I. Sachverhalt
A. Im Zusammenhang mit einem Artikel über den Jean-Frey-Verlag führte «Cash»-Redaktor Andreas Schaffner ein schriftliches Interview mit dem Hauptaktionär Tito Tettamanti. Dazu sandte Schaffner Tettamanti am 24. Februar 2004 per E-Mail eine Liste mit zwölf Fragen. Sie betrafen einerseits Tettamantis Investition und Engagement beim Jean-Frey-Verlag, andererseits die Situation der «Weltwoche» nach der Kündigung von Chefredaktor Roger Köppel, die wenige Tage zuvor bekannt geworden war. Tettamantis Antworten trafen am 25. Februar bei der «Cash»-Redaktion ein. Am Ende der E-Mail fügte Tito Tettamanti ein vollständiges Veränderungsverbot ein. Elf Minuten später bedankte sich Andreas Schaffner in einer kurzen Mail für die «sehr interessanten und ausführlichen Antworten».
B. Am 26. Februar 2004 erschien «Cash» mit dem Artikel «Wachstumsfantasien beim Weltwoche-Verlag» auf Seite 15; daneben stand das Interview mit Tito Tettamanti (Titel: «Roger Köppels Weggang kommt zu früh»). Von den zwölf Fragen und Antworten hatte die Redaktion drei weggelassen; zwei weitere Fragen hatte Tettamanti selbst in einer Antwort zusammengefasst. Am 1. März 2004 wurde Tettamantis Anwalt per E-Mail bei der «Cash»-Redaktion vorstellig und drohte mit einer Beschwerde beim Presserat «wegen Verletzung der Spielregeln des journalistischen Interviews». Vor einem solchen Schritt gebe er aber der Redaktion Gelegenheit, die Sache in der nächsten Ausgabe von «Cash» zu korrigieren. Die «Cash»-Redaktion, bzw. deren Anwalt, lehnte mit Schreiben vom 5. März 2004 die verlangten Korrekturen ab.
C. Mit Eingabe vom 26. März 2004 reichte der Anwalt von Tito Tettamanti beim Presserat Beschwerde gegen die Redaktion «Cash» und Andreas Schaffner ein. Der Beschwerdeführer rügte, «Cash» habe mit der Kürzung des Interviews gegen Ziffer 4 und Richtlinie 4.5 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung» genannt) verstossen. Die Kürzungen hätten zum Teil die Hauptaussagen des Beschwerdeführers entstellt. In der schliesslich publizierten Fassung wäre das Interview vom Beschwerdeführer nicht autorisiert worden. Der Hinweis, dass der Interviewtext nur vollständig abgedruckt werden dürfe, sei mit roter Farbe deutlich gemacht worden. Und mit dem Dankesschreiben des Redaktors unmittelbar nach Eintreffen der Interview-Antworten sei «konkludent eine Vereinbarung über die vollständige Drucklegung des Interviews zustande gekommen».
D. In seiner Beschwerdeantwort vom 3. Mai 2004 bestritt der Anwalt der «Cash»-Redaktion, dass die Kürzungen die Aussagen des Beschwerdeführers entstellt hätten. Der Gehalt dessen, was der Beschwerdeführer gesagt habe, stehe in der gedruckten Version klar und eindeutig. Aus diesem Grunde sei die Beschwerde abzuweisen.
E. Das Presseratspräsidium übertrug die Beschwerde zur Behandlung der 3. Kammer, der Esther Diener-Morscher als Präsidentin sowie Judith Fasel, Gina Gysin, Peter Liatowitsch, Roland Neyerlin, Daniel Suter und Max Trossmann als Mitglieder angehören.
F. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 17. Juni 2004 und auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Ziffer 4 und Richtlinie 4.5 der «Erklärung». Ziffer 4 verbietet allgemein die Anwendung unlauterer Methoden bei der Beschaffung von Informationen. Richtlinie 4.5 befasst sich mit der Interview-Situation, vor allem mit dem Interviewgespräch und der folgenden Autorisierung der Schriftfassung. Doch einige der Normen gelten auch für das schriftliche Interview. So die einleitenden Feststellungen: «Das journalistische Interview basiert auf einer Vereinbarung zwischen zwei Partnerinnen/Partnern, welche die dafür geltenden Regeln festlegen. Die Einhaltung dieser Regeln ist eine Frage der Fairness.» Ebenso muss es aber auch bei schriftlich abgegebenen Interviews möglich sein, diese zu kürzen und zu bearbeiten, soweit dadurch die Hauptaussagen nicht entstellt werden. Schliesslich gilt analog zum gestalteten mündlich geführten Interview die Vorlage des zur Veröffentlichung vorgesehenen Textes – vorbehältlich einer anderslautenden Vereinbarung zwischen den Parteien – als Regel. Schliesslich hat der Presserat in seiner grundlegenden Stellungnahme 1/96 darauf hingewiesen, dass schriftliche Interviews an sich schon problematisch sind, weil sie dem Interviewer keine Gelegenheit zur klärenden Nachfrage geben; sie denaturieren in diesem Sinne den Typus Interview, der ein aktueller Diskurs sein sollte.
2. a) Da unbestritten ist, dass die «Cash»-Redaktion am Interview mit dem Beschwerdeführer Kürzungen vorgenommen hat, ist zunächst zu klären, ob und falls ja, was hinsichtlich Korrektur und Autorisierung zwischen den Parteien vereinbart worden ist.
b) Soweit für den Presserat aus den Akten ersichtlich hat Andreas Schaffner im Februar 2004 das Sekretariat von Tito Tettamanti im Hinblick auf ein vorgesehenes Interview im Zusammenhang mit dem Rücktritt von Roger Köppel als Chefredaktor der «Weltwoche» telefonisch kontaktiert. Das Sekretariat beschied ihm offenbar, die Interviewfragen schriftlich zu stellen. Daraufhin unterbreitete der Redaktor Tito Tettamanti am 24. Februar 2004 per E-Mail via dessen Sekretariat einen Katalog mit 12 Fragen. Am 25. Februar 2004 retournierte das Sekretariat von Tettamanti die schriftlich beantworteten Fragen mit folgendem Zusatz: «Zur Beachtung: Dieser Text kann nur vollständig und ohne Änderungen, Weglassung von einzelnen Antworten oder Teilen derselben gedruckt werden.» Schaffner bedankte sich wiederum per E-Mail umgehend bei Tettamanti «ganz herzlich für die sehr interessanten und ausführlichen Antworten».
c) Nach Auffassung von Tito Tettamanti hat «Cash» mit diesem Dankesmail den integralen Abdruck akzeptiert. Demgegenüber hält «CASH» dafür, der Hinweis auf den Wunsch von Tettamanti auf unveränderten Abdruck sei berufsethisch unbeachtlich. Denn aus einem bloss 10 Minuten nach Erhalt einer E-Mail versandten Antwortmail könne kein konkludentes Einverständnis mit einer unveränderten Publikation abgeleitet werden.
d) Der Presserat hat in der Stellungnahme 19/99 zum Abdruck von Leserbriefen festgehalten, dass die Redaktion vor der Publikation eines gekürzten Leserbriefes das Einverständnis der Autorin einholen muss, wenn diese zuvor ausdrücklich den integralen Abdruck verlangt hat. Dieser Grundsatz kann allerdings nicht eins zu eins auf das schriftliche Interview übertragen werden. Denn im Gegensatz zu einer in der Regel zuvor unabgesprochenen Zusendung einer Leserzuschrift an die Redaktion mit der Offerte den Text «tel quel» oder gar nicht abzudrucken, ging dem Versand der Interviewantworten von Tito Tettamanti offenbar immerhin bereits eine grundsätzliche Vereinbarung der Parteien voraus, ein Interview in schriftlicher Form zu führen. Vorbehältlich einer anderslautenden Absprache der Parteien musste dem Beschwerdeführer, wie oben unter Ziffer 1 der Erwägungen ausgeführt, damit klar sein, dass mit redaktionellen Korrekturen zu rechnen war. Ebenso durfte er aber davon ausgehen, dass ihm diese vor der Drucklegung noch einmal unterbreitet würden. Eine solche anderslautende Vereinbarung im Zusammenhang mit der ursprünglichen Interviewanfrage wird von keiner der Parteien geltend gemacht oder belegt. In den dem Presserat vorliegenden Dokumenten deutet jedenfalls nichts darauf hin, dass der Beschwerdeführer bei der telefonischen Interviewanfrage zur Bedingung gemacht hatte, sein Interview dürfe nur gänzlich ungekürzt gedruckt werden. Auch die Beschwerdeschrift behauptet das nicht. Somit ist das Kürzungsverbot erst nachträglich vom Beschwerdeführer einseitig stipuliert worden. Von einer Vereinbarung kann demnach noch nicht die Rede sein. Denn ebensowenig enthielt das kurze Schreiben des Beschwerdegegners,
wenige Minuten nach Eintreffen der Interview-Antworten, die für eine Vereinbarung nötige Willenserklärung. Der Redaktor bedankte sich darin bloss «ganz herzlich für die sehr interessanten und ausführlichen Antworten».
e) Im Ergebnis kann sich Tito Tettamanti deshalb – vorbehältlich der nachfolgend unter der Erwägung 3 vorzunehmenden detaillierten Prüfung der redaktionellen Bearbeitung – zumindest im Grundsatz nun nicht nachträglich darüber beschweren, dass «Cash» an seiner «unveränderlichen» Fassung noch redaktionelle Korrekturen und Änderungen vorgenommen hat. Wenn es darum geht, einen Text in eine Zeitungsseite einzufügen, gibt es oft im letzten Moment noch vom Layout her Probleme, und der Text muss der Form angepasst werden. Ob dies auch beim Interview mit dem Beschwerdeführer – das genau eine Spalte füllt – so gewesen ist, kann offen bleiben. Ein gänzliches Kürzungsverbot ist jedenfalls lebensfremd und gar nicht realisierbar. Vorliegend waren nicht alle Antworten – insbesondere die unpubliziert gebliebenen – sprachlich druckreif formuliert. Deshalb wäre es gegenüber Tito Tettamanti geradezu unfair gewesen, das Interview unverändert abzudrucken. Hingegen wäre «Cash» ebenfalls unter Fairnessgesichtspunkten verpflichtet gewesen, dem Beschwerdeführer die zur Drucklegung vorgesehene Fassung vor der Publikation noch einmal zu unterbreiten oder diesen zumindest auf die Überarbeitungsbedürftigkeit hinzuweisen. Mit dieser Unterlassung hat die Redaktion die Richtlinie 4.5 zur «Erklärung» verletzt.
3. a) Wie bereits ausgeführt dürfen auch schriftliche Interviews bearbeitet und gekürzt, nicht jedoch in ihren Hauptaussagen entstellt werden. Es bleibt deshalb zu untersuchen, ob die Kürzungen der Redaktion die Hauptaussagen des Beschwerdeführers entstellt haben.
b) Die Fragen 1 bis 10 beschäftigen sich mit dem Aktionariat der Jean Frey AG. Die Frage 3 fällt darin etwas aus dem Rahmen: «Ist Ihr Investment weiterhin publizistisch-verlegerisch zu werten oder als Finanzinvestition mit entsprechenden Kriterien?» Darauf antwortete der Beschwerdeführer: «Auf diese Frage habe ich unzählige Male schon geantwortet: ich bin kein Verleger.» In der Druckversion des Interviews wurden diese Frage und Antwort weggelassen. Das ist eine zulässige Kürzung, angesichts der Tatsache, dass der Beschwerdeführer diese Frage «unzählige Male schon» gleichlautend beantwortet hat. Eine immer gleiche Antwort bringt – entgegen den Behauptungen in der Beschwerdeschrift – keine Klärung, die für das Publikum von neuem Interesse gewesen wäre.
c) Auch die Frage 8 «Besteht unter gewissen Aktionären ein Aktionärsbindungsvertrag?», die der Beschwerdeführer für sich und seines Wissens auch für die anderen Aktionäre verneinte, durfte weggelassen werden. Denn der Beschwerdeführer hatte zuvor auf Frage 7 nach einem allfälligen Vorkaufsrecht geantwortet: «Zwischen Freunden macht der Anstand Verträge unnötig.» Damit hat er seine Auffassung zum Umgang der Aktionäre untereinander hinreichend beantwortet.
d) In den Fragen 9 und 10 interessierte sich der Journalist für die Exit-Strategien des Beschwerdeführers: ob für ihn eher ein Management-Buyout, ein Going Public oder gar ein Verkauf an einen grösseren Verlag in Frage komme. Darauf antwortete der Beschwerdeführer wörtlich: «Die Aufmerksamkeit, mit der Sie die Jean Frey AG beehren und die Keinesgleichen findet auch im Fall anderer kotierten Gesellschaften, freut mich sehr. Haben Sie die gleichen Fragen mal an Herrn Michael Ringier gestellt? Auf jeden Fall, wenn der Moment gekommen ist, relevante Mitteilungen an den Markt zu geben, werden Sie nicht vergessen. Früher wäre es sicher unkorrekt und in gewissen Fällen sogar gesetzeswidrig.»
Abgesehen von der polemischen Rückfrage bezüglich Michael Ringier enthält diese Antwort nur die etwas holperige Aussage, dass der Beschwerdeführer nichts sagen will. Eine Aussageverweigerung aber ist nur dann eine relevante Aussage, wenn sie den Lesererwartungen entgegenläuft. Das ist hier nicht der Fall. Damit kann das Weglassen der beiden Fragen und der Antwort keine Entstellung der «persönlichen Gesamthaltung des Beschwerdeführers zur Jean Frey AG» bedeuten.
d) Die Fragen 11 und 12 beschäftigen sich mit der Kündigung von «Weltwoche»-Chefredaktor Roger Köppel und der Suche nach einem Nachfolger. Der Beschwerdeführer antwortete unter anderem «(…) Eine Offerte von der kann man nicht ablehnen. Das ist Marktwirtschaft. Wie in jeder Firma braucht man Leute mit verschiedenen Profilen, gemäss den Lebensphasen der Firma selbst. (…)» Die «Cash»-Redaktion liess in der Druckfassung den Satz «Das ist Marktwirtschaft» weg. Im Gegensatz zur Auffassung des Beschwerdeführers ist damit keine Hauptaussage entstellt worden. Der Satz ist in diesem Kontext kein wirtschaftspolitisches Bekenntnis, sondern ein so simpler Spruch wie «So ist das Leben». Er konnte weggekürzt werden, ohne dass sich der Sinn der gesamten Antwort in irgend eine Richtung verschoben hätte.
e) Schliesslich rügt der Beschwerdeführer auch noch die Kürzung von Frage 12 als «besonders krasse Veränderung». In der dem Beschwerdeführer zugestellten Liste waren unter dieser Ziffer zwei Fragen aufgeführt: «Können Sie bei der Bestellung des neuen Chefredaktors mitreden? Immerhin sind Sie der gewichtigste Investment und Jean Frey in der heutigen Form ist gewissermassen Ihr ?» Darauf antwortete der Beschwerdeführer: «Wir haben einen c.e.o., Filippo Leutenegger, und einen Verwaltungsrat und ich bin nicht bezahlt und habe keine Lust, die Aufgaben der anderen zu übernehmen. Never volunteer.» In der Druckfassung verkürzte die Redaktion ihre – eher etwas verunglückten – Fragen zu: «Reden Sie bei der Bestellung des neuen Chefredaktors mit?» Dies ist eine zulässige und professionelle redaktionelle Bearbeitung, welche die Stossrichtung der Frage beibehält und die Antwort des Beschwerdeführers nicht im Geringsten anders klingen lässt, als bei der ursprünglichen Doppelfrage. Nur der Vollständigkeit halber: Es war auch vertretbar, in der Antwort der Beschwerdeführers den Namen Filippo Leutenegger wegzulassen, da Leutenegger im Hauptartikel auf der gleichen Seite mit seinen Funktionen genannt und im Bild gezeigt wurde. Ein Missverständnis über die Person des CEO war damit so gut wie ausgeschlossen.
f) Zusammenfassend ist festzuhalten, dass im vorliegenden Fall alle einigermassen wichtigen Aussagen des Beschwerdeführers abgedruckt worden. Mit ihren Kürzungen hat die «Cash»-Redaktion nicht gegen Ziffer 4 und Richtlinie 4.5 der «Erklärung» verstossen.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.
2. Die von Tito Tettamanti nachträglich einseitig stipulierte Bedingung, wonach ein Interview nur ohne jede Veränderung gedruckt werden dürfe, ist keine Vereinbarung im Sinne von Richtlinie 4.5 der «Erklärung». «Cash» durfte das Interview deshalb redaktionell bearbeiten, wäre aber unter Fairnessgesichtspunkten verpflichtet gewesen, dem Beschwerdeführer die zur Drucklegung vorgesehene Fassung vor der Publikation noch einmal zu unterbreiten oder diesen zumindest auf die Überarbeitungsbedürftigkeit seiner schriftlichen Antworten hinzuweisen.
3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen. Die «Cash»-Redaktion hat durch ihre Kürzungen die Hauptaussagen des Beschwerdeführers nicht entstellt.