Nr. 26/2001
Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung

(Referendumskomitee «Wassergasse» c. «St. Galler Tagblatt») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 17. Mai 200

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I. Sachverhalt

A. In der Stadt St. Gallen fand am 4. März 2001 eine Volksabstimmung statt, in der die Stimmberechtigten über den Verkauf von städtischen Liegenschaften an der Wassergasse zu befinden hatten. Der Käufer, ein Unternehmer und Hotelbesitzer, beabsichtigte, auf dem Grundstück neben dem ihm gehörenden «Einstein Hotel» ein Kongresszentrum mit Parkgarage zu bauen. Gegen diese Pläne opponierte das Referendumskomitee «Wassergasse».

B. Das «St. Galler Tagblatt» vom 6. Februar 2001 enthielt eine 14-seitige Beilage mit dem Titel «Einstein Kongress St. Gallen». Darin wurde Propaganda für das Kongresszentrum gemacht; daneben enthielt die Beilage auch Inserate verschiedener Firmen. Auf der letzten Seite war in einem «Impressum» als Herausgeber das «Einstein Hotel» angegeben.

C. Mit Schreiben vom 27. Februar 2001 reichten die Rechtsanwälte D. und J. namens des Referendumskomitees «Wassergasse» beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen das «St. Galler Tagblatt» ein. Sie beanstandeten, die Zeitung habe mit der Beilage «Einstein Kongress» kommerzielle Werbung mangelhaft deklariert und damit auf unzulässige Weise mit redaktionellen Leistungen vermischt. Damit habe das «St. Galler Tagblatt» gegen die Richtlinie 10.1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung» genannt) verstossen, welche eine Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung verlangt.

Im Einzelnen rügten die Beschwerdeführer, es fehle jeder Hinweis, dass es sich um eine bezahlte Werbebeilage handle. Erst auf der letzten Seite, nach mehreren Seiten Inseraten, finde sich ein kleines Impressum. Auf der ersten Seite werde mit der Bezeichnung «Tagblatt-Beilage» und der Kopfzeile «Stadtentwicklung» der Anschein erweckt, die Redaktion habe eine Sonderbeilage publiziert. Damit seien die Leser in die Irre geführt worden. Symptomatisch dafür sei, dass eine politische Partei – die Unabhängigen der Stadt St. Gallen – in einer Medienmitteilung die einseitige Stellungnahme des «Tagblatts» beanstandet habe. Sie hätte darauf im «Tagblatt» vom 9. Februar 2001 von Chefredaktor Gottlieb F. Höpli auf ihren Irrtum aufmerksam gemacht werden müssen.

Dem Impressum der Beilage sei zu entnehmen, dass auch Fotos aus dem Archiv des «Tagblatts» verwendet wurden. Die Beschwerdeführer hätten gehört, diese Bilder seien gratis zur Verfügung gestellt worden. Sollte dies zutreffen, so wäre diese Vermischung medienethisch ebenfalls zu beanstanden. Zu berücksichtigen sei schliesslich noch, dass das «St. Galler Tagblatt» als einzige Tageszeitung der Region eine Monopolstellung innehabe, deshalb seien an die Zeitung medienethisch erhöhte Anforderungen zu stellen.

D. Das Präsidium des Presserats übertrug die Beschwerde der 3. Kammer, der Catherine Aeschbacher als Präsidentin, Esther Diener Morscher, Judith Fasel, Sigmund Feigel, Roland Neyerlin, Daniel Suter und Max Trossmann angehören.

E. In seiner Beschwerdeantwort vom 5. April 2001 beantragte der Chefredaktor des «St. Galler Tagblatts», Gottlieb F. Höpli, die Abweisung der Beschwerde. Seine Zeitung habe im Januar 2001 in einem Konzeptpapier festgelegt, zur Abstimmung über die Wassergasse-Häuser keine Empfehlung abzugeben; die Argumente für und gegen das Kongresszentrum-Projekt sollten von je einem Redaktionsmitglied engagiert vorgetragen werden.

Höpli bestritt, dass Leserinnen und Leser die Beilage mit einem redaktionellen Beitrag verwechseln konnten. Das ganze Erscheinungsbild der Beilage hebe sich deutlich vom gewohnten redaktionellen Auftritt des «Tagblatts» ab. Während die «Tagblatt»-Seiten eine Breit- und fünf Schmalspalten aufwiesen, gleiche die Beilage mit dem Verzicht auf jegliche Spaltigkeit eher einem Flugblatt. Im nach zeitungsüblichen Usanzen platzierten Impressum auf der letzten Seite zeichne das «Einstein Hotel» als Herausgeber. Die St. Galler Tagblatt AG sei nur gerade für Satz und Druck verantwortlich. Ebenfalls zeitungsüblich sei es, dass drei kleine Porträts aus dem «Tagblatt»-Archiv verwendet wurden. Diese Leistung des Archivs sei ordnungsmässig verbucht worden und sei mit der Bezahlung der Beilage abgegolten.

Weiter erklärte Chefredaktor Höpli, die Beilage habe nach den Bestimmungen der Post als «Tagblatt-Beilage» gekennzeichnet werden müssen. Dies sei auch bei früheren PR-Beilagen des «Tagblatts» der Fall gewesen; dort habe man sogar den originalen Zeitungs-Schriftzug verwendet. Bei der Wassergasse-Beilage hingegen sei eine stark verfettete, also verfremdete Schrift genommen worden. Im übrigen sei sich das «Tagblatt» seiner medienethischen Verantwortung als «Monopolblatt» bewusst. Deshalb habe man im Konzeptpapier vom Januar 2001 erklärt, man wolle bei umstrittenen Abstimmungen vermehrt mit zwei Stellungnahmen (Pro- und Kontra-Kommentar) arbeiten.

F. In der Volksabstimmung vom 4. März 2001 wurde der Verkauf der drei Wassergasse-Liegenschaften an den «Einstein»-Hotelier mit grosser Mehrheit gutgeheissen.

G. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 17. Mai 2001 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. a) Die Beschwerdeführer machen geltend, das «St. Galler Tagblatt» habe gegen Richtlinie 10.1 der «Erklärung» verstossen. Diese lautet in dem für diesen Fall relevanten Teil: «Die Trennung zwischen redaktionellem Teil bzw. Programm und Werbung ist optisch und begrifflich klar zu kennzeichnen.» Die Richtlinie leitet sich ab von Ziffer 10 der «Erklärung»: «Sie vermeiden in ihrer beruflichen Tätigkeit als Journalistinnen und Journalisten jede Form von kommerzieller Werbung und akzeptieren keinerlei Bedingungen von Seiten der Inserenten.»

b) Zur Problematik der Vermischung von redaktioneller Leistung und kommerzieller Werbung hat sich der Presserat u.a. in seiner Stellungnahme 5/92 vom 31. August 1992 i.S. «Luzerner Zeitung» (Sammlung 1992, S. 41ff.) geäussert: « in Form der Kombination von Texten, die in journalistischer Form geschrieben und redaktioneller Aufmachung präsentiert und mit Inseraten mit eindeutigem gegenseitigen Bezug kombiniert werden, sind durch eine vom übrigen redaktionellen Teil abweichenden Gestaltung zu kennzeichnen. Der Kopf dieser Seiten ist mit dem Wort oder zu versehen. Ausserdem sind in einem separaten Impressum der Herausgeber und die verantwortliche Redaktion aufzuführen.»

2. Was in der Stellungnahme 5/92 über die kommerzielle Werbung gesagt wurde, gilt ebenso für die bezahlte politische Propaganda. Im Unterschied zur Stellungnahme 5/92 – wo die Beiträge über ein Shopping-Center von Mitarbeitern der Zeitung geschrieben und in ein entsprechendes Inserateumfeld gestellt worden waren – handelt es sich hier um eine Beilage, welche nicht von Redaktionsmitgliedern verfasst wurde. Auch in einem solchen Fall ist die Grenze zwischen dem redaktionellen Teil und der Werbebeilage optisch und begrifflich klar zu kennzeichnen.

3. Die Beilage «Einstein Kongress St. Gallen» unterscheidet sich mehrfach von der Gestaltung des «St. Galler Tagblatts». Die Frontseite der Beilage wirkt mit ihren Parolen in Langzeilen wie ein Abstimmungsplakat. Auf den folgenden Seiten ist der Text zwar zum Teil fünfspaltig umbrochen und in der gleichen Typografie gedruckt wie das «Tagblatt». Dennoch sind die Unterschiede augenfällig: Die Beilage verwendet Flattersatz und nicht Blocksatz wie das «Tagblatt». Alle Titel und Bildlegenden sind in einer vom redaktionellen Teil des «Tagblatts» abweichenden Schrift gesetzt. Auch im Seitenkopf sind die Schriften und deren Anordnung (Datum, Thema und Seitenzahl) nicht mit dem «Tagblatt»-Layout zu verwechseln. In ihrem schwerfälligeren Auftritt hebt sich die Beilage von der feingliedrigen Ästhetik des redaktionellen Teils des «Tagblatts» recht deutlich ab.

4. a) Anderseits können der Vermerk «Tagblatt-Bei
lage» und der Obertitel «Stadt-Entwicklung» im Kopf der ersten Seite einen Lesenden zur irrigen Auffassung verleiten, es handle sich um eine Beilage redaktioneller Art. Das Argument von Chefredaktor Gottlieb F. Höpli, die Bestimmungen der Post verlangten die Bezeichnung «Tagblatt-Beilage», trifft nur zum Teil zu. Tatsache ist, dass gemäss den Bestimmungen der Post (vgl. Post-Broschüre «Zeitungen Schweiz», Seite 25 «Zeitungsbeilagen», Ausgabe Januar 2001) mit diesem Vermerk die Zeitung mit Beilage hinsichtlich des Portos als Einheit angesehen und zusammen gewogen wird. Ohne diesen Vermerk müsste für die Beilage separat Porto bezahlt werden, und damit käme sie etwas teurer. Es sind also offenbar in erster Linie wirtschaftliche Gründe, welche das «Tagblatt» und den Auftraggeber einer Beilage jeweils zum Vermerk «Tagblatt-Beilage» veranlassen.

b) Die günstigere Zeitungs-Taxe stellt eine Subvention der Presse durch die Post dar. Die für den vorliegenden Fall relevanten Bestimmungen der Post lauten: Ins Gesamtgewicht der jeweiligen Zeitung einbezogen werden «lose Beilagen, die im Abonnement inbegriffen sind, redaktionelle Beiträge von mindestens 15% aufweisen und von der entsprechenden Zeitung stammen. Verlag und Redaktion sind im Impressum aufzuführen. Auf diese Weise kennzeichnen Verlag und Redaktion die Beilage als eigene redaktionelle Leistung und übernehmen die rechtliche Verantwortung für deren Inhalt. (…) Wird kein Impressum angebracht, sind die Beilagenpreise zu bezahlen.» Bezahlte Propaganda, die in keinem inneren Zusammenhang mit dem redaktionellen Teil der Zeitung steht und die Zeitung nur als Transportmittel benutzt, hat somit keinen Anspruch auf die ermässigte Zeitungstaxe. Der Umstand, dass die Zeitung eine Beilage druckt, ändert daran nichts. Massgebend ist, ob die Beilage eine redaktionelle Eigenleistung der Zeitung ist oder nicht.

c) Nun legt aber der Chefredaktor des «St. Galler Tagblatts» Wert auf die Feststellung, dass die «Einstein-Kongress»-Beilage gerade nicht von der Redaktion produziert worden ist. Damit stellt sich die Frage, ob der Vermerk «Tagblatt-Beilage» eine Irreführung ist. Eine allfällige Täuschung der Post zur Umgehung höherer Taxen braucht den Presserat nicht zu beschäftigen. Er hat nur den Eindruck zu beurteilen, den die Beilage auf die Leserschaft macht.

5. Als Beweis dafür, dass das Publikum die Beilage als redaktionellen Beitrag des «Tagblatts» auffassen konnte, nennen die Beschwerdeführer den Protest der Unabhängigen der Stadt St. Gallen. Diese Partei bekämpfte das Bauprojekt. Es ist unwahrscheinlich, dass ausgerechnet eine politisch engagierte Gruppe die Propaganda ihrer Gegenpartei so oberflächlich zur Kenntnis nimmt, dass sie ein Impressum auf der letzten Seite übersieht und dem Irrtum verfällt, hier äussere sich die Redaktion der Zeitung. Wahrscheinlicher erscheint, dass die Unabhängigen verärgert waren, weil die finanziell potente Firma Einstein Hotel eine derart umfangreiche Beilage durch das «Tagblatt» verteilen lassen konnte.

6. a) Welchen Eindruck aber erweckt die Beilage auf durchschnittliche Leserinnen und Leser, die nicht direkt am Abstimmungskampf beteiligt sind? Sicher ist, dass sich die Beilage optisch klar vom «Tagblatt» abhebt. Doch genügt dies? Laien achten weniger auf typografische und Layout-Unterschiede. Um die Verwechslung von Werbung mit redaktionellen Texten auszuschliessen, pflegt darum auch das «St. Galler Tagblatt» Inseratanschlüsse auf redaktionellen Seiten mit einer Linie und dem Hinweis »Anzeige» abzugrenzen. Folglich müsste diese Art der expliziten Abgrenzung auch dort gemacht werden, wo ein ganzer Zeitungsbund aus kommerzieller oder politischer Werbung besteht. Dies könnte z.B. in einem Kästchen im redaktionellen Teil bestehen, das darauf hinweist, dass dieser Ausgabe der Zeitung eine Werbebeilage der Firma «Einstein Hotel» beiliegt.

b) Die – wenn auch kleingedruckte – Bezeichnung «Tagblatt-Beilage» und der Obertitel «Stadtentwicklung» suggerieren jedoch eher das Gegenteil, als handle es sich um eine redaktionelle Eigenleistung. Für Fremdbeilagen aber ist der Vermerk «Tagblatt-Beilage» – wie oben unter Ziff. 4. b) dargelegt – geradezu eine Fehldeklaration. Hinzu kommt, dass einzelne Seiten (3, 4, 5, 9 Textbeiträge enthalten, wie sie auch in einer redaktionellen Beilage über «Stadtentwicklung» möglich wären. Ein Impressum am Schluss, nach mehreren Inserateseiten, ist kaum geeignet, den nicht gänzlich auszuschliessenden Irrtum gewöhnlicher Zeitungsleser zu verhindern.

7. Aus diesen Gründen ist die Trennung zwischen dem redaktionellen Teil des «St. Galler Tagblatts» vom 6. Februar 2001 und der Beilage «Einstein Kongress St. Gallen» begrifflich nicht genügend klar gekennzeichnet.

8. Offensichtlich unbegründet ist demgegenüber die weitere Rüge der Beschwerdeführer, wonach Ziff. 10 der «Erklärung» zusätzlich auch dadurch verletzt wäre, falls das St. Galler Tagblatt tatsächlich die für die Beilage verwendeten Archivbilder gratis zur Verfügung gestellt haben sollte. Abgesehen davon, dass dies von der Beschwerdegegnerin bestritten wird, ist darauf hinzuweisen, dass es unter dem Gesichtspunkt der journalistischen Berufsethik nicht relevant sein kann, zu welchem Preis ein Verlag eine kommerzielle Dienstleistung im Zusammenhang mit einer Werbebeilage verrechnet. Entscheidend ist allein, wie mehrfach ausgeführt, ob die Werbebeilage optisch und begrifflich in einer für die Leserschaft klar ersichtlichen Weise vom redaktionellen Teil abgegrenzt wird.

III. Feststellungen

1. Ebenso wie bei kommerziellen Werbebeilagen ist bei politischer Propaganda, die einem Presseerzeugnis beigelegt wird, die Grenze zwischen dem redaktionellen Teil und der Beilage optisch und begrifflich klar zu kennzeichnen.

2. Die Beilage «Einstein Kongress St. Gallen» grenzt sich zwar optisch recht deutlich vom redaktionellen Teil des «St. Galler Tagblatts» vom 6. Februar 2001 ab. Jedoch ist die begriffliche Abgrenzung ungenügend. Insbesondere die Bezeichnungen «Tagblatt-Beilage» und «Stadtentwicklung» suggerieren, es handle sich um eine redaktionelle Eigenleistung.

3. Damit verstösst das «St. Galler Tagblatt» gegen die Richtlinie 10.1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten», weshalb die Beschwerde insoweit gutzuheissen ist. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.