Nr. 78/2012
Unzulässige Koppelung von redaktionellen Berichten und Werbung

(Vock c. «Rundschau Nord»/«Rundschau Süd») Stellungnahme des Presserates vom 6. Dezember 2012

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Zusammenfassung

Trennungsgebot krass verletzt

Darf eine Gratis-Zeitung von Parlaments-Kandidaten Geld dafür verlangen, dass sie deren politisches Programm im redaktionellen Teil wiedergibt? Selbstverständlich nicht, denn damit pervertiert sie den demokratischen Auftrag der Presse.

Doch für die Gratiszeitungen «Rundschau Nord» und «Rundschau Süd», vom Verlag Effingerhof AG in Brugg für den nordöstlichen Aargau herausgegeben, scheint genau dies ein gängiges Geschäftsmodell zu sein. Dies offenbart ein Fall, mit dem sich der Schweizer Presserat jetzt befassen musste. Im Vorfeld der Aargauer Grossratswahlen vom Herbst 2012 hatte der Verlag einzelne Politiker angeschrieben und den Abdruck ihrer Kernthesen offeriert – vorausgesetzt, die Kandidaten hätten bereits Anzeigen in den betreffenden Blättern geschaltet, würden dies umgehend tun – oder 550 Franken berappen.

Dies aber widerspricht dem Gebot der strikten Trennung zwischen redaktionellem Inhalt und Anzeigen, stellte der Presserat in einer Stellungnahme fest. Das journalistische Selbstkontroll-Organ gibt damit dem Beschwerdeführer recht, dem Aargauer Juso-Präsidenten Florian Vock. Er war einer der Empfänger des beanstandeten Verlags-Angebots.

«Das Vorgehen des Verlags Effingerhof, die Vorstellung von Kandidierenden für die Aargauer Grossratswahlen 2012 an eine wirtschaftliche Gegenleistung zu knüpfen, ist nicht nur demokratiepolitisch höchst bedenklich, sondern verstösst auch in stossender, krasser Weise gegen das Prinzip der Trennung von redaktionellen und kommerziellen Inhalten», argumentiert der Presserat. Er fordert den Verlag Effingerhof und die beiden Redaktionen dringend auf, ihre Praxis bei künftigen Wahlen zu ändern. Und präzisiert: «Wird die Publikation eines Kandidatenporträts an die Schaltung eines Inserats geknüpft, ist dieses Porträt zwingend als ‹Werbung›, ‹Inserat› etc. zu kennzeichnen.»

Résumé

Séparation entre publicité et information grossièrement ignorée

Un journal gratuit peut-il exiger d’un candidat au parlement qu’il paie pour que son programme politique paraisse dans la partie rédactionnelle? A l’évidence non, car ce faisant il pervertit le mandat démocratique de la presse.

Pour les journaux gratuits «Rundschau Nord» et «Rundschau Süd», destinés par l’éditeur Effingerhof AG à Brugg à l’Argovie du nord est, il semble au contraire s’agir là d’un modèle commercial d’usage courant. Un cas le met au grand jour, dont le Conseil de la presse été amené à se saisir. A la veille des élections au Grand Conseil argovien de l’automne 2012, l’éditeur avait écrit à certains politiciens leur offrant de publier l’essentiel de leurs thèses – à condition que les candidats aient déjà inséré des annonces dans les feuilles concernées ou prévoyaient de le faire – sinon il en coûterait 550 francs.

Cela contrevient à  l’obligation de séparer strictement le contenu rédactionnel et les annonces, constate le Conseil de la presse. L’organe d’autocontrôle des journalistes donne ainsi raison au plaignant, Florian Vock, président des jeunes socialistes d’Argovie. Il s’était vu adresser une des offres contestées de l’éditeur.

«Le procédé de l’éditeur Effingerhof consistant à lier la présentation de candidats à l’élection au Grand Conseil argovien de 2012 à une contreprestation économique n’est pas seulement des plus contestable d’un point de vue démocratique, mais contrevient de manière grossière et particulièrement choquante contre le principe de la séparation des contenus rédactionnels et commerciaux» souligne le Conseil de la presse. Il incite vivement l’éditeur et les deux rédactions à modifier leur pratique lors de prochaines élections. Et de préciser: «Si la publication du portrait d’un candidat est liée à la parution d’une annonce, ce portrait doit obligatoirement porter la mention ‹publicité›, ‹annonce›, etc.»

Riassunto

Testo e pubblicità: separati!

Un giornale gratuito può chiedere soldi o pubblicità a dei candidati a un’elezione politica, in cambio della pubblicazione del loro programma elettorale? Evidentemente no: sarebbe un pervertimento del compito della stampa in una società democratica.

I giornali gratuiti «Rundschau Nord» e «Rundschau Süd», editi dall‘Effingerhof AG di Brugg e letti nell’Argovia nord-orientale, di tale prassi avevano  fatto un affare. Il caso è stato portato da un reclamo davanti al Consiglio svizzero della stampa: risale all’elezione del Gran Consiglio dell’autunno 2012 e a uno scritto che la casa editrice aveva mandato a vari candidati, offrendosi di pubblicare il loro programma elettorale in cambio di pubblicità sul giornale, oppure almeno di un’offerta di 550 franchi.

Secondo il Consiglio della stampa, che si esprime in una recente presa di posizione, l’iniziativa è in netta contrapposizione all’obbligo di separare nettamente il contenuto di un giornale dalla parte pubblicitaria. Al reclamante – il presidente dei giovani socialisti di Argovia Florian Vock – è stata data dunque ragione. Lui pure era stato oggetto di un’offerta del genere.

«L’iniziativa della Casa editrice Effingerhof, di legare la presentazione delle candidature all’elezione del Gran Consiglio argoviese del 2012 a una controprestazione economica non è soltanto molto preoccupante dal profilo democratico – dice il Consiglio della stampa – essa contraddice in modo plateale il principio della separazione fra testo e pubblicità.» All’editore e alle due redazioni è rivolto un invito pressante perché rinuncino a tale prassi in occasione di prossime elezioni. Perciò se, ad esempio, la pubblicazione della foto di un candidato è legata a un’inserzione, non si deve omettere la scritta: «Pubblicità», oppure «Annuncio».


I. Sachverhalt

A. Am 30. August 2012 teilte der Verlag Effingerhof AG, Brugg, Herausgeber der Gratiszeitungen «General-Anzeiger» und «Rundschau» (Ausgaben Nord und Süd), dem Grossratskandidaten Florian Vock in einem Brief mit, im Oktober 2012 seien Sonderseiten zu den Aargauer Grossratswahlen geplant. «Eine ideale Plattform also, sich den Wählerinnen und Wählern mit einem Kandidatenporträt zu präsentieren.» Dem zugehörigen Talon ist zu entnehmen, dass das Kandidatenporträt gratis ist, wenn die Kandidaten entweder bereits für mindestens 550 Franken im «General-Anzeiger» Inserate disponiert haben oder bereit sind, dies noch zu tun. Wer kein Inserat schalte, den koste das Porträt 550 Franken.

B. Am 4. September 2012 beschwerte sich Florian Vock beim Schweizer Presserat über das Vorgehen der Effingerhof AG. Bereits bei den Nationalratswahlen 2011 sei den Kandidierenden ein entsprechendes Angebot gemacht worden – damals noch zum Preis von 350 Franken. Die Zeitung «Sonntag» habe am 25. September 2011 darüber berichtet. Die Porträts seien damals erschienen, ohne die Leserschaft auf die finanziellen Bedingungen aufmerksam zu machen. Zudem hätten die Kandidaten die Fragen auswählen dürfen und so die Möglichkeit gehabt, nur diejenigen zu beantworten, die ihnen besonders entsprechen. Es sei davon auszugehen, dass der Verlag 2012 ähnlich vorgehe. Zumal sich die damalige und heutige Chefredaktorin Friderike Saiger gegenüber «Sonntag» völlig unkritisch geäussert und die Beiträge im redaktionellen Teil als unproblematisch bezeichnet habe. Damit verletzten die «Rundschau Süd» und die «Rundschau Nord» insbesondere die Ziffern 10 (Vermischung
von Werbung und Information) und 11 (Journalistische Weisungen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten».

C. Am 3. Oktober 2012 wiesen Stefan Biedermann, Geschäftsleiter der Effingerhof AG, und Chefredaktorin Friderike Saiger die Beschwerde als unbegründet zurück. Die Ausgaben vom 4. Oktober 2012 von «Rundschau Süd» und «Rundschau Nord» enthielten Antworten von Grossratskandidaten zu vier Fragen. «Alle Kandidaten konnten zu den gleichen vier Fragen Stellung nehmen. Die Antworten wurden nicht gekürzt, falls die vorgegebene Textlänge nicht überschritten wurde. Kandidatinnen oder Kandidaten, deren Partei oder sie persönlich im Umfang von CHF 550 (…) während der Wahlkampfphase inserierten, wurde die Publikation der Antworten in der Ausgabe vom 4. Oktober zugesichert.» Kandidaten, die nicht inserierten, hätten hingegen keinen Anspruch auf Publikation gehabt. «Mit einem kurzen Einführungstext ist es für die Leserschaft nachvollziehbar, dass es sich nicht um eine vollständige Übersicht über alle Kandidaten handelt.»

D. Die erwähnten Ausgaben der beiden Zeitungen vom 4. Oktober 2012 porträtieren unter dem Titel «Grossratswahlen 2012» insgesamt 23 Kandidaten. Das Porträt des Beschwerdeführers ist nicht darunter. Der Einleitungstext lautet: «In der Rundschau äussern sich Kandidierende verschiedener Parteien zu wichtigen Fragen. Machen Sie sich selber ein Bild über die Kandidierenden und lesen Sie, was diesen politisch momentan am wichtigsten ist.»

E.
Der Presserat wies die Beschwerde der 1. Kammer zu, der Francesca Snider (Kammerpräsidentin), Michael Herzka, Pia Horlacher, Klaus Lange, Francesca Luvini, Sonja Schmidmeister und David Spinnler (Mitglieder) angehören.

F. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 6. Dezember 2012 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Die Richtlinie 10.1 zur «Erklärung» weist darauf hin, dass die deutliche Trennung zwischen redaktionellem Teil bzw. Programm und Werbung für die Glaubwürdigkeit der Medien unabdingbar ist. «Inserate und Werbesendungen sind gestalterisch von redaktionellen Beiträgen klar abzuheben. Sofern sie nicht optisch/akustisch eindeutig als solche erkennbar sind, müssen sie explizit als ‹Anzeigen›, ‹Werbung›, ‹Werbereportagen›, ‹Werbespots› oder durch andere dem Publikum geläufige vergleichbare Begriffe deklariert werden. Journalistinnen und Journalisten dürfen diese Abgrenzung nicht durch Einfügen von Schleichwerbung in der redaktionellen Berichterstattung unterlaufen. Die Richtlinie 10.2 (Koppelung von redaktionellen Berichten und Werbung) weist zudem darauf hin, dass redaktionelle Beiträge die als ‹Gegenleistung› zu Inseraten und Werbesendungen veröffentlicht werden, berufsethisch verpönt sind.

2. Das Vorgehen des Verlags Effingerhof, die Vorstellung von Kandidierenden für die Aargauer Grossratswahlen 2012 an eine wirtschaftliche Gegenleistung zu knüpfen, ist nicht nur demokratiepolitisch höchst bedenklich, sondern verstösst auch in stossender, krasser Weise gegen das Prinzip der Trennung von redaktionellen und kommerziellen Inhalten. Der Presserat fordert den Verlag Effingerhof und die beiden Redaktionen «Rundschau Süd» und «Rundschau Nord» deshalb dringend auf, ihre Praxis bei künftigen Wahlen zu ändern. Wird die Publikation eines Kandidatenporträts an die Schaltung eines Inserats geknüpft, ist dieses Porträt zwingend als «Werbung», «Inserat» oder ähnlich zu kennzeichnen. Versteht eine Redaktion die Vorstellung der Kandidierenden für eine Volkswahl hingegen als redaktionellen Inhalt und damit als publizistischen Service für die Leserschaft, dürfen für eine allfällige Beschränkung auf eine Auswahl von Kandidatinnen und Kandidaten nicht wirtschaftliche, sondern allein journalistische Gründe massgebend sein, beispielsweise die Relevanz einer Kandidatur.

3. Soweit der Beschwerdeführer darüber hinaus auch eine Verletzung von Ziffer 11 der «Erklärung» (Journalistische Weisungen) rügt, kommt diese Bestimmung vorliegend nicht zur Anwendung. Denn die beanstandeten Kandidatenporträts sind wie ausgeführt nicht als redaktionelle Beiträge, sondern vielmehr als bezahlte Inhalte zu betrachten.

III. Feststellungen

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen.

2. Mit der Veröffentlichung einer Auswahl von Kandidatenporträts für die Grossratswahlen 2012 in den Ausgaben vom 4. Oktober 2012 – ohne Hinweis darauf, dass die Publikation der einzelnen Porträts an die Schaltung von Inseraten oder die Bezahlung eines Entgelts gebunden war – haben der Verlag Effingerhof und die Redaktionen «Rundschau Süd» und «Rundschau Nord» die Ziffer 10 (Trennung von redaktionellem Teil und Werbung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» krass verletzt.