Nr. 2/1995
Veröffentlichung vertraulicher Informationen und Berufsgeheimnis

(Bundesanwaltschaft / 'SonntagsZeitung'), vom 7. Mai 1995

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Stellungnahme

Veröffentlichung vertraulicher Informationen und Berufsgeheimnis

Die Veröffentlichung einer Information durch die Medien ist nicht schon von vornherein ausgeschlossen, weil sie durch den Staat als vertraulich deklariert wird. Wenn eine vertrauliche Information ein polizeiliches Ermittlungsverfahren berührt und ihre Offenlegung dessen Erfolgsaussichten gefährdet, kann man von Journalistinnen und Journalisten erwarten, dass sie einige Tage mit der Publikation zuwarten, falls äusserst wichtige Interessen auf dem Spiel stehen. Dies ist der Fall bei einem Ermittlungsverfahren wegen Missbrauchs des schweizerischen Territoriums für illegalen Waffenhandel. Das Amtsgeheimnis kann gegenüber den Journalistinnen und Journalisten nur unter klarer Darlegung der Gründe im jeweiligen Fall geltend gemacht werden. Eine solche Begründung ist für Medienschaffende zur Beurteilung der Frage notwendig, ob sie aus berufsethischer Sicht verpflichtet sind, sich angesichts des öffentlichen Interesses über das Publikationsverbot hinwegzusetzen.

Journalistinnen und Journalisten, die aufgefordert werden, ihre Quellen zu offenbaren, haben die Pflicht, dies kategorisch abzulehnen. Die von einer Verletzung des Quellenschutzes nicht direkt betroffenen Medien sind verpflichtet, aus ihrer Reserve herauszutreten und die Öffentlichkeit über die zweifelhaften Aktivitäten der betreffenden Behörde zu informieren. Die ungerechtfertigte Publikation geheimer Dokumente vermag die Anordnung einer Haussuchung keinesfalls zu legitimieren.

Prise de position

Publication d’informations confidentielles et secret professionnel

La publication d’une information par les médias n’est pas exclue en soi du fait qu’elle a été déclarée confidentielle par l’Etat. Lorsque ladite information confidentielle porte sur une procédure d’enquête policière et que sa divulgation compromet les résultats de cette dernière, on peut demander aux journalistes de différer de quelques jours la publication, dans la mesure où des intérêts extrêmement importants sont en jeu. Tel était le cas dans l’enquête conduite en raison d’un trafic d’armes ayant pour base le territoire suisse. Le secret de fonction peut être invoqué à l’égard des journalistes uniquement si on fournit au journaliste les motifs qui prévalent dans le cas donné. Une telle motivation est nécessaire aux journalistes pour leur permettre de juger si, en vertu de leur éthique professionnelle, ils sont tenus de passer outre à l’interdiction de publication, au vu d’un intérêt public prépondérant.

Les journalistes qui sont sommés de faire connaître leurs sources ont l’obligation de rejeter catégoriquement cette demande. Les médias qui ne sont pas directement touchés par une violation de la protection des sources sont tenus de sortir de leur réserve et d’informer l’opinion publique des activités douteuses de l’autorité en cause. La publication injustifiée de documents secrets ne peut en aucun cas légitimer une perquisition.

Presa di posizione

Pubblicazione di informazioni confidenziali e segreto professionale

Escludere di pubblicare una notizia per il solo fatto che lo Stato l’ha dichiarata confidenziale sarebbe sbagliato. Se pubblicare un’informazione riservata può nuocere all’inchiesta di polizia, dai giornalisti è lecito attendersi che aspettino qualche giorno prima di farlo, quando in gioco siano interessi di straordinaria importanza. Tale condizione è data nel caso di un’inchiesta per abuso del territorio nazionale in un traffico illegale di armi. Ma il segreto d’ufficio può essere opposto ai giornalisti solo previa chiara indicazione dei motivi che lo fanno valere nel caso specifico. La motivazione è necessaria per consentire ai giornalisti di giudicare se l’etica professionale li obbliga a oltrepassare il divieto di pubblicazione, in nome dell’interesse pubblico.

I giornalisti hanno il dovere di opporsi categoricamente alla richiesta di rivelare le fonti delle loro informazioni. I mezzi d’informazione non toccati da una violazione del segreto professionale hanno il dovere di intervenire per informare l’opinione pubblica sul dubbio comportamento dell’autorità. L’indebita pubblicazione di documenti segreti non giustifica assolutamente un ordine di perquisizione.

I. Sachverhalt

A. Am 4. Dezember 1994 veröffentlichte die „SonntagsZeitung » einen Artikel mit dem Titel „Die hochexplosiven Geschäfte der Algerien-Connection » und dem Untertitel „Islamische Heilsfront (FIS) deckt sich in der Schweiz mit Waffen und Sprengstoff ein ». Der von André Marty gezeichnete Artikel zitierte aus vertraulichen Dokumenten der Bundesanwaltschaft. Letztere tat darin ihre Auffassung kund, dass FIS-Aktivisten die Schweiz als Drehscheibe für Waffengeschäfte benutzten. Nach ihren Beobachtungen würden seit März 1994 besondere Anstrengungen unternommen, um Waffen, Sprengstoff, Munition und technologisches Gerät zu kaufen. Der Artikel führte mehrere Fälle von Waffentransporten via Basel, Winterthur und dem Tessin mit Zeitangabe und Angaben über die beteiligten Personen an, welche offensichtlich diesen Dokumenten entstammten. B. In der Hoffnung, eine Stellungnahme der Bundesanwaltschaft bezüglich dieser Umtriebe zu erhalten, nahm André Marty am 30. November 1994 mit der Dienststelle der Bundesanwältin Carla del Ponte Kontakt auf. Diese lehnte das Begehren ab und wollte keinen Kommentar abgeben. Nachdem sich die Bundesanwaltschaft davon überzeugt hatte, dass der Journalist tatsächlich im Besitze der fraglichen Dokumente war, forderte sie die „SonntagsZeitung » auf, von einer Publikation abzusehen. Am Freitag, 2. Dezember 1994 sandte die Bundesanwältin einen Fax-Brief an Rita Flubacher, stellvertretende Chef-redaktorin der „SonntagsZeitung », und machte sie darauf aufmerksam, „dass jegliche Veröffentlichung aus diesem Ermittlungsverfahren den Ermittlungs-erfolg gefährden … könnte ». Sie schloss im Brief wie folgt: „Wir hoffen auf Ihr Verständnis und gehen davon aus, dass Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sind und im jetzigen Zeitpunkt auf eine Publikation verzichten. Wir werden Sie so bald als möglich kontaktieren, um den zeitlichen Ablauf einer Publikation zu besprechen ». Die „SonntagsZeitung » publizierte den Bericht dennoch.

C. Am Dienstag 6. Dezember 1994, dem übernächsten Tag nach der Publikation des umstrittenen Artikels, führten drei Beamte der Bundespolizei, begleitet von einem Dutzend Zürcher Polizisten, eine Haussuchung in den Redaktionsräumen sowie in den Wohnungen der betroffenen Journalistin und des betroffenen Journalisten durch. Verschiedene Dokumente, Disketten und ein Notebook wurden dabei beschlagnahmt und versiegelt. Am 13. Januar 1995 erlaubte die Anklagekammer des Bundesgerichts die Entsiegelung der beschlagnahmten Gegenstände. Gemäss der Bundesanwaltschaft gelang es in der Folge nicht, die Quelle der Indiskretion mit Hilfe der beschlagnahmten Gegenstände zu identifizieren.

D. Der Fall erregte grosses Aufsehen in den Medien wie auch bei den Berufsverbänden. Angesichts dieser Reaktionen und der Wichtigkeit des Falles beschloss der Presserat, diesen aufzugreifen und beauftragte die 3. Kammer, zusammengesetzt aus Vizepräsident R. Eyer, D. Barrelet, D. Fornaciarini, A. Kälin, M.-Th. Larcher und Chr. Schwarz, sich damit zu befassen. Als Arbeitnehmer der TA-Media AG trat A. Kälin bei den Beratungen in den Ausstand. Nachdem der Presserat bereits beschlossen hatte, den Fall aufzugreifen, reichte Nationalrat Maximilian Reimann mit Schreiben vom 6. Februar 1995 eine Beschwerde beim Presserat ein, welche das gleiche Ziel verfolgte.

E. Die 3. Kammer hörte in der Folge André Marty, Redaktor der „SonntagsZeitung » und Peter Lehmann, Pressesprecher der Bundesanwaltschaft, an. Aus den Anhörungen gingen insbesondere folgende Punkte h
ervor:

Gemäss André Marty wurde von seiten der Bundesanwaltschaft keine Begründung für das Verbot einer Publikation in der nächsten Ausgabe der „SonntagsZeitung » gegeben. Der Bericht der Bundesanwaltschaft habe zum Teil Fakten enthalten, die bereits mehr als 6 Monate alt gewesen seien. Die Bundesanwaltschaft habe genügend Zeit gehabt, um bei den betroffenen Algeriern zu intervenieren. Das Verhalten der Bundesanwaltschaft habe ihm einen merkwürdigen Eindrück gemacht. Schliesslich machte André Marty geltend, die publizierten Informationen hätten ihren Geheimnischarakter verloren, nachdem das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) am 27. Oktober 1994 einen Beitrag ausgestrahlt hatte, in welchem über die Aktivitäten von islamischen Fundamentalisten und insbesondere von FIS-Aktivisten in Europa berichtet wurde. Der fehlende Geheimnischarakter habe sich darüber hinaus aus der Tatsache ergeben, dass der Chef der FIS in der Schweiz bereits vor der Publikation durch die „SonntagsZeitung » im Besitze einer Liste gewesen sei, welche die Namen von 204 überwachten Personen enthielt. Auf die Frage, ob ihm letzteres bereits während seiner Gespräche mit der Bundesanwaltschaft bekannt gewesen sei oder ob er von der Liste erst später Kenntnis erhalten habe, gab André Marty unter Hinweis auf das hängige Strafverfahren keine Antwort.

F. Peter Lehmann bestreitet, dass die Bundesanwaltschaft keine Erklärung gegeben habe, um ihre eindringliche Bitte zu begründen, auf eine Publikation von Informationen in diesem Zuammenhang zu verzichten. Er habe jedoch nicht enthüllen können, dass eine grosse Operation mit Haussuchungen in der Schweiz und im Ausland bevorgestanden habe. Da zu befürchten gewesen sei, dass die entsprechende Information nicht unter Verschluss bleiben würde, habe er auch nicht sagen können, dass eine Sachbearbeitersitzung mit in- und ausländischer Beteiligung zur Vorbereitung der geplanten Operation für Donnerstag, 8. Dezember 1994 vorgesehen gewesen sei. Er habe jedoch einen bildhaften Vergleich gebraucht und sei davon ausgegangen, dass dieser verstanden würde. Er habe dargelegt, nichts sei für die Polizei leichter als 20 kleine Drogenkonsumenten auf der Strasse aufzugreifen. Wenn sie jedoch die grossen Fische fangen wolle, müsse sie zuwarten. Währenddem sich Rita Flubacher nicht an einen solchen Vergleich erinnern kann, schliesst André Marty nicht aus, diesen gehört zu haben.

Auf die Frage nach dem für die Bundesanwaltschaft möglichen Zeitpunkt der Publikation habe Peter Lehmann geantwortet, vor dem 9. Dezember 1994 – dem Tag nach der geheimen Sitzung – könne er nichts sagen. Diese Darstellung des Sachverhalts ist von der „SonntagsZeitung » vom 11. Dezember 1994 bestätigt worden.

Peter Lehmann kann sich nicht daran erinnern, ob ihm die „SonntagsZeitung » die Länge des Ermittlungsverfahrens vorgehalten hat. Falls man dies getan hätte, hätte er darauf hingewiesen, dass es nicht Aufgabe der Journalisten sei, Untersuchungsrichter zu spielen. Peter Lehmann kann sich ebensowenig daran erinnern, dass die Journalisten die ZDF-Sendung erwähnt hätten. Nach seiner Darstellung hatte die Bundesanwaltschaft berechtigten Grund zur Annahme, dass die Sendung die FIS-Aktivisten in der Schweiz in keiner Weise beunruhigt hatte.

Bezüglich der Haussuchung bei der „SonntagsZeitung » machte Peter Lehmann geltend, diese sei einzig zum Zweck durchgeführt worden, die Quelle der Indiskretion ausfindig zu machen. Die Bundesanwaltschaft wäre nicht tätig geworden, wenn die „SonntagsZeitung » auf eine Publikation verzichtet hätte. Im übrigen erklärte Peter Lehmann, er sei erstaunt gewesen, dass die Medien nachträglich die Pressefreiheit zum Thema gemacht hätten. Die Verschiebung von Sprengstoff nach Algerien sei geeignet, Leben zu gefährden, und die betreffenden Informationen hätten zudem verdeckte Ermittler kompromittieren können.

G. Nach der Publikation wurde die für den 8. Dezember 1994 vorgesehene Sachbearbeitersitzung abgesagt. In der Folge wurden keinerlei polizeiliche Massnahmen gegen die FIS-Aktivisten ergriffen. Die Bundesanwaltschaft ging davon aus, dass der Artikel die Ermittlungen der letzten 6 Monate wertlos gemacht hatte.

H. Die Bundesanwältin leitete ein Strafverfahren gegen André Marty und Rita Flubacher wegen Veröffentlichung amtlicher Geheimnisse (Art. 293 StGB) und Begünstigung (Art. 305 StGB) ein.

II. Erwägungen

1. Gemäss seiner konstanten Praxis (vgl. zuletzt die Stellungnahme Nr. 6/92 i.S. M.M. c / „Le Pays », Sammlung der Stellungnahmen 1992 S. 47ff.) kann sich der Presserat ungeachtet eines hängigen Gerichtsverfahrens zu aktuellen Fällen äussern. Er lehnt dies jedoch dann ab, wenn er davon ausgehen muss, dass seine Stellungnahme in erster Linie einer Partei zur Beeinflussung der Justiz dienen soll. Vorliegend ist dies nicht der Fall.

2. Aus Sicht des Presserates wirft der vorliegende Fall unter berufsethischen Aspekten zwei klar auseinanderzuhaltende Fragen auf: Erstens: Waren die Journalisten berechtigt, die fraglichen Informationen zu veröffentlichen? Zweitens: Hat die Bundesanwaltschaft korrekt gehandelt, als sie Haus-suchungen durchführte und Material beschlagnahmte, um die Person zu identifizieren, welche das Dokument der Presse zugespielt hatte?

3. Der Presserat erinnert daran, dass die Veröffentlichung einer Information durch die Medien nicht von vornherein ausgeschlossen ist, weil sie durch den Staat als vertraulich deklariert wird. Zwar verbietet Art. 293 StGB die Veröffentlichung geheimer amtlicher Dokumente. Diese in der Praxis kaum angewandte Bestimmung ist jedoch in der juristischen Doktrin so umstritten, dass die mit der Überprüfung des Medienstrafrechts beauftragte Kommission Riklin ihre ersatzlose Streichung vorschlug (vgl. den Bericht der Expertenkommission vom April 1991).

4. Die in der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten » aufgeführten Rechte umfassen auch „(den) freien Zugang zu allen Informationsquellen und die Freiheit zur unbehinderten Ermittlung aller Tatsachen, die von öffentlichem Interesse sind; die Geheimhaltung öffentlicher oder privater Angelegenheiten kann dabei den Journalistinnen und Journalisten gegenüber nur in Ausnahmefällen und nur mit klarer Darlegung der Gründe geltend gemacht werden. » (Buchstabe a der Erklärung der Rechte).

5. Der Berufskodex steht in der Beurteilung der Veröffentlichung vertraulicher Informationen der Rechtsordnung in dem Sinn klar entgegen, als er auf die Priorität der Öffentlichkeit, auf der vollen Recherchierfreiheit und auf der Nutzung auch vertraulicher Quellen beharrt. Geheimhaltung kann nur die Ausnahme sein (Sammlung der Stellungnahmen 1994, S. 39, Parlamentarische Vorstösse Moser/Reimann, vom 24. Januar 1994). Grundsätzlich lässt sich festhalten: Stossen Medienschaffende bei ihren Recherchen auf Sachverhalte, die als vertraulich oder geheim gelten, aber eigentlich von ihrer Tragweite her öffentlich gemacht werden müssten, dann können ethische Überlegungen dazu führen, dass die Rechtsordnung missachtet und unter Umständen eine Verurteilung in Kauf genommen wird.

6. Wie angetönt, ist dieser Vorrang der Ethik vor dem Recht nicht absolut. Er kann nur gelten, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:

a) Es muss sich um ein Thema von öffentlicher Relevanz handeln. Der Vorteil im publizistischen Wettbewerb genügt nicht als Rechtfertigung.

b) Es muss ein Grund dafür bestehen, dass das Thema jetzt und nicht erst viel später öffentlich wird. c) Es muss gewährleistet sein, dass das Thema oder das Dokument für immer oder für längere Zeit als geheim oder vertraulich eingestuft ist und nicht bloss mit einer Sperrfrist von wenigen Tagen oder Stunden belegt ist. Wenn ein Medium eine Sperrfrist bricht, an die sich alle anderen halten, so ist die Veröffentlichung ungerechtfertigt.

d) Es muss sich um eine Indiskretion handeln, zu der eine Gewährsperson aus freien Stücken Hand bietet. Wenn Bestechung, Erpressung, Installation von Wanze
n, Einbruch oder Diebstahl im Spiel wären, gäbe es keine ethische Begründung für eine Veröffentlichung.

e) Es muss ausgeschlossen sein, dass mit der Veröffentlichung äusserst wichtige Interessen (wie schützenswerte Persönlichkeitsrechte, Geheimnisse der militärischen Landesverteidigung, usw.) beeinträchtigt werden (Sammlung der Stellungnahmen 1994, S. 40f.).

7. Im vorliegenden Fall war das Thema von grossem öffentlichen Interesse. Der Öffentlichkeit kann es nicht gleichgültig sei, wenn extremistische Gruppen das nationale Territorium in einem Konflikt benutzen, welche die Schweizer auch angesichts der Nähe der schrecklichen Ereignisse gefühlsmässig stark berührt. Grundsätzlich gehören Informationen dieser Art angesichts ihrer Wichtigkeit unverzüglich an die Öffentlichkeit. Die oben aufgeführten Bedingungen a) und b) sind somit respektiert worden. Das Gleiche gilt für die Bedingung d). Jedenfalls hat der Presserat keinerlei Anhaltspunkte, um davon auszugehen, dass die Dokumente mit unlauteren Methoden beschafft worden wären.

8. Demgegenüber wurden nach Auffassung des Presserates die Bedingungen c) und e) nicht respektiert. Die Bundesanwaltschaft hätte die fraglichen Dokumente zwar nie von sich aus veröffentlicht. Aus den Parteierklärungen und insbesondere aus dem Fax-Brief vom 2. Dezember 1994 geht aber hervor, dass sie diese Informationen nicht mit einer längeren oder gar endgültigen Sperrfrist belegen wollte. Sie wollte lediglich ein paar Tage gewinnen, um nicht den Erfolg der geplanten Aktion zu gefährden. Von den Journalisten wurde nicht mehr verlangt, als sich einige Tage zu gedulden. Von einer Verschleppungstaktik kann nicht die Rede sein. Anders wäre es, wenn die Zeitung bereits mehrere Male ohne Angabe genügender Gründe aufgefordert worden wäre, die Publikation des Artikels zu verschieben.

Der Presserat erachtet es darüber hinaus nicht als ausgeschlossen, dass durch die Publikation äusserst gewichtige Interessen tangiert wurden. Jede Journalistin und jeder Journalist weiss, dass polizeiliche Ermittlungen fehlschlagen, wenn die Betroffenen Kenntnis von Zwischenergebnissen oder auch nur davon Kenntnis erhalten, dass ein Ermittlungsverfahren läuft. Es ging nicht um einen kleinen Übeltäter oder um eine unbedeutendes Delikt, sondern um bestens organisierte Kreise, welche skrupellos zu allem bereit sind, um ihre Ziele zu erreichen. Die Journalistin und der Journalist ignorierten zwar nicht, was auf dem Spiel stand, haben dies jedoch in einer Weise heruntergespielt, die nicht akzeptabel scheint.

9. War es durch die Dauer des Ermittlungsverfahren gerechtfertigt, sich über diese Erwägungen hinwegzusetzen? Nach Aufffassung des Presserates ist dies zu verneinen. Es kann durchaus vorkommen, dass sich die Ermittlungen von Untersuchungsbehörden in unentschuldbarer Weise in die Länge ziehen. Dann ist es Aufgabe der Medien, an die Öffentlichkeit zu gelangen, damit die Angelegenheit wieder in geordnete Bahnen geführt wird. Im konkreten Fall hat die „SonntagsZeitung » in ihrer Ausgabe vom 4. Dezember 1994 weder der Bundesanwaltschaft ein solches Versäumnis vorgeworfen, noch ihr unterschoben, gewisse Kreise zu protegieren. Dies deutet darauf hin, dass es der Zeitung in erster Linie darum ging, ihrem Publikum eine interessante Geschichte zur Kenntnis zu bringen. Der Vorwurf, die Ermittlungen dauerten zu lange und die Bundesanwaltschaft habe zu viel Zeit verstreichen lassen, ohne tätig zu werden, überzeugt nicht, wenn die Journalisten einzig ihr Gefühl anführen, dass es auch schneller hätte gehen können. Die Tatsache, dass Ermittlungen, insbesondere solche, welche sich gegen grenzüberschreitend operierende ausländische Gruppen richten, von äusserst komplexer Natur sind, kann nicht leichtfertig zur Seite geschoben werden. 10. Gemäss Buchstabe a der Erklärung der Rechte darf den Journalistinnen und Journalisten das Amtsgeheimnis „nur in Ausnahmefällen und nur mit klarer Darlegung der Gründe » entgegengehalten werden. Eine entsprechende Begründung ist für den Journalisten denn auch unerlässlich, um beurteilen zu können, ob aus berufsethischer Sicht das Interesse der Öffentlichkeit ihn verpflichtet, sich über das Publikationsverbot hinwegzusetzen. Der Journalist darf sich nicht mit einer verkürzten Begründung begnügen, welche ausschliesslich an seinen Gehorsam appelliert. Der Presserat stellt fest, dass die von der Bundesanwaltschaft gelieferten Erklärungen nicht sehr detailliert ausfielen. Es ist jedoch in Betracht zu ziehen, dass die Andeutungen und insbesondere der vom Pressesprecher der Bundesanwaltschaft verwendete Vergleich und das in Aussicht gestellte Datum für eine Antwort für Journalistinnen und Journalisten hätten genügen müssen, welche gewohnt sind, im Justizbereich zu recherchieren. Es ist beizufügen, dass es an dieser Stelle nicht Aufgabe des Presserates ist, die generelle Informationspolitik der Bundesanwaltschaft zu beurteilen und zu prüfen ob sie ihre Publikationsverbote immer genügend begründet.

11. Zu prüfen bleibt der Einwand, dass die fraglichen Informationen ohnehin nicht geeignet waren, das Ergebnis mehrmonatiger Ermittlungen zunichte zu machen, weil sie im Rahmen einer ZDF-Sendung bereits veröffentlicht worden seien. Der Presserat hält diesen Einwand nicht für gerechtfertigt. Es trifft zwar zu, dass einmal veröffentlichte Informationen in der Folge nicht mehr durch behördliche Erklärung als geheim erklärt werden können. Der entsprechende Film befasste sich aber in erster Linie mit den Aktivitäten der Fundamentalisten, vor allem der algerischen, in Deutschland. Im insgesamt 50 Minuten dauernden Beitrag wurden lediglich zwei kurze, wenige Worte umfassende Andeutungen gemacht, welche die Schweiz berühren. Diese betreffen die Flucht eines gewissen Lounici in die Schweiz anfangs Mai 1994 sowie die Adresse, die auf einen Ableger in Bratislava hindeutete, welcher im Rahmen von schweizerischen Ermittlungen gefunden wurde. Die Wirkung dieser beiden Nachrichtenelemente kann bei weitem nicht mit derjenigen eines Artikels verglichen werden, welcher sich ausschliesslich mit den Machenschaften der Vertreter der FIS in der Schweiz befasst. Und zwar unter Angabe von Namen und Orten, welche dem geheimen Bericht der Bundesanwaltschaft entnommen wurden, wie auch mit Verwendung von wörtlichen Zitaten aus diesem Bericht, welche die Einschätzung der Untersuchungsbehörden wiedergeben. Was schliesslich die Tatsache betrifft, dass der Chef der FIS in der Schweiz bereits über Dokumente verfügte, welche weiter gingen als die in der „SonntagsZeitung » veröffentlichten, so hat dies auf die Beurteilung des Verhaltens der Journalisten keinen Einfluss, soweit davon auszugehen ist, dass ihnen dieser Umstand im Zeitpunkt des Publikationsentscheides nicht bekannt war.

12. Die zweite sich im vorliegenden Fall stellende grundsätzliche Frage betrifft den Quellenschutz. Der Presserat erinnert daran, welches Gewicht die Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten der Beachtung des Berufsgeheimnisses einräumt. Gemäss Ziff. 6 der Erklärung der Pflichten haben Journalistinnen und Journalisten, welche dieser Bezeichnung würdig sind, es für eine ihrer wichtigsten Pflichten zu halten, „das Berufsgeheimnis (zu wahren) und (…) die Quellen vertraulicher Informationen nicht preis(zugeben) ». Gegenüber einer Behörde, welche dieses Geheimnis durchbrechen will, können Journalistinnen und Journalisten nur mit einer kategorischen Ablehnung reagieren. Die Journalistin und der Journalist der „SonntagsZeitung » haben richtig gehandelt, als sie sich Polizisten des Bundes und des Kantons Zürich gegenübersahen, die sich anschickten, Haus-suchungen durchzuführen. Insbesondere haben sie gut daran getan, die Versiegelung zu verlangen, ihren lebhaften Protest auszudrücken, wie auch an die Öffentlichkeit und die übrigen Medien zu gelangen.

Ausgehend von Ziff. 2 der Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten, welche die Verpflichtung statuiert, die Informationsfrei
heit und die sich daraus ergebenden Rechte zu verteidigen, hält der Presserat die von einem solchen Begehren nicht direkt betroffenen Medien für verpflichtet, aus ihrer Reserve herauszutreten und die Öffentlichkeit über die zweifelhaften Aktivitäten der betroffenen Behörde zu informieren. 13. Der Presserat erinnert daran, dass es sich beim Berufsgeheimnis nicht um ein Privileg der Journalistinnen und Journalisten, sondern um ein notwendiges Arbeitsinstrument für vertiefte Recherchen handelt. Die gegenüber einem Informanten abgegebene Garantie absoluter Vertraulichkeit erleichtert den Informationsfluss, wovon letztlich die Öffentlichkeit profitiert. Damit der Quellenschutz seine positive Funktion im demokratischen Gemeinwesen erfüllen kann, ist es unabdingbar, dass er unter allen Umständen gewahrt wird. Daraus leitet sich die ethische Verpflichtung der Journalisten ab, dem Wunsch einer Behörde nach Aufdeckung der Quelle einer Information niemals stattzugeben.

14. Der Presserat drückt sein grosses Erstaunen über die Reaktion der Bundesanwältin Carla Del Ponte und ihrer Amtsstelle auf die veröffentlichte Indiskretion aus. Die Polizeiaktion hatte eindeutig Vergeltungscharakter, was implizit auch von Peter Lehmann, Pressesprecher der Bundesanwaltschaft, zugegeben wird, wenn er bestätigt, dass keine Haussuchung stattgefunden hätte, falls die „SonntagsZeitung » das ihre Ausgabe vom 4. Dezember 1994 betreffende Publikationsverbot respektiert hätte. Es gibt darüber hinaus zu denken, wenn der Informationsbeauftragte gesteht, nicht erwartet zu haben, dass die Beschlagnahme von Dokumenten die Pressefreiheit tangieren würde (vgl. oben Abschnitt E. des Sachverhalts). Dies ist umso erstaunlicher, als die Bundesanwaltschaft dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement untergeordnet ist, welches zur Zeit eine Revision der strafrechtlichen Bestimmungen zum Quellenschutz ausarbeitet. Auch wenn die bisher bekannten Ex-pertenentwürfe verschiedene Einschränkungen des Quellenschutzes vorsehen, kann hier keine dieser Ausnahmen angeführt werden. Insbesondere war die Identifikation der Informationsquelle nicht geeignet, eine Person aus einer unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben zu befreien oder auf andere Weise ein schweres Verbrechen zu verhindern (vgl. den Bericht der Expertenkommission Riklin vom April 1991).

Auch wenn das Bundesgericht das Redaktionsgeheimnis nie als Ausfluss der Presse- oder Meinungsäusserungsfreiheit anerkennen wollte, darf die Verwaltung die Haltung der politischen Behörden in diesem Punkt nicht einfach ignorieren (vgl. z.B. die Aussagen des Bundesrats in einem Bericht aus dem Jahre 1983 zur Bedeutung des Quellenschutzes; Bundesblatt 1983 II 856 und 863). Weiter könnte auf die jüngste europäische Rechtsprechung in diesem Bereich abgestellt werden. In ihrem Bericht vom 1. März 1994 betreffend die Beschwerde Nr. 17488/91 i.S. William Goodwin c. Grossbritannien zieht die Europäische Kommission für Menschenrechte in Erwägung, dass der Schutz der Informationsquellen der Journalisten ein wesentliches Instrument darstellt, damit die Presse ihre wichtige Aufgabe als „Wachhund » in einer demokratischen Gesellschaft wahrnehmen kann. Wenn die Journalisten gezwungen werden könnten, ihre Quellen zu offenbaren, wäre es viel schwieriger für sie, Informationen zu erhalten und somit auch die Öffentlichkeit über wichtige Angelegenheiten zu unterrichten. Aus dem Recht auf Meinungsäusserungsfreiheit, wie es in Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützt wird und welches das Recht auf den Empfang wie auf die Weiterverbreitung von Informationen beinhaltet, sei abzuleiten, dass jegliche diesbezügliche Einschränkung auf aussergewöhnliche Umstände zu limitieren sei, bei welchen vitale öffentliche oder private Interessen auf dem Spiel stehen würden.

Mit ihrer unangebrachten Haltung hat die Bundesanwaltschaft Zeugnis eines schweren Mangels an Sensibilität für die Mechanismen des Informationsflusses in einem demokratischen Gemeinwesen abgelegt.

III. Feststellungen

Aus diesen Gründen hält der Presserat fest:

1. Die Veröffentlichung einer Information durch die Medien ist nicht schon von vornherein ausgeschlossen, weil sie durch den Staat als vertraulich deklariert wird. Die Berufsethik steht in der Beurteilung der Veröffentlichung vertraulicher Informationen der Rechtsordnung in dem Sinn klar entgegen, als sie auf der Priorität der Öffentlichkeit, auf der vollen Recherchier-freiheit und auf der Nutzung auch vertraulicher Quellen beharrt. Der Vorrang der Ethik vor dem Recht ist jedoch nicht absolut. Wenn eine vertrauliche Information ein polizeiliches Ermittlungsverfahren berührt und ihre Offenlegung dessen Erfolgsaussichten gefährdet, kann man von Journalistinnen und Journalisten erwarten, dass sie einige Tage mit der Publikation zuwarten, falls äusserst wichtige Interessen auf dem Spiel stehen. Dies ist der Fall bei einem Ermittlungsverfahren wegen Missbrauchs des schweizerischen Territoriums für illegalen Waffenhandel. Ein Journalist darf die Länge eines Verfahrens ohne ernsthafte Anhaltspunkte dafür, dass die Behörden ihre Aufgaben nicht gehörig wahrnehmen, nicht zum Vorwand nehmen, sich über die Geheimhaltung der Ermittlungen hinwegzusetzen.

2. Das Amtsgeheimnis kann gegenüber den Journalistinnen und Journalisten nur unter klarer Darlegung der Gründe im jeweiligen Fall geltend gemacht werden. Eine solche Begründung ist für den Journalisten zur Beurteilung der Frage notwendig, ob er aus berufsethischer Sicht verpflichtet ist, sich angesichts des öffentlichen Interesses über das Publikationsverbot hinwegzusetzen. Der Presserat erachtet die abgegebene Begründung für gerade noch genügend, weshalb ihr die „SonntagsZeitung » hätte Rechnung tragen sollen.

3. Jeder Journalist, der aufgefordert wird, seine Quellen zu offenbaren, hat die Pflicht, dies kategorisch abzulehnen. Die Journalisten der „Sonntags-Zeitung » haben anlässlich der Haussuchung richtig reagiert, insbesondere indem sie die Versiegelung verlangt haben und an die Öffentlichkeit sowie die übrigen Medien gelangt sind.

4. Die von einer Verletzung des Quellenschutzes nicht direkt betroffenen Medien sind verpflichtet, aus ihrer Reserve herauszutreten und die Öffentlichkeit über die zweifelhaften Aktivitäten der betreffenden Behörde zu informieren.

5. Die Anordnung der Haussuchung durch die Bundesanwältin Carla del Ponte war in keiner Art und Weise gerechtfertigt. Selbst die ungerechtfertigte Publikation geheimer Dokumente erlaubt keine Massnahme dieser Art. Der Presserat bewertet die Reaktion der Bundesanwältin als reinen Vergeltungs-akt. Darüber hinaus ignorierte sie in schuldhafter Weise die Haltung der politischen Behörden wie auch der Europäischen Kommission für Menschenrechte zum Quellenschutz. Der Presserat kann in dieser Haltung der Bundesanwältin nichts anderes als einen schweren Mangel an Sensibilität für die Mechanismen des Informationsflusses in einem demokratischen Gemeinwesen sehen.