I. Sachverhalt
A. Am 21. Oktober 1999 strahlte der Fernsehsender TV3 in der Satiresendung „Lachsack“ einen Beitrag zu den Parlamentswahlen aus. Im ersten Teil kündigte der Moderator eine Umfrage unter Parlamentsmitgliedern zum Thema „Liebesbeziehungen im Parlament“ an. In der Folge wurden Statements von verschiedenen Parlamentsmitgliedern eingeblendet, die teilweise offensichtlich ursprünglich nicht zu dieser Frage Stellung genommen hatten.
In einem zweiten Teil des Beitrages wurde der Bildschirm zweigeteilt, wobei auf der einen Seite eine Tänzerin beim Striptease zu sehen war; auf der anderen Seite wurden Parlamentarierinnen und Parlamentarier und ihre Erläuterungen u.a. zum schweizerischen politischen System gezeigt.
Der Moderator begründete diese Bildschirmteilung mit dem Hinweis, man wolle erreichen, dass die Zuschauenden trotz der „langweiligen Aussagen“ den Parlamentsmitgliedern zuhörten und nicht wegzappten.
B. In einem Brief vom 3. November 1999 wandten sich die Parlamentsdienste an den Chefredaktor von TV3 und verlangten eine Stellungnahme zum Vorgehen der von TV3 beauftragten Produktionsfirma und zum Inhalt der Sendung. Beanstandet wurden u.a. die unrichtigen Angaben über den Zweck der Aufnahmen bei der Akkreditierung im Bundeshaus. Der Journalist D. habe eine Sendung über das politische System der Schweiz für das neuseeländische Fernsehen in Aussicht gestellt und dieses Ziel am Aufnahmetag gegenüber den Parlamentsmitgliedern auch nochmals betont. Der tatsächliche Zweck der Interviews sei verschwiegen worden. Der Inhalt des Beitrages wurde als „geschmacklos“ und vor allem für die Frauen als „beleidigend“ bezeichnet.
C. In zwei Antwortbriefen vom 14. November und 7. Dezember 1999 nahmen die Verantwortlichen von TV3 Stellung zu den Vorwürfen. Darin erklärte der Unterhaltungschef von TV3, für ihn sei der Unmut über das Verhalten des Journalisten nachvollziehbar. Auch wer ein satirisches Produkt produziere, müsse die Karten auf den Tisch legen. Die Produktionsfirma sei in diesem Sinne gerügt worden.
Der Inhalt des ausgestrahlten Satirebeitrages wurde von den Verantwortlichen verteidigt und als „Geschmacksache“ bezeichnet.
D. Am 20. Dezember 1999 gelangten die Parlamentsdienste an den Presserat. Beklagt wurden die mangelnde Transparenz, die fehlende Fairness und Ehrlichkeit im Umgang mit den Interviewpartnern, sowie die für Frauen beleidigende Darstellung mit dem geteilten Bildschirm. Konkret stellten die Parlamentsdienste die Frage, „ob das Vorgehen der Vertreter von TV3 Ziff. 4 (keine unlauteren Methoden bei der Beschaffung von Information) oder andere Ziffern der „Erklärung“ verletze.
E. In seiner Stellungnahme vom 28. Januar 2000 an den Presserat betonte der Unterhaltungschef von TV3 die Rüge an die Produktionsfirma bezüglich der Vorgehensweise bei den Interviews. Was aber das hergestellte Produkt angehe, so könne er den Unmut der parlamentarischen Dienste nicht nachvollziehen. Humor sei Geschmacksache und gerade öffentliche Personen müssten da etwas dickhäutiger sein als andere Bürgerinnen und Bürger.
F. Das Präsidium des Presserates wies den Fall der 1. Kammer zu. (Bestehend aus dem Kammerpräsidenten Roger Blum und den Mitgliedern Marie-Louise Barben, Luisa Ghiringhelli Mazza, Silvana Iannetta, Philip Kübler, Katharina Lüthi sowie Edy Salmina). Die Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 26. April 2000 sowie auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. In der Beschwerde greifen zwei berufsethische Fragestellungen ineinander: Einerseits der Lauterkeitsanspruch bei der Informationsbeschaffung und andererseits die Kritik an der satirischen Verarbeitung und Darstellung dieser Informationen.
Es stellt sich die Frage, ob für die Recherche zu satirischen Beiträgen die gleichen ethischen Anforderungen gelten wie für alle anderen journalistischen Recherchen. Ziff. 4 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ macht bei der Beschaffung von Informationen keinen Unterschied zwischen der Art des Produktes. Handle es sich um eine News-Sendung, einen Hintergrundartikel oder eben eine Satiresendung – die Lauterkeit der Methoden muss bei allen Formen gleichermassen gewährleistet sein. In Ziff. 4.5 der Richtlinien zur „Erklärung“ wird betont, dass das journalistische Interview auf einer Vereinbarung zwischen zwei Partnerinnen/zwei Partnern basiert, welche die dafür geltenden Regeln festlegen. Die Einhaltung dieser Regeln ist eine Frage der Fairness.
Im vorliegenden Fall bemängeln die Parlamentsdienste in ihrer Beschwerde, dass die Interviews unter der Vorspieglung falscher Tatsachen gemacht worden seien. Das heisst, die abgemachte Regel, nämlich die Verwendung der Statements für eine Sendung im „neuseeländischen Fernsehen“, wurde nicht eingehalten. Hinzu kommt, dass die Interviewten auch im Nachhinein nicht über den tatsächlichen Zweck der Aufnahmen informiert worden sind. Die Verantwortlichen von TV3 haben diesen Verstoss gegen die Fairness und gegen die berufsethischen Grundsätze eingesehen und ihre Produktionsfirma in der Folge gerügt.
2. In ihrer Beschwerde führen die Parlamentsdienste weiter an, dass die Aussagen der Ratsmitglieder „willkürlich manipuliert und in einem anderen Zusammenhang gebraucht“ worden seien. Damit werden Ziff. 3 und Ziff. 4 der „Erklärung“ angesprochen, in welchen den Journalistinnen/Journalisten u.a. untersagt wird, Bilder, Töne und von anderen geäusserte Meinungen zu entstellen und Bilder nicht zum Zweck der irreführenden Verfälschung des Originals zu bearbeiten. In der Tat werden im ersten Teil des Fernsehbeitrages Statements von Parlamentarierinnen und Parlamentariern eingeblendet, die ursprünglich von den Befragten kaum als Antwort auf die Frage nach den Liebesbeziehungen im Parlament gegeben worden waren. Insofern wurden diese Aussagen tatsächlich bis zu einem gewissen Grad entstellt.
Anders als bei der Beurteilung zur Lauterkeit der Recherche muss hier jedoch das Produkt, also die satirische Absicht der Sendung in die Argumentation miteinbezogen werden. Der Presserat hat in seiner Stellungnahme i.S. Medienethische Grenzen satirischer Medienbeiträge vom 7. November 1996 (Sammlung 1996, S. 104ff.) grundsätzliche Überlegungen zur Satire gemacht und dabei festgehalten, dass bei der Anwendung der ethischen Grundsätze auf satirische Medienbeiträge dieser speziellen Ausdrucksform Rechnung zu tragen ist. Satire lebt von Verzerrungen, Entstellungen und Übertreibungen.
Entscheidend ist für den Presserat in diesem Zusammenhang die Deutlichkeit der Deklaration als Satire. Die von den Parlamentsdiensten beklagte Sendung trägt den Titel „Lachsack“ und wird als „Comedyshow“ bezeichnet. Mit diesen Bezeichnungen kann davon ausgegangen werden, dass ein grosser Teil des Publikums die satirische Absicht des Beitrages erkannt hat.
3. Die inhaltliche Kritik der Beschwerdeführer richtet sich sowohl gegen die Verknüpfung der Wahlen mit der Frage nach den Liebesbeziehungen, wie auch gegen die gleichzeitige Einblendung einer Stripteasetänzerin und der Statements der Parlamentsmitglieder. Diese Darstellung sei geschmacklos und beleidigend man habe auch nach „mehrmaligem Anschauen nichts Lustiges“ daran finden können, schreiben die Parlamentsdienste.
Der Unterhaltungschef von TV3 argumentiert in seiner Stellungnahme an den Presserat mit der Narrenfreiheit, die Satire für sich in Anspruch nehmen dürfe, „auch wenn sie nicht jedermanns Geschmack und nicht unbedingt mehrheitsfähig“ sei. Im gezeigten Beitrag sei es um die Frage gegangen, was den Zuschauer mehr unterhalte, die „Aussagen der Politiker oder die freizügig bekleidete Frau“.
Der Presserat kann sich nicht zu Stil und Geschmack von Medienarbeit sondern nur zu medienethisch relevanten Aspekten äussern. S
o steht es ihm auch hier nicht zu, die Frage des guten Geschmacks oder die Qualität dieser Satire zu beurteilen.
Es stellt sich allenfalls die Frage, ob die Parlamentsmitglieder durch den Bericht diffamiert oder in ihrer Menschenwürde verletzt wurden, wie die Parlamentsdienste durch den Vorwurf der Beleidigung antönen. In Ziff. 8 der Erklärung der Rechte und Pflichten verpflichten sich Journalistinnen und Journalisten, die Menschenwürde zu respektieren und in ihrer Berichterstattung auf diskriminierende Anspielungen auch bezüglich des Geschlechts zu verzichten.
Die ausgewählten Statements der Parlamentsmitglieder haben inhaltlich keinen Zusammenhang mit der Tänzerin auf der rechten Bildhälfte. Es sind grösstenteils neutrale Aussagen zu politischen Gepflogenheiten in der Schweiz. Die Tänzerin wird durch keinerlei Kommentare in Beziehung zu den Politikern gebracht. Unter diesen Umständen und unter dem Gesichtspunkt einer möglichst grossen Freiheit der Satire sieht der Presserat hier keine Verletzung der „Erklärung.“
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.
2. Die Regeln der journalistischen Fairness und das Gebot der Lauterkeit bei der Informationsbeschaffung gelten auch für Recherchen im Zusammenhang mit satirischen Beiträgen, deren Zweck im Zeitpunkt der Recherche verschleiert wird. Bei solchen Beiträgen sind die Betroffenen spätestens vor der Veröffentlichung über den effektiven Verwendungszweck ihrer Aussagen zu orientieren. TV3 hat dies unterlassen und dementsprechend Ziff. 4 des berufsethischen Kodex verletzt.
3. Bei der Bearbeitung von Bild- oder Tonaufnahmen für satirische Beiträge besteht ein grosser Spielraum. Wichtig und entscheidend ist die klare und für die grosse Mehrheit des Publikums erkennbare Deklaration des Produktes als Satire.