Nr. 4/1993
Verbreitung von privaten Telefongespächen

('Le Matin'/Diana), vom 6. September 1993

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Stellungnahme

Verbreitung von privaten Telefongesprächen

Jede Weiterverbreitung von illegal abgehörten Telefongesprächen, ob schriftlich oder akkustisch, stellt einen Verstoss gegen berufsethische Regeln dar.

Der Presserat weist darauf hin, dass die Mitglieder des britischen Königshauses zwar nur einen etwas eingeschränkten Schutz der Privatsphäre beanspruchen können, da sie zu den Personen des öffentlichen Lebens gehören. Dies rechtfertigt jedoch nicht, dass Telefone illegal abgehört, dass eine Tonbandaufnahme und ihre Abschrift kommerziell verwertet und dass eine Art Massen-Voyeurismus mit privaten Unterhaltungen betrieben wird.

Prise de position

Diffusion de conversations téléphoniques privées

Toute diffusion d’écoutes illégales de conversations téléphoniques – écrite ou acoustique – viole les règles de la profession.

Le Conseil de la presse fait observer que les membres de la famille royale britannique ont droit à une protection limitée de leur sphère privée, dans la mesure où elles appartiennent à la vie publique. Cela ne suffit cependant pas à justifier les écoutes téléphoniques illégales, ni l’usage commercial de leur enregistrement ou de leur reproduction dans la presse, ni qu’on utilise des conversations strictement privées pour susciter une sorte de voyeurisme de masse.

Presa di posizione

Diffusione di conversazioni telefoniche private

Qualunque diffusione, scritta o sonora, di una conversazione telefonica illegalmente captata rappresenta un’infrazione all’etica professionale.

Il Consiglio della stampa riconosce che i membri della famiglia reale britannica possono rivendicare una protezione relativa della loro sfera privata, in quanto personaggi della vita pubblica. Ciò non giustifica l’ascolto illegale di conversazioni telefoniche, né il loro sfruttamento commerciale o la trascrizione per un giornale, che trasformano delle conversazioni private in strumento di una specie di „guardonismo » di massa.

I. Sachverhalt

A. Ein Telefongespräch, das die Frau des britischen Thronfolgers, Prinzessin Diana, am 31. Dezember 1989 mit einem Liebhaber geführt hatte, war abgehört und im Sommer 1992 durch die englische Boulevardzeitung „Sun » veröffentlicht worden. „Sun » machte dem Publikum auch die Tonbandaufnahme zugänglich. Die Gesellschaft Telenetwork Schweiz AG in Luzern erwarb die Verbreitungsrechte dieser Tonbandaufnahme für die Schweiz. Bei ihr wiederum holte sich die Lausanner Zeitung „Le Matin » die Einwilligung, dieses Tonband ihren Leserinnen und Lesern ebenfalls zugänglich zu machen.

B. Am 4. September 1992 veröffentlichte „Le Matin » einen Auszug aus dem privaten Telefongespräch und kündigte an, dass das Publikum einen Auszug des Dialogs am Wochenende über Tonträger hören könne, und zwar in der englischen Originalversion (Tel. 156 67 76 71; 4,5 Minuten) oder in der französischen Übersetzung (Tel. 156 67 76 70; 6,5 Minuten). Gleichzeitig hatten die Anrufenden die Möglichkeit, am Schluss der Bandaufnahme kundzutun, ob sie die Prinzessin in ihrem Ehedrama für ein Opfer oder für eine Täterin hielten. Am 4. – 6. September 1992 riefen 10’705 Personen eine der beiden Nummern an. Allerdings hörten nur 2’000 den Dialog zu Ende. Von ihnen bezeichneten 60,6 Prozent Diana als Opfer, 39,4 Prozent betrachteten sie als Täterin.

C. Zwei Personen, Philippe Barreaud und Colette Muret, führten bei der berufsständischen Kammer (Conseil d’ordre professionel) der Association vaudoise des journalistes Beschwerde gegen diese Aktion von „Le Matin ». Philippe Barreaud erachtete die Ziff. 4 und 7 der „Erklärung der Pflichten und Rechte des Journalisten » als verletzt. Die angerufene berufsständische Kammer unter dem Vorsitz von Willy Heim führte ein förmliches Verfahren durch und fällte am 13. November 1992 den Entscheid, dass die Ziff. 4 und 7 der berufsethischen Regeln durch „Le Matin » verletzt worden seien.

D. Auch der Presserat beschloss noch im September 1992, den Vorfall aufzugreifen. Da aber die berufsständische Kammer der Waadtländer Journalistenvereinigung ohnehin tätig werden musste, wartete der Presserat deren Entscheid ab. Und da im förmlichen Verfahren der berufsständischen Kammer auch den Verantwortlichen von „Le Matin » Gelegenheit gegeben wurde, sich zu äussern, verzichtete der Presserat auf Anhörungen und Schriftenwechsel. Er stützte sich vielmehr auf das von der berufsständischen Kammer erhobene Material.

II. Erwägungen

1. Dürfen private Gespräche ohne Einwilligung der Beteiligten mit technischen Mitteln aufgezeichnet und Dritten weitervermittelt werden? Das schweizerische Strafgesetzbuch ist in dieser Hinsicht klar: Wer Vorgänge, die zum Privatbereich gehören, ohne Einwilligung der Betroffenen bildlich oder akustisch festhält und Dritten zugänglich macht, macht sich strafbar (Art. 179 bis und quater). Zum Privatbereich gehört nach Bundesgericht alles, was Betroffene niemandem oder nur einem kleinen Personenkreis preisgeben, insbesondere ihre Familienkonflikte, ihr Sexualleben und ihre Krankheiten.

2. Telefongespräche sind nicht öffentlich.

3. Die Waadtländische berufsständische Kammer zitiert aus einem Bundesgerichtsentscheid vom 16. April 1985, in welchem festgehalten ist, dass sich ein Mensch im Rahmen seiner persönlichen Beziehungen in aller Freiheit äussern können muss, ohne befürchten zu müssen, dass seine Aussagen, die er ohne Hintergedanken macht, gegen seinen Willen auf Band aufgenommen und missbräuchlich verwendet werden. Laut dem (nun emeritierten) Basler Strafrechtsprofessor Günter Stratenwerth verbietet das Strafrecht die Weiterverbreitung einer widerrechtlich zustandegekommenen Tonbandaufnahme auch dann, wenn sie bereits durch mehrere Hände gegangen und mittlerweile längst öffentlich geworden ist.

4. Auch die gängigen Moralvorstellungen gehen davon aus, dass die Menschen Anspruch auf einen Intim- und Privatbereich haben.

5. Bezogen auf die journalistischen Berufsregeln, müssen in der Tat die Ziff. 4 und 7 der „Erklärung der Pflichten und Rechte des Journalisten » herangezogen werden. Denn es geht um zwei Vorgänge:

a) Einerseits sind Informationen illegal beschafft worden. Es gibt Gründe dafür, dass Strafverfolgungsbehörden in bestimmten Situationen berechtigt sind, Telefone abzuhören. Es gibt aber keine Gründe dafür, dass Massenmedien direkt oder indirekt Telefongespräche abhören lassen. Das sind unlautere Methoden. Ziff. 4 der Erklärung sagt: „Er – der Journalist – bedient sich bei der Beschaffung von Informationen, Fotografien und Dokumenten keiner unlauteren Methoden. (….) ».

b) Anderseits sind Unberechtigte in eine Privatsphäre eingedrungen. Das abgehörte Telefongespräch betraf nicht ein aktuelles, brisantes politisches Geschäft von hohem öffentlichem Interesse. Es hatte keinen Stellenwert bei der Aufklärung eines Verbrechens. Es hatte intimen Charakter. Ziff. 7 der Erklärung sagt: „Er – der Journalist – respektiert die Privatsphäre des Einzelnen, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. »

6. Nun konnten die Verantwortlichen von „Le Matin » auf drei Ebenen argumentieren:

a) Zum ersten konnten sie darauf hinweisen, dass sie den illegalen Akt des Abhörens nicht selber begangen, sondern nur Nutzen daraus gezogen hatten. Der Dialog sei nun einmal auf dem Markt gewesen.

b) Zum zweiten konnten sie argumentieren, bei Mitgliedern des britischen Königshauses deren Familienverhältnisse (Zivilstand, Kinder, Kinderlosigkeit, Ehekonflikte, Scheidungen) stets Konsequenzen auf den Zustand der Monarchie haben, sei auch die Privatsphäre von öffentlichem Interesse.

c) Zum dritten konnten sie ins Feld führen, dass es zwischen der schriftlichen und der akustischen Ve
rsion des Dialogs keinen ins Gewicht fallenden Unterschied gebe. Millionen von Menschen hätten bereits die Möglichkeit gehabt, den Wortlaut des Telefongesprächs in der Presse zu lesen, auch in der Schweiz. Es sei scheinheilig, den Text zu publizieren, dann aber jene anzuklagen, die den Ton verbreiten, sagte Antoine Exchaquet, Chefredaktor von „Le Matin », gegenüber „24heures » (8.9.1992).

7. In der Tat gehören die Mitglieder des britischen Königshauses zu den Personen des öffentlichen Lebens. Ihr Anspruch auf Privatsphäre ist daher etwas eingeschränkter als bei den Menschen, die keine öffentliche Rolle spielen. Ohne Zweifel gehen ihre Verlobungen, Heiraten, Ehekonflikte, Scheidungen usw. die Öffentlichkeit etwas an. Das rechtfertigt aber noch nicht, dass Telefone illegal abgehört, dass die Tonbandaufnahme und ihre Abschrift kommerziell verwertet und dass eine Art Massen-Voyeurismus mit privaten Unterhaltungen betrieben wird.

III. Feststellungen

Aus diesen Gründen hält der Presserat fest:

1. Da allgemein bekannt war, dass das Telefongespräch von Prinzessin Diana mit ihrem Liebhaber illegal abgehört worden war, bedeutete im Grunde genommen jede Weiterverbreitung des Wortlautes, ob schriftlich oder akustisch, einen Verstoss gegen die berufsethischen Regeln im Journalismus. Diesen Verstoss haben sich zahlreiche Massenmedien zuschulden kommen lassen.

2. Da es sich um ein sehr privates Telefongespräch handelte, haben auch jene den Ziff. 7 (Achtung der Privatsphäre) der „Erklärung der Pflichten und Rechte des Journalisten » missachtet, die den Dialog bloss schriftlich publizierten. Wegen der Authenzität stellt allerdings die akustische Version einen noch stärkeren Eingriff in die Intimsphäre dar. 3. Die berufsständische Kammer der Waadtländer Journalistenvereinigung kam daher zu Recht zum Schluss, dass „Le Matin » die Ziff. 4 und 7 der „Erklärung der Pflichten und Rechte des Journalisten » verletzt habe. Der Presserat schliesst sich diesem Befund an.