Nr. 47/2009
Suizidberichterstattung

(X. c. «SonntagsBlick») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 11. September 2009

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Zusammenfassung

Resumé

Riassunto

I. Sachverhalt

A. Am 30. November 2008 berichtete der «SonntagsBlick» unter dem Titel «Blochers Neffe erschiesst sich mit dem Sturmgewehr» über ein «Familiendrama im Zürcher Oberland». Der Lead lautet: «Der Tod von Pascal (25) löst Bestürzung und Trauer aus. Auch bei Christoph Blocher. Dennoch, findet der alt Bundesrat, sollen Soldaten ihre Waffen zu Hause behalten dürfen.» Dem Bericht ist zu entnehmen, SVP-Vizepräsident Christoph Blocher und seine Frau Silvia hätten an der Trauerfeier teilgenommen und einen Kranz mit Schleife niedergelegt. «Pascals Tod hat in der Umgebung seines Wohnorts Bestürzung ausgelöst. Nicht einmal seine engsten Freunde können den Selbstmord verstehen, noch viel weniger waren sie darauf vorbereitet. Nur Stunden vor seinem Tod spielte Pascal noch in der 4. Liga Fussball (…) Als Justizminister bekämpfte Blocher, wie die SVP, jede Verschärfung des Waffengesetzes: ‹Es ist sehr umstritten, ob ein restriktiveres Waffengesetz überhaupt den Waffengebrauch verhindert oder nicht›, sagte der damalige Bundesrat 2006 vor dem Ständerat. Auch das Volksbegehren ‹Schutz vor Waffengewalt› (Armeewaffen ins Zeughaus) lehnt Blocher ab: ‹Die Initiative bedeutet einen Angriff auf den Bürger-Soldaten, der sein Gewehr zu Hause hat. (…) ‹SonntagsBlick› traf Christoph Blocher gestern an der SVP-Delegiertenversammlung in Dietikon ZH. Pascals Tod habe ihn sehr mitgenommen, sagte er. ‹Es plagt einen sehr, wenn sich ein junger Mensch das Leben nimmt.› Dennoch hält der SVP-Politiker an seiner Meinung zum umstrittenen Thema fest. ‹Die Waffen müssen beim Soldaten sein. Wer sich umbringen will, findet auch andere Möglichkeiten.›»

B. Am 16. Januar 2009 gelangte der anwaltlich vertretene X., der Vater des Verstorbenen, mit einer Beschwerde gegen den Bericht des «SonntagsBlick» an den Presserat. Selbst wenn der Bericht über den Suizid seines Sohnes bezwecke, auf ein ungelöstes Problem aufmerksam zu machen, wäre es weder notwendig gewesen, den Namen des Verstorbenen zu nennen, noch seine engsten Freunde, den Fussballclub und seinen Fussballtrainer zu zitieren. Mit dem die Intim- und Privatsphäre der nächsten Verwandten des Verstorbenen in ungebührlicher Weise verletzenden Artikel habe die Zeitung gegen die Richtlinie 7.9 zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstossen

C. Am 1. April 2009 wies die anwaltlich vertretene Redaktion des «SonntagsBlick» die Beschwerde als unbegründet zurück. Die im beanstandeten Bericht enthaltenen Fakten seien unbestritten. Der Artikel nenne weder den Familiennamen des Verstorbenen noch den Ort im Zürcher Oberland, wo die Beerdigung stattfand, den Wohn- und Sterbeort noch den Namen des Fussballclubs und der weiteren Personen aus diesem Umfeld. Aufgrund der publizierten Angaben sei eine Identifizierung des Sohns des Beschwerdeführers ausgeschlossen. Der Selbstmord stehe zudem in direktem Zusammenhang zu einer politischen Debatte, in der Christoph Blocher eine klare Position einnehme, an der er trotz des tragischen Vorfalls festhalte.

D. Am 7. April 2009 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Esther Diener-Morscher und Vizepräsident Edy Salmina.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 11. Sepember 2009 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Ziffer 7 der «Erklärung» auferlegt den Journalistinnen und Journalisten die Pflicht, die Privatsphäre des Einzelnen zu respektieren, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil gebietet. Aus dieser Bestimmung leitet der Presserat in ständiger Praxis ab, dass Medien – vorbehältlich von begründet Ausnahmen – in der Regel nicht identifizierend berichten, wenn die Berichterstattung in die Privatsphäre eingreift. Für die Berichterstattung über Suizide fordert die Richtlinie 7.9 explizit «grösste Zurückhaltung». Dies weil entsprechende Berichte nicht nur die Privat-, sondern die Intimsphäre berühren.

2. Die Richtlinie 7.6 hält für Namensnennung und identifizierende Berichterstattung fest, Journalistinnen und Journalisten sollten auf Angaben verzichten, die eine Identifikation von Betroffenen durch Dritte ermöglichen, die nicht zu Familie, sozialem oder beruflichem Umfeld gehören. Dies gilt auch für die Suizidberichterstattung. Der Suizid gehört zwar nach wie vor zu den gesellschaftlichen Tabus, wird aber in der Öffentlichkeit vermehrt diskutiert. Sofern ein Medienbericht die Privatsphäre der Betroffenen respektiert, auf intime und herabsetzende Einzelheiten verzichtet sowie das Risiko von Nachahmungstaten vermeidet, darf über einen Suizid berichtet werden (Stellungnahme 1/2003). Insbesondere wenn wie vorliegend ein Zusammenhang zu einer öffentlichen Auseinandersetzung besteht: nämlich zur Frage, ob Armeewaffen von den Soldaten weiterhin zu Hause oder ob sie nicht besser in den Zeughäusern aufbewahrt werden sollen.

3. Der «SonntagsBlick» nennt zwar den Vornamen, das Verwandtschaftsverhältnis, die Region (Zürcher Oberland) sowie die Tatsache, dass der Verstorbene in der 4. Liga Fussball spielte. Wer ihn aufgrund der Zugehörigkeit zu Familie, sozialem oder beruflichem Umfeld nicht bereits kennt, kann ihn aber allein aufgrund der im beanstandeten Bericht enthaltenen Angaben nicht identifizieren.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Der «SonntagsBlick» hat mit der Veröffentlichung des Artikels «Blochers Neffe erschiesst sich mit dem Sturmgewehr» in der Ausgabe vom 30. November 2008 die Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Suizid) nicht verletzt.

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