche» Nr. 24/2012 vom 14. Juni 2012 veröffentlichte einen Artikel von Urs Paul Engeler mit dem Titel «Licht aus». Darin beklagt der Journalist, «der kurze Schimmer von Transparenz», der «nach der Causa Hildebrand» eine «erhellende Wirkung» auf die Schweizerische Nationalbank gehabt habe, sei bereits wieder «erloschen». Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf mache die Nationalbank wieder «zur geschlossenen Gesellschaft». Die Untersuchung der angeblich unbedenklichen Finanzgeschäfte der Ehefrau Hildebrands verdiene den Namen nicht. Der bisherige Vize des Bankrats, der Neuenburger SP-Staatsrat Jean Studer, sei auf den Chefsessel gerutscht. Und neu in den Bankrat sei mit dem «Luzerner CVP-Mann» Christoph Lengwiler ein treuer Gefolgsmann von Widmer-Schlumpf gewählt worden. «Lengwiler ist der Schwager des CVP-Ständerats Konrad Graber. Graber selbst ist innerhalb der CVP-Fraktion zuständig für Personelles, also für Wahlen in höhere Gremien. Und als bekennender SVP-Hasser unterstützt er Widmer-Schlumpf bedingungslos. Als Präsident der Wirtschaftskommission zwingt er jede ihrer Vorlagen in die gewünschte Richtung.»
B. Am 18. Juni 2012 beschwerte sich Ständerat Konrad Graber, Luzern, beim Schweizer Presserat, die Ausführungen der «Weltwoche» widersprächen den Tatsachen und schädigten seine Integrität massiv. Damit verletze die Zeitschrift die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Entstellung von Informationen) und 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten».
Eine Funktion «Personelles» existiere in der CVP-Fraktion nicht. Er sei weder in diese Funktion gewählt noch darin tätig. Falsch sei auch die Aussage, er sei ein «bekennender SVP-Hasser» Selbstverständlich habe er andere politischen Ansichten als die SVP. Er hasse aber weder Parteien noch deren Exponenten. Und weder könne von einer bedingungslosen Unterstützung von Bundesrätin Widmer Schlumpf die Rede sein, noch könne er als Präsident der Wirtschaftskommission eine Vorlage in eine Richtung zwingen. Der Entscheid liege immer bei der Kommission.
C. Am 13. August 2012 beantragte die anwaltlich vertretene «Weltwoche», auf die Beschwerde sei nicht einzutreten. Die Ausführungen in der Beschwerdeschrift machten deutlich, dass es dem Beschwerdeführer nicht um eine medienethische Beurteilung, sondern vielmehr darum gehe, sich mit Blick auf ein Gerichtsverfahren argumentativ aufzurüsten. Sollte der Presserat trotzdem auf die Beschwerde eintreten, sei sie abzuweisen.
Dem Autor des beanstandeten Berichts sei es darum gegangen, Transparenz über die «inoffizielle» Rekrutierung von Personal innerhalb der CVP herzustellen und die «Drahtzieher der Wahl von Christoph Lengwiler, Schwager des Beschwerdeführers, zu benennen». Auch wenn innerhalb der CVP-Fraktion eine institutionalisierte Stelle für Personelles fehle, kümmere sich der Beschwerdeführer als Nachfolger des zurückgetretenen Luzerner CVP-Ständerats Franz Wicki informell um die Rekrutierung von CVP-Kaderpersonal. «Dieser Umstand wurde dem Autor in der Recherche zum beanstandeten Artikel von mehreren Fraktionsmitgliedern bestätigt.» Dabei sei unterstrichen worden, dass Graber bereits bei früheren Wahlen für die Kandidatenauswahl verantwortlich gewesen sei. Bei der Bundesratsersatzwahl 2009 sei er Leiter des Wahlausschusses der CVP gewesen.
Bei der Formulierung «bekennender SVP-Hasser» sei für die Leserschaft bereits aufgrund der Wortwahl klar, dass die Aussage nicht als Sachvorwurf, sondern vielmehr als pointierte Kritik zu verstehen sei. «Mit der zugespitzten Formulierung kommt die Kritik des Autors zum Ausdruck, der Beschwerdeführer habe sich parteiintern und auch in der Öffentlichkeit wiederholt als kompromissloser Gegner der SVP ins Szene gesetzt. Diese Meinungsäusserung beruht auf Fakten: So äusserte sich Konrad Graber in der Vergangenheit wiederholt kritisch zur Politik der SVP und deren Funktionäre». Dabei habe er nicht auf pointierte Aussagen verzichtet.
Auch bei der Formulierung, Graber unterstütze Widmer-Schlumpf «bedingungslos. Als Präsident der Wirtschaftskommission zwingt er jede ihrer Vorlagen in die gewünschte Richtung» handle es sich um kommentierende Wertungen. Selbst politisch wenig interessierten Lesern sei bewusst, dass es für die Verabschiedung einer Kommissionsvorlage immer den Entscheid einer demokratisch legitimierten Mehrheit brauche. Und soweit der Beschwerdeführer behaupte, er habe in der Vergangenheit Anträge gestellt, die nicht den Vorstellungen von Eveline Widmer-Schlumpf entsprachen, verhindere das Kommissionsgeheimnis die Überprüfung dieses Beweises. Öffentlich überprüfbar sei hingegen die Tatsache, dass sich Graber regelmässig öffentlich und inhaltlich übereinstimmend mit der Finanzministerin äussere.
D. Am 16. August 2012 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde durch das Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.
E. Nach Abschluss des Schriftenwechsels machte Konrad Graber in einer ergänzenden Eingabe geltend, er habe lediglich darauf hingewiesen, «(noch) kein Gerichtsverfahren eingeleitet» zu haben, um Artikel 8 Absatz 3 des Geschäftsreglements Genüge zu tun. Weiter treffe es entgegen der Behauptung der «Weltwoche» keineswegs zu, dass die unterschiedlichen Meinungen infolge des Kommissionsgeheimnisses nicht überprüft werden könnten. Und schliesslich könne die Formulierung «SVP-Hasser» kaum als kommentierende Wertung abgetan werden.
F. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 16. November 2012 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Gemäss der aktuellen, seit dem 25. November 2011 gültigen Formulierung von Artikel 10 Absatz 2 des Geschäftsreglements ist für den Presserat allein massgebend, ob der Beschwerdeführer ein Gerichtsverfahren effektiv bereits eingeleitet hat oder während der Dauer des Presseratsverfahrens anhängig macht. Beides ist vorliegend zu verneinen. Hingegen hat der Presserat – vorbehältlich von manifesten Fällen – nicht mehr zu prüfen, ob der Beschwerdeführer allenfalls beabsichtigt, parallel zum Presseratsverfahren auch gerichtlich vorzugehen. Die Formulierungen in der Beschwerdeschrift von Konrad Graber enthalten keine eindeutigen Hinweise darauf, dass der Beschwerdeführer versucht, den Presserat für ein geplantes Gerichtsverfahren zu instrumentalisieren. Auf die Beschwerde ist deshalb einzutreten.
2. a) Ziffer 1 der «Erklärung» auferlegt den Journalistinnen und Journalisten die Pflicht, sich an die Wahrheit zu halten. Ziffer 3 der «Erklärung» konkretisiert die Wahrheitspflicht dahingehend, dass Journalisten keine wesentlichen Informationen unterschlagen und Tatsachen entstellen sollen. Ebenfalls – im Zusammenhang mit persönlichkeitsrelevanten Äusserungen – um die Wahrheitspflicht geht es letztlich auch beim Gebot, sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen zu unterlassen (Ziffer 7 der «Erklärung»).
b) Verletzt die Behauptung, Konrad Graber sei «innerhalb der CVP-Fraktion zuständig für Personelles, also für Wahlen in höhere Gremien» die angeführten Bestimmungen der «Erklärung»? Der Beschwerdeführer begründet dies einzig mit dem Hinweis, es gebe in der CVP-Fraktion keine entsprechende Funktion. Nach Auffassung des Presserats unterstellt der «Weltwoche»-Artikel aber keineswegs eine derartige formale Organisation. Der Beschwerdeführer bestreitet zudem nicht explizit, dass er im Rahmen seiner Tätigkeit für d
ie CVP-Fraktion informell bei der Kandidatensuche mitwirkt. Zudem ist belegt, dass Konrad Graber zumindest in der Vergangenheit entsprechende Aufgaben wahrgenommen hat, beispielsweise als Leiter des Wahlausschusses bei der Bunderatsersatzwahl im Herbst 2009 (vgl. dazu den Bericht von «NZZ Online» vom 27. August 2009: «Eine Gleichung mit vielen Unbekannten»). Auch wenn der Presserat gestützt auf die von den Parteien eingereichten Unterlagen nicht beurteilen kann, ob der Beschwerdeführer, wie dies die «Weltwoche» behauptet, auch bei der Wahl des CVP-Kandidaten Christoph Lengwiler in den Bankrat und bei anderen Wahlen eine ähnliche Rolle wahrgenommen hat, ist eine Verletzung der Wahrheitspflicht jedenfalls nicht belegt.
3. a) Bei den weiteren vom Beschwerdeführer beanstandeten Passagen des «Weltwoche»-Berichts ist zwischen den Parteien strittig, ob es sich um reine Tatsachenbehauptungen oder um kommentierende Wertungen handelt. Letztere sind einer Beurteilung nach Wahrheitskriterien nicht zugänglich (vgl. dazu zuletzt die Stellungnahme 48/2012). Kommentierende Wertungen sollten jedoch für die Leserschaft als solche erkennbar sein. Medienschaffende sollten zudem offen legen, auf welcher faktischen Grundlage eine harsche Kritik beruht (Stellungnahme 14/2006). Der Presserat betont in seiner Praxis, dass der Kommentarfreiheit ein grosser Freiraum zu gewähren ist. Dies lässt auch zweifelhaft erscheinende Werturteile und Metaphern zu, wenn diese für die Leserschaft als übertriebene Polemik und Provokation erkennbar sind. Entsprechend ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Gefahr besteht, dass eine provozierende Wertung die Leserschaft in wahrheitswidriger Weise täuscht (Stellungnahmen 56/2008 und 16/2007).
b) Für den Presserat kommt die Formulierung, Graber sei ein «bekennender SVP-Hasser» und er stelle sich konsequent auf die Seite von Bundesrätin Widmer-Schlumpf, nicht als Tatsachenbehauptung daher. Gemeint ist mit der zuspitzenden Formulierung offensichtlich, dass jemand, der sich wie der Beschwerdeführer (gemäss Einschätzung von Urs Paul Engeler) konsequent auf die Seite der von der SVP geächteten Bundesrätin stellt, damit automatisch als Gegner dieser Partei outet. Für die Leserschaft der «Weltwoche» ist diese polarisierende Zuordnung in ein «Pro»- und «Anti-Widmer-Schlumpf-Lager» damit als kommentierende Wertung erkennbar. Die von Urs Paul Engeler im Artikel selber mitgelieferten faktischen Grundlagen dieser Wertung erscheinen zwar äusserst mager, erlauben es der Leserschaft aber trotzdem, Fakten und Kommentar zu unterscheiden und einzuordnen. Und die kommentierende Wertung der «Weltwoche» beruht jedenfalls insofern auf einer faktischen Grundlage, als der Beschwerdeführer – ungeachtet davon, ob die Positionen bei jedem Sachgeschäft übereinstimmten – mehrfach ähnliche Positionen wie Eveline Widmer-Schlumpf vertreten und sich im Vorfeld der Gesamterneuerungswahl des Bundesrats von Ende 2011 klar für ihre Wiederwahl als Bundesrätin ausgesprochen hat.
Ebenso ist für die Leserschaft erkennbar, dass der Satz «Als Präsident der Wirtschaftskommission zwingt er jede ihrer Vorlagen in die gewünschte Richtung» nicht als Tatsachenbehauptung, sondern als kommentierende Wertung zu verstehen ist, die auf derselben faktischen Grundlage beruht.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.