Nr. 50/2004
Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung

(Grüne Partei des Kantons St. Gallen c. «Gossauer Zeitung») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 22. Oktober 2004

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I. Sachverhalt

A. Am 14. Februar 2004 gelangte die anwaltlich vertretene Grüne Partei des Kantons St. Gallen mit einer Beschwerde an den Presserat. Sie beanstandete das Verhalten der «Gossauer Zeitung» im Vorfeld der Kantonsratswahlen, die im Kanton St. Gallen im März 2004 stattfanden. In der Ausgabe vom 13. Februar 2004 habe die «Gossauer Zeitung» die Kandidat/innen des Wahlkreises St. Gallen und ihre Parteien präsentiert. Zu diesem Wahlkreis gehörte neuerdings auch die Gemeinde Gossau. Die Grüne Partei sei in dieser Ausgabe – zusammen mit den anderen Parteien – nur auf Seite 1 kurz vorgekommen. Hingegen fehlten die Kandidatinnen und Kandidaten der drei Grünen Listen im separaten Bund, in dem sämtliche Kandidat/innen und Kandidaten der übrigen Parteien mit Bildern und Stichworten kurz vorgestellt wurden. Dies deshalb, weil sich die Grüne Partei im Vorfeld weigerte, für jede Eintragung mit Bild, Name, Vorname, Jahrgang, Beruf und Wohnort 30 Franken (zuzüglich MWST) zu bezahlen. Bei insgesamt 60 Kandidierenden hätte dies immerhin Fr. 1800.– (zuzüglich MWST) ausgemacht. Die Grüne Partei habe unter diesen Umständen darauf verzichtet, vom Angebot der «Gossauer Zeitung» Gebrauch zu machen.

Da die «Gossauer Zeitung» die Porträts der Kandidierenden der anderen Parteien in der Folge nicht als Werbung deklarierte, habe sie die Richtlinie 10.1 zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung) verletzt. Zudem sei das Vorgehen der Zeitung bei der Wahlausgabe geeignet, den Meinungspluralismus (Richtlinie 2.2 zur «Erklärung») zu gefährden. Schliesslich sei auch das Unabhängigkeitsgebot (Richtlinie 9.1 zur «Erklärung») verletzt worden, da sich die Journalistinnen und Journalisten der «Gossauer Zeitung» im Ergebnis für redaktionelle Arbeit hätten bezahlen lassen.

B. In einer Stellungnahme vom 27. März 2004 machte der Redaktor der «Gossauer Zeitung», Franz Schildknecht, geltend, die Wahlbeilage sei Sache des Verlags bzw. der Inserateabteilung gewesen. Die Parteien seien im Voraus über die Kosten von Fr. 30.– / Porträt orientiert worden. Er räumte aber ein, dass es richtig gewesen wäre, die Wahlbeilage als «Anzeige» oder als «Werbung» zu bezeichnen. Doch sei dafür wohl nicht der Redaktor, sondern der Verlag bzw. die Inserateabteilung zuständig.

C. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder sonstwie von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.

D. Am 30. März 2004 erklärte der Presserat den Schriftenwechsel als geschlossen und teilte den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium, bestehend aus dem Präsidenten Peter Studer sowie den Vizepräsidentinnen Sylvie Arsever und Esther Diener-Morscher behandelt.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 22. Oktober 2004 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. a) Die Beschwerdeführerin macht vorab geltend, die «Gossauer Zeitung» habe gegen die Richtlinie 10.1 zur «Erklärung» (Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung) verstossen. Diese lautet in dem für diesen Fall relevanten Teil: «Die Trennung zwischen redaktionellem Teil bzw. Programm und Werbung ist optisch und begrifflich klar zu kennzeichnen.» Die Richtlinie leitet sich ab von Ziffer 10 der «Erklärung»: «Sie vermeiden in ihrer beruflichen Tätigkeit als Journalistinnen und Journalisten jede Form von kommerzieller Werbung und akzeptieren keinerlei Bedingungen von Seiten der Inserenten.»

b) Die von der «Gossauer Zeitung veröffentlichte Zusammenstellung von Kandidierenden für den St. Galler Kantonsrat im Wahlkreises St. Gallen kann grundsätzlich sowohl als redaktionelle Leistung wie als politische Werbung konzipiert werden. Die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen» macht den Redaktionen keine Vorgaben darüber, dass beispielsweise eine Wahlvorschau auch die Veröffentlichung der Porträts von sämtlichen Kandidat/innen aller Parteien umfassen müsste. Ebenso ist politische Werbung in den Medien in den unterschiedlichsten Formen weit verbreitet und fällt – vorbehältlich der berufsethisch zwingenden redaktionellen Stellungnahme bei diffamierenden und/oder menschenverachtenden Inseraten – in den Verantwortungsbereich des Verlags (vgl. hierzu zuletzt die Stellungnahme 28/2004).

c) Sofern die für einen Unkostenbeitrag von Fr. 30.– pro Kandidat/in veröffentlichten Porträts sowohl optisch und begrifflich für die Leserschaft unverwechselbar als politische Werbung gekennzeichnet gewesen wären, gäbe es an dieser Publikation aus berufsethischer Sicht nichts zu beanstanden (vgl. dazu bereits die Stellungnahme 26/2001). Wie auch der Redaktor der «Gossauer Zeitung» einräumt, fehlt es vorliegend jedoch bereits an der korrekten Bezeichnung. Stattdessen wird bereits auf der Titelseite mit einem Kasten («Region. Die ÐGoZð stellt Kandidierende unseres Wahlkreises vor») auf die Werbung der Parteien für ihre Kandidat/innen wie auf eine redaktionelle Seite hingewiesen. Ebensowenig geben die Aufmachung (Rubriktitel «Kantonsratswahlen») und die typographische Darstellung den Leserinnen und Lesern einen Hinweis darauf, dass die Veröffentlichung der Inhalte von der Bezahlung eines Entgelts abhängig war. Dementsprechend hat die «Gossauer Zeitung» die Richtlinie 10.1 zur «Erklärung» eindeutig verletzt. Auch wenn der verantwortliche Redaktor dazu geltend macht, die entsprechende Abgrenzung und Kennzeichnung sei Sache des Verlages gewesen, wäre er berufsethisch doch zumindest verpflichtet gewesen, entsprechend auf die Verantwortlichen einzuwirken.

2. a) Die Grüne Partei des Kantons St. Gallen rügt darüber hinaus eine Verletzung der Richtlinien 2.1 (Meinungspluralismus) und 9.1 (Unabhängigkeit) zur «Erklärung». Die entsprechenden Bestimmungen lauten:

Richtlinie 2.2 Meinungspluralismus

Der Meinungspluralismus trägt zur Verteidigung der Informationsfreiheit bei. Er ist notwendig, wenn sich ein Medium in einer Monopolsituation befindet.

Richtlinie 9.1 Unabhängigkeit

Die Wahrung der Unabhängigkeit der Journalistinnen und Journalisten ist für die Verteidigung der Pressefreiheit unabdingbar. Die Wahrung der Unabhängigkeit erfordert ständige Wachsamkeit. Die Annahme von individuellen Einladungen und Geschenken ist zulässig, sofern diese das übliche Mass nicht übersteigen. Dies gilt sowohl für berufliche als auch für soziale Beziehungen. Die Recherche von Informationen und ihre Veröffentlichung darf durch die Annahme von Einladungen oder Geschenken niemals beeinflusst werden.

b) Die Beschwerdeführerin macht unter dem Gesichtspunkt des Meinungspluralismus sinngemäss geltend, das Vorgehen der «Gossauer Zeitung» führe zu einer Verfälschung der Wahlberichterstattung. Falls dieses Beispiel Schule machen sollte, würden Parteien, die nicht über das notwendige Wahlkampfbudget verfügen, in der Wahlkampfberichterstattung benachteiligt. Dies mag zutreffen, wenn – wie vorliegend – politische Werbung ungenügend als solche gekennzeichnet und vom redaktionellen Teil getrennt wird. Wird hingegen politische Werbung korrekt als solche deklariert, kann aus der Richtlinie 2.1 jedenfalls nicht abgeleitet werden, dass die «Gossauer Zeitung» verpflichtet gewesen wäre, die Porträts sämtlicher Kandidierenden – auch von den Parteien, die sich weigerten, den Unkostenbeitrag von 30 Franken pro Kandidat/in zu bezahlen – in ihrem redaktionellen Teil zu veröffentlichen.

Der Presserat hat in seiner Stellungnahme 26/2000 festgehalten, dass Medien – auch wenn politische Parteien einen legitimen Anspruch auf ein Mindestmass an medialer Aufmerksamkeit haben – berufset
hisch nicht verpflichtet sind, in ihrer Wahlberichterstattung immer auch über sämtliche Einzelkandidaturen zu berichten. Vorliegend hat die «Gossauer Zeitung» in ihrer Ausgabe vom 13. Februar 2004 in einem redaktionellen Beitrag auf der Titelseite bloss sämtliche Wahllisten (einschliesslich der drei Listen der Grünen Partei), nicht aber sämtliche Kandidatinnen und Kandidaten kurz vorgestellt. Dementsprechend liegen dem Presserat keine Anhaltspunkte vor, die auf eine Diskriminierung der Kandidatinnen und Kandidaten der Grünen Partei im redaktionellen Teil der «Gossauer Zeitung» hindeuten würden. Eine Verletzung der Richtlinie 2.1 zur «Erklärung» ist deshalb zu verneinen.

c) Schliesslich geht es bei der Ziffer 9 der «Erklärung» und der zugehörigen Richtlinie 9.1 im Gegensatz zur Ziffer 10 der «Erklärung» und den entsprechenden Richtlinien um die persönliche und nicht um die strukturelle Unabhängigkeit der Medienschaffenden. Die Beschwerdeführerin macht nicht geltend, Franz Schildknecht ziehe aus der von ihm verfassten Berichterstattung direkte persönliche Vorteile pekuniärer oder anderweitiger Natur. Wie oben unter Ziffer 1 der Erwägungen ausgeführt, hat sich zudem die «Gossauer Zeitungen» nicht für redaktionelle Arbeit von den Parteien bezahlen lassen, sondern vielmehr von der Inserateabteilung eingeholte politische Inserate fälschlicherweise nicht als solche deklariert und vom redaktionellen Teil abgegrenzt und ihnen so den falschen Anschein redaktioneller Inhalte gegeben. Unter dem Gesichtspunkt der persönlichen Unabhängigkeit problematisch erscheint hingegen höchstens die von Franz Schildknecht in der Beschwerdeantwort erwähnte eigene Zugehörigkeit zum Kantonsrat bei gleichzeitiger – wenn auch sehr allgemein gehaltener – Berichterstattung zum gleichen Thema. Dieser Aspekt ist aber von der Grünen Partei des Kantons St. Gallen in ihrer Beschwerde nicht beanstandet worden und damit vom Presserat vorliegend nicht zu bewerten.

III. Feststellungen

1. Die «Gossauer Zeitung» wäre verpflichtet gewesen, die Wahlbeilage vom 13. Februar 2004 optisch und begrifflich vom redaktionellen Teil abzugrenzen und als bezahlte Werbung zu kennzeichnen. In diesem Sinne wird die Beschwerde teilweise gutgeheissen.

2. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.